Ax Tiefbaurecht

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Praxistipp: Förmliche Abnahme eigentlich zwingend

Praxistipp: Förmliche Abnahme eigentlich zwingend

von Thomas Ax

Ist eine förmliche Abnahme vereinbart, kann sich der Auftragnehmer zwar im Regelfall nicht auf eine konkludente Abnahme durch den Auftraggeber stützen (vgl. Werner/Pastor, a.a.O., Rn 1819 mwN in Fn 121).

Die Parteien können im Einzelfall auf eine vereinbarte förmliche Abnahme einvernehmlich verzichten (vgl. Werner/Pastor, a.a.O., Rn 1820 mwN in Fn 124 ff.; Rn 1857/1858 mwN). Ein solcher Verzicht kann insbesondere darin liegen, dass der Auftragnehmer die Schlussrechnung stellt und der Auftraggeber die fertige Bauleistung in Benutzung nimmt, ohne dass eine der Parteien dabei deutlich macht, dass sie noch auf die vereinbarte förmliche Abnahme zurückkommen will, wobei unerheblich ist, ob sich die Parteien der Tatsache bewusst waren, dass eine förmliche Abnahme eigentlich vorgesehen war oder ob sie das nur vergessen haben (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.1989, VII ZR 82/88, juris; BGH, Urteil vom 21.04.1977, VII ZR 108/76, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.11.1996, 21 U 68/96, juris, dort Rn 21; Werner/Pastor, a.a.O., Rn 1820 mwN in Fn 126-128; Kniffka/Koeble, a.a.O., 4. Teil, Rn 37 mwN in Fn 116-122; Leinemann-Jansen, VOB, 6. Auflage 2016, § 12, Rn 91 mwN in Fn 326/327; Ingenstau/Korbion-Oppler, VOB, 20. Auflage 2017, § 12 Abs. 4, Rn 5 mwN).

Eine fiktive Abnahme gemäß § 12 Abs. 5 VOB/B ist durch die Vereinbarung einer förmlichen Abnahme ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.1983, VII ZR 373/82, juris; Kniffka/Koeble, a.a.O., 4. Teil, Rn 31/46 mwN in Fn 139).

Zu differenzieren ist aber zum einen zwischen einer fiktiven (d.h. gesetzlich fingierten) und einer konkludenten (d.h. stillschweigenden) Abnahme (in Gestalt eines sog. Erklärungsverhaltens) und – davon nochmals zu trennen – einem konkludenten (d.h. stillschweigenden) Verzicht auf eine eigentlich vereinbarte förmliche Abnahme. Zum anderen ändert ein regelmäßig anzunehmender Ausschluss einer fiktiven Abnahme durch die Vereinbarung einer förmlichen Abnahme nichts an den vorstehenden Feststellungen dazu, dass auf eine eigentlich vereinbarte förmliche Abnahme unter Berücksichtigung entsprechender Umstände des Einzelfalles durchaus konkludent (im Sinne eines Erklärungsverhaltens) verzichtet werden kann und dann – indes erst nach Eintritt der Abnahmereife – die Annahme einer konkludenten Abnahme durchaus statthaft ist.

Praxistipp: Abnahme nur bei unwesentlichen Mängeln

Praxistipp: Abnahme nur bei unwesentlichen Mängeln

von Thomas Ax

Unwesentliche Mängel berühren nach der ausdrücklichen Regelung in § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB (in der durch Gesetz vom 30.03.2000 geänderten Fassung) die Abnahmepflicht nicht (mehr). Dem Besteller verbleiben die sonstigen Mängelrechte (d.h. § 634 BGB bzw. – wie hier – insbesondere § 641 Abs. 3 BGB. § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB ist § 12 Abs. 3 VOB/B nachgebildet, so dass die dazu ergangene Rechtsprechung zu beiden Vorschriften herangezogen werden kann (vgl. Motzke, NZBau 2000, 489, 494). Unwesentlich ist danach ein Mangel, wenn es dem Auftraggeber zumutbar ist, die Leistung als im Wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung anzunehmen und sich mit den sonstigen Mängelrechten (d.h. § 634 BGB, bzw. – wie hier – insbesondere § 641 Abs. 3 BGB) zu begnügen.

Dies ist anhand von Art und Umfang des Mangels sowie seiner konkreten Auswirkungen nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 30.04.1992, VII ZR 185/90, juris; BGH, Urteil vom 26.02.1981, VII ZR 287/79, juris), auf Seiten des Auftraggebers sowohl objektiv anhand der Verkehrsauffassung über die Bedeutung des in Rede stehenden Mangels als auch subjektiv anhand des konkreten Interesses an einem insoweit mangelfreien Werk und auf Seiten des Auftragnehmers anhand des Aufwandes für die Mängelbeseitigung und eines etwaigen Verschuldens (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.12.2007, I-23 U 164/05, juris). Beeinträchtigt der Mangel bzw. die Mängel die Gebrauchstauglichkeit des Werks für den Auftraggeber (wie z.b. beim Fehlen eines sicherheitsrelevanten Geländers), ist im Regelfall von einem wesentlichen Mangel auszugehen.

Handelt es sich nur um eine geringfügige (insbesondere nur optische) Beeinträchtigung, ist im Regelfall von einem unwesentlichen Mangel auszugehen. Bei einer Mehrzahl von Mängeln kann jeder für sich zwar unwesentlich sein, indes die notwendige Gesamtschau zur Annahme einer Wesentlichkeit der Mängel führen (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 77. Auflage 2018, § 640, Rn 9 mwN; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Auflage 2014, 4. Teil, Rn 4 mwN; vgl. auch 6. Teil, Rn 262 mwN). Darüber hinaus kann im Einzelfall als weiterer allgemeiner Maßstab der Grundsatz von Treu und Glauben herangezogen werden. Danach ist von einem unwesentlichen (weil unbedeutenden) Mangel auszugehen, wenn das Interesse des Auftraggebers an einer Beseitigung vor Abnahme nicht schützenswert und sich seine Abnahmeverweigerung deshalb als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 25.01.1996, VII ZR 26/95, juris; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 15. Auflage 2015, Rn 1833 ff. mwN).

Gemessen daran stellen sich die Mängel dann als wesentliche oder als unwesentliche Mängel dar.

Praxistipp: Zwingend die VOB/B in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt in den Bauvertrag einbeziehen

Praxistipp: Zwingend die VOB/B in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt in den Bauvertrag einbeziehen

von Thomas Ax

Die VOB/B enthält Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen und berücksichtigt als ausgewogenes Klauselwerk die Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer gleichermaßen. Die VOB/B wird durch § 310 Abs. 1 S. 3 BGB privilegiert, wenn die VOB/B in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt in den Bauvertrag einbezogen ist. Dann findet eine Inhaltskontrolle einzelner Bestimmungen nicht statt. Dies gilt jedenfalls für die Verwendung der VOB/B im unternehmerischen Rechtsverkehr. Sobald der Vertrag oder diesem beigefügte Allgemeine Geschäftsbedingungen von der VOB/B abweichende inhaltliche Regelungen enthalten, selbst wenn sie noch so unbedeutend wirken und den Vertragsschließenden gar nicht bewusst sind, liegt ein Eingriff in das sonst vorhandene ausgeglichene Gefüge der VOB/B vor. Die Privilegierung entfällt.

