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OLG Frankfurt zu der Frage dass und wann das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB auch für Architektenverträge gilt

OLG Frankfurt zu der Frage dass und wann das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB auch für Architektenverträge gilt

vorgestellt von Thomas Ax

Der Architektenvertrag ist zwar kein Verbraucherbauvertrag und die Vorschriften über den Widerruf dieses Vertragstyps sind auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. § 650q Abs. 1 BGB; vgl. auch EuGH, Urteil vom 14.5.2020 – Rs. C-208/19 = ZfBR 2020, 749, beck-online; ferner Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, Teil 11: Recht der Architekten und Ingenieure Rn. 140 m.w.N., beck-online; siehe jüngst etwa auch OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online). Jedoch gelten die Vorschriften über das allgemeine Widerrufsrecht für Verbraucherverträge: Wurde ein Architekten- oder Ingenieurvertrag außerhalb von Geschäftsräumen des Architekten/Ingenieurs abgeschlossen, dann ist der Widerruf durch den Bauherrn bei Vorliegen der Voraussetzungen möglich (§§ 312g, 355 BGB). Denn das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB gilt auch für Architektenverträge (etwa OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online; OLG Köln Hinweisbeschluss vom 23.3.2017 – 16 U 153/16 = NJOZ 2018, 943, beck-online; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., beck-online).

Eine Ausnahme vom entsprechenden Grundsatz ist anzunehmen, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB).
Das Erfordernis eines solchermaßen zu verstehenden Fernabsatzsystems hat in erster Linie den Zweck, Geschäfte, die nur zufällig unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts auszuklammern (BT-Drs. 14/2658, 30, dazu BeckOGK/Busch, Std. 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online). Solches trifft auch auf Unternehmer zu, die Angebote regelmäßig erst nach einem vorhergehenden Ortstermin abgeben; hier fehlt es häufig an einem auf den Fernabsatz ausgerichteten Geschäftsbetrieb (BeckOGK/Busch, 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online; OLG Schleswig Urteil vom 15.10.2021 – 1 U 122/20 = NJW-RR 2022, 341, beck-online; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.11.2020 – IX ZR 133/19 = NJW 2021, 304, beck-online).
Etwa das Oberlandesgericht Schleswig (a.a.O.) führt beitrittswürdig aus:
“Ist der Vertrag ausschließlich über Fernkommunikationsmittel geschlossen worden, so wird zulasten des Unternehmers widerleglich vermutet, dass sein Vertriebs- und Dienstleistungssystem auf den Fernabsatz ausgerichtet ist. Die Darlegungs- und Beweislast, dass ein ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln zustande gekommener Vertrag nicht im Rahmen eines hierauf gerichteten Vertriebs- und Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist, liegt mithin bei ihm (BT-Drs. 17/12637, 50; BT-Drs. 14/2658, 31; BGH NJW 2021, 304 (305) Rn. 12). Der Sachverhalt ist hier jedoch unstreitig. Auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts steht fest, dass der Bekl. seinen Betrieb nicht in solcher Weise organisiert hat.
Der Bekl. hält eine Webseite vor, in der er über sein Leistungsangebot informiert und über die er durch ein eingebundenes Nachrichtentool kontaktiert werden kann. Ein unmittelbares Leistungsangebot findet sich dort nicht. Er hat zwar keine Geschäftsräume, in denen er aufgesucht werden könnte. Dies liegt seinem Vortrag zufolge aber nicht daran, dass er sich für den Kundenkontakt auf Fernkommunikation eingestellt hat, sondern daran, dass er seine Kunden ohnehin immer aufsuchen muss. Dieser Vortrag ist unstreitig und nachvollziehbar. Das Angebot zu garten- und landschaftsgestalterischen Arbeiten setzt zwangsläufig voraus, dass sich der Dienstleister zuvor ein Bild vor Ort gemacht hat. Wie es sodann zum Vertragsschluss kommt, ist offen. Er kann mündlich erfolgen, ausschließlich über Fernkommunikationsmittel oder durch Unterbreitung eines vor Ort noch einmal besprochenen Angebots. Der Geschäftsbetrieb des Bekl. ist jedenfalls gerade nicht darauf ausgelegt, Verträge über die angebotenen Dienstleistungen ausschließlich im Wege der Fernkommunikation zu schließen. Der Bekl. hat seinen Vertrieb vielmehr so organisiert, dass stets im Laufe der Vertragsanbahnung oder des Vertragsschlusses persönlicher Kontakt vorgesehen ist.”
Entsprechend vergleichbar liegen die Dinge, wenn der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ersichtlich der Zufälligkeit einer Ortsabwesenheit der Klägerin geschuldet war.
OLG Frankfurt, Urteil vom 17.02.2025 – 29 U 42/24

Gründe

I.

Die Parteien streiten in der Berufung weiter um die Rückzahlung geleisteter Architektenvergütung aufgrund eines verbraucherschützenden Widerrufs.

Im Jahr 2022 waren die Klägerin und ihr Partner auf der Suche nach einer baulichen Begleitung für die Renovierung und Sanierung des von ihnen erworbenen Anwesens ###. Zu diesem Zweck traten sie an den Beklagten, einen Architekten, heran, der ihnen nach ausführlichem E-Mailverkehr und per Fernkommunikation mittels des Onlineportals “Zoom” geführten Gesprächen (April bis August 2022) sodann am 17.8.2022 ein Angebot über die Erstellung von Bestandsplänen und eines ersten Entwurfs zum Preis von 4.460 Euro netto unterbreitete. Dieses Angebot nahm die Klägerin an. Dabei erfolgten sowohl die gesamte vorvertragliche Kommunikation als auch der Vertragsschluss selbst ausschließlich per E-Mail, Telefon und Videokonferenz, weil die Klägerin im fraglichen Zeitraum in ### weilte; im Juni 2022 hatte die Klägerin eine Honorarvereinbarung angefragt. Nichtsdestotrotz wurde dem Beklagten bereits vor Vertragsschluss Zugang zur Immobilie der Klägerin gewährt, indem vor Ort ein Schlüssel deponiert wurde, sodass der Beklagte im Juli / August 2022 das Objekt in Augenschein nehmen konnte. Diesen Ortsterminen wohnte die ortsabwesende Klägerin allerdings nicht bei. Der Beklagte beharrte nicht auf einer gemeinsamen Inaugenscheinnahme vor Vertragsschluss. Der erste gemeinsame Ortstermin bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit beider Parteien erfolgte vielmehr erst nach Vertragsschluss am 5.9.2022, in dessen Rahmen die Bestandspläne und zwei Entwurfsvarianten von den Parteien besprochen wurden. Nachdem die Pläne der Klägerin auch per E-Mail übermittelt worden waren, beglich sie den in Rechnung gestellten Bruttobetrag von 5.307,40 Euro. In der Folge arbeiteten die Parteien weiter rege am gemeinsamen Projekt, wobei der Beklagte mehrfach konkrete Vorstellungen der Klägerin hinsichtlich des geplanten Umbaus wie auch zahlreiche Änderungswünsche einarbeitete, ohne dass für diese Leistungen nochmals eine separate Vergütungsvereinbarung getroffen wurde. Auch kontaktierte der Beklagte weitere Handwerker, den Statiker und den Energieberater für weitere Besprechungen, ohne hierfür eine Rechnung zu stellen, die Klägerin bestätigte die Leistungen des Beklagten zunächst und stellte anhand von Plänen / Zeichnungen weitere Rückfragen an den Beklagten (siehe etwa E-Mail-Verkehr zwischen 5.9.2022 und 12.10.2022 – Bl. 128 ff. d. A.). Als der Beklagte die weitere Zusammenarbeit für die kommenden Leistungen (bzw. Leistungsphasen) am Projekt vom Abschluss einer Honorarvereinbarung nach der HOAI abhängig machte, rügte die Klägerin eine Fehlerhaftigkeit der ursprünglich erstellten Pläne. Schlussendlich widerrief sie mit E-Mail vom 28.10.2022 den Vertrag über die Erstellung der Bestandspläne und eines ersten Entwurfs und forderte den Beklagten zur Rückzahlung des geleisteten Betrags in Höhe von 5.307,40 Euro auf. Schriftliche oder mündliche Informationen zu einem Widerrufsrecht hinsichtlich des Vertrags waren der Klägerin seitens des Beklagten zu keinem Zeitpunkt vor Vertragsschluss im August 2022 erteilt worden.

Der Beklagte selbst betreute während seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt in den letzten 22 Jahren ca. 250 Bauvorhaben und schloss im hiesigen Einzelfall erstmals einen entsprechenden Planungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ab. Vielmehr fanden stets vor der Angebotsabgabe bzw. dem finalen Vertragsabschluss Ortstermine zwischen dem Beklagten und den Auftraggebern (Bauherren) an der jeweiligen Baustelle statt (Bl. 239 Rückseite ff. der Akte).

Die Klägerin hat vor dem Landgericht insbesondere behauptet, sie habe den Rechnungsbetrag nicht überwiesen, um ihre Bestätigung des Vertrags oder des Arbeitsergebnisses des Beklagten auszudrücken, sondern um ihn zur Behebung von Fehlern in den Plänen zu motivieren. Zudem ist sie der Ansicht, dass die Einarbeitung ihrer konkreten Vorstellungen hinsichtlich des geplanten Umbaus wie auch der zahlreichen Änderungswünsche durch den ursprünglich abgeschlossenen Vertrag gedeckt gewesen sei.

Die Klägerin hat vor dem Landgericht beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie – die Klägerin – einen Betrag von 5.307,40 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.11.2022 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist einem Widerrufsrecht entgegengetreten und hat insbesondere behauptet, dass die ursprünglich übermittelten Pläne ordnungsgemäß erstellt worden seien. Bemaßte Pläne seien bei einer Aktualisierung von Bestandsplänen nebst bloßer Entwurfsplanung nicht geschuldet gewesen. Im Übrigen ginge die Einarbeitung der zahlreichen Änderungswünsche und konkreten Vorstellungen der Klägerin in Detailfragen weit über das Stadium einer bloßen Entwurfsplanung hinaus. Was die Klägerin verlangt habe, hätte den Charakter einer (nicht geschuldeten) Werkplanung; er habe weitaus mehr Leistungen erbracht als eigentlich geschuldet gewesen seien. Weiterhin ist er bereits vor dem Landgericht der Ansicht gewesen, dass die Berufung der Klägerin auf ihr Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich sei. Als Anwältin und damit von Berufs wegen mit dem Recht befasste Person sei sie schon gar nicht über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu belehren gewesen. Damit sei die Widerrufsfrist bereits abgelaufen. Darüber hinaus verstoße die Vorgehensweise der Klägerin, die mit den gelieferten Arbeitsergebnissen zunächst – insoweit unstreitig – voll zufrieden gewesen sei und ihre Ansichten hinsichtlich der Qualität der Leistungen des Beklagten erst dann geändert habe, als dieser die weitere Zusammenarbeit auf eine verbindliche vertragliche Grundlage habe stellen wollen, gegen Treu und Glauben. Auf seine monatelangen, umfangreichen und teilweise überobligatorischen Anstrengungen entgegne die Klägerin mit einer formalen Rechtsposition in Form des Widerrufsrechts; dies sei grob rechtsmissbräuchlich gewesen.

Das Landgericht hat die Klage in vollem Umfang zuerkannt. Zur Begründung hat es zusammengefasst ausgeführt, dass der Klägerin das begehrte verbraucherschützende Widerrufsrecht infolge eines Fernabsatzvertrags zustehe, wobei Vortrag zu einer Ausnahme hiervon – insbesondere in Gestalt einer nicht auf den Fernabsatz ausgerichteten Vertriebsorganisation – seitens des Beklagten nicht gehalten worden sei. Auch eine Treuwidrigkeit der Ausübung des Widerrufsrechts sei vorliegend nicht anzunehmen. Zu den tatsächlichen Feststellungen, den gestellten Anträgen und der Begründung im Einzelnen wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen (§ 540 ZPO).

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung, zu deren Begründung er zusammengefasst ins Feld führt, dass vorliegend mit Blick auf die eigene Vertriebsorganisation eine Ausnahme von den Regeln des widerruflichen Fernabsatzvertrags gegeben sein müsse. Bis auf den hiesigen Fall habe er in seiner beruflichen Praxis die Verträge mit Kunden stets (erst) aufgrund persönlichen Kontakts und eines gemeinsamen Ortstermins geschlossen; der Ortsabwesenheit der Klägerin und damit bloßen Zufälligkeiten sei es vorliegend geschuldet gewesen, dass dies vorliegend anders gewesen sei. Im Übrigen habe das Landgericht zu Unrecht auch eine Treuwidrigkeit der Klägerin verneint – wie sich aufgrund von Recherchen mittlerweile herausgestellt habe, sei die Klägerin auch gegenüber anderen Beteiligten des Bauvorhabens auf ähnliche Weise verfahren und habe entsprechende Verträge (gleichsam im Wege planvollen Vorgehens) nach anfänglichen Leistungen widerrufen. Zu den Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 26.6.2024 (Bl. 238 ff. der Akte) wie auch die weiteren Schriftsätze (Bl. 276 ff., 293 ff. der Akte) verwiesen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2.4.2024 – Az. 2-31 O 78/23 – abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, hilfsweise das Urteil einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache an das Landgericht Frankfurt am Main zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die landgerichtliche Entscheidung, wobei zu den Einzelheiten insbesondere auf die Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 18.8.2024 (Bl. 261 ff. der Akte) nebst dem weiteren Schriftsatz vom 25.10.2024 verwiesen werden kann.

Zu den Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auch im Übrigen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II.

Das Rechtsmittel ist unbedenklich zulässig. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig im Sinne der Zulässigkeit ausreichend begründet worden, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO. Der Beklagte ist durch seine Verurteilung zureichend beschwert.

Die Berufung hat Erfolg.

Im Einzelnen:

(1) Die Regeln des verbraucherschützenden Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrags sind mit den Ausführungen des Landgerichts grundsätzlich einschlägig – von der Berufung wird dies letztlich auch nicht angegriffen.

Der Architektenvertrag ist zwar kein Verbraucherbauvertrag und die Vorschriften über den Widerruf dieses Vertragstyps sind auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. § 650q Abs. 1 BGB; vgl. auch EuGH, Urteil vom 14.5.2020 – Rs. C-208/19 = ZfBR 2020, 749, beck-online; ferner Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, Teil 11: Recht der Architekten und Ingenieure Rn. 140 m.w.N., beck-online; siehe jüngst etwa auch OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online). Jedoch gelten die Vorschriften über das allgemeine Widerrufsrecht für Verbraucherverträge: Wurde ein Architekten- oder Ingenieurvertrag außerhalb von Geschäftsräumen des Architekten/Ingenieurs abgeschlossen, dann ist der Widerruf durch den Bauherrn bei Vorliegen der Voraussetzungen möglich (§§ 312g, 355 BGB). Denn das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB gilt auch für Architektenverträge (etwa OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online; OLG Köln Hinweisbeschluss vom 23.3.2017 – 16 U 153/16 = NJOZ 2018, 943, beck-online; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., beck-online).

Zu Recht weist jedoch der Beklagte als Berufungsführer zuletzt in allen Einzelheiten (Bl. 239 Rückseite ff., 294 Rückseite ff. der Akte) darauf hin, dass im vorliegenden Einzelfall eine Ausnahme vom entsprechenden Grundsatz anzunehmen ist, weil der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB).

Das Erfordernis eines solchermaßen zu verstehenden Fernabsatzsystems hat in erster Linie den Zweck, Geschäfte, die nur zufällig unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts auszuklammern (BT-Drs. 14/2658, 30, dazu BeckOGK/Busch, Std. 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online). Solches trifft auch auf Unternehmer zu, die Angebote regelmäßig erst nach einem vorhergehenden Ortstermin abgeben; hier fehlt es häufig an einem auf den Fernabsatz ausgerichteten Geschäftsbetrieb (BeckOGK/Busch, 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online; OLG Schleswig Urteil vom 15.10.2021 – 1 U 122/20 = NJW-RR 2022, 341, beck-online; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.11.2020 – IX ZR 133/19 = NJW 2021, 304, beck-online).

Etwa das Oberlandesgericht Schleswig (a.a.O.) führt beitrittswürdig aus:

“Ist der Vertrag ausschließlich über Fernkommunikationsmittel geschlossen worden, so wird zulasten des Unternehmers widerleglich vermutet, dass sein Vertriebs- und Dienstleistungssystem auf den Fernabsatz ausgerichtet ist. Die Darlegungs- und Beweislast, dass ein ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln zustande gekommener Vertrag nicht im Rahmen eines hierauf gerichteten Vertriebs- und Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist, liegt mithin bei ihm (BT-Drs. 17/12637, 50; BT-Drs. 14/2658, 31; BGH NJW 2021, 304 (305) Rn. 12). Der Sachverhalt ist hier jedoch unstreitig. Auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts steht fest, dass der Bekl. seinen Betrieb nicht in solcher Weise organisiert hat.

Der Bekl. hält eine Webseite vor, in der er über sein Leistungsangebot informiert und über die er durch ein eingebundenes Nachrichtentool kontaktiert werden kann. Ein unmittelbares Leistungsangebot findet sich dort nicht. Er hat zwar keine Geschäftsräume, in denen er aufgesucht werden könnte. Dies liegt seinem Vortrag zufolge aber nicht daran, dass er sich für den Kundenkontakt auf Fernkommunikation eingestellt hat, sondern daran, dass er seine Kunden ohnehin immer aufsuchen muss. Dieser Vortrag ist unstreitig und nachvollziehbar. Das Angebot zu garten- und landschaftsgestalterischen Arbeiten setzt zwangsläufig voraus, dass sich der Dienstleister zuvor ein Bild vor Ort gemacht hat. Wie es sodann zum Vertragsschluss kommt, ist offen. Er kann mündlich erfolgen, ausschließlich über Fernkommunikationsmittel oder durch Unterbreitung eines vor Ort noch einmal besprochenen Angebots. Der Geschäftsbetrieb des Bekl. ist jedenfalls gerade nicht darauf ausgelegt, Verträge über die angebotenen Dienstleistungen ausschließlich im Wege der Fernkommunikation zu schließen. Der Bekl. hat seinen Vertrieb vielmehr so organisiert, dass stets im Laufe der Vertragsanbahnung oder des Vertragsschlusses persönlicher Kontakt vorgesehen ist.”

Entsprechend vergleichbar liegen die Dinge im vorliegenden Einzelfall, zumal ausweislich des vorgelegten außergerichtlichen Schriftverkehrs der Beklagte selbst offenbar ursprünglich auf einen gemeinsamen Ortstermin zur Angebotsbesprechung hingewirkt hatte (vgl. etwa Bl. 17, 24 der Akte; E-Mail des Beklagten vom 4.4.2022) und der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ersichtlich der Zufälligkeit einer Ortsabwesenheit der Klägerin geschuldet war – wenn nicht mit dem Beklagtenvortrag sogar einem treuwidrig-planvollen Verhalten, wozu der Senat sich allerdings abschließend nicht verhalten muss. So hat der Beklagte zuletzt vorgetragen, dass er selbst während seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt in den letzten 22 Jahren ca. 250 Bauvorhaben betreut und im hiesigen Einzelfall erstmals einen entsprechenden Planungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmittel geschlossen habe. Im Übrigen hätten stets vor der Angebotsabgabe bzw. dem finalen Vertragsabschluss Ortstermine zwischen dem Beklagten und den Auftraggebern (Bauherren) an der jeweiligen Baustelle stattgefunden (Bl. 239 Rückseite ff. der Akte). All dies ist mit Blick auf die typischen Gepflogenheiten des Berufsbildes ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar und im Übrigen von der Klägerseite so auch nicht (mehr) konkret bestritten worden.

Die hiergegen gerichteten Ausführungen der Klägerin erschöpfen sich vielmehr in einer Verspätungsrüge bzw. dem sinngemäßen Einwand der Unerheblichkeit. Solches bleibt unbehelflich. Insbesondere besteht – (selbst) ohne die Annahme eines verfahrensfehlerhaften Vorgehens des Landgerichts infolge unterbliebener Hinweise – keine Veranlassung, das in den maßgeblichen Gesichtspunkten unstreitige oder zumindest zwanglos festzustellende Vorbringen in zweiter Instanz nicht zuzulassen. Es dürfen an die Informationslasten der Partei im Rahmen des Verspätungsrechts keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 18.10.2005 – VI ZR 270/04 = BGHZ 164, 330-336 = NJW 2006, 152).

(2) Es kann sich die Klägerin hier im Ergebnis auch nicht auf ein einschlägiges gesetzliches Rücktrittsrecht bzw. die ins Feld geführten “Gewährleistungsrechte” berufen. Denn weder sind hierfür hinreichend konkretisierte Mängelrügen nebst angemessener Nachfristsetzung (näher) dargelegt oder etwa ein Rücktrittsbegehren auch nur konkret geäußert, noch erklärt die Klägerin den Umstand ihrer vorbehaltlosen Zahlung plausibel. Letzterer ist vielmehr hier im Sinne eines “Zeugnisses gegen sich selbst” zu werten, demgegenüber (über den eigentlich ins Feld geführten Widerruf hinausgehende) Rückforderungstatbestände so nicht hinreichend ersichtlich sind.