I

Die Privilegierung der VOB/B

Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1982 (VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135) unterlagen die Klauseln der VOB/B, die als vorformulierte Vertragsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2008 – VII ZR 55/07 Rn. 10 m.w.N., BGHZ 178, 1), keiner Inhaltskontrolle, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hatte. Begründet wurde das damit, dass die VOB/B im Gegensatz zu anderen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht nur die Interessen einer Vertragspartei verfolge, sondern im Ganzen einen einigermaßen ausgewogenen

Ausgleich der beteiligten Interessen enthalte (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1982 – VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135, juris Rn. 27 ff.). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 22. Januar 2004 dahingehend modifiziert, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist, unabhängig davon, welches Gewicht der Eingriff hat. Damit ist die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen. Ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen “ausgeglichen” werden, ist unerheblich (BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – VII ZR 419/02, BGHZ 157, 346, juris Rn. 11). Danach ist für die Eröffnung der Inhaltskontrolle eine substanzielle Abänderung der VOB/B nicht erforderlich. Die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eröffnet, wenn

die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart war.

II

Abweichungen von der VOB/B – Wegfall der Privilegierung

Beispiele aus der Rechtsprechung hierfür sind

1

1.1

Eine Regelung, die Einheitspreise für fest und unveränderbar erklärt (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2023 – VII ZR 34/20). Hierin liegt eine Abweichung von § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B:

Die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eröffnet, weil nach dem zugunsten der Revision zu unterstellenden Sachverhalt die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart war. Das Berufungsgericht hat – wie die Revision zu Recht rügt – entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin unberücksichtigt gelassen, obwohl er für die Beurteilung, ob die VOB/B (2002) als Ganzes zwischen den Parteien vereinbart worden ist, erheblich war. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2019 vorgetragen, dass in den ursprünglich zwischen der S. GmbH und der Beklagten vereinbarten Besonderen Vertragsbedingungen, die auch in das Vertragsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten einbezogen worden seien, mehrere im einzelnen benannte Regelungen von denen der VOB/B (2002) abweichen. So weicht, was die Klägerin zutreffend aufgezeigt hat, Ziffer II. 2. Abs. 3, wonach die Einheitspreise fest und unveränderbar sind, von § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) ab.

1.2

Eine Regelung, nach der der Auftraggeber Abschlagszahlungen von bis zu 90 Prozent der nachgewiesenen Leistungen zu leisten hat (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2023 – VII ZR 34/20). Hierin liegt eine Abweichung von § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B:

Die Regelung in Ziffer II. 11. Abs. 1, der zufolge der Auftraggeber Abschlagszahlungen bis zu 90 % der nachgewiesenen Leistungen zu leisten hat, modifiziert § 16 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002), da hiernach Abschlagszahlungen in Höhe von 100 % des Wertes der jeweils nachgewiesenen vertragsgemäßen Leistungen einschließlich des ausgewiesenen, darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrages zu gewähren sind. Unter Berücksichtigung dieses Vortrags ist die VOB/B nicht mehr als Ganzes zwischen den Parteien vereinbart

2

Weitere Beispiele

2.1

Eine Regelung, wonach die Leistung ab einer Auftragssumme von 10.000,00 Euro förmlich abzunehmen ist (vgl. LG Heidelberg, Urt. v. 10.12.2010 – 3 O 170/10). Hierin liegt eine Abweichung von § 12 Abs. 5 VOB/B.

2.2

Eine Regelung, nach der der Auftragnehmer eine Bürgschaft auf erstes Anfordern als Sicherheit zu stellen hat (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 13.12.2007 – 12 U 1498/07). Hierin liegt eine Abweichung von § 17 Nr. 4 S. 3 VOB/B.

2.3

Eine Regelung, nach der die Gewährleistungsfrist 6 Werktage nach Beginn der Benutzung des Werks durch dessen Besteller, spätestens mit dem Einzug in das errichtete Haus beginnt (vgl. OLG Celle, Teilurt. v. 18.12.2008 – 6 U 65/08). Hierin liegt eine Abweichung von § 12 Abs. 5, 13 Abs. 4 Nr. 3 VOB/B.

III

Folgen (Beispiel):

Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, hält § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam (vgl. BGH, Urt. v. 19.01.2023 – VII ZR 34/20):

Ist die Beklagte Verwenderin der VOB/B und ist diese nicht als Ganzes vereinbart, kann die Beklagte die von ihr am 18. Juni 2006 ausgesprochene Kündigung nicht auf § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) stützen. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) hält ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002), die inhaltlich den derzeit geltenden § 4 Abs. 7 Satz 3, § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2016) entspricht, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.

a) Nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) kann der Auftraggeber den Vertrag kündigen, wenn im Falle des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) die dem Auftragnehmer gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist (Entziehung des Auftrags). Die Klausel in § 4 Nr. 7 VOB/B (2002), auf die sich dieses Kündigungsrecht bezieht, sieht in Satz 1 vor, dass der Auftragnehmer Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen hat. Kommt der Auftragnehmer der Pflicht zur Beseitigung des Mangels nicht nach, kann ihm gemäß Satz 3 der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe (§ 8 Nr. 3). § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) enthält mithin nicht selbst einen Kündigungsgrund, sondern greift rückbeziehend das in § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) tatbestandlich geregelte Kündigungsrecht unter den dort niedergelegten Voraussetzungen auf. Die derart wechselbezüglich miteinander verknüpften Regelungen stellen allgemeiner Auffassung zufolge einen Anwendungsfall des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund dar (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Lederer,

8. Aufl. 2023, VOB/B § 8 Rn. 93).

b) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist (für die Unwirksamkeit Ingenstau/Korbion/Sienz, VOB Teile A und B, 22. Aufl., Anh. 3 Rn. 72; Kniffka/Jurgeleit/Schmitz, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand: 15. November 2021, § 648a Rn. 89 ff.; Bolz/Jurgeleit/Karczewski, ibr-online Kommentar VOB/B, Stand: 24. August 2022, § 4 Rn. 368, 372; Bedenken an der Wirksamkeit äußernd Gartz in Nicklisch/Weick/Jansen/Seibel, VOB/B, 5. Aufl., § 4 Rn. 209 f.; Messerschmidt/Voit/Voit, Privates Baurecht, 4. Aufl., § 4 VOB/B Rn. 38; Glöckner/v. Berg/Vogelheim, Bau- und Architektenrecht, 2. Aufl., Teil III, § 4 Rn. 28; Leinemann/Kues/Geheeb, BGB-Bauvertragsrecht, 1. Aufl., § 648a Rn. 92; Graf von Westphalen/Thüsing/Pamp/Schmidt, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 48. EL. März 2022, “Bauvertrag”, Rn. 22; Schenke, BauR 2008, 1972, 1977; für die Wirksamkeit OLG Koblenz, Urteil vom 28. Juli 2020 – 4 U 1282/17, juris Rn. 87 ff.; LG Bremen, Zwischenurteil vom 20. Juni 2019 – 2 O 2021/10, juris Rn. 122 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Juni 2007 – 3 U 31/07, juris Rn. 15 ff.; Schrader, jurisPR-PrivBauR 5/2020 Anm. 3).

c) Der Senat entscheidet die Frage dahingehend, dass § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen einer Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die Klauseln benachteiligen den Auftragnehmer unangemessen und sind deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

aa) Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2017 – VII ZR 170/16 Rn. 17, BauR 2017, 1202). Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders wird nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vermutet, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und damit für die Bestimmung der für die Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung heranzuziehenden wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der Vertragsschluss (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2014 – VIII ZR 344/13 Rn. 31 m.w.N., BGHZ 201, 363). Entscheidend sind die durch die Klausel konkret verdrängten gesetzlichen Vorschriften, die im Streitfall auf das vertraglich begründete Rechtsverhältnis anwendbar wären (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1987 – VII ZR 185/86, BGHZ 102, 41, juris Rn. 20). Die “gesetzlichen Regelungen” im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfassen dabei nicht nur Gesetze im materiellen Sinn, sondern auch ungeschriebenes Recht, wozu auch das Richterrecht sowie die von der Rechtsprechung  und Rechtslehre durch Auslegung, Analogie oder Rechtsfortbildung aus den allgemeinen Grundgedanken eines Rechtsgebiets oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung aus der Natur eines Schuldverhältnisses erarbeiteten und anerkannten Rechtssätze gehören (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2002 – XI ZR 245/01, BGHZ 150, 269, juris Rn. 23). Die Vermutung ist widerlegt, wenn die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild auf Grundlage einer umfassenden Interessensabwägung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt ist (BGH, Urteil vom 27. April 2021 – XI ZR 26/20 Rn. 24 m.w.N., BGHZ 229, 344).

bb) Die Regelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1

Var. 1 VOB/B (2002) unterliegt uneingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung. Zwar sind Allgemeine Geschäftsbedingungen keine Rechtsnormen, so dass ihre Auslegung grundsätzlich Sache des Tatrichters ist. Sie sind aber wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und infolgedessen vom Revisionsgericht frei auszulegen, da bei ihnen ungeachtet der Frage, ob sie über den räumlichen Bezirk eines Berufungsgerichts hinaus Verwendung finden, ein Bedürfnis nach einheitlicher Handhabung besteht (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 41, BGHZ 210, 206; Urteil vom 9. April 2014 – VIII ZR 404/12 Rn. 25, BGHZ 200, 362; Urteil vom 13. November 2012 – XI ZR 500/11 Rn. 15, BGHZ 195, 298).

cc) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind gemäß ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Dabei ist in erster Linie der Wortlaut der auszulegenden Klausel maßgeblich. Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch für die VOB/B (BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – VII ZR 5/15 Rn. 26 m.w.N., BGHZ 206, 203).

Ist der Wortlaut nicht eindeutig, kommt es entscheidend darauf an, wie die Klausel aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 22, RdE 2022, 23). Dabei sind auch der Sinn und Zweck einer Klausel sowie systematische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Eine Formularklausel ist vor dem Hintergrund des gesamten Formularvertrags zu interpretieren (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 23, RdE 2022, 23;

Urteil vom 10. Juni 2020 – VIII ZR 289/19 Rn. 30, MDR 2020, 1047, jeweils m.w.N.). Sind nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsregeln mehrere Auslegungen rechtlich vertretbar, gehen Zweifel bei der Auslegung gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Außer Betracht bleiben Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2022 – VII ZR 176/20 Rn. 30, NJW 2022, 2467; Urteil vom 20. Juli 2017 – VII ZR 259/16 Rn. 19, BauR 2017, 1995; Urteil vom 5. November 2015 – VII ZR 59/14 Rn. 21 m.w.N., NJW 2016, 242). Nach diesen Grundsätzen ist auch im Individualprozess gemäß § 305c Abs. 2 BGB die kundenfeindlichste Auslegung zugrunde zu legen, wenn diese im Rahmen einer vorzunehmenden Inhaltskontrolle zur Unwirksamkeit der Klausel führt und dadurch den Vertragspartner des Verwenders begünstigt (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 42, BGHZ 210, 206, jeweils m.w.N.).

dd) Nach diesen Grundsätzen ist für § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) von einem Klauselverständnis auszugehen, wonach bei ganz geringfügigen und unbedeutenden Vertragswidrigkeiten oder Mängeln die Kündigung aus wichtigem Grund eröffnet ist.

(1) Nach dem Wortlaut von § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1

Var. 1 VOB/B (2002) kann der Auftraggeber dem Auftragnehmer den Auftrag entziehen, wenn eine mangelhafte oder vertragswidrige Leistung in der Ausführungsphase aufgetreten ist, die der Auftragnehmer trotz Fristsetzung und Kündigungsandrohung nicht beseitigt hat. Weitere Voraussetzungen im Hinblick darauf, dass die Kündigung nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) eine solche aus wichtigem Grund ist, enthalten weder § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) noch § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002).

Die Sanktion der Kündigung aus wichtigem Grund kann danach einschränkungslos in jedem denkbaren Fall festgestellter Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit ausgesprochen werden. Diese Möglichkeit besteht losgelöst davon, welches Gewicht der Vertragswidrigkeit oder dem Mangel im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zukommt. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) differenziert nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels, so dass selbst unwesentliche Mängel, die den Auftraggeber nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigen würden, zur Kündigung aus wichtigem Grund führen können.

Die Fristsetzung und die Auftragsentziehungsandrohung sind lediglich als einzuhaltende Förmlichkeiten formuliert, so dass der Auftraggeber den Vertrag auch dann aus wichtigem Grund kündigen kann, wenn der Fristsetzung kein anerkennenswertes eigenes Interesse an der fristgerechten Beseitigung der vertragswidrigen oder mangelhaften Leistung zugrunde liegt oder die Auftragsentziehung angedroht wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse an der vorzeitigen Vertragsbeendigung besteht.