Denn der Rücktritt erfordert eine entsprechende Nachfristsetzung. Das in der vorgeschriebenen Nachfristsetzung liegende Leistungsverlangen muss dabei bestimmt sein und konkret die Unzulänglichkeit der Leistung bezeichnen (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 281 Rn. 42). Die Nachfrist muss sodann fruchtlos abgelaufen sein, um die betreffenden Gewährleistungsrechte erst entstehen zu lassen (vgl. MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 281 Rn. 55). An die Erfüllung der vorgenannten Voraussetzungen sind strenge Anforderungen zu stellen (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 281 Rn. 47 sowie § 323 Rn. 70).

Alldem hat die Klägerin nicht entsprochen.

Weder war die vorgeschriebene Nachfristsetzung jedoch unzumutbar (§ 323 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 BGB), noch wäre sie etwa infolge einer – hierfür gelten hohe Anforderungen – endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung entbehrlich gewesen. Für die Fertigstellung der Antragsunterlagen selbst waren in der vertraglichen Übereinkunft der Parteien weder Frist noch konkreter Zeitpunkt vereinbart; hierauf beruft sich die Klägerin auch nicht. Es mag dabei sein, dass sich ein besonderes Interesse an termingerechter Leistung nicht unbedingt aus den Vertragsregelungen ergeben muss, sondern im Einzelfall auch aus den vertragsbegleitenden Umständen abgeleitet werden kann (vgl. BeckOK BGB/Schmidt, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 323 Rn. 36 m.w.N.). An die Annahme eines Interessewegfalls sind allerdings sehr hohe Anforderungen stellen, um der naheliegenden Gefahr einer bequemen Umgehung der Regelvoraussetzungen für eine Vertragsliquidierung zu begegnen (BGH, Urteil vom 17.12.1996 – X ZR 74/95 = NJW-RR 1997, 622, beck-online; MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 323 Rn. 133 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, zumal es auch zu bedenken gilt, dass dem Nachfristerfordernis auch eine – hier nicht gewahrte – Warnfunktion zukommt. Zu alldem trägt die Klägerin nicht näher vor.

Auch im Übrigen bleiben die Einwendungen einer Mangelhaftigkeit der Planungsleistungen jedoch so lediglich pauschal und sind nicht greifbar, soweit die Klägerin etwa anführt, es hätten in den Bestandsplänen Stufen, Kellerfenster und Bemaßungen gefehlt (Bl. 262 Rückseite f. der Akte). Es trifft hier wie auch allgemein mit Blick auf die Mangelhaftigkeit der Leistung den Auftraggeber die volle Darlegungs- bzw. Erklärungslast. Erst sodann muss der Auftragnehmer u.U. Einzelheiten zu den von ihm getätigten Leistungshandlungen vortragen (Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 11 Recht der Architekten und Ingenieure Rn. 387, beck-online; OLG Oldenburg, NJW-RR 2013, 463, beck-online). Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass er ausweislich der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung lediglich die Aktualisierung der vorhandenen Bestandspläne als Basis für die sodann erstellten ersten Umgestaltungsentwürfe als maßgeblichen Vertragszweck schuldete. Eine tiefergehende Planung war (zunächst) nicht vereinbart, insbesondere nicht in Gestalt einer Detail- und Ausführungsplanung (s. etwa zuletzt Bl. 299 Rückseite der Akte).

Dies spiegelt sich letztlich auch plausibel in dem Umstand wider, dass die Klägerin den streitgegenständlichen Betrag auf die (vertragsgemäße) Übersendung der Pläne infolge der Inrechnungstellung durch den Beklagten unverzüglich an diesen beglich, ohne sich etwa Mängelrechte vorzubehalten oder überhaupt nur Mängelrügen anzukündigen. Hiermit kann die Leistung des Beklagten zwanglos als abgenommen gelten. Bis heute sind Mängelrechte seitens der Klägerin nicht konkret erklärt (vgl. bereits den ausdrücklichen Beklagtenvortrag Bl. 299 Rückseite der Akte). Darüber hinaus stellt zwar die Bezahlung einer Rechnung nicht ohne weiteres ein rechtsgeschäftliches Anerkenntnis dar und auch ein Rückforderungsanspruch wird dadurch nicht per se ausgeschlossen. Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Erklärungen des Schuldners, mit denen dieser die Forderung des Gläubigers bestätigt, selbst dann Rechtswirkungen äußern können, wenn sie nicht rechtsgeschäftlich sind. Gibt der Schuldner seine Erfüllungsbereitschaft durch Erklärungen oder Verhalten zum Ausdruck, so kann solches zu einer Beweiserleichterung für den Gläubiger führen. Ein solches Verhalten enthält zwar keine materiell-rechtliche Regelung für das Schuldverhältnis, bewirkt aber als “Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst” im Prozess in der Regel eine Umkehrung der Beweislast (vgl. etwa Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., Teil 4 Der Werklohnanspruch des Auftragnehmers, Rn. 80 m.w.N., beck-online). Soweit die Klägerin hier ihre vorbehaltlose Zahlung damit zu erklären sucht, sie habe den Beklagten hierdurch zur Weiterarbeit motivieren wollen (etwa Bl. 86 der Akte), ist dies nicht plausibel. Im Gegenteil spricht alles dafür, dass sie selbst in Ansehung der erstellten Pläne von der bis hierhin vertragsgerechten Leistungserbringung durch den Beklagten ausging.

Auch Minderungsrechte stehen der Klägerin nicht zur Seite.

Zwar kann der Honoraranspruch ganz oder teilweise dann entfallen, wenn der Tatbestand einer Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts des BGB oder des werkvertraglichen Gewährleistungsrechts erfüllt ist, die den Verlust oder die Minderung der Honorarforderung als Rechtsfolge vorsieht (BGH, NJW 2004, 2588 = NZBau 2004, 509 = BauR 2004, 1640; BGH, NJW-RR 2005, 318 = NZBau 2005, 158 = BauR 2005, 400; BGH, NZBau 2005, 163 = BauR 2005, 588 = NJW-RR 2005, 672 Ls.). Weder ist vorliegend nach den vorstehenden Ausführungen jedoch von einer Mangelhaftigkeit auszugehen, noch hätte die Klägerin überhaupt eine Minderung erklärt oder dargelegt. Im Gegenteil weist schon der Gegner zurecht darauf hin, dass sich die Klägerin bis zuletzt gerade nicht hinsichtlich etwaiger von ihr ausgeübter Mängelgewährleistungsrechte erklärt hat (Bl. 299 Rückseite der Akte).

Und auch unter dem Gesichtspunkt einer etwa freien Kündigung – welche sie als rechtskundige Rechtsanwältin allerdings schon gar nicht geltend macht – stünden der Klägerin hier so keine Rückforderungsansprüche zu. Zwar kann eine Beendigungserklärung (Rücktritt oder Widerruf) im Einzelfall durch den Tatrichter auch als freie Kündigung im Sinne von § 648 BGB auszulegen bzw. umzudeuten sein. So ist anerkannt, dass die Verkehrsauffassung etwa dem Ausdruck “Rücktritt” nicht die gesetzestechnische Bedeutung beimisst, sondern hieraus zunächst einmal lediglich schließt, dass der Gläubiger auf die geschuldete Leistung keinen Wert mehr legt; dies gilt auch dann, wenn ein Rechtsanwalt das Schreiben verfasst hat (so BGH, Urteil vom 10.2.1982 – VIII ZR 27/81 = NJW 1982, 1279, beck-online m.w.N.; BGH, Urteil vom 14.12.1966 – VIII ZR 231/64 – beck-online; RGZ 126, 65, 69; zum Bauvertrag s. Etwa BGH, Versäumnisurteil vom 24.7.2003 – VII ZR 218/02 = NJW 2003, 3474, beck-online; BeckOGK/Kessen, 1.10.2023, BGB § 648 Rn. 27 m.w.N.; a.A. offenbar OLG Celle, Urteil vom 3.11.2021 – 14 U 73/21 = BeckRS 2021, 33640, beck-online). Zum einen spricht vorliegend jedoch eingedenk der Zahlung der Klägerin an den Beklagten auf die Aushändigung der streitgegenständlichen Werkplanung hin nach den vorstehend beschriebenen Grundsätzen alles für eine die freie Kündigung ausschließende Vollendung des Werks (§ 648 S. 1 BGB) – nichts Anderes ist hier tragfähig aufgezeigt. Und zum anderen ist auch nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass die stattgehabten Leistungen des Beklagten mit dem streitgegenständlichen Betrag etwa unangemessen abgebildet wären. Jedenfalls ergäbe sich wertungsgemäß im hiesigen Einzelfall – zumindest im Sinne der letztlich einvernehmlichen Vertragsbeendigung (dazu Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, I. Teil. N. Unwirksamkeit und vorzeitige Beendigung von Bau- und Planerverträgen, 4. Auflage 2022, Rn. 59, beck-online) – ein Abrechnungsverhältnis (zu den Fallgruppen instruktiv Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Teil 4: Der Werklohnanspruch des Auftragnehmers, 5. Aufl. 2020, Rn. 489 ff. m.w.N., beck-online). Der Senat verkennt insoweit nicht, dass grundsätzlich nach freier Kündigung durch den Auftragnehmer differenziert schlusszurechnen ist (BeckOK BauVertrR/Kiedrowski, 23. Ed. 1.11.2023, BGB § 648 Rn. 72). Insbesondere jedoch, wenn nach Sachlage davon auszugehen ist, dass der Auftraggeber die (pauschal) abgerechneten Kosten zu tragen hat, muss dem Auftragnehmer nicht notwendigerweise abverlangt werden, eine detaillierte(re) Darstellung der Vertragspreise vorzunehmen (Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., Rn. 65 ff. m.w.N., beck-online). Denn das Gericht darf seine Feststellungen hier nach freier Überzeugung treffen; § 287 Abs. 1 ZPO (BGH NZBau 2005, 335; KG NZBau 2018, 533; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher Kompendium BauR/Kniffka, a.a.O., Rn. 67 m.w.N.; BeckOK BauVertrR/Kiedrowski, 23. Ed. 1.11.2023, BGB § 648 Rn. 72). Selbst bei Annahme einer – so allerdings schon nicht geltend gemachten und auch nicht gangbaren – freien Kündigung bliebe hier auf den unwidersprochen gebliebenen Beklagtenvortrag (Bl. 299, 180, 109, 75, 19 der Akte) hinzuweisen, dass im Falle einer Abrechnung der Entwurfsplanung nach der HOAI noch von deutlich höheren Kosten auszugehen sein würde. Mit Blick auf das ersichtlich unter dem Eindruck einer Aquiseerwartung abgegebene Angebot erscheint all dies zumal nicht unplausibel.

Der gestellte Hilfsantrag kommt nicht zum Tragen.

(3) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91 ff. ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

(4) Die Revision ist nicht zuzulassen. Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Sie wirft keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf. Es handelt sich vielmehr um eine von den tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalls geprägte Sache. Die Zulassung der Revision ist im Streitfall auch nicht zur “Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung” (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Dieser Zulassungsgrund ist insbesondere dann gegeben, wenn das Berufungsgericht von einer Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, namentlich des Bundesgerichtshofes, abweicht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt dann vor, wenn das Berufungsgericht ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit dem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten Rechtssatz nicht deckt (vgl. BGH, Beschluss vom 04.07.2002 – V ZR 75/02 = NJW 2002, 2295; Beschluss vom 27.3.2003 – V ZR 291/02 = NJW 2003, 1943, 1945; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 31.10.2013 – 15 U 127/13 -). Eine so verstandene Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes findet im Streitfall nicht statt.

LSG NW zu der Frage der Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit – Nachunternehmer oder abhängig Beschäftigter?

LSG NW zu der Frage der Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit - Nachunternehmer oder abhängig Beschäftigter?

vorgestellt von Thomas Ax

Das Vorliegen einer Beschäftigung beurteilt sich nach § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn in Bindungswirkung erwachsene Feststellungen zum sozialversicherungsrechtlichen Status fehlen. Hiernach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur “funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess” verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (st. Rspr., vgl. etwa BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 14; Urt. v. 14.03.2018 – B 12 R 3/17 R – juris Rn. 12; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG Beschl. v. 20.05.1996 -1 BvR 21/96 – juris Rn. 6 ff.). Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 15; Senatsurt. v. 15.12.2021 – L 8 R 13/15 – juris Rn. 154; Senatsurt. v. 23.11.2020 – L 8 BA 155/19 – juris Rn. 58). Für die zeitliche Weisungsgebundenheit genügt es, wenn der Auftragnehmer von den organisatorischen Vorgaben des Betriebes abhängig ist und die Arbeit nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt abgebrochen werden kann, sondern die zugewiesenen Aufgaben erledigt werden müssen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 31; Senatsurt. v. 24.04.2024 – L 8 BA 109/19 – juris Rn. 71).

LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.02.2025 – L 8 BA 182/19

Gründe

I.

Streitig ist im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) eine Nachforderung von Beiträgen und Umlagen zur Sozialversicherung im Hinblick auf verschiedene Leistungen, die der Beigeladene zu 3) für den Kläger auf Baustellen erbracht hat.

Der Kläger betreibt ein Bauunternehmen als Einzelfirma, mit dem er seinen Kunden nach eigenen Angaben einen “Rundumservice” anbietet. Der Beigeladene zu 3) (im Folgenden: R.), der am 30.11.2010 bei der Stadt C. ein Gewerbe als “Fliesenlegerbetrieb und Trockenbau” angemeldet hatte, wurde für den Kläger u.a. in der Zeit vom 01.02.2013 bis 31.10.2015 mit Unterbrechungen tätig. Hierfür stellte R. Abbruch-, Fliesen-, Laminat-, Renovierungs- und Tapezierarbeiten in Rechnung. Die Rechnungen wurden auf dem PC des Klägers von dessen Ehefrau gefertigt, da R., der ungarischer Staatsbürger ist, über keine Deutschkenntnisse verfügte. Im Streitzeitraum wohnte R. als Untermieter des Bruders des Klägers, der in dessen Betrieb angestellt war, in einer Wohnung in dem Mehrfamilienhaus, in dem sich auch der Wohnsitz des Klägers befindet.

Am 23.06.2016 führte die Beklagte beim Kläger eine Betriebsprüfung durch. R. gab im Fragebogen zur sozialrechtlichen Feststellung, den die für ihn und den Kläger tätige Steuerberaterin übersandte, u.a. an, keine eigenen Geschäfts- bzw. Betriebsräume zu unterhalten und keine Arbeitnehmer zu beschäftigen. Die vertraglichen Grundlagen der Zusammenarbeit beruhten auf mündlichen Festlegungen. Arbeitszeit und -ort könne er frei gestalten. Arbeitsmittel (Werkzeug) seien ihm kostenlos zur Verfügung gestellt worden und er nicht verpflichtet, eigenes Kapital einzusetzen. Ein konkretes Kalkulationsangebot gebe er gegenüber dem Kläger nicht ab. Die Vergütung werde jeweils pauschal vereinbart. Aus Gewinnermittlungen des R. für die Jahre 2012 bis 2015 gehen – weitgehend in der Tätigkeit beim Kläger erzielte – Jahresumsätze zwischen 7.930,00 und 13.609,00 Euro hervor.

Auf die Schlussbesprechung der Betriebsprüfung sowie die Anhörung der Beklagten vom 08.09.2016 zur beabsichtigten Festsetzung einer Beitragsnachforderung vertrat der Kläger die Auffassung, dass R. als selbstständiger Fliesenleger/Trockenbauer tätig geworden sei, dies als Subunternehmer für verschiedene Auftraggeber. Weder sei R. in seinen Betrieb eingegliedert gewesen noch habe er, der Kläger, ein Weisungsrecht gehabt. Dass Bauleistungen regelmäßig an einem bestimmten Ort zu verrichten seien, ändere nichts daran, dass der Ort der Leistung im Hinblick auf die Möglichkeit, Bauvorarbeiten im Rahmen von Montagearbeiten an einem anderen Ort auszuführen, frei gewählt werden könne. R. habe die Gewerke eigenständig in Abstimmung mit den anderen Gewerken sowie im Hinblick auf den Zeitplan des jeweiligen Auftrags geplant. Urlaub sei von ihm frei wählbar gewesen. Da bei Mängeln Nachbesserungen zu erfolgen hätten und eine Verminderung der Auftragssumme wegen Schlechtleistung in Betracht komme, unterliege R. auch einem unternehmerischen Risiko. Wenngleich es zutreffe, dass dieser die Arbeiten aufgrund des geringen Auftragsvolumens selbst ausgeführt habe, sei er jedoch berechtigt gewesen, Hilfskräfte einzusetzen. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass R. für mehrere Auftraggeber tätig geworden sei. Als Kleinunternehmer stünden ihm keine Mittel für aufwändige Werbemaßnahmen zur Verfügung. Separate Betriebs- und Geschäftsräume benötige R. nicht, da Kundentermine vor Ort stattfänden. Dem Schreiben fügte der Kläger eine Aufstellung der Erlöse des R. sowie einen vom 30.08.2013 datierten “Werkvertrag” zu Trockenbau- und Fliesenarbeiten in einem Objekt X.-straße N01, C., bei.

Mit Bescheid vom 15.11.2016 setzte die Beklagte eine Nachforderung von Beiträgen zu sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung und Umlagen für die Zeiträume vom 01.02.2013 bis 31.12.2013, 01.03.2014 bis 31.12.2014 und 01.03.2015 bis 31.10.2015 in Höhe von insgesamt 12.960,00 Euro fest. Die für eine versicherungspflichtige Beschäftigung sprechenden Gesichtspunkte überwögen. R. sei in den Betrieb des Klägers eingegliedert und unterliege dem klägerischen Weisungsrecht. Entgegen seinen Angaben im Fragebogen ergebe sich aus der Natur der Sache, dass dieser Arbeitsort und -zeit nicht habe wählen können, sondern die Leistungen als Fliesenleger und Trockenbauer in den Räumen der Kunden nach Maßgabe des Auftraggebers an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit erbringen müsse. R. setze ausschließlich die eigene Arbeitskraft ein und sei funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig. An einem unternehmerischen Risiko oder einem Kapitaleinsatz als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit fehle es. Ein Arbeitsmitteleinsatz, der über das übliche Maß hinausgehe, liege nicht vor. Im Zeitraum vom 01.01.2013 bis 30.09.2015 sei R. zudem ausschließlich für den Kläger tätig geworden. Der Prüfer habe unter der im Werkvertrag angegebenen Adresse kein Klingelschild o.ä. vorgefunden. Augenscheinlich würden also keine eigenen Büro- oder Lagerräume von R. unterhalten. Dieser bewege sich nicht am Markt, besitze keinen eigenen Kundenstamm, betreibe keine Werbung oder Kundenakquise.

Den gegen den Bescheid am 24.11.2016 erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger insbesondere herausstellte, dass den Beauftragungen jeweils Werkverträge (Bauverträge) mit der Vergütung einer Pauschalsumme nach der VOB/B zugrunde lägen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2017 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 23.03.2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben. Er hat den Bescheid vom 15.11.2016 bereits als formell rechtswidrig erachtet, da das Schreiben der Beklagten vom 08.09.2016 keine ordnungsgemäße Anhörung darstelle. R. habe zudem vernommen und als Beteiligter hinzugezogen werden müssen. Im Übrigen sei der Bescheid aber auch materiell rechtswidrig, da eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht vorliege. R. sei – wie er, der Kläger, bereits dargelegt habe – weder in seine Arbeitsorganisation eingegliedert noch weisungsgebunden gewesen. Eine Eingliederung erfolge bei Bauverträgen wie hier gerade nicht. Der Generalunternehmer vergebe vielmehr einzelne Gewerke an Werkunternehmer, so dass sich die Rechtsbeziehungen aus dem Werkvertragsrecht ergäben. Bereits der Umstand, dass ein Fliesenleger- und Trockenbaubetrieb über ein überragendes Fachwissen in seinem Bereich verfüge, mache zudem deutlich, dass diesem faktisch keine Weisungen erteilt werden könnten. Bei R. handele es sich um einen selbstständigen Unternehmer, der vom Kläger als Besteller beauftragt werde und Aufträge für den von ihm angemeldeten Gewerbebetrieb erhalte. Über die von ihm erbrachten Leistungen erteile R. unter einer Steuernummer Rechnungen. Dessen unternehmerisches Risiko werde dadurch geprägt, mangels geeigneter Aufträge, fehlerhafter Kalkulation und mangelnder Leistungsfähigkeit des Auftraggebers das betriebliche Ergebnis nicht erreichen zu können. Darüber hinaus sei der Erlass eines Summenbescheides unverhältnismäßig und die Schätzungen der Beklagten nicht nachvollziehbar. Während es im Bescheid noch heiße, R. sei im Zeitraum vom 01.01.2013 bis 30.09.2015 abhängig beschäftigt gewesen, so würden in der Anlage zur Beitragsberechnung (nur) die Zeiträume 01.02.2013 bis 31.12.2013, 01.03.2014 bis 31.12.2014 und 01.03.2015 bis 31.10.2015 erfasst.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 15.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2017 aufzuheben.

Die Beklagte, die ihre Bescheide als zutreffend angesehen hat, hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das SG hat am 14.12.2018 einen Erörterungstermin durchgeführt und den Kläger und R. zum Sach- und Streitstand angehört. Anschließend ist die Klage mit Urteil vom 26.06.2019 – im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung – abgewiesen worden. Diese sei zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids beschwere den Kläger nicht. Dieser sei formell rechtmäßig. Soweit der Kläger die Ansicht vertrete, dass er nicht ausreichend angehört worden sei, gelte ein solcher, etwaiger Fehler jedenfalls unterdessen gem. § 41 Abs. 1 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als geheilt. Eine fehlende Beteiligung des R. beschwere den Kläger nicht (selbst). Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Bescheides bestünden nicht.