(2) Aus der systematischen Stellung und dem Regelungszusammenhang der Klauseln ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass ganz geringfügige und unbedeutende Vertragswidrigkeiten oder Mängel kein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund begründen könnten. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) knüpft an das dem Auftraggeber in § 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/B (2002) ausbedungene Recht an, bereits während der Ausführung die Beseitigung als vertragswidrig oder mangelhaft erkannter Leistungen fordern zu können. § 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/B (2002) differenziert seinerseits ebenfalls nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels.

(3) Bei anderem Klauselverständnis (vgl. zur Mehrdeutigkeit der Regelung von Kiedrowski, Festschrift für Leupertz (2021), S. 333, 350 f.), wonach ein Auftraggeber dem Auftragnehmer den Auftrag nur bei Vertragswidrigkeiten oder Mängeln entziehen darf, welche so gewichtig sind, dass dem Auftraggeber die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, wäre aufgrund der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB der Angemessenheitsprüfung nach § 307 Abs. 1, 2 BGB gleichwohl die Auslegung zugrunde zu legen, wonach die Kündigung als Reaktion auch auf eine nur geringfügige, unbedeutende oder unwesentliche Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit in der Ausführungsphase möglich ist.

ee) Ausgehend von dem hiernach maßgeblichen Klauselverständnis widerspricht § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) dem gesetzlichen Leitbild im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

(1) Die Kündigungsregelung nach § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) ist anhand der richterrechtlich entwickelten Grundsätze zu messen, nach denen der Auftraggeber einen Werkvertrag aus wichtigem Grund kündigen kann.

Das Recht eines Auftraggebers, einen Werkvertrag aus wichtigem Grund zu kündigen, ist für ab dem 1. Januar 2002, aber vor Einführung von § 648a BGB geschlossene Verträge – wie dem streitgegenständlichen – richterrechtlich anerkannt und folgt aus dem Rechtsgedanken des § 314 BGB (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – VII ZR 56/15 Rn. 40 m.w.N., BGHZ 210, 1).

(2) Voraussetzung einer Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber derart erschüttert hat, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2019 – VII ZR 1/19 Rn. 23, 31, BGHZ 223, 260; Urteil vom 8. März 2012 – VII ZR 118/10 Rn. 22, BauR 2012, 949 = NZBau 2012, 357).

Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase kann im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen. Solche können sich im Einzelfall aus Umständen ergeben, die einen Bezug zu der potenziell mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung aufweisen, sofern diese in der Gesamtabwägung so schwer wiegen, dass sie zu einer tiefgehenden Störung der für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauensbeziehung geführt haben. Ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers, die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abwarten zu müssen, kann etwa aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels folgen.

(3) Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) weicht nach dem maßgeblichen Klauselverständnis von diesen wesentlichen Grundgedanken ab. Hiernach kann der Auftraggeber die Kündigung losgelöst von diesen Kriterien und – bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs – selbst bei Geringfügigkeit der Vertragswidrigkeiten oder Mängel während der Ausführungsphase aussprechen.

(4) Diese Abweichung von dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn die Vermutung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist nicht widerlegt. Weder wird die unangemessene Benachteiligung durch andere der Klägerin von der Beklagten gewährte Vorteile kompensiert noch rechtfertigen besondere Umstände bezogen auf die Durchführung und Abwicklung von Bauleistungen diese.

ff) § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) behält im Übrigen – soweit die Bestimmung nicht auf § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) rückbezogen ist – seine Wirksamkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können inhaltlich voneinander trennbare, einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch dann Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung sein, wenn sie in einem äußeren sprachlichen Zusammenhang mit anderen – unwirksamen – Regelungen stehen. Nur wenn der als wirksam anzusehende Teil im Gesamtgefüge des Vertrags nicht mehr sinnvoll, insbesondere der als unwirksam beanstandete Klauselteil von so einschneidender Bedeutung ist, dass von einer gänzlich neuen, von der bisherigen völlig abweichenden Vertragsgestaltung gesprochen werden muss, ergreift die Unwirksamkeit der Teilklausel die Gesamtklausel. Die inhaltliche Trennbarkeit einer Klausel und damit ihre Zerlegung in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil ist immer dann gegeben, wenn der unwirksame Teil der Klausel gestrichen werden kann, ohne dass der Sinn des anderen Teils darunter leidet (sog. blue-pencil-test); ob beide Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen, ist dabei unerheblich (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. April 2022 – VIII ZR 295/20 Rn. 45 m.w.N., NJW 2022, 1944).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs erstreckt sich die Unwirksamkeit der ersten in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) geregelten Variante nicht auf die übrigen Kündigungstatbestände. Der Passus in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002), der die Bezugnahme auf den Kündigungsgrund des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) enthält, kann gestrichen werden, ohne dass die Klausel des § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) insgesamt ihren Sinn einbüßt.

Praxistipp zur Frage unter welchen Voraussetzungen Fertigstellungsmehrkosten verlangt werden können

Praxistipp zur Frage unter welchen Voraussetzungen Fertigstellungsmehrkosten verlangt werden können, vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B.

Um die Fertigstellungsmehrkosten, vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B, zu ermitteln (vgl. dazu Ingenstau/Korbion 20. Auflage, § 8 Abs. 3 VOB/B, Rn. 35), muss der Auftraggeber von seinen aufgewendeten Ersatzvornahmekosten (durch Eigenleistungen oder Drittunternehmen) den Werklohnanspruch des Auftragnehmers abziehen, den dieser bei vollständiger Erfüllung erhalten hätte, da der Auftraggeber diese Kosten “sowieso” gehabt hätte. Darlegungs- und beweisbelastet ist wiederum die Beklagte (Ingenstau/Korbion, aaO, Rn. 36). Dafür muss das Gesamt-Bau-Soll dargestellt werden. Außerdem muss der Auftraggeber prüfbar über diese Mehrkosten abrechnen. Die Anforderungen des § 14 VOB/B sind zwar nicht einzuhalten. Gleichwohl muss der gekündigte Unternehmer in der Lage sein, die vom Auftraggeber aufgewendeten Kosten seinen ursprünglich geschuldeten Leistungen zuzuordnen und dabei zu prüfen, welche Einheitspreise bzw. Mengen und Massen abgerechnet wurden oder ob zusätzliche oder geänderte Leistungen bzw. Mangelbeseitigungsarbeiten vorlagen (OLG Celle, Urteil vom 4. November 2004 – 6 U 87104; Ingenstau/Korbion, aaO, Rn. 80). Eigentlich soll dies binnen 12 Werktagen gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 4 VOB/B erfolgen. Sofern der Auftraggeber den Drittunternehmer lediglich auf Stundenbasis für die Restarbeiten beauftragt, schließt dies zwar eine Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten nicht aus (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 4. Oktober 2000 – 4 U 1049/00). Allerdings ist eine prüffähige Abrechnung der Mehrkosten damit i.d.R. nicht möglich (Ingenstau/Korbion, aaO, Rn. 83).

Praxistipp zur Frage, dass wenn ein gemeinsames Aufmaß nicht vorliegt und infolge Nacharbeiten (durch Dritte) ein solches auch nicht mehr genommen werden kann, der für den Umfang der erbrachten Leistungen grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastete Unternehmer seiner Darlegungslast genügt, wenn er Tatsachen vorträgt, die dem Gericht die Möglichkeit eröffnen, gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen die für die Errichtung des Bauvorhabens angefallene Mindestvergütung zu schätzen

Praxistipp zur Frage, dass wenn ein gemeinsames Aufmaß nicht vorliegt und infolge Nacharbeiten (durch Dritte) ein solches auch nicht mehr genommen werden kann, der für den Umfang der erbrachten Leistungen grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastete Unternehmer seiner Darlegungslast genügt, wenn er Tatsachen vorträgt, die dem Gericht die Möglichkeit eröffnen, gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen die für die Errichtung des Bauvorhabens angefallene Mindestvergütung zu schätzen

Sofern ein gemeinsames Aufmaß nicht vorliegt und infolge Nacharbeiten (durch Dritte) ein solches auch nicht mehr genommen werden kann, genügt der für den Umfang der erbrachten Leistungen grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastete Unternehmer seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, die dem Gericht die Möglichkeit eröffnen, gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen die für die Errichtung des Bauvorhabens angefallene Mindestvergütung zu schätzen (BGH, Urteil vom 27. Juli 2006 – VII ZR 202/04). Dafür genügt grds. die Vorlage der Schlussrechnung mit dem Beweisantritt durch Sachverständigengutachten. Hat der Besteller die einseitig ermittelten Massen des Unternehmers bestätigt und ist aufgrund nachfolgender Arbeiten eine Überprüfung dieser Mengen nicht mehr möglich, muss der Besteller zum Umfang der von ihm zugestandenen Mengen vortragen und beweisen, dass diese nicht zutreffen (BGH, aaO, Rn. 11). Er kann also grds. die durch Prüfvermerk zugestandenen Mengen und Massen bestreiten, muss dann aber auch beweisen, dass geringere Mengen und Massen angefallen sind (OLG Dresden, Urteil vom 24. Oktober 2018 – 1 U 6011/17).

Praxistipp zur Berechtigung des Auftraggebers, den noch nicht vollendeten Teil der Leistung zulasten des Auftragnehmers durch einen Dritten ausführen zu lassen

LG Bielefeld zu der Frage, dass der Architekt im Rahmen der Rechnungsprüfung nicht verpflichtet ist, den Auftraggeber auf einen Einbehalt von Bauabzugssteuer hinzuweisen

von Thomas Ax

Die Berechtigung des Auftraggebers, den noch nicht vollendeten Teil der Leistung zulasten des Auftragnehmers durch einen Dritten ausführen zu lassen (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B), setzt eine Auftragsentziehung nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B voraus. Danach kann der Auftraggeber den Auftrag entziehen, wenn in den Fällen des § 4 Abs. 7 und Abs. 8 Nr. 1 VOB/B und des § 5 Abs. 4 VOB/B die gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist (OLG Stuttgart, Urteil vom 18. Februar 2020 – 10 U 2117; Ingenstau/Korbion, 20. Auflage, § 4 Abs. 7, Rn. 62).

Vergütungsansprüche nach der Kündigung eines Werkvertrages schlüssig darlegen …

LG Bielefeld zu der Frage, dass der Architekt im Rahmen der Rechnungsprüfung nicht verpflichtet ist, den Auftraggeber auf einen Einbehalt von Bauabzugssteuer hinzuweisen

von Thomas Ax

Nach der Kündigung eines Werkvertrages schuldet der Besteller dem Unternehmer eine Vergütung, die dem am Vertragspreis orientierten Wert der erbrachten Leistung im Zeitpunkt der Kündigung entspricht (vgl. BGH NJW 1995, 2712). Deswegen obliegt es dem die Vergütung für erbrachte Leistungen verlangendem Auftragnehmer zunächst, die erbrachten Leistungen darzulegen und von dem nicht ausgeführten Teil abzugrenzen.

Liegt ein gekündigter Pauschalpreisvertrag vor, hat der Unternehmer überdies die Höhe der Vergütung für die erbrachten Leistungen nach dem Verhältnis des Werts der erbrachten Teilleistungen zu dem Wert der nach dem Pauschalpreisvertrag geschuldeten Gesamtleistung zu errechnen. Dementsprechend muss er sowohl das Verhältnis der bewirkten Leistung zur vereinbarten Gesamtleistung als auch das Verhältnis des Preisansatzes für die Teilleistungen zum Pauschalpreis darlegen (vgl. nur BGH, Urteil vom 4. 7. 2002 – VII ZR 103/01 = NZBau 2002, 614, 615).

Fehlen dem Auftragnehmer aus der Zeit vor Vertragsschluss die Anhaltspunkte zur Bewertung der erbrachten Leistungen, muss er im Nachhinein im Einzelnen darlegen, wie die erbrachten Leistungen unter Beibehaltung des Preisniveaus zu bewerten sind (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 04.07.1996 – VII ZR 227/93 = NJW 1996, 3270). In diesem Zusammenhang kann eine ausreichend aufgegliederte und auf einzelne Gewerke bezogene Aufstellung ausreichen, welche die Gesamtkosten bei vollständiger Fertigstellung aufgrund einer Nachunternehmervergabe darlegt und den Kosten gegenüberstellt, die tatsächlich entstanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 4. 7. 2002 – VII ZR 103/01 = NJW-RR 2002, 1596). Wesentlich ist nur, dass die vorgenommene Abgrenzung zwischen erbrachten und nicht erbrachten Leistungen sowie deren Bewertung dem Auftraggeber die Möglichkeit gibt, sich sachgerecht zu verteidigen (vgl. BGH a.a.O.), indem er die einzelnen Pauschalen sowie den kalkulatorischen Wahrheitsgehalt und damit letztlich die inhaltliche Richtigkeit überprüfen kann. Sinn und Zweck dieser Anforderungen an die Abrechnung ist, dass der Unternehmer seine Leistungen nicht beliebig bewertet und dadurch ungerechtfertigte Vorteile erlangt, wobei es im Wesentlichen um die Frage geht, ob eine ungerechtfertigte Verschiebung von Kosten in den erbrachten Leistungsteil erfolgt ist (vgl. Kniffka in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, 8. Teil Rn. 59); also die ausgeführten Teilleistungen zu hoch bewertet werden.
Vor dem Hintergrund, dass die Gefahr kalkulatorischer Verschiebungen in diesen Fällen in den Hintergrund tritt, kann von einer Aufschlüsselung der Gesamtleistungen in Einzelleistungen abgesehen werden, wenn im Zeitpunkt der Kündigung nur noch geringwertige Leistungen nicht erbracht sind (vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2014 – VII ZR 176/12 = NZBau 2015, 27). Zudem darf der Unternehmer auf der Grundlage der Fertigstellungskosten des Bestellers für die Restleistung abrechnen, wenn feststeht, dass dem Unternehmer bei dieser die Vertragsgrundlagen verlassenden Berechnung kein Nachteil entsteht (vgl. Kniffka in in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, 8. Teil Rn. 65; Schmitz in Kniffka, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand 6.3.2023, § 648 Rn. 59). Es muss mithin feststehen, dass die Drittunternehmerkosten die vertraglich vereinbarte Vergütung für die Restfertigstellung überschreiten, oder der Besteller akzeptiert eine Berechnung unter Abzug der Fertigstellungskosten bzw. widerspricht dieser nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 10.4.2014 – VII ZR 124/13 = NZBau 2014, 351 Rn. 4).
Unerheblich ist in Bezug auf diese Berechnungsgrundlagen zum gekündigten Pauschalpreisvertrag, ob es sich um eine Kündigung nach § 648a BGB oder § 648 BGB handelt.