Die streitgegenständlichen Bescheide seien auch materiell rechtmäßig. R. sei beim Kläger im streitigen Zeitraum versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Dabei gehe die Kammer zunächst davon aus, dass es auf den Ort und die gewählte Arbeitszeit nicht entscheidend ankomme. Insbesondere der Ort sei bei Bauleistungen der vorliegenden Art, namentlich dem Fliesenlegen und Trockenbauarbeiten, naturgemäß vorgegeben. Auch der Zeit, in der die Arbeiten tatsächlich ausgeführt worden seien, komme nur untergeordnete Bedeutung zu. Unabhängig davon, ob Bauleistungen im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung oder eines (Subunternehmer-)Werkvertrages erbracht würden, dürfe in der Regel davon auszugehen sein, dass ein Zeitplan insgesamt für die Bauleistungen, die der Arbeitgeber bzw. der Hauptunternehmer auszuführen habe, vorgegeben und insoweit der Spielraum nur eingeschränkt sei. Es bestehe jedoch kein Unternehmerrisiko. Selbst wenn R. ausschließlich eigenes Werkzeug eingesetzt habe, so handele es sich um überschaubare Aufwendungen. Zudem könnten die Werkzeuge für jede Baustelle wiederverwendet werden. Darüber hinaus habe er nur seine Arbeitskraft eingesetzt. Dass R. nicht durchgehend gleichbleibende Einkünfte gehabt habe, spreche nicht für eine selbstständige Tätigkeit, sondern sei auch Kennzeichen eines unständig abhängig Beschäftigten.

Das vom Kläger angeführte Risiko, keine weiteren Aufträge zu erhalten, begründe nach der Rechtsprechung kein Unternehmerrisiko. R. sei in die Arbeitsorganisation des Klägers eingebunden gewesen, wenngleich dieses nachweisende Tatsachen nur für einen Teil der Arbeiten vorlägen. So habe er geschildert, zur Hälfte und teilweise auch in Zusammenarbeit mit dem Kläger mit Rigipsarbeiten beschäftigt gewesen zu sein. Dies habe der Kläger bestätigt und dargelegt, dass er R. um Hilfe gebeten habe, wenn Arbeiten nicht von ihm und seinen Mitarbeitern hätten bewältigt werden können. Unabhängig davon, ob dies auch für die Fliesenarbeiten gegolten habe – was vom Kläger zunächst geschildert und dann als unzutreffend zurückgenommen worden sei – könne aus dessen Vortrag jedenfalls eine Zusammenarbeit und auch eine Besprechung der Ausführung der Tätigkeit entnommen werden. Dies spreche erheblich für eine Eingliederung in den klägerischen Betrieb. Damit sei auch dessen Behauptung widerlegt, dass R. stets in allen seinen Arbeiten vollständig frei gewesen sei. Soweit sich der Kläger weiterhin darauf berufe, obläge es ihm, die für ihn günstigen Tatsachen nachzuweisen. Aus den vorliegenden Unterlagen und Erklärungen sei nicht zu entnehmen, wann Absprachen und Zusammenarbeit stattgefunden hätten und wann nicht. Diese Umstände lägen in der klägerischen Sphäre und könnten nur durch ihn vorgetragen und belegt werden. Soweit er auf eine konkrete Aufzeichnung verzichtet habe und ihm anders gestützter Vortrag nicht möglich sei, müsse er sich daran festhalten lassen, dass aus den nachgewiesenen Umständen auf die Gesamtheit der Arbeit geschlussfolgert werde. Schriftliche Verträge seien bis auf eine Ausnahme nicht geschlossen worden. Auch fehlten konkrete Angaben, welches genaue Werk R. auf der jeweiligen Baustelle zu erstellen gehabt habe. Den Rechnungen des R. komme wegen seiner mangelnden Deutschkenntnisse und des Umstandes, dass er sie nicht selbst verfasst habe, kein Nachweiswert zu. Ohnehin seien sie global und ohne jedwede Angaben von Art und Umfang der vereinbarten Leistungen. Aus den Rechnungen des Klägers an seine Kunden ließen sich Arbeiten ersehen, die über die von R. erbrachten Tätigkeiten hinausgingen. Wann eine Zusammenarbeit bzw. eine Absprache stattgefunden habe, könne hieraus aber nicht abgeleitet werden. Auf dieser Grundlage sei der Schluss zulässig, dass die Tätigkeit des R. insgesamt als eingegliedert in die Organisation des Klägers stattgefunden habe. Der Frage, ob Weisungen im Einzelnen erteilt worden seien, komme nur untergeordnete Bedeutung zu. Der ebenfalls auf der Baustelle anwesende Kläger habe den Fortschritt der Arbeiten kontinuierlich beobachten können. Die Besprechung der Ausführung von Arbeiten, wie sie der Kläger jedenfalls teilweise eingeräumt habe, spreche für eine fehlende Notwendigkeit, Weisungen im Einzelfall zu erteilen. Bei dieser Arbeitspraxis sei es nachvollziehbar nicht zu dem Fall gekommen, dass das Arbeitsergebnis nicht den Vorstellungen des Klägers entsprochen habe. Vor diesem Hintergrund könne der allein für eine Baustelle bei Überschreiten des Fertigstellungstermins eingeräumten Vertragsstrafe bzw. Mängelhaftungsvorschriften keine Bedeutung beigemessen werden. Ob R. weitere Auftraggeber gehabt habe, bleibe dahingestellt. Die Kammer gehe jedenfalls davon aus, dass die Vertragsbeziehung zum Kläger sich als abhängige Beschäftigung darstelle. Die Voraussetzungen für den Erlass eines nicht personenbezogenen Summenbeitragsbescheids seien erfüllt.

Soweit sich der Kläger auf die Zulässigkeit von Pauschalpreisvereinbarungen nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) berufe und seiner Auffassung nach genaue Angaben über die vereinbarten Leistungen nicht gemacht werden müssten, finde sich für die behauptete Vereinbarung der VOB/B kein Hinweis. Dies stelle sich vielmehr als Schutzbehauptung dar. Schriftlich vereinbart worden sei nur ein einziger Auftrag. Auf die Bestimmungen der VOB/B werde dort nicht Bezug genommen. Zudem seien offenbar auch die übrigen (pflichtigen) Vorgaben der VOB/B nicht eingehalten worden, wie z.B. die notwendige Niederschrift über die förmliche Abnahme (§ 12 Abs. 4 VOB/B) und die schriftliche Fertigstellungsmitteilung (§ 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B).

Der Einwand, dass die Zeiten, für die Beiträge erhoben worden seien, nicht mit dem Prüfzeitraum vollständig übereinstimmten, treffe zu, führe aber zu keiner anderen Beurteilung. Die Beklagte habe zulässigerweise nur die Monate, für die der Kläger Zahlungen geleistet habe, der Beitragsrechnung zugrunde gelegt.

Gegen das ihm am 05.07.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26.07.2019 Berufung eingelegt und insbesondere die Auffassung vertreten, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer unrichtigen Würdigung des Beweisergebnisses beruhe. Entgegen der Auffassung des SG stehe R. bei ihm, dem Kläger, nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Es habe die spezifischen Anforderungen an die vertragsgemäße Erfüllungshandlung eines Werkunternehmers verkannt. Gegen die Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung spreche, dass es sich bei R. um einen ungarischen Unternehmer handele, der zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit im Inland seine selbstständige Tätigkeit hauptsächlich in Ungarn ausgeübt habe. Diese Tätigkeit in Ungarn müsse bei der Statusbeurteilung berücksichtigt werden. R. mache von der ihm europarechtlich gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit Gebrauch. Die Rechtsauffassung der Beklagten stelle sich als direkte Verletzung dieser Grundfreiheit und im Übrigen auch des Grundrechts aus Art. 14 Grundgesetz (GG) in der Ausprägung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. R. sei keinen Weisungen des Klägers unterworfen gewesen. Im Rahmen einer arbeitsteiligen Tätigkeit auf Baustellen erfolge eine ständige Koordinierung der Gewerke. Der Kläger habe R. zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, wie dieser seine Arbeiten als Fliesenleger auszuführen habe. Zugewiesen seien lediglich, wie sich aus der Natur der Sache ergebe, der Arbeitsort, der Umfang des Gewerkes und der Zeitpunkt der Fertigstellung. Dies seien jedoch zwingende Bestandteile des Werkvertrags. Die Auffassung, dass eine Zusammenarbeit an Gewerken für eine Eingliederung spreche, widerspreche der zivilrechtlichen Rechtsprechung zu Bauverträgen und deren arbeitsteiligen Ausführung. Auf jeder Baustelle arbeiteten naturgemäß verschiedene Werkunternehmer zusammen. Diese seien nicht abhängig Beschäftigte des Generalunternehmers. Die Unterstützung des R. durch die Ehefrau des Klägers bei der Rechnungsstellung habe nichts mit einer betrieblichen Organisation zu tun, sondern damit, dass R. der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sei. Sofern der Senat hieraus sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen ableiten sollte, liege hierin eine Diskriminierung eines ausländischen Werkunternehmers. Die weiteren Einwände gegen die Rechnungen seien zurückzuweisen. Diese müssten nicht für den Senat, sondern für den Auftraggeber prüfbar sein.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 26.06.2019 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 15.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat am 30.03.2022, 30.01.2023 und 13.09.2023 Erörterungstermine durchgeführt, in deren Rahmen der Kläger ergänzend zum Sach- und Streitstand angehört worden ist. Weiterhin hat der Senat durch Anhörung des Klägers und Befragung des Zeugen A. (vergeblich) versucht, den aktuellen Aufenthaltsort des R. zu ermitteln, nachdem R. verzogen war, ohne seine neue Anschrift mitzuteilen und eine ladungsfähige Anschrift auch nicht über das behördliche Meldeportal ermittelt werden konnte.

Die Beteiligten sind mit gerichtlichem Schreiben vom 25.09.2024 darauf hingewiesen worden, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg biete und beabsichtigt sei, diese gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Die Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung ist R. öffentlich zugestellt worden (Beschluss vom 09.10.2024). Der Kläger hat eine mündliche Verhandlung für zwingend erforderlich gehalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers wird durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 S. 1 SGG zurückgewiesen. Zur Möglichkeit einer solchen Entscheidung sind die Beteiligten mit Schreiben vom 25.09.2024 angehört worden. Der Senat hat den Kläger mit Schreiben vom 10.12.2024 darauf hingewiesen, dass er auch unter Berücksichtigung dessen Vorbringens im Schriftsatz vom 21.10.2024 an der beabsichtigten Entscheidung im Beschlusswege festhält. Der Senat konnte das Schreiben vom 25.09.2024 an R. gem. § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 185 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) öffentlich zustellen. Die öffentliche Zustellung, die wegen des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht vorschnell angenommen werden darf, ist zulässig, wenn sämtliche geeigneten und zumutbaren Möglichkeiten zur Ermittlung des Aufenthalts des Zustellungsadressaten ausgeschöpft worden sind (vgl. BSG Beschl. v. 14.12.2023 – B 4 AS 72/23 B – juris Rn. 7). Dies ist hier der Fall. Nach fruchtloser Prüfung einer aktuellen Adresse im behördlichen Meldeportal hat der Senat mehrfach versucht, die ladungsfähige Anschrift des R. über den Kläger in Erfahrung zu bringen und zusätzlich hierzu auch noch den Zeugen A. im Rahmen des Erörterungstermins am 13.09.2023 befragt. Beide haben angegeben, nicht mehr in Kontakt zu R. zu stehen und noch nicht einmal sagen zu können, ob dieser sich in Deutschland oder in Ungarn aufhalte.

Gem. § 153 Abs. 4 S. 1 SGG kann der Senat die Berufung außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 S. 1 SGG durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Dies gilt auch bei einer Entscheidung des SG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (vgl. BSG Beschl. v. 06.08.2019 – B 13 R 233/18 B – juris Rn. 11; Senatsbeschl. v. 10.04.2024 – L 8 BA 126/23 – juris Rn. 29).

Diese Voraussetzungen der Zurückweisung gem. § 153 Abs. 4 SGG sind erfüllt. Im Klageverfahren hat das SG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden. Die Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet. Eine mündliche Verhandlung wird nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nicht für erforderlich gehalten. Der Sachverhalt ist umfassend ermittelt, eine ergänzende Sachverhaltsaufklärung nicht mehr erforderlich. Dem anwaltlich vertretenen Kläger ist im Rahmen von drei Erörterungsterminen umfassend rechtliches Gehör gewährt worden. Von der ihm eingeräumten Möglichkeit, sich zum rechtlichen Hinweis vom 25.09.2024 zu äußern, hat er Gebrauch gemacht. Das erstmalige Vorbringen noch nicht vorgetragener Tatsachen oder rechtlicher Gesichtspunkte in einem Verhandlungstermin ist daher nicht zu erwarten. Andere Aspekte, die nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig erscheinen lassen, sind nicht erkennbar.

Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Duisburg vom 26.06.2019 ist nicht begründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Beitragsbescheid der Beklagten vom 15.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2017 (§ 95 SGG), mit dem sie Beiträge und Umlagen in Höhe von 12.960,00 Euro aufgrund Beschäftigung des R. nachgefordert hat.

Das SG hat die als isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGG) statthafte (vgl. Senatsurt. v. 25.10.2023 – L 8 BA 194/21 – juris Rn. 27) und auch im Übrigen zulässige Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 28p Abs. 1 S. 1 und 5 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Im Rahmen der Prüfung werden Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern erlassen (Satz 5). § 10 Aufwendungsausgleichsgesetz – AAG – stellt die Umlagen zum Ausgleichsverfahren (U1 und U2) insoweit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung gleich (vgl. BSG Urt. v. 10.12.2019 – B 12 R 9/18 R – juris Rn. 12). Entsprechendes gilt für die Insolvenzgeldumlage (UI) gem. § 359 Abs. 2 S. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – SGB III (vgl. Scheer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 28p SGB IV, Stand 03.01.2025, Rn. 148 m.w.N.). Im Rahmen dieser Ermächtigung hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid formell (hierzu unter 1.) und materiell (hierzu unter 2.) rechtmäßig erlassen.

Entgegen der Auffassung des Klägers und des SG stellt der angefochtene Bescheid keinen sog. Summenbescheid im Sinne des § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV dar. Vielmehr wird die Beitragsnachforderung personenbezogen bestimmt. So nennt der Bescheid R. namentlich und weist in den beigefügten Anlagen “Berechnung der Beiträge” und “Nachweis der Beiträge” auf ihn bezogene Beiträge und Umlagen aus (vgl. BSG Urt. v. 04.09.2018 – B 12 R 4/17 R – juris Rn. 11 m.w.N.). Der Umstand, dass für R. keine Versicherungsnummer ermittelt werden konnte und keine letzte Krankenkasse bekannt ist, war von der Beklagten (allein) bei der Bestimmung der zuständigen Einzugsstelle zu berücksichtigen. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid personenbezogen zu erfolgen hat, wird hierdurch nicht begründet.

Auch eine – vom Kläger gerügte – Schätzung der Arbeitsentgelte nach § 28f Abs. 2 S. 3 SGB IV ist von der Beklagten nicht vorgenommen worden. Vielmehr hat sie die Beiträge ausweislich der Bescheidanlagen konkret unter Zugrundelegung der von R. aktenkundig beim Kläger erzielten Vergütung berechnet.

1. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Dabei kann es – worauf bereits das SG zu Recht hingewiesen hat – dahinstehen, ob das Schreiben der Beklagten vom 08.09.2016 die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Anhörung gem. § 24 Abs. 1 SGB X erfüllt. Ein etwaiger Anhörungsmangel ist nach Maßgabe des § 41 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 SGB X im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Eine solche Heilung tritt ein, wenn der Kläger dort hinreichende Gelegenheit hat, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (vgl. z.B. BSG Urt. v. 13.02.2019 – B 6 KA 56/17 R – juris Rn. 15 m.w.N.; Senatsurt. v. 25.10.2023 – L 8 BA 194/21 – juris Rn. 33). Dies war hier der Fall. So ist vom anwaltlich vertretenen Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ausführlich Stellung genommen worden. Mit den von ihm vorgetragenen Einwänden hat sich die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid (auch) auseinandergesetzt.

Der Einwand des Klägers, R. sei im Verwaltungsverfahren nicht nach Maßgabe des § 12 Abs. 2 SGB X hinzugezogen worden, stellt keinen durch ihn selbst rügefähigen Verfahrensfehler dar. Zutreffend hat das SG hierzu entschieden, dass im Falle einer fehlenden Beteiligung allein R., nicht jedoch der Kläger in eigenen Rechten verletzt ist. Einer an R. gerichteten Anfrage durch den Senat, ob er die Wiederholung des Verwaltungsverfahrens wegen unterbliebener Benachrichtigung von seiner Einleitung oder unterbliebener Hinzuziehung begehre, bedurfte es nicht. Ein solches Erfordernis besteht dann nicht, wenn der Beigeladene – wie hier – keinen Antrag gestellt, mithin von der ihm gegebenen Möglichkeit, selbstständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen (vgl. § 75 Abs. 4 S. 1 SGG), keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. BSG Urt. v. 09.08.2006 – B 12 KR 3/06 R – juris Rn. 14; Roller in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 12 Rn. 21).

2. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. R. unterlag im streitbefangenen Zeitraum der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (hierzu unter a.). Tatbestände, die zu einer Versicherungsfreiheit in den genannten Sozialversicherungszweigen führen, liegen nicht vor (hierzu unter b.). Fehler bei der Berechnung der nachgeforderten Beiträge und Umlagen sind nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich (hierzu unter c.).

a. Der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, der sozialen Pflege- und der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – SGB XI, § 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI, § 25 Abs. 1 S. 1 SGB III).

R. erhielt vom Kläger für seine Tätigkeit in dessen Unternehmen ein Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV).

Er war auch beim Kläger beschäftigt und nicht selbstständig tätig.

Das Vorliegen einer Beschäftigung beurteilt sich nach § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn – wie im vorliegenden Fall – in Bindungswirkung erwachsene Feststellungen zum sozialversicherungsrechtlichen Status fehlen. Hiernach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur “funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess” verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (st. Rspr., vgl. etwa BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 14; Urt. v. 14.03.2018 – B 12 R 3/17 R – juris Rn. 12; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG Beschl. v. 20.05.1996 -1 BvR 21/96 – juris Rn. 6 ff.).

Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 15; Senatsurt. v. 15.12.2021 – L 8 R 13/15 – juris Rn. 154; Senatsurt. v. 23.11.2020 – L 8 BA 155/19 – juris Rn. 58).

Ausgehend von der mündlich vereinbarten vertraglichen Grundlage eines Dienstvertrags (vgl. § 611 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) im Sinne eines Dauerschuldverhältnisses (dazu unter aa.) ist R. in seiner Tätigkeit des Fliesenlegens und sonstiger Bauleistungen gegenüber dem Kläger weisungsgebunden (hierzu unter bb.) und in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert (hierzu unter cc.) tätig geworden. Wesentliche Indizien, die für eine Selbstständigkeit sprechen, liegen hingegen nicht vor (hierzu unter dd.). In der Gesamtschau überwiegen die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Gesichtspunkte deutlich (hierzu unter ee.). Das so gewonnene Ergebnis verletzt weder Europarecht noch das Grundgesetz (hierzu unter ff.).

aa. Zur Überzeugung des Senats haben die Beteiligten mündlich ein Dauerschuldverhältnis über von R. zu erbringende Dienstleistungen geschlossen.

Soweit der Kläger geltend macht, es sei für die an R. herangetragenen Aufgaben (mündlich) ein jeweils neuer (gleichlautender) (Werk-)Vertrag geschlossen worden, sieht der Senat dies als wirklichkeitsfremdes juristisches Konstrukt an. Für eine solche Ausgestaltung jeweilig neuer Rechtsgeschäfte findet sich weder ein tatsächlicher objektiver Anhaltspunkt in den Schilderungen zur vertraglichen Praxis noch stützen sonstige Umstände eine derartige Auslegung.

Für die Vereinbarung eines Dauerschuldverhältnisses spricht, dass R. mindestens seit dem Jahr 2012 bis einschließlich Oktober 2015 regelmäßig für den Kläger tätig geworden ist und jegliche überzeugenden Anhaltspunkte für den Abschluss von Einzelverträgen fehlen. So konnten anlässlich der Betriebsprüfung keinerlei Unterlagen aufgefunden werden, die vom Kläger behauptete einzelne, separate Aufträge valide belegen. Entsprechende beweiskräftige Dokumente sind von ihm (trotz zunächst entsprechender Behauptung) im gesamten Verfahren nicht vorgelegt worden. Das Fehlen von – üblicherweise zu erwartenden – Kostenvoranschlägen für konkretisierte, genaue Aufträge mit einer detaillierten Werksbeschreibung und der Kalkulation des Werklohns sowie schriftlichen Auftragserteilungen lässt gerade nicht den Schluss auf die vom Kläger behaupteten jeweiligen einzelnen Werkverträge zu, sondern weist vielmehr auf ein tatsächlich praktiziertes Dauerschuldverhältnis hin (vgl. Senatsbeschl. v. 12.11.2020 – L 8 BA 117/20 B ER – juris Rn. 16).