Der Rechtsauffassung, nach Einführung des § 648a Abs. 4 BGB könnten sich die Grundsätze der Abrechnung eines gekündigten Werkvertrages nur noch auf die Fälle des § 648a BGB beziehen, während im Rahmen einer Kündigung nach § 648 BGB, für den eine dem § 648a Abs. 4 BGB entsprechende Regelung fehlt, der Besteller darlegen und beweisen müsse, in welchem Umfang Leistungen nicht erbracht wurden, ist nicht zu folgen.

Abgesehen davon, dass diese Auffassung – soweit ersichtlich – nirgends in der Literatur oder Rechtsprechung vertreten wird, sondern weiterhin einhellig die Grundsätze der BGH-Rechtsprechung auf beide Kündigungsarten angewendet werden, wird verkannt, dass nach den allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast der Anspruchsteller die seinen Anspruch ausfüllenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat. Dazu gehört auch der Umfang der erbrachten Leistungen sowie die Höhe der sich daraus ergebenden Vergütung. Im Übrigen betrifft die Regelung des § 648a Abs. 4 BGB allein die Frage der Feststellung des Leistungsstandes und keineswegs die Frage der vergütungsmäßigen Bewertung der erbrachten Leistungen.

LG Bielefeld zu der Frage, dass der Architekt im Rahmen der Rechnungsprüfung nicht verpflichtet ist, den Auftraggeber auf einen Einbehalt von Bauabzugssteuer hinzuweisen

LG Bielefeld zu der Frage, dass der Architekt im Rahmen der Rechnungsprüfung nicht verpflichtet ist, den Auftraggeber auf einen Einbehalt von Bauabzugssteuer hinzuweisen

vorgestellt von Thomas Ax

Der Architekt ist im Rahmen der Rechnungsprüfung nicht verpflichtet, den Auftraggeber auf einen Einbehalt von Bauabzugssteuer hinzuweisen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Auftraggeber steuerlich beraten ist oder über eigene Sachkunde verfügt.
LG Bielefeld, Urteil vom 16.02.2024 – 7 O 167/20

Tatbestand:

Die Klägerin, eine im Oktober 2013 gegründete Gesellschaft mit dem Unternehmensgegenstand des Erwerbs, der Veräußerung, der Vermietung und Verwaltung eigener und fremder Immobilien sowie der Projektentwicklung dieser Immobilien (Bl. 343 d.GA), macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aus Architektenhaftung gelten.

Die Parteien des Rechtsstreits waren über einen sog. “Planungsvertrag“, datierend aus Mai 2014, verbunden. Nach dem Inhalt des Vertrages sollte der Beklagte Architektenleistungen u.a. für den Neubau eines Ärztehauses, XXX, XXX erbringen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrages wird auf Bl. 6 ff. d.GA verwiesen.

Mit Schlussrechnung vom 09.03.2017 (Bl. 12 ff. d.GA) rechnete der Beklagte seine Leistungen ab.

Die Firma XXX (nachfolgend: Fa. XXX), war im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben mit verschiedenen Bauleistungen beauftragt. Der Beklagte prüfte die seitens der Fa. XXX erteilten Rechnungen (Bl. 300 d.GA). Unstreitig verfügte die Fa. XXX über eine Freistellungsbescheinigung für die Bauabzugssteuer bis zum 31.07.2015, die der Klägerin vorlag und der auch die Problematik der Bauabzugssteuer bekannt war (Bl. 426 d.GA). Streitig ist zwischen den Parteien, ob auch dem Beklagten diese Freistellungsbescheinigung vorlag und ob er diese an die Klägerin übermittelt hatte. In den Folgejahren (2016 / 2017) verfügte die Fa. XXX über keine Freistellungsbescheinigung.

Im September 2020 nahm das Finanzamt XXX die Klägerin für die Haftung der Bauabzugssteuer bezogen auf die Jahre 2016 und 2017 in Anspruch. In dem Anhörungsschreiben vom 01.09.2020 (Bl. 15 f. d.GA) heißt es u.a.:

[…] aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Firma XXX, XXX ist dem Finanzamt bekannt, dass die XXX, später XXX, 2016 Bauleistungen an die XXX GmbH von insgesamt 688.660,92 Euro erbracht hat.

Die Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b Abs. 1 Satz 1 ESTG für die XXX endete zum 31.07.2015. Ein am 15.04.2016 gestellter Antrag auf Verlängerung der Freistellungsbescheinigung wurde vom Finanzamt XXX mit Schreiben vom 19.04.2016 abgelehnt.

Da für die Firma XXX für 2016 keine gültige Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b Abs. 1 Satz 1 EStG vorlag, war die Leiter Immobilien GmbH nach § 48 Abs. 1 Satz 1 EStG als Leistungsempfänger verpflichtet, von der Gegenleistung einen Steuerabzug in Höhe von 15% für Rechnung des Leistenden vorzunehmen.

Sie sind der Verpflichtung zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Bauabzugsteuer nicht nachgekommen und haften deshalb nach § 48a Abs. 3 Satz 1 EStG für den nicht abgeführten Abzugsbetrag.

Der Steuerberater der Klägerin fragte mit Schreiben vom 10.09.2020 bei dem Beklagten an, ob er – der Beklagte – “bei Auftragserteilung bzw. bei Prüfung der Rechnungen die Freistellungsbescheinigungen gem. § 48b Abs. 1 Satz 1 EStG angefordert und geprüft habe“.

Hierauf erfolgte keine Reaktion des Beklagten.

Mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 19.11.2020 (Bl. 18 f. d.GA) begehrte die Klägerin gegenüber dem Beklagten die Freistellung bezüglich der Inanspruchnahme durch das Finanzamt.

Am 26.11.2020 erließ das Finanzamt XXX einen Nachforderungsbescheid, wonach gegen die Klägerin ein Betrag in Höhe von 91.520,25 Euro festgesetzt worden war (Bl. 21 ff. d.GA). Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 04.12.2020 legte die Klägerin Einspruch gegen den Nachforderungsbescheid ein (Bl. 68 d.GA) und begründete diesen mit weiterem Schriftsatz vom 19.01.2021. Mit Bescheid vom 15.02.2021 setzte das Finanzamt XXX die Vollziehung des Nachforderungsbescheides zu einer Höhe von 64.020,25 Euro aus (Bl. 96 d.GA). Den nicht ausgesetzten Betrag (27.500, – Euro) zahlte die Klägerin am 25.03.2021.

Unter dem 18.01.2023 fragte das Finanzamt XXX an, ob der Einspruch zurückgenommen werde, was die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 23.01.2023 ablehnte.

Am 13.02.2023 erließ das Finanzamt XXX eine Entscheidung über den Einspruch und setzte den Steuerabzug auf 91.520,25 Euro fest.

Mit Beschluss vom 24.05.2023 lehnte das Finanzgericht Münster den Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung des Nachforderungsbescheides (in der Gestalt der Einspruchsentscheidung) des Finanzamtes XXX ab und fragte mit Verfügung vom 25.05.2023 an, ob die finanzgerichtliche Klage zurückgenommen werde (FG Münster, 9 K 401/23 E).

Mit Bescheid vom 12.06.2023 setzte das Finanzamt XXX Säumniszuschläge und mit Bescheid vom 10.11.2023 Aussetzungszinsen fest.

Die Klägerin bringt vor, dass § 1 Abs. 2 des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages richtigerweise hätte heißen müssen “Ärztehaus in XXX, XXX“. Tatsächlich seien die Parteien von dem gesamten Ärztehaus in XXX ausgegangen.

Der Beklagte habe sämtliche Angebote für die Realisierung des Planungsauftrags bei den verschiedenen Bauunternehmen eingeholt, die für die Klägerin am besten geeigneten Bauunternehmen ausgesucht, Vertragsverhandlungen geführt und die Aufträge so gefertigt, dass der Geschäftsführer der Klägerin die Aufträge an die Werkunternehmer lediglich hätte zeichnen müssen.

Der Beklagte habe die Freistellungsbescheinigung beim Bundeszentralamt für Steuern unmittelbar angefordert, da er die Bauabzugsteuer bei den Rechnungsprüfungen der Fa. XXX ab April 2015 benötigt habe. Ebenfalls habe der Beklagte der Klägerin die Freistellungsbescheinigung vom 29. Juli 2014 per Telefax (oder persönlich, Bl. 370 d.GA) zu kommen lassen.

Der Beklagte habe als erfahrener Architekt von sich aus seine Bereitschaft erklärt, im Rahmen der Rechnungsprüfung die Bauabzugsteuer zu beachten. Er habe es als seine Aufgabe angesehen, die entsprechenden Freistellungsbescheinigungen für die Bauabzugssteuer bei der Vergabe der Aufträge durch die Klägerin einzufordern bzw. auch bei seiner Rechnungsprüfung zu beachten. Der Beklagte habe im Rahmen der Rechnungsüberwachung als Standardleistung die Freistellungsbescheinigungen von den beauftragten Unternehmen selbständig angefordert, Bl. 312 d.GA. Der Fehler des Beklagten bestehe darin dass er sich die entsprechende Freistellungsbescheinigung vom Finanzamt für das Jahr 2016 nicht habe vorlegen lassen.

Er habe eine Hinweispflicht gegenüber der Klägerin, dass ab dem 01. August 2015 die Freistellungsbescheinigungen für die Fa. XXX abgelaufen sei, verletzt.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte sei im Rahmen der Rechnungsprüfung verpflichtet gewesen, die Rechtmäßigkeit der Bauabzugsteuer für die von ihr beauftragten Unternehmen zu prüfen. Die Verpflichtung des Beklagten zur Rechnungsprüfung ergebe sich aus der tatsächlichen Übung. Zudem ergebe sich die Verpflichtung zur Überprüfung der Rechnungen aus § 2 Abs. 2 Nr. 8 des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages.

Die Klägerin habe nicht die Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b EStG bei der Steuerschuldnerin angefordert, da die Klägerin davon ausgegangen sei, dass der Beklagte sich selbständig um die Freistellungsbescheinigung des Finanzamts kümmere. Bekanntlich habe für das Jahr 2015 eine entsprechende Freistellungsbescheinigung vorgelegen. Insofern habe sich die Klägerin in der Gewissheit fühlen können, der Beklagte werde in Einhaltung seiner Pflicht darauf achten, dass die Fa. XXX im Besitz einer gültigen Freistellungsbescheinigung für die Jahre 2016 und 2017 sei.

Der Beklagte habe es als seine vertragliche Nebenpflicht angesehen, auf die Problematik der Bauabzugsteuer zu achten.

Die Klägerin sei anlässlich dieses Bauprojektes nicht durch einen Steuerberater begleitet worden.


Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen,

1) an sie einen Betrag in Höhe von 91.520,25 Euro nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 27.5000,00 Euro seit dem 31. März 2021 und 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05. Juni 2023 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung des Rückzahlungsanspruchs in Höhe von 91.520,25 Euro nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 27.500,00 Euro seit dem 31. März 2021 und 64.020,25 Euro seit dem 03. Juni 2023 gegen die Firma XXX;

2) an sie einen Betrag in Höhe von 406,00 Euro sowie weitere 599,80 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen seit dem 02. Juni 2023 zu zahlen;

3) an sie außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe 941, 70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

4) an sie einen Betrag in Höhe von 1.280,00 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20. Juni 2023 zu zahlen;

5) sie von sämtlichen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Finanzgericht Münster zum Az.: 9 K 401/23 E freizustellen sowie

6) an sie einen Betrag in Höhe von 8.320,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Dezember 2023 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unzutreffend sei die Behauptung, die Fa. XXX habe die ihr erteilte Freistellungsbescheinigung für 2015 dem Beklagten vorgelegt. Unzutreffend sei ferner die Behauptung, dass der Beklagte im Rahmen der Rechnungsprüfung für 2015 die Freistellungsbescheinigung bei den beauftragten Unternehmen angefordert habe. Dies sei weder bei der Fa. XXX, noch bei anderen beauftragten Unternehmen erfolgt.

Der Beklagte habe für die Rechnungen der Fa. XXX bis einschließlich Juli 2015 die Bauabzugsteuer berücksichtigt, weil ihm durch die Klägerin bekannt gewesen sei, dass für diesen Zeitraum eine Freistellungsbescheinigung vorliege. Der Beklagte selbst sei nicht im Besitz der Freistellungsbescheinigung gewesen (Bl. 590 d.GA). Er habe eine solche auch nicht angefordert und auch nicht an die Klägerin übermittelt.