Soweit der Kläger allein eine (einzige) als “Werkvertrag” betitelte Vereinbarung mit der Datumsangabe 30.08.2013 zu den Akten gereicht hat, vermag diese zur Überzeugung des Senats weder einen belastbaren Hinweis auf den Abschluss von Einzelverträgen zu bieten noch inhaltlich die tatsächlich zwischen den Vertragspartnern getroffenen Vereinbarungen widerzuspiegeln. In der Gesamtschau der Umstände diente das vorgelegte Vertragspapier zur Überzeugung des Senats ersichtlich nicht zur realen Dokumentation der wechselseitig tatsächlich vereinbarten Verpflichtungen des Klägers und des R..

Bereits grundsätzlich fehlt es an der Plausibilität, weshalb der Kläger und R. in vier Jahren der Zusammenarbeit lediglich einmal im Jahr 2013, also bereits weit nach Beginn der Tätigkeit des R. einen (einzigen) schriftlichen (Werk-)Vertrag geschlossen haben wollen. Dies gilt umso mehr, als dieser Vertrag auch nur ein solitäres konkretes Projekt (X.-straße N01, C.) beinhaltet und nicht etwa als Rahmenvertrag für eine Vielzahl von Projekten konzipiert ist. R. selbst hat im Fragebogen der Beklagten vom 05.06.2016 eine schriftliche Vereinbarung zudem überhaupt nicht erwähnt, sondern angekreuzt, dass die vertraglichen Grundlagen der Zusammenarbeit auf mündlichen Vereinbarungen beruhten.

Gegen die Ernsthaftigkeit der Vereinbarung spricht ferner, dass der Vertragstext ausschließlich in Deutsch aufgesetzt ist, obwohl R. der deutschen Sprache – worauf sich der Kläger an anderer Stelle selbst zu seinen Gunsten berufen will – nicht mächtig ist und beide ausschließlich auf Ungarisch kommunizierten.

Auch inhaltlich vermögen die niedergelegten Vertragsklauseln keinen hinreichenden Beleg für vermeintlich vereinbarte Werkleistungen zu bieten. So ist eine ausreichend genaue Beschreibung des zu erbringenden Werks nicht erkennbar. Beispielsweise fehlen nähere Angaben, in welchen konkreten Räumen wie viele Quadratmeter Laminat zu verlegen sind, ob ggf. Fußbodenvorarbeiten geleistet werden müssen oder eine Trittschalldämmung zu berücksichtigen ist. Umgekehrt enthält der vorgelegte Werkvertrag, den der Kläger im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Senat am 30.03.2022 selbst als “Mustervertrag” bezeichnet hat, verschiedene Klauseln (z.B. § 4 Abs. 2 zur Tragung von Schreibgebühren und Vervielfältigungskosten) ohne erkennbaren Bezug zu den von R. ausgeführten Tätigkeiten.

Im Übrigen fehlt es auch an sonstigen Umständen, die den Abschluss einzelner Werkverträge überhaupt ansatzweise plausibel machen. Im Gegenteil spiegelt sich in den im Verfahren vorgelegten Rechnungen des R. eine fortlaufende Dienstverpflichtung wieder. Die Rechnungen belegen eine sehr konstante Leistungserbringung, bei der weitestgehend keinerlei Konkretisierung der Arbeitsleistung erkennbar ist, dies insbesondere nicht im Sinne eines hinreichend abgegrenzten Werks. Eine überhaupt nur ansatzweise Zuordnung zu vermeintlich vereinbarten, voneinander abgrenzbaren Einzel(werk)aufträgen ergibt sich nicht. Vielmehr enthalten die Rechnungen regelmäßig bloße Tätigkeitsbeschreibungen (“Fliesenarbeiten”, “Abbrucharbeiten”, “Renovierungsarbeiten” etc.), somit Dienstleistungen. Die von R. behauptete Abrechnung seiner Fliesenlegerarbeiten nach Quadratmetern geht aus den Abrechnungen ebenfalls nicht hervor. Vielfach sind noch nicht einmal Angaben enthalten, bei welchem Auftraggeber des Klägers bzw. welchem Objekt R. die entsprechenden Leistungen erbracht hat. Der Einwand des Klägers, dass es insoweit auf die Prüfbarkeit durch ihn und nicht durch das Gericht ankomme, führt dabei zu keiner anderen Beurteilung. Es ist fernliegend, dass sich der Auftraggeber eines Werkvertrags auf entsprechende Abrechnungen, denen die Prüffähigkeit regelmäßig vollständig fehlt, einlassen würde. Die Prüfbarkeit der Rechnung ist kein Selbstzweck. Das Erfordernis der Prüffähigkeit soll den Auftraggeber in die Lage versetzen, die Rechnung zu prüfen und die Richtigkeit der einzelnen Ansätze zu beurteilen (vgl. hierzu z.B. BGH Urt. v. 18.06.1998 – VII ZR 189/97 – juris Rn. 7). Dazu ist ein Werkbesteller aber regelmäßig nicht (zuverlässig) in der Lage, wenn verschiedene Tätigkeiten ohne Nennung von Einzelpositionen zusammengefasst sind, dies hier zum Teil sogar (vgl. z.B. die Rechnung v. 11.08.2015) in einer für mehrere Monate erstellten Abrechnung. Dementsprechend drängt sich im Falle einer pauschalen Benennung durchgeführter Tätigkeiten der Eindruck auf, dass vertraglich nicht ein Werkerfolg, sondern eben Dienstleistungen geschuldet waren (vgl. Senatsbeschl. v. 12.11.2020 – L 8 BA 117/20 B ER – juris Rn. 17). Diese Annahme wird vorliegend durch den Umstand verstärkt, dass die Abrechnungen nicht werkvertragstypisch nach Abnahme (§ 641 BGB), sondern dienstvertragstypisch (vgl. § 614 BGB) nach (monatlichen) Zeitabschnitten (“Ausführungszeitraum”) erstellt worden sind.

Gegen den Abschluss (einzelner) mündlicher Werkverträge spricht schließlich, dass zu erledigende Arbeiten vielfach vom Kläger, seinen angestellten Mitarbeitern und R. gemeinsam ausgeführt worden sind. Damit aber fehlt es insoweit an einem allein R. zurechenbaren Werkerfolg. Differenzierungen zwischen gemeinsamer Zusammenarbeit einerseits und – behaupteten – alleinig von R. erbrachten Tätigkeiten finden sich in den Rechnungen wiederum nicht, so dass von einer grundsätzlich dauerhaft identischen Vereinbarung und Handhabung dessen Arbeitseinsatzes auszugehen ist.

bb. R. unterlag bei der Durchführung der von ihm verrichteten Dienstleistungen – entgegen den anderslautenden Behauptungen des Klägers – dessen Weisungsrecht hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Arbeit.

(1) Für die zeitliche Weisungsgebundenheit genügt es, wenn der Auftragnehmer von den organisatorischen Vorgaben des Betriebes abhängig ist und die Arbeit nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt abgebrochen werden kann, sondern die zugewiesenen Aufgaben erledigt werden müssen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 31; Senatsurt. v. 24.04.2024 – L 8 BA 109/19 – juris Rn. 71). Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats vorliegend gegeben. So zog der Kläger nach seinen eigenen Angaben R. immer dann hinzu, wenn seine Mitarbeiter und er die zu erledigenden Aufgaben “nicht schafften”. Dies indiziert, dass er auf die Mitwirkung des R. zur Einhaltung der mit seinen Kunden vereinbarten Herstellungstermine angewiesen war. Hinzu kommt, dass Aufgaben – wie bereits dargelegt – vielfach gemeinsam erledigt wurden. So fuhr R. nach dessen Angaben zumindest teilweise gemeinsam mit dem Kläger zu den Baustellen und führte (jedenfalls) Rigipsarbeiten regelmäßig zusammen mit ihm aus. Damit übereinstimmend hat der Kläger (im Erörterungstermin des SG am 14.12.2018) angegeben, dass seine Mitarbeiter und R. die zu verrichtenden Arbeiten jedenfalls, wenn es sich um eine “große Arbeit” im Bereich des Fliesenlegens oder bei Trockenbauarbeiten gehandelt habe, zusammen übernommen hätten. Soweit der Kläger diese zunächst eingeräumte Zusammenarbeit beim Fliesenlegen im Nachhinein pauschal bestritten hat, wird seine vorige andere Äußerung von ihm nicht schlüssig erläutert. Bei dieser Sachlage hatte R. insbesondere, wenn Zeitdruck herrschte, nicht die Möglichkeit, sich die zu erledigenden Arbeiten nach eigenem Gutdünken einzuteilen, sondern war an die zeitlichen Vorgaben des Klägers gebunden.

(2) Örtlich war R. an die Baustellen der Kunden des Klägers gebunden. Dass diese örtliche Gebundenheit in der “Natur der Sache” liegt, ändert – entgegen der Auffassung des Klägers – dabei nichts daran, dass es sich hierbei um ein bei der Statusbeurteilung zu berücksichtigendes Indiz handelt. Auch Umstände, die typisch bzw. einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent sind oder “in der Natur der Sache” liegen, sind zu berücksichtigen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 25; Urt. v. 19.10.2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 25; Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 87).

(3) Ebenfalls unterlag R. hinsichtlich der Art und Weise der Ausführung der ihm zugetragenen Arbeiten einem Weisungsrecht des Klägers.

Da – wie bereits dargelegt – von einem Dauerschuldverhältnis und nicht von (kleinteiligen) einzelnen Vertragsschlüssen auszugehen ist, fehlte bei Tätigkeitsaufnahme des R. und im gesamten streitigen Zeitraum jegliche genauere inhaltliche Bestimmung der im konkreten Fall gewünschten Leistung. Ein inhaltliches Weisungsrecht des Auftraggebers liegt schon (zwangsläufig) dann vor, wenn über den Vertrag hinaus offenkundig noch weitere einseitige Einflussnahmen notwendig sind (vgl. Senatsbeschl. v. 14.06.2019 – L 8 BA 12/18 B ER – juris Rn. 22). Fehlt es an einer genaueren vertraglichen Fixierung bzw. inhaltlichen Bestimmung der im konkreten Fall gewünschten Leistung, da das Tätigkeitsfeld nur allgemein und beispielhaft umschrieben ist, so bedarf es weiterer Konkretisierungen und damit Weisungen (vgl. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 85; Urt. v. 12.07.2023 – L 8 R 541/17 – juris Rn. 47 f.; Urt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 98/20 – juris Rn. 56), um den Auftragnehmer darüber in Kenntnis zu setzen, welche Arbeitsleistung wo, wann und mit welchen Details gewünscht wird. So liegt der Fall hier. Schriftliche Verträge, in denen die von R. zu erbringenden Leistungen hinreichend konkretisiert aufgeführt sind, liegen – wie bereits dargelegt – nicht vor. Dem entsprechend hat der auf den jeweiligen Baustellen anwesende Kläger die Ausführung der Tätigkeit des R. mit diesem dort – wie von ihm im Erörterungstermin des SG am 14.12.2018 selbst dargelegt – besprochen. Seine Einflussnahme (und damit die Ausübung des fachlichen Weisungsrechts) erreichte dabei ein derartiges Maß, dass die Arbeit des R. – wiederum nach seinen eigenen Angaben – am Ende immer seinen, den klägerischen, Anforderungen entsprach. Schließlich waren die Arbeiten mit den vom Kläger angeschafften Baumaterialien auszuführen, so dass ins Gewicht fallende Freiheiten des R. hinsichtlich der Art und Weise der Ausführung der Arbeiten auch insoweit nicht erkennbar sind.

Soweit R., dem der Kläger “ein überragendes Fachwissen” im Bereich des Fliesenlegens bescheinigt hat, (tatsächliche) Freiheiten in der Art und Weise der Ausführung der zu erbringenden Leistungen zugekommen sind, schließt dies eine Weisungsbindung nicht aus. Eine allein (partielle) Gestaltungsbefugnis in der Art und Weise der Verrichtung führt regelmäßig nicht zur Selbstständigkeit im Sinne einer unternehmerischen Tätigkeit. Eine eigenständige Arbeitsweise ist kein Synonym für eine zur Versicherungsfreiheit führende Selbstständigkeit (vgl. Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 80; Urt. v. 30.11.2022 – L 8 R 597/17 – juris Rn. 98 m.w.N.; Urt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 98/20 – juris Rn. 59) und darf mit dieser nicht verwechselt werden (vgl. Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 80; Urt. v. 14.12.2022 – L 8 BA 159/19 – juris Rn. 80 m.w.N.). Eigenverantwortlichkeit und inhaltliche Freiheiten bei der Aufgabenerfüllung sind daher erst dann ein aussagekräftiges Indiz für Selbstständigkeit, wenn sie nicht mehr innerhalb des Rahmens dienender Teilhabe am Arbeitsleben zu verorten sind und insbesondere eigennützig durch den Auftragnehmer zur Steigerung seiner Verdienstchancen eingesetzt werden können (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 31 m.w.N.; Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 81; Urt. v. 14.12.2022 – L 8 BA 159/19 – juris Rn. 81). Hieran fehlte es vorliegend.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Tätigkeit des R. sogar bei einem weitgehenden Fehlen fachlicher Weisungen fremdbestimmt sein kann. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers bei Dienstleistungen höherer Art, die ihr Gepräge von der Ordnung eines fremden Betriebes erhalten, verfeinert sich “zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess” und kann – insbesondere bei Hochqualifizierten oder Spezialisten – aufs Stärkste eingeschränkt sein. Auch in typischen Arbeitsverhältnissen werden Arbeitnehmern immer mehr Freiheiten zur zeitlichen, örtlichen und teilweise auch inhaltlichen Gestaltung ihrer Arbeit eingeräumt. Werden insoweit lediglich Rahmenvorgaben vereinbart, spricht dies erst dann für Selbstständigkeit, wenn die Tätigkeit durch typische unternehmerische Freiheiten geprägt ist, die dem Betroffenen eigenes unternehmerisches Handeln mit entsprechenden Chancen und Risiken erlauben. Eine selbstständige Tätigkeit ist erst dann anzunehmen, wenn bei ihrer Verrichtung eine Weisungsfreiheit vorhanden ist, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet (vgl. BSG Urt. v. 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – juris Rn. 18; Urt. v. 19.10.2021 – B 12 R 10/20 R – juris Rn. 29; Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 29; Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 89).

Ebenfalls ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die streitige Tätigkeit des R. darüber hinaus auch ungeachtet des Umfangs seiner Weisungsgebundenheit als Beschäftigung zu beurteilen ist. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV genannten Anhaltspunkte der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung weder in einem Rangverhältnis zueinander stehen noch stets kumulativ vorliegen müssen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 10/21 R – juris Rn. 17; Urt. v. 13.12.2022 – B 12 KR 16/20 R – juris Rn. 21; Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 29). Die jüngere Rechtsprechung des BSG hat sich in diesem Rahmen von einer auf das Direktionsrecht gerichteten Betrachtungsweise gelöst und nimmt vor allem den Eingliederungsaspekt in den Blick (vgl. zuletzt: BSG Urt. v. 12.06.2024 – B 12 BA 8/22 R – juris Rn. 18 ff.). Dies entspricht den Entwicklungen in der Arbeitswelt, die das “klassische” Weisungsrecht im Sinne von tatsächlichen und laufenden Anordnungen zunehmend in den Hintergrund treten lassen (vgl. Bergner in: Meßling/Voelzke, Die Zukunft des Rechts- und Sozialstaates – Festschrift für Schlegel, 2024, S. 367, 372; Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl. 2021, § 7 Abs. 1 Rn. 84 f.). Im Rahmen der Eingliederung sind grundsätzlich auch Rahmenvereinbarungen, regulatorische Rahmenbedingungen oder “in der Natur der Sache” liegende Umstände zu berücksichtigen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 25 m.w.N.; Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 76, 88; Senatsurt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 51 ff.). Dabei kommt es weniger darauf an, woraus Abhängigkeiten und Bindungen resultieren, sondern vielmehr auf die Beurteilung, ob und inwieweit im Einzelfall noch Raum für unternehmerische Freiheit zur Gestaltung der Tätigkeit mit entsprechenden Chancen und Risiken verbleibt (vgl. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 25 m.w.N.).

Entsprechend genügt es (auch), wenn die Tätigkeit – wie hier (dazu unter (cc.)) – eingegliedert in den Betrieb des Auftraggebers erfolgt.

cc. R. war – wie bereits das SG zu Recht ausgeführt hat – in die fremde Arbeitsorganisation des Klägers umfassend eingegliedert.

Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers setzt regelmäßig voraus, dass die Tätigkeit innerhalb von Organisationsabläufen erbracht wird, die der Weisungsgeber vorhält, dass also dessen Einrichtungen/Betriebsmittel genutzt werden und arbeitsteilig mit vorhandenem Personal in vorgegebenen Abläufen bzw. Strukturen zusammengearbeitet wird (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 10/21 R – juris Rn. 20; Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 12/21 R – juris Rn. 22; Urt. v. 27.04.2021 – B 12 R 8/20 R – juris Rn. 24; Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 32). Eine dienende Teilhabe am Arbeitsprozess in diesem Sinne liegt in der Regel aber auch schon vor, wenn das Arbeitsziel und der betriebliche Rahmen vom Auftraggeber gestellt oder auf seine Rechnung organisiert werden. Sie kann selbst dann noch gegeben sein, wenn lediglich der Geschäfts- oder Betriebszweck vorgegeben und es dem Beschäftigten überlassen wird, welche Mittel er zur Erreichung der Ziele einsetzt (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 90 m.w.N.; Urt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 81; Urt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 59).

Diese Voraussetzungen liegen vor.

Zwar stellt ein Abstimmungsbedarf, wie er auf Baustellen notwendig ist, allein noch kein ausreichendes Indiz für eine Eingliederung dar, dies insbesondere dann nicht, wenn der Abstimmungsbedarf auf (technischen) Sachzwängen beruht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 29.05.2024 – L 9 BA 20/21 – juris Rn. 38). Jedoch dienten sämtliche der von R. im streitigen Zeitraum übernommenen Aufgaben hier dem Betriebszweck des Unternehmens des Klägers. Gegenüber den Kunden des Klägers kam R. keinen eigenen vertraglichen Verpflichtungen nach, da er mit diesen keine Verträge geschlossen hat. Vielmehr wurde er “lediglich” als Erfüllungsgehilfe des Klägers tätig (vgl. BSG Urt. v. 14.03.2018 – B 12 KR 12/17 R – juris Rn. 33) und war insofern Teil des klägerischen Personaltableaus (vgl. z.B. Senatsurt. v. 14.12.2022 – L 8 BA 159/19 – juris Rn. 86; Urt. v. 30.08.2017 – L 8 R 962/15 – juris Rn. 70). Sozialversicherungsrechtlich relevante Unterschiede zu sonstigem vom Kläger zur Sozialversicherung angemeldeten Personal sind im Übrigen weder vorgetragen noch erkennbar. Nach Beendigung der Tätigkeit des R. sind dessen Aufgaben auch durch einen – ebenfalls – angestellten Mitarbeiter des Klägers wahrgenommen worden.

R. erbrachte die von ihm durchgeführten Bauleistungen auch allein in dem vom Kläger “von A bis Z”, d.h. von der Akquise bis zur Zahlung, organisierten Rahmen. Seine Tätigkeit beschränkte sich vollumfänglich auf die Bearbeitung von Aufträgen Dritter, um die sich der Kläger bemüht hatte und die entsprechend diesem und nicht unmittelbar R. erteilt worden sind. Es war auch der Kläger allein, der für die reibungslose Durchführung der Aufträge einschließlich der Aufteilung der Arbeiten und deren Kontrolle sorgte. Schließlich nahm auch nur er die Abrechnung der Arbeiten gegenüber den Kunden vor. Eine derartige Vergütung auf den jeweiligen Ebenen stellt ebenfalls ein Indiz für eine Eingliederung dar (vgl. BSG Urt. v. 19.10.2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 24; Urt. v 19.10.2021 – B 12 R 1/21 R – juris Rn. 23; Senatsurt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 55).

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger gegenüber seinen eigenen Kunden einen “Rundumservice” an Arbeitsleistungen angeboten hat. Stellt sich die statusrechtlich streitige Tätigkeit (wie hier die des R.) nur als Wahrnehmung einer Teilaufgabe des gesamten “Ganzen” dar, d.h. ist er in einer solchen Konstellation – je nach dem Umfang seines Teilbereichs – (allein) “ein Rädchen bzw. Rad” innerhalb des von seinem Auftraggeber organisierten und einem Dritten angebotenen gesamten Ganzen, geht dies regelmäßig zwangsläufig mit einer Einbindung in die (engmaschige) Organisationsstruktur des Auftraggebers einher, die keinen Raum für eine wesentlich eigenständige Arbeitsorganisation lässt (vgl. Senatsurt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 62 m.w.N.; vgl. auch Senatsurt. v. 30.11.2022 – L 8 R 597/17 – juris Rn. 106 m.w.N.).

Als weiteres Merkmal der Eingliederung ist der Umstand zu werten, dass R. weitestgehend vom Kläger organisierte und bezahlte Betriebsmittel nutzte. Eine kostenfreie Überlassung von Betriebsmitteln durch den Kläger stellt ein Kriterium der Eingliederung dar (vgl. z.B. BSG Urt. v. 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – juris Rn. 21; Urt. v 19.10.2021 – B 12 R 1/21 R – juris Rn. 23; Urt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 100 m.w.N.; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 92; Beschl. v. 22.01.2024 – L 8 R 335/17 – juris Rn. 27). Nach seinen eigenen Angaben stellte der Kläger R. das für die Ausführung der Arbeiten notwendige Baumaterial vollumfänglich zur Verfügung. Jedenfalls teilweise nahm er R. zu den Baustellen in seinem Fahrzeug mit. Auch Werkzeug überließ er diesem mindestens (so seine Einlassung vor dem Senat) gelegentlich. R. selbst gab in dem der Beklagten übersandten Fragebogen zur sozialrechtlichen Feststellung sogar eine vollständige Inanspruchnahme von Werkzeugen des Klägers an und kreuzte ergänzend an, dass er nicht verpflichtet gewesen sei, in seiner hier streitigen Tätigkeit eigenes Kapital einzusetzen. Dass R. den Fragebogen hier – wie der Kläger meint – mangels hinreichender Deutschkenntnisse falsch ausgefüllt haben könnte, sieht der Senat schon vor dem Hintergrund, dass der Fragebogen vom Steuerberaterbüro übersandt worden ist, als Schutzbehauptung an.

Die erfolgte Eingliederung zeigt sich weiter daran, dass R. seine Tätigkeit jedenfalls teilweise gemeinsam mit dem Kläger und auch dessen sonstigen Mitarbeitern erbrachte. So gab der Kläger selbst an, dass er, seine Mitarbeiter und R. größere Arbeiten zusammen ausgeführt hätten. Insbesondere bei Rigipsarbeiten habe er dem Kläger “geholfen”, weil diese “für einen allein einfach zu schwer” seien. Zum Ausdruck kommt die Zusammenarbeit auch in der der Rechnung vom 15.12.2013 beigefügten Anlage, wonach R. dem Kläger beim Abbruch einer Wand “Hilfe” bei der Entsorgung geleistet hat. In welchem (genauen) Umfang R. letztlich gemeinschaftlich und in welchem Umfang allein an einem Gewerk gearbeitet hat, kann dahingestellt bleiben. Für eine Eingliederung genügt es (bereits), dass die Frage des Einsatzes (allein oder mit anderen) offenkundig vollständig der Disposition des Klägers unterlag.

Ein deutliches Indiz für eine Eingliederung (und zusätzlich für den Versuch, diese zu verschleiern), ist weiter darin zu sehen, dass R. die im Verfahren vorgelegten Rechnungen nicht selbst geschrieben hat, sondern dies durch die Ehefrau des Klägers an dessen Computer erfolgt ist. Soweit R. mangels Deutschkenntnissen (auch) nicht in der Lage war, Rechnungen in deutscher Sprache aufzusetzen, ist die für die entsprechende Handhabung genannte Motivation nicht geeignet, dem Umstand eine andere sozialversicherungsrechtliche Beurteilung beizumessen. Aus welchen Gründen eine Tätigkeit nach Weisungen bzw. unter Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation ausgeübt wird, spielt insoweit keine Rolle (vgl. z.B. BSG Urt. v. 27.04.2021 – B 12 R 16/19 R – juris Rn. 16; Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 81; Senatsbeschl. v. 22.01.2024 – L 8 R 335/17 – juris Rn. 30; Beschl. v. 16.03.2023 – L 8 R 997/17 – juris Rn. 47; Urt. v. 15.03.2023 – L 8 BA 132/19 – juris Rn. 62).

dd. Gesichtspunkte, die eine Selbstständigkeit des R. nahelegen, sind im Wesentlichen nicht vorhanden.

Über eine eigene Betriebsstätte verfügte R. nicht. Unabhängig davon, dass er offenkundig keinerlei – im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den Kläger stehenden – Büroarbeiten vorgenommen hat, stellt ein eventueller Arbeitsplatz in der von ihm gemeinsam mit dem Bruder des Klägers gemieteten Wohnung keine bei der Statusbeurteilung zu berücksichtigende Betriebsstätte dar (vgl. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 103 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 15.05.2023 – L 8 BA 32/23 B ER – juris Rn. 13; BFH Beschl. v. 09.05.2017 – X B 23/17 – juris Rn. 16).

Zudem trug R. – wie das SG zu Recht festgestellt hat – kein (ins Gewicht fallendes) unternehmerisches Risiko. Maßgebendes Kriterium ist nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 31.03.2017 – B 12 KR 16/14 R – juris Rn. 33 m.w.N.), denen sich der Senat in seiner ständigen Rechtsprechung angeschlossen hat (vgl. z.B. Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 97; Urt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 51/20 – juris Rn. 38; Urt. v. 29.01.2020 – L 8 BA 153/19 – juris Rn. 64 m.w.N.), ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt werden, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen und persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 31.03.2017 – B 12 KR 16/14 R – juris Rn. 33; Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 36; Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 104; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 98). Diese Voraussetzungen liegen bereits deshalb nicht vor, weil sämtliche wesentlichen, kostenintensiven Arbeitsmaterialien vom Kläger zur Verfügung gestellt worden sind und den ggf. in geringem Umfang von R. eingesetzten eigenen Werkzeugen demgegenüber jedenfalls nur eine weit untergeordnete Bedeutung zukommt.

Seine Tätigkeit hat R. zudem – arbeitnehmertypisch (vgl. z.B. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 27; Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 33 m.w.N.; Senatsurt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 67; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 101) – stets höchstpersönlich ausgeführt. Er verfügte nicht über eigene Beschäftigte und damit auch nicht über eine betriebliche Infrastruktur und ein entsprechendes Unternehmerrisiko in personeller Hinsicht (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 111; Urt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 67; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 101). Dass die ihm gewährte Vergütung im Falle einer Schlechtleistung vermindert worden wäre, wie dies der Kläger behauptet hat, findet in der Aktenlage keine Stütze.

Eine Selbstständigkeit wird auch nicht durch die behauptete Tätigkeit des R. für mehrere Auftraggeber begründet. Vielmehr erhält dieses Kriterium erst in der Zusammenschau mit weiteren typischen Merkmalen einer selbstständigen Tätigkeit, wie z.B. einem werbenden Auftreten am Markt für die angebotene Leistung, an Gewicht (vgl. z.B. BSG Urt. v. 07.06.2019 – B 12 R 6/18 R – juris Rn. 33; Senatsurt. v. 22.06.2020 – L 8 BA 78/18 – juris Rn. 63 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 12.02.2020 – L 8 BA 157/19 B ER – juris Rn. 19 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass R. werbend am Markt aufgetreten ist, bestehen nicht. Eine werbende Tätigkeit am Markt in Deutschland würde zudem erwarten lassen, dass der Unternehmer entweder selbst der deutschen Sprache hinreichend mächtig ist bzw. über Angestellte verfügt, die entsprechende Kenntnisse aufweisen (vgl. Senatsbeschl. v. 01.02.2021 – L 8 BA 5/20 B ER – juris Rn. 56) oder jedenfalls relevante Werbeaktivitäten bei Unternehmen entfaltet, mit denen er sprachlich hinreichend kommunizieren kann. Nichts davon ist hier der Fall. Aussagekräftige Belege dafür, dass R. im Streitzeitraum – wie vom Kläger behauptet – parallel in Ungarn in einem (ins Gewicht fallenden) Umfang unternehmerisch tätig gewesen ist, sind zu keinem Zeitpunkt vorgelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich.

Die Gewerbeanmeldung des R. spricht gleichfalls nicht für eine selbstständige Tätigkeit, da der sozialversicherungsrechtliche Status eines Betriebsinhabers seitens der Gewerbeaufsicht nicht geprüft wird (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 120; Urt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 76).

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, für eine Selbstständigkeit des R. spreche dessen Berechtigung, für die von ihm geschuldeten Tätigkeiten Hilfskräfte einzusetzen, ist dies unzutreffend. Sofern man der Behauptung einer solchen Berechtigung überhaupt Glauben schenkt, vermag allein die Befugnis zur Delegation allenfalls dann ein Indiz für Selbstständigkeit darzustellen, wenn von dieser realistischerweise Gebrauch gemacht werden könnte (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 34 m.w.N.). Dies ist nicht ersichtlich, wenn dem Auftragnehmer – wie hier – grundsätzlich keine eigenen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter mit entsprechender Qualifikation zur Verfügung stehen (vgl. Senatsurt. Urt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 114).

ee. Angesichts des Umstandes, dass sich die § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV gesetzlich ausdrücklich hervorgehobenen (“insbesondere”) Kriterien für eine abhängige Beschäftigung – Weisungsgebundenheit und Eingliederung – feststellen lassen und R. weder über eine eigene Betriebsstätte verfügt noch im Auftragsverhältnis ein unternehmerisches Risiko getragen hat, sprechen alle wesentlichen Abgrenzungskriterien für eine abhängige Beschäftigung.

Eine Selbstständigkeit des R. lässt sich demzufolge auch nicht dadurch begründen, dass dies (jedenfalls) vom Kläger so gewünscht war. Überwiegen nach dem Gesamtbild die Indizien für eine abhängige Beschäftigung, kommt dem von diesem Ergebnis abweichenden Willen der Vertragsparteien keine ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.06.2024 – B 12 BA 8/22 R – juris Rn. 24). Die wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit kann nicht mit bindender Wirkung für die Sozialversicherung durch die Vertragsparteien vorgegeben werden, indem sie z.B. vereinbaren, eine selbstständige Tätigkeit zu wollen. Denn der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließt es aus, dass über die rechtliche Einordnung einer Person – als selbstständig oder beschäftigt – allein die Vertragsschließenden entscheiden. Über zwingende Normen kann nicht im Wege der Privatautonomie verfügt werden (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.06.2024 – B 12 BA 5/23 R – juris Rn. 15; Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 15; Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 10/21 R – juris Rn. 18; Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 98; Urt. v. 12.07.2023 – L 8 R 541/17 – juris Rn. 38; Urt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 43). Vielmehr kommt es entscheidend auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung der Vertragsverhältnisse an (vgl. z.B. BSG Urt. v. 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – juris Rn. 12 m.w.N.; Senatsurt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 51/20 – juris Rn. 30 m.w.N.). Aus diesen ergibt sich – wie dargelegt – gerade nicht die (zumindest vom Kläger) beabsichtigte Selbstständigkeit des R..

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass zwar die konkrete Ausgestaltung der Vertragsbeziehung zwischen zwei Vertragspartnern grundsätzlich weitgehend ihrer Disposition unterliegt. Entsprechend steht es ihnen frei, dem Auftragnehmer einen derart großen Umfang an Weisungsfreiheit zuzugestehen, dass dies sozialversicherungsrechtlich als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit zu würdigen ist. Verfügt dieser dann noch über eine eigene Betriebsstätte, die er im konkreten Auftragsverhältnis auch nutzt und trägt er hier ein Unternehmerrisiko, steht einer (von den Vertragspartnern gewünschten) sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung als selbstständiger Tätigkeit regelmäßig nichts im Wege. Davon abzugrenzen sind jedoch Fallkonstellationen, in denen nicht die vertraglichen Umstände tatsächlich so ausgestaltet werden, dass sie einer selbstständigen Tätigkeit entsprechen, sondern in denen vielmehr allein bei der Darstellung einer – den tatsächlichen Umständen nach – abhängigen Beschäftigung nach außen bewusst der falsche Anschein einer selbstständigen Tätigkeit erweckt werden soll. Zu unterscheiden ist entsprechend eine Vertragsgestaltung, bei der die Vertragsparteien eine selbstständige Tätigkeit den Umständen nach tatsächlich ernsthaft begründen gegenüber einer Gestaltung, bei der tatsächliche Umstände einer dem Grunde nach abhängigen Beschäftigung lediglich zur Vermeidung der sozialversicherungsrechtlichen Abgabepflicht verdeckt werden sollen (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 123 f.; Urt. v. 30.11.2022 – L 8 R 597/17 – juris Rn. 121). Im vorliegenden Fall sieht der Senat letzteres als offenkundig an. Der deutlich zutage tretende Wunsch des Klägers, die Tätigkeit des R. für die (Außen-)Beurteilung als selbstständig darzustellen, um der sozialversicherungsrechtlichen Abgabepflicht zu entgehen, zieht sich durch die gesamte Verfahrensführung.

ff. Ein – den Kläger berührender – Verstoß gegen europarechtliche Vorschriften oder das Grundgesetz ist von ihm nicht substantiiert dargelegt worden bzw. auch im Übrigen nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, R. “mache von der ihm europarechtlich gewährten Dienstleistungsfreiheit Gebrauch” bzw. die Rechtsauffassung der Beklagten stelle sich als “direkte Verletzung dieser Grundfreiheit” dar, ist eine Verletzung dieser durch Europarecht gewährten Freiheit bereits nicht ersichtlich. Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) steht der Anwendung (nur solcher) nationalen Regelungen entgegen, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen allein innerhalb eines Mitgliedstaats erschwert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt Art. 56 AEUV (lediglich) die Aufhebung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die darauf beruhen, dass der Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen ist, in dem die Leistung erbracht wird (vgl. z.B. EuGH Urt. v. 07.09.2023 – C-461/21 – juris Rn. 62). Inwiefern die deutschen statusrechtlichen Vorschriften und deren Auslegung durch die Behörden und Gerichte die Tätigkeiten des R. als (vermeintlich) Dienstleistendem, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen sollen (vgl. hierzu EuGH Urt. v. 17.12. 2015 – C-342/14 – juris Rn. 48), ist nicht erkennbar.

Darüber hinaus hat der Kläger in keiner Weise dargelegt, welches – eigene (klägerische) – Recht konkret verletzt sein soll. Soweit er in seiner Argumentation (allein) auf Rechte des R. abstellt, fehlt es bereits an einem Bezug zu der vermeintlichen eigenen Betroffenheit. Eine solche ist auch nicht ersichtlich.

Gleiches gilt für seine (bloße) Behauptung, die Auffassung der Beklagten verletze seine Grundrechte und die des Beigeladenen aus Art. 14 GG in der Ausprägung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Unabhängig davon, dass umstritten ist, ob das “Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb” überhaupt die konstituierenden Merkmale des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs aufweist (vgl. z.B. Epping/Hillgruber in: BeckOK Grundgesetz, 59. Ed., Stand 15.06.2024 – Rn. 52 m.w.N.), liegt ein Verstoß gegen Art. 14 GG nicht vor. Vielmehr ergibt sich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsabgaben aus dem öffentlichen Interesse an der Funktionsfähigkeit des Sozialversicherungssystems als Belang der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit und an einer sozialen Ausgestaltung des Wirtschaftsprozesses, die eine freie und zugleich sozialverträgliche Unternehmensführung gewährleistet (vgl. ausführlich BSG Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98 R – juris Rn. 154 ff.).

b. Die Voraussetzungen von Versicherungsfreiheitstatbeständen sind nicht erfüllt. Hinweise auf das Vorliegen einer geringfügigen Beschäftigung (§ 8 Abs. 1 SGB IV) oder das Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), die zum Ausschluss der Versicherungspflicht führen könnten, sind weder erkennbar noch geltend gemacht. Eine (anderweitige) hauptberufliche selbstständige Tätigkeit des R., die ggf. gem. § 5 Abs. 5 SGB V zur Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung führen könnte, ist nicht belegt. Versicherungsfreiheit im Recht der Arbeitsförderung wegen der Ausübung einer unständigen Beschäftigung nach § 27 Abs. 3 Nr. 1 SGB III (vgl. BSG Urt. v. 14.03.2018 – B 12 KR 17/16 R – juris Rn. 20) besteht nicht.

c. Die Höhe der Beitragsforderung und Umlagen für die Zeiträume vom 01.02.2013 bis 31.12.2013, 01.03.2013 bis 31.12.2014 und 01.03.2015 bis 31.10.2015 begegnet keinen Bedenken. Einwände hat der Kläger insoweit auch nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind weder erstattungsfähig noch sind diese mit Kosten zu belasten, da sie von einer Antragstellung abgesehen haben (vgl. § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1 S. 1, 52 Abs. 3, 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Gerichtskostengesetz.

BGH zu der Frage, dass der öffentliche Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung auszuhebenden und zu entfernenden Bodens nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben hat

BGH zu der Frage, dass der öffentliche Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung auszuhebenden und zu entfernenden Bodens nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben hat