Dass der Steuerschuldnerin für den Veranlagungszeitraum 2016 die Erteilung der Freistellungsbescheinigung durch die Finanzverwaltung verweigert worden sei, sei dem Beklagten nicht bekannt gewesen.

Davon unabhängig stehe der Klägerin ein Schadensersatzanspruch aber auch deshalb nicht zu, weil der Beklagte im Rahmen der an ihn vergebenen Bauüberwachung nicht verpflichtet gewesen sei, die Vorlage der Freistellungsbescheinigung zu verlangen. Der Beklagte habe weder im Architektenvertrag ausdrücklich die Einhaltung steuerlicher Pflichten der Klägerin gegenüber dem Fiskus übernommen, noch sei die Sicherstellung des Einbehalts der Bauabzugsteuer im Rahmen der Bauüberwachung geschuldet gewesen.

Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, die Vorlage von Freistellungsbescheinigungen sicherzustellen, nach deren Zeitablauf nachzuprüfen, ob Nachfolgebescheinigungen ausgestellt worden seien.

Jedenfalls treffe die Klägerin ein mitwirkendes Verschulden an der Schadensentstehung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Klage ist dem Beklagten am 28.12.2020 zugestellt worden.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz in der geltend gemachten Höhe nebst Nebenforderungen. Die Klage ist mit sämtlichen Anträgen unbegründet, da bereits dem Grunde nach kein Anspruch gegeben ist.

Ein Anspruch ergibt sich nicht aus §§ 631, 634 Nr. 4, 280 BGB. Denn entgegen der Auffassung der Klägerin war der Beklagte aus dem sich aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Planungsvertrag (in Verbindung mit § 631 BGB) ergebenen Pflichtenprogramm nicht gehalten, die Klägerin auf den Einbehalt von Bauabzugssteuer betreffend die Fa. XXX hinzuweisen.

Eine solche Pflicht des Beklagten, die in dem abgeschlossenen, schriftlichen Planungsvertrag nicht enthalten ist, lässt sich in diesem konkreten Einzelfall auch nicht aus dem Gesetz herleiten. Eine Hinweispflicht des Beklagten dergestalt, dass er seine Vertragspartnerin – die Klägerin – unaufgefordert über Umstände im Zusammenhang mit der Bauabzugssteuer betreffend die Fa. XXX zu informieren hatte, besteht nicht. Insoweit schließt sich die Kammer der weit überwiegend im Schrifttum vertretenen Auffassung an, wonach ein solcher Hinweis deshalb nicht erforderlich ist, weil diese Pflicht nur Unternehmer, was bei der Klägerin unzweifelhaft der Fall ist, als Auftraggeber trifft und diese die für ihre Tätigkeit gültigen Steuerregeln kennen müssen (vgl. zum Meinungsstand: LG Hannover, Urteil vom 05.07.2017 – 14 0 236/16).

Dies gilt im vorliegenden Fall unabhängig davon, ob die Klägerin im Rahmen des hier streitgegenständlichen Projektes steuerlich beraten war. Denn nach ihrem eigenen Vortrag (Schriftsatz vom 17.05.2022, letzte Seite, 2. Absatz, Bl. 426 d.GA) war ihr die Problematik um die Bauabzugssteuer bekannt. Selbst wenn man grundsätzlich eine entsprechende Hinweispflicht des Architekten annehmen wollte, bestand jedenfalls eine solche Pflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin bei Zugrundelegung dieser Sachlage nicht, weil die Klägerin bereits über eine hinreichende Sachkunde verfügte. Unstreitig lag der Klägerin die bis zum 31.07.2015 gültige Freistellungsbescheinigung der Fa. XXX vor, weswegen sie auch von den wesentlichen Umständen zur Beendigung Kenntnis hatte. Der Beklagte war daher auch nicht gehalten, zeitlich nach Juli 2015 einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.

Es kam schließlich auch nicht darauf an, ob der Beklagte seinerzeit die Freistellungsbescheinigung der Fa. XXX eingeholt und an die Klägerin – per Fax oder persönlich – weitergeleitet hatte. Soweit die Klägerin meint, der Beklagte habe durch dieses Verhalten einseitig sein (vertragliches) Pflichtenprogramm erweitert, kann allein in einer Übergabe eines Dokumentes ohne Hinzutreten weiterer Umstände, die den sicheren Rückschluss auf ein konkludentes Angebot des Beklagten auf Vertragserweiterung zulassen, keine entsprechende Willenserklärung des Beklagten gesehen werden. Insoweit käme ebenfalls in Betracht, dass es sich um rein faktisches Verhalten handelt, dem kein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zukäme.

Da bereits keine Haftung des Beklagten dem Grunde nach besteht, war die Klage mit allen Anträgen abzuweisen. Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf Nebenforderungen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

Redaktion TiefbauRecht

Redaktion TiefbauRecht

Die richtige oder falsche Anwendung der VOB/B kann sich unmittelbar auf das Tiefbauprojektergebnis auswirken. Kenntnisse der VOB/B sind deshalb für sämtliche an der Abwicklung eines Tiefbauvorhabens Beteiligte unerlässlich, zumal nicht nur die meisten Bauverträge auf der Grundlage der VOB/B abgeschlossen werden, sondern verschiedene VOB/B-Regelungen auch auf den BGB-Bauvertrag Anwendung finden. Ziel der TiefbauRecht ist es daher ua, mit der VOB/B befassten Berufsanfängern wie etwa jungen Architekten und Ingenieuren oder Baukaufleuten einen möglichst breiten Überblick über die wichtigsten Themen des Tiefbauvertragsrechts zu geben. Zudem werden typische Praxisprobleme diskutiert und entsprechende Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Aus der Praxis für die Praxis.

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Kurz belichtet – Übernahme des Mangelbeseitigungsrisikos durch ungeeignete Mangelbeseitigungsmaßnahme?

Kurz belichtet - Übernahme des Mangelbeseitigungsrisikos durch ungeeignete Mangelbeseitigungsmaßnahme?

LG Lübeck, Urteil vom 18.04.2024 – 10 O 222/22

Ergreift ein mit der Sanierung eines bestehenden Baumangels beauftragtes Unternehmen hierfür ungeeignete Maßnahmen, verschlechtert dadurch das anfängliche Ergebnis und nimmt dem primär für den Schaden verantwortlichen Bauunternehmen damit eine realistische, aber keine völlig sichere Gelegenheit zur kostengünstigeren Mangelbeseitigung durch eine Alternativmaßnahme, geht deswegen das Mangelbeseitigungsrisiko nicht insgesamt auf das mit der Sanierung beauftragte Unternehmen über (konkret: ungeeigneter Versuch der nachträglichen Abdichtung einer mangelhaft ausgeführten “weißen Wanne” durch Durchbohren der Kelleraußenwände und Vergelung von außen).