vorgestellt von Thomas Ax

Der öffentliche Auftraggeber hat in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung auszuhebenden und zu entfernenden Bodens nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben. Sind erforderliche Angaben zu Bodenkontaminationen nicht vorhanden, kann der Bieter daraus den Schluss ziehen, dass ein schadstofffreier Boden auszuheben und zu entfernen ist (Anschluss an BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172).
BGH, Urteil vom 21. 3. 2013 – VII ZR 122/11; OLG Dresden (lexetius.com/2013,1129)
[1] Tatbestand: Die Klägerin verlangt von den Beklagten, einem Landkreis, einem Abwasserzweckverband und einer Gemeinde, zusätzliche Vergütung für Tiefbauarbeiten mit der Begründung, sie habe beim Ausbau einer Kreisstraße im Bereich einer Ortsdurchfahrt kontaminiertes Aushubmaterial angetroffen, das nicht ausgeschrieben gewesen sei.
[2] Die Klägerin wurde von den Beklagten im Jahr 2006 mit Tiefbauarbeiten für den Ausbau einer Kreisstraße beauftragt. Die Leistung war in mehrere Lose aufgeteilt, für die teils der Beklagte zu 1, teils der Beklagte zu 2 und teils die Beklagte zu 3 als Auftraggeber fungierten.
[3] In der Baubeschreibung heißt es unter Ziff. 2. 7 (Baugrund) unter anderem wie folgt:
“Die Baugrunduntersuchung wurde von W. G. B. durchgeführt. Die Untersuchung erfolgte mittels 4 Rammkernsondierungen. Dabei wurde eine lediglich ca. 4 cm dicke Asphaltdeckschicht aufgeschlossen, deren Teergehalt untersucht wurde. Dieser liegt noch unterhalb der Grenze für Wiedereinbau des Aufbruchgutes im Heißeinbau, so dass eine Wiederverwertung vollständig möglich ist …”
[4] Das Leistungsverzeichnis für die gesamten Arbeiten sieht in verschiedenen Positionen vor, dass Boden zu lösen, in das Eigentum des Auftragnehmers zu übernehmen und von der Baustelle zu entfernen ist. Bei den Losen 2, 3 und 5 sind gesonderte Zulagen für die Bodenklassen 2, 6 und 7 vorgesehen.
[5] Die Klägerin hat vorgetragen, das Aushubmaterial sei insbesondere wegen Chloridbelastung erheblich kontaminiert gewesen. Das Aushubmaterial habe nicht zum Wiedereinbau verwendet werden können und erhöhten Entsorgungsaufwand erfordert. Die Klägerin verlangt wegen Kontamination des Aushubmaterials zusätzliche Vergütung in Höhe von insgesamt 180.954,34 € nebst Zinsen.
[6] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte zu 3 zur Zahlung von 1.094,82 € wegen einer anderen, in der Revision nicht mehr interessierenden Leistung verurteilt und im Übrigen die Klageabweisung bestätigt.
[7] Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche auf zusätzliche Vergütung wegen Kontamination des Aushubmaterials weiter, nicht dagegen einen Restvergütungsanspruch in Höhe von 7.518,28 € für Rohranschlüsse.
[8] Entscheidungsgründe: Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 und 2 insgesamt und im Verhältnis zur Beklagten zu 3 hinsichtlich eines 7.518,28 € nebst Zinsen übersteigenden Betrags zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[9] I. Das Berufungsgericht führt aus, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Mehrvergütung der im Zusammenhang mit den behaupteten Kontaminationen entstandenen Kosten nicht zu.
[10] Der Klägerin sei gemäß den maßgeblichen Vertragsunterlagen und sonstigen Umständen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein außergewöhnliches Wagnis aufgebürdet worden. Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. K. habe zwar bei seiner Anhörung im Termin vom 23. Juni 2010 zunächst ausgeführt, dass ein Bieter mangels Feststellungen in der Baugrunduntersuchung zum Salzgehalt der Asphaltdeckschicht davon habe ausgehen dürfen, dass dieser Parameter auch ansonsten keine Rolle spiele. Auf Vorhalt der Einwände der Beklagten habe der Sachverständige sodann in seiner Stellungnahme vom 17. Januar 2011 allerdings klargestellt, dass sich mangels einer Untersuchung der Asphaltdeckschicht auf eine Chloridbelastung für einen verständigen Bieter gerade nicht der Schluss habe aufdrängen dürfen, eine solche Belastung komme in den darunter befindlichen, hier relevanten Bodenschichten überhaupt nicht vor. In seiner weiteren Anhörung am 9. März 2011 habe der Sachverständige schließlich ausgeführt, dass eine Untersuchung der Asphaltdecke auf Chloride ohnehin üblicherweise nicht stattfinde, so dass sich aus dem vorliegenden Befund (keine Hinweise auf eine Chloridbelastung dieser Schicht) für die als Fachunternehmen ausreichend verständige Klägerin keinesfalls der Schluss habe aufdrängen dürfen, die darunter liegende Schicht sei auf jeden Fall ohne Einschränkungen zu verwenden.
[11] Dies gelte hier umso mehr, als der fachkundigen Klägerin durchaus hätte bekannt sein können, dass der betreffende Streckenabschnitt angesichts seiner örtlichen Lage winterdienstlicher Behandlung ausgesetzt gewesen sein könnte, möge hieraus auch – zu Gunsten der Klägerin unterstellt – eine Salzbelastung nicht zwingend resultieren. Hinzu komme, dass nach den weiteren Erörterungen des Sachverständigen eine Salzbelastung in dieser Schicht ohnehin selten vorkomme, mithin eine diesbezügliche Untersuchung dieser Schicht auf eine solch seltene Belastung auch nicht naheliege. Umso weniger habe Anlass für einen durchschnittlichen Bieter bestanden, allein aus dem Fehlen weiterer Angaben zu einer vorhandenen Chloridbelastung der Deckschicht sicher zu schließen, dass eine solche auch in den darunter liegenden Schichten nicht auftreten würde.
[12] Zu keinem anderen Ergebnis führe auch der von der Klägerin angeführte Umstand, dass in vergleichbaren Fällen bei entsprechenden Anhaltspunkten stets auf eine Kontamination in den Ausschreibungsunterlagen hingewiesen worden sei. Hieraus ergebe sich weder ausdrücklich noch konkludent eine Übernahme des Risikos etwaiger Kontaminationen durch den Bauherrn.
[13] II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[14] 1. In der Revision ist davon auszugehen, dass die von der Klägerin behaupteten Kontaminationen des Aushubmaterials vorliegen.
[15] 2. Die Auslegung, welche Leistung von der Vergütungsabrede in einem Bauvertrag erfasst wird, obliegt dem Tatrichter. Eine revisionsrechtliche Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 12; Urteil vom 22. Juli 2010 – VII ZR 213/08, BGHZ 186, 295 Rn. 13 m. w. N.). Das Berufungsgericht hat gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze verstoßen.
[16] a) Ein Bieter darf die Leistungsbeschreibung einer öffentlichen Ausschreibung nach der VOB/A im Zweifelsfall so verstehen, dass der Auftraggeber den Anforderungen der VOB/A an die Ausschreibung entsprechen will (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 15; Urteil vom 11. März 1999 – VII ZR 179/98, BauR 1999, 897, 898 = ZfBR 1999, 256; Urteil vom 9. Januar 1997 – VII ZR 259/95, BGHZ 134, 245, 248; Urteil vom 11. November 1993 – VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64, 68). Danach sind die für die Ausführung der Leistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, wie z. B. Bodenverhältnisse, so zu beschreiben, dass der Bewerber ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. Die “Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung” in Abschnitt 0 der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen, DIN 18299 ff., sind zu beachten, § 9 Nr. 1 bis 3 VOB/A a. F. (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 15). Sowohl nach DIN 18299 [Ausgabe 2000] Abschnitt 0. 1. 18 (ebenso DIN 18299 [Ausgabe 2006] Abschnitt 0. 1. 20) als auch nach DIN 18300 [Ausgabe 2000 und Ausgabe 2006] Abschnitt 0. 2. 3 ist in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 22). Die ausdrückliche Angabe einer Bodenkontamination ist allerdings nicht in jedem Fall zwingend; sie kann unterbleiben, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass eine derartige Kontamination vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 22). Denn in solchen Fällen ist den in § 9 VOB/A a. F. zum Schutz des Bieters enthaltenen Ausschreibungsgrundsätzen Genüge getan, weil dieser auch ohne Angaben in der Ausschreibung eine ausreichende Kalkulationsgrundlage hat.
[17] b) Diese Auslegungsgrundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Der Senat kann die fehlerhafte Auslegung des Berufungsgerichts durch eine eigene Auslegung der mit den Beklagten geschlossenen Verträge ersetzen, da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind.
[18] Danach haben die Beklagten die betreffenden Bodenschichten schadstofffrei ausgeschrieben. Dabei kann dahinstehen, ob sich das bereits daraus ergibt, dass – wie die Klägerin behauptet – in vergleichbaren Fällen in den Ausschreibungsunterlagen stets auf eine Schadstoffbelastung hingewiesen worden ist, weshalb die Klägerin wegen dieses Ausschreibungsverhaltens habe annehmen dürfen, dass der Boden nicht kontaminiert sei. Der Boden ist schon deshalb als unbelastet ausgeschrieben, weil die Beklagten in ihrer Ausschreibung keine Angaben zu einer möglichen Chlorid- oder sonstigen Schadstoffbelastung gemacht haben. Die Beklagten waren gemäß DIN 18300 Abschnitt 0. 2. 3 gehalten, nach den Erfordernissen des Einzelfalls Angaben zur Schadstoffbelastung nach Art und Umfang zu machen. Es liegen keine Umstände vor, wonach die Beklagten von Angaben zu relevanten Schadstoffbelastungen hätten absehen können.
[19] Sie machen nicht geltend, dass ihnen eine Untersuchung des Bodens vor der Ausschreibung auf eine Belastung der unterhalb der Tragschicht gelegenen Bodenschicht unzumutbar gewesen wäre. Es kann deshalb dahinstehen, wie eine Ausschreibung ohne Angaben zu Kontaminationen im Einzelfall zu verstehen ist, wenn der Auftraggeber auf eine Bodenuntersuchung verzichtet, weil diese einen unzumutbaren Aufwand erfordert.
[20] Allein der Umstand, dass die Bieter – auch wegen eventueller Kenntnisse vom Winterdienst auf der betreffenden Straße – mit dem Vorliegen einer Chloridkontamination rechnen mussten, rechtfertigte es nicht, von Angaben dazu in der Ausschreibung abzusehen. Angaben zu Kontaminationen sind entbehrlich, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass der auszuhebende Boden kontaminiert ist. Ein derartiger Fall liegt hier angesichts der vom Berufungsgericht übernommenen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. K., wonach eine Salzbelastung in derartigen Bodenschichten selten vorkommt (vgl. Protokoll des Termins vom 9. März 2011, Seite 3), nicht vor.
[21] Ergibt sich eine Schadstoffbelastung aus den gesamten Vertragsumständen nicht klar, sind Angaben dazu nach Art und Umfang grundsätzlich erforderlich.
[22] DIN 18300 Abschnitt 0. 2. 3 dient gerade dazu, die bestehende Ungewissheit zu beseitigen und dem Bieter eine ausreichende Kalkulationsgrundlage zu verschaffen.
[23] Die Klägerin durfte davon ausgehen, dass sich die Beklagten an die Ausschreibungsregeln halten. Sie durfte deshalb aus dem Umstand, dass eine Schadstoffbelastung des Bodens nach Art und Umfang nicht angegeben war, den Schluss ziehen, dass die Beklagten den Aushub schadstofffreien Bodens ausgeschrieben hatten. Genauso war das Angebot der Klägerin zu verstehen, das die Beklagten angenommen haben. Die Parteien haben danach den Aushub schadstofffreien Bodens vereinbart.
[24] III. 1. Das Berufungsurteil kann nach alledem, soweit im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 und 2 insgesamt und im Verhältnis zur Beklagten zu 3 hinsichtlich eines 7.518,28 € nebst Zinsen übersteigenden Betrags zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, mit der gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben. Es ist in diesem Umfang aufzuheben. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
[25] 2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
[26] a) Das Berufungsgericht wird Feststellungen zu den von der Klägerin behaupteten Kontaminationen des Aushubmaterials zu treffen haben. Dabei wird zu beachten sein, dass die Klägerin nicht nur Chloridkontaminationen, sondern auch Arsenkontaminationen behauptet hat (vgl. insbesondere Schriftsatz vom 2. Juni 2009, Seite 7).
[27] b) Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die von der Klägerin behaupteten Kontaminationen vorliegen, wird es sich mit den geltend gemachten Mehrvergütungsansprüchen zu befassen haben.

Kurz belichtet: Bodenkontamination klar erkennbar: Kein ausdrücklicher Hinweis erforderlich

Kurz belichtet: Bodenkontamination klar erkennbar: Kein ausdrücklicher Hinweis erforderlich

OLG Naumburg, Urteil vom 27.06.2019 – 2 U 11/18

1. Die ausdrückliche Angabe einer Bodenkontamination in den Vergabeunterlagen ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass eine derartige Belastung vorliegt.

2. Ein 58 Seiten umfassender geotechnischer Bericht kann nicht dadurch wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen werden, dass in der allgemeinen Baubeschreibung ein Hinweis auf ihn und darauf erfolgt, dass Bieter die Möglichkeit einer Einsichtnahme erhalten.

3. Ein Bieter darf bei einem erkennbar lückenhaften Leistungsverzeichnis nicht einfach von einer ihm günstigen Preisermittlungsgrundlage ausgehen, sondern muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebots zu klären versuchen.

OLG Köln zu der Frage der Durchführung von Erkundigungsmaßnahmen, wenn sich beim Baugrund Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung ergeben und zu der Frage, dass die Leistungsbeschreibung grundsätzlich eine Bestätigung enthalten muss, aus der sich ergibt, dass die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen zu Erkundigungs- und Räumungspflichten erfüllt wurden

OLG Köln zu der Frage der Durchführung von Erkundigungsmaßnahmen, wenn sich beim Baugrund Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung ergeben und zu der Frage, dass die Leistungsbeschreibung grundsätzlich eine Bestätigung enthalten muss, aus der sich ergibt, dass die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen zu Erkundigungs- und Räumungspflichten erfüllt wurden

vorgestellt von Thomas Ax

1. Zu den Anforderungen an eine durch den Auftraggeber erklärte Kündigung aus wichtigem Grund, wenn der mit der Gestaltung von Außenanlagen beauftragte Auftragnehmer unter Berufung auf eine ungeklärte Kampfmittelfreiheit der Baustelle die Ausführung der Arbeiten verweigert.
2. Für den (hier: öffentlichen) Auftraggeber bestehen hohe Anforderungen hinsichtlich der Durchführung von Erkundigungsmaßnahmen, wenn sich beim Baugrund Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung ergeben. Verdachtsflächen sind auf Kampfmittelbelastung zu untersuchen, zu bewerten und gegebenenfalls zu räumen. Auf entsprechende Maßnahmen kann verzichtet werden, wenn in dem betroffenen Bereich der Luftkrieg stattgefunden hat und die geschuldeten Arbeiten in einem Bereich bis 0,8 m unterhalb der Geländeoberkante 1945 oder in nach dem Krieg erfolgten Aufschüttungen stattfinden und erschütterungsarm durchgeführt werden sollen.
3. Der Auftraggeber, der das Vergaberecht zu beachten hat, muss schon bei der Ausschreibung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A 2019 die wesentlichen Bodenverhältnisse beschreiben. Aus § 8a Abs. 3 Satz 1 VOB/A 2019, ATV DIN 18299 Abschnitt 0.1.17 folgt, dass die Leistungsbeschreibung grundsätzlich eine Bestätigung enthalten muss, aus der sich ergibt, dass die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen zu Erkundigungs- und Räumungspflichten erfüllt wurden. Das Fehlen dieser Bestätigung berechtigt den Auftragnehmer nicht schlechthin zur Leistungsverweigerung, soweit die Kampfmittelfreiheit durch andere Umstände hinreichend nachgewiesen wird.
4. In Nordrhein-Westfalen steht der zuständigen Ordnungsbehörde die maßgebliche Entscheidungskompetenz zu, ob und welche Untersuchungsmaßnahmen im Einzelfall erfolgen.
5. Wenn ein Auftraggeber seiner Pflicht zur Klärung der Kampfmittelfreiheit des Baugeländes nahezu vollständig nachgekommen ist (hier: mindestens 85 % des zu bearbeitenden Bereichs), verletzt der Auftragnehmer seine bauvertragliche Kooperationspflicht, wenn er seine Leistung vollständig verweigert, obwohl ihm Arbeiten in wesentlichen Teilbereichen gefahrlos möglich wären.
OLG Köln, Urteil vom 25.10.2023 – 16 U 130/22
vorhergehend:
LG Bonn, 13.07.2022 – 13 O 207/21
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem infolge unterschiedlicher Ansichten zur Kampfmittelsituation des Baugrunds gekündigten Bauvertrag.
Unter der Vergabenummer ### betrieb die Beklagte im Jahr 2019 eine öffentliche Ausschreibung bezüglich der Erstellung der Außen-/Freianlagen rund um die bereits errichtete Dreifachturnhalle des Schul- und Sportparks ### in ###, gelegen an der E-straße zwischen der sich im Norden befindenden ### und dem südöstlich gelegenen Theater ###. Inhalt der ausgeschriebenen Baumaßnahme war die Anlage von Wegen, Stellplätzen und Anpflanzungen sowie eine Geländeaufschüttung auf der nordöstlichen Seite zum Haupteingang und die Errichtung einer Treppenanlage auf der Südseite. Die Ausschreibung umfasste u.a. die Aushebung von 19 Baum-Pflanzgruben mit einer Tiefe von 100 bis 140 cm (LV-Pos. 04.00.0004).
Kanalarbeiten waren nicht Gegenstand der Ausschreibung, vielmehr hatte die Fa. ### die für die Errichtung des Regenwasserkanals bis zu einer Tiefe von 4 Metern erforderlichen Ausgrabungen bereits durchgeführt und dabei an den vorgesehenen Stellen Ableitungen des Kanals bis ca. 1 Meter unterhalb der Geländeoberfläche geführt und diese mit Anschlussstutzen versehen. Zu der Erstellung der Außen-/Freianlagen gehörte aber die Entwässerung etwa der herzustellenden Pflasterflächen, wofür die Aushebung von Rohrleitungsgräben mit einer durchschnittlichen Tiefe von 80 bis 125 cm (LV-Pos. 04.00.007) ausgeschrieben und die entsprechenden Entwässerungsleitungen an den seitens der Fa. ### errichteten Regenwasserkanal anzuschließen waren.
Zu den Ausschreibungsunterlagen gehörte ein “1. Bericht zum Baugrund” der ### GmbH – verfasst von deren Geschäftsführer Dipl.-Geol. ### – vom 07.03.2017, in dem es auf Seite 27 (LG-173) u.a. heißt: “Beim Landesbetrieb Kampfmittel in ### ist über das Ordnungsamt der Stadt ### eine Anfrage bezüglich des Kampfmittelverdachts und des weiteren Vorgehens bei Aushub/Baugrubensicherung gestellt worden. [Die betroffene Stadt] war im II. Weltkrieg als Verkehrsknotenpunkt wiederholt Ziel von Luftangriffen, die sich auf den Bahnhofsbereich konzentrierten. Nach der Besprechung im Februar 2017 ist ein Blindgängerverdacht vorhanden. Ggf. empfiehlt sich eine Beräumung im Zuge der Kanalbauarbeiten vorzunehmen, da evtl. eine Verbau erforderlich wird. Die Erkundung des Blindgängers ist in Abstimmung mit einer Fachfirma für Kampfmittelräumung (z. B. Fa.###, die auch beim Neubau Mensa gearbeitet hatte) vorzunehmen.”

Der in dem Bericht genannte Blindgängerverdacht beruhte auf einer Luftbildauswertung, wurde im Rahmen der Kanalarbeiten der Fa. ### seitens der Beklagten überprüft und dabei der Verdacht ausgeräumt.
Die Klägerin gab mit Schreiben vom 12.04.2019 ein Angebot mit der Auftragssumme 674.650,74 Euro ab (LG-32 ff.). Mit Schreiben vom 28.05.2019 erteilte die Beklagte der Klägerin unter Einbeziehung der VOB/B den Auftrag, wobei der Baubeginn am 08.07.2019 und die Fertigstellung bis zum 31.10.2019 erfolgen sollte.

Nach dem Vertragsschluss kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien über den Umfang der notwendigen Aufklärung über die aus dem II. Weltkrieg resultierende Kampfmittelbelastung der von der Klägerin zu bearbeitenden Flächen und der dazu abgegebenen Erklärungen der Beklagten. Dabei besteht indes ein grundsätzliches Einvernehmen der Parteien dahingehend, dass bei Arbeiten bis zu einer Tiefe von 0,8 m GOK 1945 (= zum Kriegsende 1945 bestehende Geländeoberkante) die Kampfmittelbelastung keine Rolle spielt, wenn die Erdarbeiten nicht mit erheblichen mechanischen Belastungen verbunden sind.

Im Einzelnen ergaben sich insbesondere folgende Ereignisse:
27.06.2019: In einer Baubesprechung vor Ort bestätigt Herr ### vom Bauamt der Beklagten der Klägerin, es bestehe eine Kampfmittelfreiheit (s. das Besprechungsprotokoll vom 01.07.2019, LG-62).
15.07.2019: Die Klägerin richtet die Baustelle ein.
16.07.2019: Herr ### erklärt in einer Baubesprechung vor Ort, in Korrektur der Erklärung vom 27.06.2019 könne eine Kampfmittelfreiheit nicht bescheinigt werden, der Bauherr sei aber in Rücksprache mit den zuständigen Ordnungsbehörden seiner erforderlichen Sorgfaltspflicht nachgekommen (s. das Besprechungsprotokoll vom 17.07.2019, LG-65).
18.07.2019: Die Klägerin übersendet der Beklagten eine Behinderungsanzeige, da keine Kampfmittelfreiheit bestehe (LG-69 f.) und stellt die Arbeiten vollständig ein. Die Beklagte weist die Behinderung mit Schreiben vom gleichen Tag zurück, zum Thema Kampfmittel habe man die unternommenen Schritte mehrfach erläutert (LG-71 f.).
19.07.2019: Die Klägerin weist die Beklagte schriftlich darauf hin, dass ihre Behinderungsanzeige aufrecht erhalten bleibt (LG-74).
22.07.2019: Die Beklagte fordert die Klägerin schriftlich zur Aufnahme der Arbeiten zum 23.07.2019 sowie zur fristgerechten Fertigstellung der Arbeiten auf (LG-76). Die Klägerin wiederholt schriftlich ihre Behinderungsanzeige wg. “Fehlende(r) Bestätigung der Kampfmittelfreiheit” (LG-77 f.) und erklärt der Beklagten in einem weiteren Schreiben, dass diese in Verzug gesetzt werde (LG-79 f.).
23.07.2019: Die Beklagte schreibt der Klägerin u.a. (LG-81):
“Im Protokoll vom 16.07.2019 wurde festgehalten, dass eine Kampfmittelfreiheit nicht bestätigt werden kann. Dieses bezieht sich aber gemäß der fortgeführten Erläuterung in dem Protokoll und der Klarstellung im Schreiben vom 18.07.2019 auf die Luftbildauswertung. Die Luftbildauswertung kann in der Tat keine Aussagen über die Bestandteile der nachweislich, nach Abschluss der Kriegshandlungen erfolgten Aufschüttungen machen. Gemäß geltender Erlasslage, einschlägigen Hinweisen zur Verfahrensweise wurden Recherchen zu der Zeit der Aufschüttung getätigt. Damit ist auch der Bereich des Aufbaues der bereits bebauten Flächen (Aufschüttung und Bodenbelagsaufbau) als “kampfmittelfrei” zu bewerten. Bereits mit Schreiben vom 18.07.2019 haben wir Ihnen dies mitgeteilt und erläutert, dass alle notwendigen Schritte im Sinne der “Kampfmittelfreiheit” in Rücksprache mit den für die “Kampfmittelfreiheit” zuständigen Fachbehörden erfolgt sind und das Baufeld für die vorgesehenen, planerisch dokumentierten Arbeiten als “kampfmittelfrei” – nach Stand der Technik und der einschlägigen Richtlinien – zu bewerten ist. Dies gilt umso mehr, da sich die Eindringtiefe im Ostbereich der Halle – aufgrund des guten Untergrundes – nunmehr verringern wird. Hierzu werden Sie noch gesonderte Informationen durch unsere Bauleitung erhalten.”
24.07.2019: Schreiben der Beklagten an die Klägerin (LG-1381), u.a. mit folgendem Inhalt:
“entsprechend unserer heutigen Besprechung führen Sie noch einige oberflächennahe Arbeiten aus, zudem sind Sie … morgen zum Zwecke der Erstellung von Probeschürfungen um ca. 07:00 Uhr auf der Baustelle. Nach diesen Arbeiten wird die Ausführung bis zur Vorlage der erforderlichen Deklarationen bis einschließlich Montag, den 29.07.2019 ruhen. Im Zeitraum von Dienstag-Freitag von 07:30 bis 16:30 steht für die Arbeiten begleitend ein Fachkundiger nach § 20 Sprengstoffgesetz (Befähigungsschein) zur Verfügung. Den entsprechenden Anweisungen des Sachkundigen muss, mit begleitender Information der Bauleitung, Folge geleistet werden.”
31.07.2019: In einem Schreiben der Bezirksregierung ### (OLG-209) an das Ordnungsamt der Beklagten nimmt die Bezirksregierung auf ein Schreiben des Ordnungsamtes vom 24.07.2019 Bezug und empfiehlt diesem, wegen Luftbilder-Hinweisen auf vermehrte Bombenabwürfe (s. insoweit den Plan der Bezirksregierung, LG-1259) einen Antrag auf Kampfmitteluntersuchung zu stellen.
05.08. bis ###: Briefwechsel der vorprozessual für die Klägerin tätigen Rechtsanwälte
08.08.2019: ### (verfasst von dem nunmehr für die Prozessbevollmächtigten der Klägerin tätigen Rechtsanwalt ###) mit dem für die Beklagte bereits vorprozessual beauftragten Rechtsanwalt ###.
14.08.2019###Im Anschluss an eine Baubesprechung übersendet der Beklagten-Vertreter dem Kläger-Vertreter gemäß E-Mail vom selben Tag (LG-128) insbesondere folgende Unterlagen [s. auch den Tatbestandsberichtigungsbeschluss des Landgerichts vom 27.07.2022 (LG-1590) iVm S. 14 der Klageerwiderung (LG-380)]:
– Schreiben der ### GmbH vom 15.07.2019, verfasst von Dipl.-Geol. ### (LG-396 f.),
– Merkblatt für Baugrundeingriffe (LG-391-395),
– Lageplan mit Angabe der Auffüllhöhen [dabei handelt es sich um den Plan “Kampfmitteluntersuchung” (= Anlage B8, LG-1297), s. die Zuordnung in der Klageschrift (LG-16 f.) und in der Klageerwiderung (LG-373)]
– Bestätigung der ### GmbH vom 01.08.2019 über das Ergebnis der Störkörpersuche (LG-403 f.),
– Farbig markiertes Luftbild der Störkörpersondierung (LG-405),
– Schreiben des Ordnungsamtes vom 14.08.2019 an den “Stadtbetrieb Zentrales Immobilienmanagement ZIM Im Hause” (LG-398 f.),
– Schema zur Lage der GOK 1945 und Auffüllungen (LG-437)
15.08.2019: Unter Bezugnahme auf die übermittelten Unterlagen verweigert die Klägerin gemäß Schreiben der Rechtsanwälte M. weiterhin die Fortsetzung der Arbeiten (LG 442-445).
16.08.2019: Der Beklagten-Vertreter erklärt wegen Verletzung der Kooperationspflichten eine Teilkündigung des Vertrags (LG 446-449).
04.09.2019: Herr ### (Bauamt der Beklagten) wendet sich per E-Mail mit Unterlagen an das Ordnungsamt der Beklagten und bittet u.a. um eine Handlungsempfehlung für die weiteren Maßnahmen im nachkriegsaufgeschütteten Bereich (OLG-205 f.)
09.09.2019: Das Ordnungsamt der Beklagten stellt einen “Antrag auf Kampfmitteluntersuchung” an die Bezirksregierung für eine Fläche “gem. LBA 8.100 m². Arbeitsbereiche – nur im aufgeschüttetem Bereich ca. 1200 m²” (OLG-200 f.) mit einer Begleit-Mail “mdB um eine konkrete Handlungsempfehlung” (OLG-208) sowie einem Plan (Anlage B25 = LG-453) mit Angaben zur Luftbildauswertung und Arbeitsbereichen im nachkriegsaufgeschütteten Bereich. In der E-Mail-Antwort der Bezirksregierung vom gleichen Tag (OLG-207) heißt es:
“In den übersendeten Unterlagen werden Aufschüttungen von bis zu 4 Metern bekannt gegeben. Ohne die Entfernung dieser Aufschüttungen ist eine Kampfmittelräumung ab der Oberfläche (GOK 1945) nicht möglich. Im Zuge der Arbeitssicherheit ist es mir nicht mehr möglich Ihnen eine Handlungsempfehlung zu geben, somit obliegt dieses Ihnen oder dem Bauherren.”
02.10.2019: Mit anwaltlichem Schreiben teilt die Beklagte der Klägerin die Ergebnisse weiterer interner Prüfungen mit und fordert diese bis zum 18.10.2019 zur Wiederaufnahme der (nach Teilkündigung noch geschuldeten) Arbeiten auf und kündigt die Entziehung des Gesamtauftrags an (LG-1397 ff.).
04.10.2019: Das Ordnungsamt teilt dem “Stadtbetrieb Zentrales Immobilienmanagement ZIM Im Hause” u.a. schriftlich mit (OLG-636), die beabsichtigten Bauarbeiten in nach 1945 erfolgten Aufschüttungen könnten unter Beachtung der üblichen Vorkehrungen ohne weitere Kampfmittelüberprüfungen durchgeführt werden.
25.10.2019: Die Beklagte kündigt den Bauvertrag wegen fruchtlosen Fristablaufs (LG-459).
Allein auf diese Kündigung vom 25.10.2019 hat die Klägerin ihre Zahlungsklage gestützt. Sie hat für bereits erbrachte Leistungen und “Stillstandsvergütung” einen auf Basis ihrer von der Beklagten teilweise gekürzten Rechnung vom 28.12.2019 (LG-176 ff.) im Einzelnen berechneten Restvergütungsanspruch iHv 340.019,66 Euro brutto (vgl. LG-25 f.) und als “Kündigungsvergütung” einen weiteren, gemäß Schreiben vom 31.12.2019 (LG-245 ff.) berechneten Zahlungsanspruch iHv 295.703,39 Euro netto geltend gemacht sowie Privatgutachterkosten iHv insgesamt 2.562,83 Euro brutto (Berechnung s. LG-28 f.) sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten iHv 5.514,50 Euro netto (Berechnung s. LG-30) begehrt. Vorprozessual hat die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 06.03.2020 die Beklagte bezüglich der beiden Rechnungen sowie der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zum Zahlungsausgleich bis zum 31.03.2020 aufgefordert (LG- 334 f.).
Die Beklagte hat gegenüber einem unstreitigen Vergütungsanspruch der Klägerin in Höhe von 10.672,81 Euro die Aufrechnung mit anwaltlichen Gebühren in Höhe von 6.736,35 Euro, Maßnahmen zur Störkörperdetektion in Höhe von 3.748,50 Euro und Architektenkosten in Höhe von 5.337 Euro erklärt.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, es liege eine freie Kündigung der Beklagten vor, denn diese habe keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Bauvertrages gehabt. Ihr – der Klägerin – habe ein Recht zur Leistungsverweigerung zugestanden, weil die Beklagte zu der Frage der Kampfmittelbelastung des Baugeländes nur unzureichende Auskünfte erteilt habe und sie deshalb nicht verpflichtet gewesen sei, auf Basis der von der Beklagten übersandten Informationen die Arbeiten fortzuführen. Insbesondere seien die Bereiche des Baufeldes ohne Luftbildauswertung insgesamt mehr als 100 qm groß (LG-652).
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie
1.) 340.019,66 Euro,
2.) 295.703,39 Euro und
3.) 2.562 83 Euro,
dies jeweils nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 sowie
4.) 5.514,50 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung gewesen, ihre Kündigung sei als außerordentliche Kündigung aus wichtigen Grund gemäß §§ 8 Ziff. 3 Abs. 1, 5 Nr. 4 VOB/B wirksam, da die zuständigen Behörden nach entsprechender Überprüfung die Kampfmittelgefahr verneint hätten und die Klägerin keine weitergehenden Informationen habe verlangen können, als diejenigen, welche sie erhalten habe.
Die Beklagte hat behauptet, sie habe der Klägerin zugestanden, die Entwässerungsleitungen dort, wo im westlichen Bereich keine Luftbildauswertung vorgelegen habe, oberhalb des frostfreien Bereiches von 0,8 m – und damit objektiv mangelhaft – anzulegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils in der Fassung des Tatbestandsberichtigungs-Beschluss vom 27.07.2022 (LG-1590 ff.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage nur iHv 15.023,75 Euro nebst Zinsen teilweise stattgegeben und sie im Übrigen in weit überschießender Höhe abgewiesen.
Im Hinblick auf die Klagezusprechung seien ein gemäß § 631 BGB berechtigter Vergütungsanspruch der Klägerin für erbrachte Leistungen iHv 10.672,81 Euro brutto als unstreitig sowie die Einwände der Beklagten gegen die Berechtigung der Position 09.0 iHv 4.350,94 Euro brutto als unsubstantiiert und damit unbeachtlich anzusehen. Verzug sei erst durch die Fristsetzung im Schreiben vom [zutreffend:] 06.03.2020 zum 01.04.2020 eingetreten.
Darüber hinausgehende Zahlungsansprüche stünden der Klägerin indes nicht zu, da die Gesamtkündigung der Beklagten vom 25.10.2019 gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 iVm § 5 Abs. 4 VOB/B wirksam erfolgt sei. Es habe ein Grund zur außerordentlichen Kündigung vorgelegen, da der Klägerin im Hinblick auf die streitgegenständliche Kampfmittelgefahr jedenfalls kein Leistungsverweigerungsrecht in einem Umfang zugestanden habe, der die vollständige Einstellung und Nichtwiederaufnahme der Arbeiten hätte rechtfertigten können.

Eine generell abzuklärende Kampfmittelgefahr habe von vornherein nur für die zwei Konstellationen bestanden, dass die Arbeiten (1.) unterhalb von 0,8 m GOK oder (2.) in den Aufschüttungen oberhalb der GOK 1945 und dies mit erheblichen mechanischen Belastungen erfolgen sollten. Die Klägerin unterliege einem entscheidenden Missverständnis sowie einer Fehlinterpretation der Schreiben des Ordnungsamtes und der Bezirksregierung, wenn sie meine, dass auch bei den Arbeiten, die ausschließlich im Bereich der nach 1945 erfolgten Aufschüttungen vorgenommen werden sollten, generell eine Luftbildauswertung bzw. weitergehende Sondierungsmaßnahmen erforderlich seien.

Die Beklagte habe ihre gegenüber der Klägerin bestehende Aufklärungspflicht spätestens mit den am 14.08.2019 übersandten Unterlagen und Erläuterungen hinreichend erfüllt. Sie habe dadurch hinreichend dargelegt, dass zumindest der überwiegende Teil der Arbeiten in Bereichen vorzunehmen sein würde, in welchen keine relevante Gefahr durch Kampfmittel bestehe. Die Verweigerung der Arbeiten auf dem gesamten Baugelände seitens der Klägerin sei nicht gerechtfertigt gewesen. Die damit verbundene Komplettverweigerung stelle eine erhebliche Pflichtverletzung der Klägerin dar, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten der umfangreichen Urteilsbegründung wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil richten sich die Berufung der Klägerin sowie die Anschlussberufung der Beklagten.
Mit ihrer Berufung begehrt die Klägerin weiterhin die Zusprechung der abgewiesenen Zahlungsanträge – mit Ausnahme der Privatgutachterkosten – sowie Verzugsbeginn bereits ab dem 01.02.2020.

Die Klägerin rügt im Einzelnen, das Landgericht habe den Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Weise fehlerhaft entschieden:
So habe das Landgericht ausser acht gelassen, dass die Beklagte ihr – der Klägerin – nicht alle notwendigen Informationen vorgelegt habe. Auch habe das Landgericht verkannt, dass die Beklagte als Bauherrin eine Erklärung zur Kampfmittelfreiheit des Baufeldes in Form einer Erklärung nach ATV DIN 18299, Abschnitt 0.1.17 der VOB/C schuldete, die nicht vorgelegt worden sei. Entgegen der Ansicht des Landgerichts reiche es nicht aus, dass der Bauherr nach Einschaltung der zuständigen Behörden dem Auftragnehmer lediglich Unterlagen zusendet und Argumente vorbringt, aus denen dieser ableiten soll, dass Kampfmittelfreiheit vorliegen könnte.
Das Landgericht habe zudem unberücksichtigt gelassen, dass die Bezirksregierung in der E-Mail vom 09.09.2019 darauf verwiesen habe, ihr sei ohne die Entfernung der festgestellten Aufschüttungen eine Kampfmittelräumung ab der Oberfläche (GOK 1945) nicht möglich. Die Beklagte habe bis heute keine Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ergebe, dass aufgrund ihres Antrages vom 09.09.2019 eine notwendige Kampfmitteluntersuchung durchgeführt worden sei. Es treffe zudem weder zu, dass nach 1945 entstandene Aufschüttungen nicht entfernt werden müssten, wenn nur in den Aufschüttungen Baumaßnahmen erfolgten, noch, dass Bereiche überbaut werden dürften, unter denen ungeklärte Kampfmittelverdachtsflächen liegen.
In Bezug auf die frostfrei zu verlegenden Rohrleitungen habe das Landgericht übersehen, dass wegen der Rohrdicke und des Bettungsmaterials eine Bearbeitungstiefe bis zu 130 cm unter GOK und im Hinblick auf das gebotene Gefälle sogar eine Tiefe von bis zu 200 cm unter GOK erforderlich gewesen wäre.

Weiterhin ist die Klägerin der Ansicht, die Beklagte habe zum Zeitpunkt der Kündigung gewusst, dass sie keine Erklärung zur Kampfmittelfreiheit gegenüber der Klägerin abgeben konnte, weil der größte Teil des Baugrunds weder von der Ordnungsbehörde der Beklagten, noch von der Bezirksregierung ### jemals auf Kampfmittelfreiheit überprüft worden sei. Insoweit vertieft die Klägerin ihr Vorbringen im Einzelnen um Erkenntnisse, die sie aufgrund von Akteneinsichten nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW bei der Bezirksregierung ### und auch bei der Beklagten erlangt hat. Dabei führt die Klägerin im Zusammenhang mit der Darstellung der von der Beklagten veranlassten Luftbildauswertungen u.a. auch aus, dass die Gesamtfläche des von ihr zu bearbeitenden Baugrundes sich auf [ca. 7.160 qm (s. OLG-156 f. unter Bezugnahme auf Anlage K47) bzw 8.100 qm (s. OLG-161, 163 unter Bezugnahme auf die Anlagen K49 f.) abzüglich ca. 3.000 qm für die Dreifachturnhalle (s. OLG-158 unter Bezugnahme auf Anlage K48) =] ca. 4.160 bis 5.100 qm belief. Schließlich trägt die Klägerin noch vor, ein von ihr bei der Luftdatenbank Dr. ### GmbH eingeholtes Auswertungsprotokoll vom 05.04.2023 habe ergeben, dass es zahlreiche Bombenabwürfe auf das Baufeld gegeben habe und fünf Blindgängerverdachtspunkte vorhanden seien (s. insoweit die Abbildung OLG-478), die von der Beklagten nicht untersucht worden seien.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des am 13.07.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Bonn – 13 O 207/21 – die Beklagte zu verurteilen, an sie
1.) einen weiteren Betrag iHv 324.995,91 Euro und
2.) einen Betrag iHv 295.703,39 Euro,
jeweils nebst Zinsen iHv 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 sowie
3.) einen Betrag iHv 5.514,50 Euro nebst Zinsen iHv 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und im Wege der Anschlussberufung,
das Urteil des Landgerichtes Bonn abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als die Beklagte über einen Betrag von Euro 3.935,98 zuzüglich Zinsen hinaus verpflichtet wurde.
Die Klägerin beantragt insoweit,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt zur Berufung im Einzelnen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zu den rechtlichen und tatsächlichen Hintergründen der Kampfmittelbelastung des Baugrundes vor und verteidigt insoweit das erstinstanzliche Urteil gegen die Rügen der Klägerin. Grundsätzlich meint die Beklagte, die Klägerin verkenne generell die Anforderungen an die Kampfmitteluntersuchung und gehe daher von einem tatsächlich nicht bestehenden Anspruch auf Abgabe einer Kampfmittelfreiheitsgarantie durch die Beklagte aus. Tiefbauarbeiten bis 0,8 m unter Geländeoberkante 1945 und in Aufschüttungen oberhalb der Geländeoberkante 1945 seien ohne weitere Kampfmittelabklärung zugelassen, soweit nicht mechanische Arbeiten mit erheblichem Erschütterungspotenzial ausgeführt würden. Auch seien Aufschüttungen oberhalb GOK 1945 nicht zwecks Sondierung der Kampfmittellage abzutragen, wenn bauliche Eingriffe in den Bereich unterhalb GOK 1945 gar nicht vorgesehen seien.
Mit ihrer Anschlussberufung moniert die Beklagte, das Landgericht habe den im Urteil erwähnten Hinweis auf die fehlende Substantiierung ihres Einwandes zur Position 09.0 tatsächlich nicht erteilt. Auf einen entsprechenden Hinweis hätte sie vorgetragen, dass die Abrechnung der Lieferung und Verarbeitung von 275 ³ Baumsubstrat je Euro 65,00 netto teilweise zu Unrecht erfolgt sei, da lediglich 225 ³ Baumsubstrat geliefert und dieses Material überhaupt nicht verarbeitet worden sei. Die fehlende Verarbeitung habe sie mit 25 % der Position in Abzug gebracht und den Vergütungsanspruch der Klägerin bei vollständig ausgeführter Leistung demzufolge mit 14.625,00 Euro sowie den nicht erbrachten Teil der Leistung mit 3.656,25 Euro ermittelt. Da sie ihre Aufrechnung nunmehr auf die ihr entstandenen anwaltlichen Gebühren in Höhe von 6.736,35 Euro beschränke, verbleibe eine Restvergütung der Klägerin von 3.935,98 Euro.
Die Klägerin erklärt sich zur Anschlussberufung bzgl der Position 09.0 ohne Anerkenntnis einer rechtlichen Verpflichtung mit einem Forderungsabzug iHv 2.000 Euro einverstanden. Die Aufrechnung der Beklagten mit eigenen Anwaltskosten scheitere daran, dass sie – die Klägerin – sich nicht in Verzug befunden habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsrechtszug wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
II.
Die Berufung der Klägerin hat keinen und die Anschlussberufung der Beklagten nur teilweise Erfolg.
A.
Berufung der Klägerin
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, denn der Klägerin stehen die mit der Berufung geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Im Einzelnen:
I.
Die mit den Anträgen zu 1. und 2. im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Vergütungsansprüche für aufgrund vorzeitiger Vertragsbeendigung nicht erbrachte Leistungen (abzüglich ersparter Aufwendungen) sind nicht berechtigt, denn die von der Beklagten am 25.10.2019 ausgesprochene Kündigung ist keine freie Kündigung, die der Klägerin gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B einen Vergütungsanspruch belässt. Die Kündigung seitens der Beklagten erfolgte vielmehr aus wichtigem Grund, so dass die Klägerin keine Vergütung für die von ihr noch nicht erbrachten Leistungen verlangen kann (vgl. BeckOK-Brüninghaus, VOB/B-Kommentar, Stand 31.07.2023, § 8 Abs. 3, Rz. 20).
1. Die außerordentliche Kündigung vom 25.10.2019 ist gemäß den §§ 8 Abs. 3 Nr. 1 iVm 5 Abs. 4 VOB/B aus wichtigem Grund erfolgt. Nach diesen Vorschriften kann der Auftraggeber den Auftrag kündigen (entziehen), wenn Arbeitskräfte, Geräte etc so unzureichend sind, dass Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden können, der Auftragnehmer einem Abhilfeverlangen des Auftraggebers nicht nachkommt und dieser dem Auftragnehmer fruchtlos eine Frist mit Androhung der Auftragsentziehung gesetzt hat. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, ist die Einstellung der Arbeiten der Extremfall der unzureichenden Ausstattung einer Baustelle mit Arbeitskräften im Sinn des § 5 Abs. 3 VOB/B (so auch OLG Stuttgart, Urt. v. 28.04.2020 – 10 U 294/19, NJW 2020, 3526, Rz. 70). Es stand auch fest, dass die vereinbarte Ausführungsfrist nicht eingehalten werden konnte, denn nach den vereinbarten Zeiten des Baubeginns (08.07.2019) und der Fertigstellung (31.10.2019) war ein Bauzeitraum von 3 Monaten und 3 Wochen vorgegeben, so dass im Zeitpunkt der seitens der Beklagten am 02.10.2019 erfolgten Fristsetzung eine Baufertigstellung bis zum 31.10.2019 ausgeschlossen war. Zudem hatte die Beklagte in ihrem Fristsetzungsschreiben vom 02.10.2019 auch im Sinne von § 5 Abs. 4 a.E. VOB/B die Entziehung des Gesamtauftrages angekündigt.
2. Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kann die Klägerin sich auch nicht im Hinblick auf eine ungeklärte Kampfmittelbelastung des Baugrundes auf ein der außerordentlichen Kündigung entgegenstehendes (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 27.09.2016 – 6 U 564/16; auch OLG Stuttgart, a.a.O., Rz. 70, 80) Leistungsverweigerungsrecht berufen. Denn während die Beklagte ihrer Pflicht zur Klärung der Kampfmittelbelastung des Baugrundes nahezu vollständig nachgekommen ist (dazu a.), hat die Klägerin durch ihre auf die teilweise ungeklärte Kampfmittelsituation gestützte vollständige Leistungsverweigerung ihre bauvertragliche Kooperationspflicht verletzt (dazu b.).
a. Die Beklagte war als Bauherrin grundsätzlich verpflichtet, der Klägerin zu bestätigen, dass die Anforderungen zu Erkundigungsmaßnahmen hinsichtlich Kampfmitteln erfüllt wurden [dazu (1)], dieser Verpflichtung ist sie nahezu vollständig nachgekommen [dazu (2)].
(1) Bei Bauvorhaben im Bundesgebiet besteht die generelle Problematik, dass Kampfmittel, insbesondere Bomben verschiedenster Art und Größe, auch nach dem Ende des II. Weltkrieges im Jahr 1945 immer noch im Zuge von Bauarbeiten aufgefunden werden, so dass im Vorfeld einer Baumaßnahme mit Erdbewegungen der Prävention ein großes Augenmerk zu widmen ist (s. das u.a. von der BG BAU Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (Gesetzliche Unfallversicherung) herausgegebene Merkblatt “Kampfmittelfrei bauen”, LG-84-119).
(a) Als öffentliche Auftraggeberin schuldete die Beklagte eine sach- und fachgerechte Kampfmittelerkundung (vgl. etwa Englert/di Pierro/Katzenbach in Beck`scher VOB- und Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2021, ATV 18299, Rz. 50; Englert, NZBau 2018, 641). Denn die Beklagte hat gemäß den §§ 97 ff. GWB zwingend das Vergaberecht zu beachten. Aus der damit verpflichtend einschlägigen VOB/A ergibt sich, dass die Beklagte gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A die für die Ausführung der Leistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, z.B. Boden- und Wasserverhältnisse, so zu beschreiben hat, dass das (Bau-)Unternehmen ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. Da gemäß § 8a Abs. 3 Satz 1 VOB/A die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (= ATV) grundsätzlich unverändert bleiben, ist die einschlägige ATV DIN 18299 anwendbar. Darin ist im Abschnitt 0.1.17 geregelt, dass in der Leistungsbeschreibung nach den Erfordernissen des Einzelfalls insbesondere die Bestätigung, dass die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen zu Erkundigungs- und gegebenenfalls Räumungsmaßnahmen hinsichtlich Kampfmitteln erfüllt wurden, anzugeben ist.
Das bereits erwähnte Merkblatt “Kampfmittelfrei bauen” enthält bezüglich der Bestätigung nach ATV DIN 18299 folgende Differenzierung (LG-106):
“Bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung, z. B. aufgrund der historischen Erkundung durch Rückfrage beim zuständigen Kampfmittelbeseitigungsdienst, … so genügt die schriftliche Bestätigung durch den öffentlichen Auftraggeber selbst. … Denn dann besteht für eine qualifizierte Bestätigung “im Einzelfall” kein Anlass. Bestehen hingegen Anhaltspunkte, … dann muss die Bestätigung der Kampfmittelsuche von einer zugelassenen Kampfmittelbeseitigungs-/räumfirma ausgestellt werden.”
(b) Da gemäß ATV DIN 18299 die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen maßgeblich sind, bestimmen sich Inhalt und Umfang der Kampfmittelerkundung im Streitfall nach dem in NRW einschlägigen öffentlichen Recht:
[1] Insoweit ist zunächst in den §§ 13 Satz 2, 52 BauO NW 2018 geregelt, dass Baugrundstücke für bauliche Anlagen geeignet sein müssen und der Bauherr für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften verantwortlich ist. Gemäß § 58 Abs. 1 und 2 BauO NW 2018 haben die Bauaufsichtsbehörden im Rahmen der Gefahrenabwehr darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden, und in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
[2] Die im Hinblick auf die Kampfmittelbelastung eines Baugrundstücks maßgeblichen Einzelheiten ergeben sich aus der “Richtlinie für die Zusammenarbeit zwischen den Bauaufsichtsbehörden und dem staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst” (Gemeinsamer Runderlass des Innenministeriums und des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 08.05.2006) [LG-387 ff.]. Darin heißt es u.a.:
“1 Allgemeines
Kampfmittelbeseitigung ist eine Aufgabe der Gefahrenabwehr und gemäß § 1 Abs. 1 Ordnungsbehördengesetz (OBG) Aufgabe der örtlichen Ordnungsbehörden. Zur Unterstützung der örtlichen Ordnungsbehörden unterhält das Land NRW einen Kampfmittelbeseitigungsdienst beim Dezernat 22 der Bezirksregierung Arnsberg (Bezirke: Arnsberg, Detmold und Münster) und Düsseldorf (Bezirke: Düsseldorf und Köln), der auf Anforderung der örtlichen Ordnungsbehörde Verdachtsflächen auf Kampfmittelbelastung untersucht, bewertet und räumt. … Auslöser für Flächenüberprüfungen sind in der Regel Bauvorhaben. …
2 Kampfmittelbelastung
Baugrundstücke müssen auch im Hinblick auf ihre Kampfmittelfreiheit für bauliche Anlagen geeignet sein. Dies ist insbesondere von Bedeutung bei Bauvorhaben auf Grundstücken, die in Bombenabwurfgebieten oder in ehemaligen Kampfgebieten des Zweiten Weltkriegs liegen und bei denen nicht unerhebliche Erdeingriffe vorgenommen werden. Den örtlichen Ordnungsbehörden ist in der Regel bekannt, wo Kriegshandlungen (Art und Ausmaß) stattgefunden haben und wo eine Kampfmittelbelastung existiert. …
3 Beteiligung des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes
Zum Schutz von Baumaßnahmen bei Bodeneingriffen werden die Grundstücke in kampfmittelbelasteten Bereichen gemäß § 16 Landesbauordnung (BauO NRW [Zusatz des Senats: in der damals gültigen Fassung]) nur dann überprüft, wenn die örtliche Ordnungsbehörde dies als erforderlich erachtet. …
Der KBD [Zusatz des Senats: = Kampfmittelbeseitigungsdienst] der Bezirksregierung ist die fachkundige Stelle, welche die von Kampfmitteln ausgehenden Gefahren ermittelt und bewertet und daraus abgeleitet das staatliche Handlungserfordernis festlegt. …
Die Aufgabenwahrnehmung durch die Bezirksregierung bei der Kampfmittelbeseitigung ist in der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen … geregelt.
4 Entfall einer Beteiligung des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes
Um die Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Ordnungsbehörden und den Bezirksregierungen möglichst effektiv und effizient zu gestalten, sollten den Bezirksregierungen nur solche Anträge auf Überprüfung zugeleitet werden, bei denen es sich um Flächen mit Kriegsbeeinflussung handelt und bei denen Baugrundeingriffe anstehen. In denjenigen Fällen, in denen es zu keinen oder nur unerheblichen Baugrundeingriffen kommt, kann auf eine Beteiligung der Kampfmittelbeseitigungsdienste verzichtet werden.
Für die Entscheidung der örtlichen Ordnungsbehörde über die Einschaltung des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes (Antrag an die Bezirksregierung / KBD) kommt es darauf an, dass der jeweilige Antrag von der auslösenden Bauaufsichtsbehörde hinreichend aussagekräftig der örtlichen Ordnungsbehörde zugeleitet wird. ….
Die Anträge auf Flächenüberprüfung sind durch die örtliche Ordnungsbehörde (basierend auf § 1 Abs. 1 OBG) beim Kampfmittelbeseitigungsdienst vorzulegen.
In den folgenden Fällen kann auf die Vorlage der Anträge an den Kampfmittelbeseitigungsdienst verzichtet werden: …
• in Bereichen, in denen ausschließlich der Luftkrieg stattfand, kann beim Bau ebenerdiger Nebenanlagen (Bodeneingriff allenfalls bis 0,8 m Tiefe bei Fundamenten, wenn hierbei das “Merkblatt für Baugrundeingriffe auf Flächen mit Kampfmittelverdacht ohne konkrete Gefahr” angewendet wird) auf die Beteiligung verzichtet werden. …”
[3] Das vorstehend erwähnte “Merkblatt für Baugrundeingriffe auf Flächen mit Kampfmittelverdacht ohne konkrete Gefahr” ist die Anlage 1 zu der ebenfalls vorstehend unter Ziffer “3” genannten Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen (s. LG 391-395). Diese hat u.a folgenden Inhalt:
“1. Thematik und Anwendungsbereich
Die örtliche Ordnungsbehörde ist für die Gefahrenabwehr und somit auch für den Schutz vor den von Kampfmitteln ausgehenden Gefahren zuständig. Zur Unterstützung der örtlichen Ordnungsbehörden unterhält das Land NRW bei den Bezirksregierungen Arnsberg und Düsseldorf einen staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst, der auf Anforderung der örtlichen Ordnungsbehörde Verdachtsflächen auf Kampfmittelbelastung untersucht, bewertet und räumt. Der Bedarfsträger (z.B. Bauherr, Architekt, Unternehmer usw.) wendet sich daher grundsätzlich an die örtliche Ordnungsbehörde.
Ermittelt der staatliche Kampfmittelbeseitigungsdienst anhand seiner Luftbilder, Räumdokumentation oder sonstigen Unterlagen einen hinreichenden Indikator für eine Kampfmittelbelastung, so überprüft er diesen Verdacht durch Erkundung, Detektion und feststellenden Bodeneingriff vor Ort. Wird hierdurch die Kampfmittelbelastung bestätigt, so leitet der Kampfmittelbeseitigungsdienst in Abstimmung mit der örtlichen Ordnungsbehörde die Räumung ein. …
Liegen dem Kampfmitteibeseitigungsdienst für die betreffende Fläche zwar keine hinreichenden Indikatoren für eine konkrete, jedoch für eine diffuse Kampfmittelbelastung vor, so teilt er dieses der örtlichen Ordnungsbehörde in seiner Stellungnahme mit; gegebenenfalls mit weiteren Empfehlungen. Die örtliche Ordnungsbehörde entscheidet dann darüber, ob und welche Sicherheitsmaßnahmen anzuwenden sind.
Für diesen Fall einer nicht verortbaren Kampfmittelbelastung ohne konkreten Indikator kann der Kampfmittelbeseitigungsdienst der örtlichen Ordnungsbehörde die Anwendung der im vorliegenden Merkblatt festgelegten Regeln und Maßnahmen empfehlen. Folgt die örtliche Ordnungsbehörde der Empfehlung, so ordnet sie deren Anwendung an. Zweck dieses Merkblatts ist es, den untersuchenden Stellen und Firmen eine relativ sichere, eigenverantwortliche Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu ermöglichen, ohne dabei von Beginn an den Kampfmittelbeseitigungsdienst beteiligen zu müssen. Es sollen sowohl der Verwaltungs- als auch der Organisationsaufwand begrenzt werden. …
2. Gefährdung
… Kampfmittel werden entweder oberflächennah ausgelegt, von erdgebundenen Waffen ausgebracht oder von Luftfahrzeugen abgeworfen. Bereits während des Krieges und hauptsächlich nach Kriegsende wurden Kampfmittel auch in Vertiefungen (Gräben, Krater, Gewässer usw.) verkippt. Oftmals sind sie auch in nicht geräumten Trümmerbereichen und Halden unerkannt verblieben. Die Endlage der Kampfmittel im Boden bestimmt sich daher aus ihrer Art, ihrer Form, ihrer Eindringgeschwindigkeit und der verzögernden Wirkung des Bodens. Da diese Parameter bei Fundmunition nicht bekannt sind, ist grundsätzlich bis zu einer Tiefe von 8m unterhalb der Geländeoberkante (GOK) mit Kampfmitteln zu rechnen (Gefährdungsband). Bezugsebene für die Bewertung der Kampfmittelbelastung ist die GOK zum Zeitpunkt des Kriegsendes (08.Mai 1945).
3. Grundsätze
Bei den nach Kriegsende vorgenommenen Geländeaufhöhungen (Aufschüttungen, Auffüllungen) ist deren Schichtdicke vorab zumindest abzuschätzen und mit den ersten Sondierungen zu ermitteln. Bei der Festlegung der Tiefe des Baugrundeingriffs ist diese Schichtdicke zu berücksichtigen. Das Gefährdungsband (8m) beginnt unterhalb der nach Kriegsende angelegten Aufhöhung. Liegt durchgängig anstehender Fels in einer Tiefe von weniger als 8m unter GOK, so endet das Gefährdungsband dort. … Alle Arbeiten des Baugrundeingriffs sind grundsätzlich ohne Gewaltanwendung und erschütterungsarm durchzuführen. …”
(c) Aus den unter den Ordnungspunkten (a) und (b) im Einzelnen zitierten Regelungen ergeben sich in der Gesamtschau folgende grundsätzlichen Anforderungen, die von der Beklagten als öffentliche Bauherrin bei der Klärung der Kampfmittelbelastung des Baugrundstücks zu beachten waren:
– Der öffentliche Bauherr hat die Kampfmittel-Lage bereits vor Baubeginn zu klären.
– Die Kampfmittelfreigabe des Baubereichs ist schriftlich zu dokumentieren, sie stellt aber keine Garantie dar.
– Da der Schutz vor den von Kampfmitteln ausgehenden Gefahren den örtlichen Ordnungsbehörden obliegt, sind diese sowohl der zuständige Ansprechpartner, als auch der maßgebliche Entscheidungsträger für die Fragen, ob und welche Untersuchungsmaßnahmen im Einzelnen erforderlich sind.
– Führt die historische Erkundung seitens der örtlichen Ordnungsbehörden, insb. anhand von Luftbildauswertungen, aber auch anhand sonstiger Archiv- oder allgemein erlangter Erkenntnisse, zu dem Ergebnis, dass kein Verdachtsfall vorliegt, sind keine weiteren Maßnahmen geboten. In diesem Fall kann die schriftliche Bestätigung durch den öffentlichen Auftraggeber selbst genügen.
– Können die vorstehend genannten Ermittlungen einen Kampfmittel-Verdacht nicht sicher ausschließen, wendet sich die örtliche Ordnungsbehörde grundsätzlich an die Bezirksregierung, die über einen staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst verfügt, der auf Anforderung der örtlichen Ordnungsbehörde Verdachtsflächen auf Kampfmittelbelastung untersucht, bewertet und ggfs. räumt.
– Die örtliche Ordnungsbehörde kann auf die Vorlage entsprechender Anträge an den Kampfmittelbeseitigungsdienst ausnahmsweise dann verzichten, wenn in Bereichen, in denen ausschließlich der Luftkrieg stattfand, Erdarbeiten allenfalls bis 0,8 m unterhalb der GOK 1945 und dies erschütterungsarm erfolgen sollen.
(2) Die Beklagte hat die genannten Anforderungen – bezogen auf die gesamte Baugrundstücks-Fläche – weitgehend dadurch erfüllt, dass sie der Klägerin am 14.08.2019 im Anschluss an eine Baubesprechung zur Kampfmittellage per E-Mail die im Tatbestand einzeln aufgeführten schriftlichen Unterlagen übersandt hat.
Der Senat folgt der Ansicht des Landgerichts, wonach sich aus diesen Schriftstücken für die Klägerin eindeutig ergab, dass zumindest der weit überwiegende Teil der Arbeiten in Bereichen vorzunehmen war, in welchen gemäß den unter dem vorstehenden Ordnungspunkt (c) festgehaltenen Leitlinien keine Kampfmittelgefahr bestand. Dies folgt daraus, dass nahezu für alle Bereiche des Baugebiets entweder Luftbildauswertungen vorlagen [s. nachfolgend (a)] und/oder Arbeiten in nachkriegsaufgeschütteten Erdschichten bis zu einer Tiefe von 0,8 m und ohne erhebliche mechanische Belastung vorgesehen waren [s. nachfolgend (b)]. Die von der Klägerin erhobenen grundsätzlichen Einwendungen stehen dieser Beurteilung nicht entgegen [s. nachfolgend (c)].
(a) Auf einer geschätzten Fläche von 50% des Baugrundes war die Kampfmittelbelastung durch Luftbildauswertungen geklärt.
Der Klägerin war mit E-Mail vom 14.08.2019 der Plan “Kampfmitteluntersuchung” (Anlage B8, LG-1297) übersandt worden, aus dem sich hinsichtlich der erfolgten Luftbildauswertung (dargestellt mittels einer durchgehenden Quer-Schraffierung) des Baugrundes (dargestellt mittels einer gestrichelten Linie, s. die Legende zu “Bearbeitungsgrenze Baugebiet”) für die Klägerin, die gegen die Richtigkeit der Planeintragungen keine Einwände erhebt, folgende – nach den Himmels-/Windrichtungen im Uhrzeigersinn geordnete – Erkenntnisse ergaben:
– Im nördlichen Bereich zur ### hin war insgesamt eine Luftbildauswertung bis hin zu dem östlich seitens der Fa. ### angelegten Regenwasserkanal (gekennzeichnet durch eine breite blaue Linie, s. die Legende zu “Kanal wird bauseitig erstellt (Fa. ###)”) erfolgt.
– Auch der Bereich östlich neben der Dreifachturnhalle bis zu dem genannten Regenwasserkanal war luftbildausgewertet.
– Das gleiche gilt für eine südöstlich von der Dreifachturnhalle zum Theater ### hin gekennzeichnete, teilweise über das Baugebiet hinausgehende Fläche.
– Ab dieser Fläche war der Bereich südlich der Dreifachturnhalle bis zu dem westlich der Dreifachturnhalle eingezeichneten zweiten Parkplatzbereich luftbildausgewertet.
– Der sich Richtung Norden anschließende Bereich an der Westseite der Dreifachturnhalle war bis etwa zur Hälfte der Dreifachturnhalle – mit Ausnahme des zweiten Parkplatzbereichs und der sich westlich daran anschließenden Freifläche – luftbildausgewertet.
– Ab der angesprochenen Hälfte der Dreifachturnhalle bis hin zur nördlich gelegenen ### war für ca. ein Drittel der Fläche eine Luftbildauswertung erfolgt.
Gemäß den obigen Angaben war somit die Kampfmittelbelastung insgesamt auf einer geschätzten Fläche von 50% des Baugrundes und dies auch durchaus in zusammenhängenden Teilstücken durch Luftbildauswertungen geklärt.
(b) Hinsichtlich der verbleibenden hälftigen Baugrundfläche war die Kampfmittelbelastungssituation bezüglich einer weiteren, auf mindestens 35% des Baugrundes zu schätzenden Fläche dadurch geklärt, dass der Baugrund in einem Bereich liegt, in dem im II. Weltkrieg ausschließlich der Luftkrieg stattgefunden hatte, weiter nach Kriegsende Erdaufschüttungen vorgenommen worden waren, und in diesen nachkriegsaufgeschütteten Erdschichten nunmehr Arbeiten bis zu einer Tiefe von 0,8 m und ohne erhebliche mechanische Belastung vorgesehen waren.
[1] Dass bei Arbeiten bis zu einer Tiefe von 0,8 m GOK 1945 (= die zum Kriegsende 1945 bestehende Geländeoberkante) die Kampfmittelbelastung bei fehlendem konkreten Verdacht keiner Aufklärung bedarf, wenn die Erdarbeiten nicht mit erheblichen mechanischen Belastungen verbunden sind, sieht grundsätzlich auch die Klägerin so. Dieser Grundsatz ergibt sich – mit der zusätzlichen Voraussetzung, dass das Bauvorhaben in einem Bereich liegt, in dem ausschließlich der Luftkrieg stattgefunden hatte – aus dem Zusammenspiel folgender Vorschriften: In Ziffer 4 der “Richtlinie für die Zusammenarbeit zwischen den Bauaufsichtsbehörden und dem staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst” ist festgehalten, dass in Bereichen, in denen ausschließlich der Luftkrieg stattgefunden hatte, bei einem Bodeneingriff von allenfalls bis 0,8 m Tiefe, wenn hierbei das “Merkblatt für Baugrundeingriffe auf Flächen mit Kampfmittelverdacht ohne konkrete Gefahr” angewendet wird, auf die Einschaltung des Kampfmittelbeseitigungsdienstes verzichtet werden kann. Das zitierte Merkblatt sieht unter Ziffer 3. vor, dass alle Arbeiten des Baugrundeingriffs grundsätzlich ohne Gewaltanwendung und erschüterungsarm durchzuführen sind.
[2] Die vorstehenden Voraussetzungen sind in Bezug auf eine weitere Baufläche von mindestens ca. 35% des gesamten Baugrundstücks erfüllt:
– Das Gebiet des heutigen Baugrundes war im II. Weltkrieg ausschließlich von Luftkriegsaktionen betroffen. Auch nach dem von der Klägerin vorgelegten Luftbild-Auswertungsprotokoll vom 05.04.2023 liegen für das Projektareal keine Hinweise auf Bodenkampfhandlungen vor (OLG-488).
– Das der Klägerin am 14.08.2019 überlassene E-Mail-Schreiben des Bodengutachters Dipl.-Geol. ### vom 15.07.2019 (LG-396 f.) enthält maßgebliche Aussagen zu dem Thema der Erdaufschüttungen, die zusammen mit den Ergebnissen der bereits erörterten Luftbildauswertung zu nachfolgend dargestellten Endresultaten der erneut nach den Himmels-/Windrichtungen im Uhrzeigersinn geordneten Bauflächen führen:
Die Auffüllung des Geländes erfolgte weitgehend in den 70er Jahren, also nach Kriegsende.
Die Auffüllungsunterkanten im Nordbereich der Dreifachturnhalle liegen erheblich tiefer als die Bau-Planhöhen, so dass der gesamte Nordbereich des Baugrundstücks unproblematisch ist. Insoweit ist der Nordbereich zusätzlich auch durch die diesbezüglich vorliegende Luftbildauswertung abgedeckt.
Im Ostbereich sind die Auffüllungsunterkanten ebenfalls erheblich tiefer als die Bau-Planhöhen, auch der gesamte Ostbereich des Baugrundstücks ist unproblematisch. Insoweit werden also hier die bei der Luftbildauswertung verbliebenen Lücken vollständig geschlossen.
Bezüglich des Südbereichs besteht die Einschränkung, dass im Südwestbereich die Sohlen der Entwässerungsleitungen z.T. etwas tiefer als die Unterkante der Auffüllung liegen. Da zu diesem Südwestbereich auch keine Luftbildauswertung vorliegt, verbleibt insoweit eine ungeklärte Teil-Fläche.
Im übrigen Westbereich liegen ein Teil der Sohlen der Entwässerungsleitungen (0,8 m unter Planhöhen) sowie die Gruben für die Bäume nur wenig unterhalb der Auffüllungsunterkante, hier ergibt sich also eine weitere ungeklärte Teil-Fläche.
– Dass die in den Aufschüttungen vorzunehmenden Erdarbeiten nicht mit erheblichen mechanischen Belastungen verbunden gewesen wären, hat bereits das Landgericht auf den Seiten 10 f. des angegriffenen Urteils auf Basis eines als unsubstantiiert bewerteten Vorbringens der Klägerin festgestellt – was diese mit der Berufung nicht angreift. Gegen eine mit erheblichen mechanischen Belastungen verbundene Vorgehensweise spricht im Übrigen auch, dass in dem E-Mail-Schreiben des Bodengutachters Dipl.-Geol. B. vom 15.07.2019 mehrfach bezogen auf die Arbeiten davon die Rede ist, diese seien unproblematisch.
– Anhand des der Klägerin am 14.08.2019 vorliegenden Planes (Anlage B8, LG-1297) addieren sich die zusätzlich zu den Resultaten der Luftbildauswertung geklärten Flächen auf geschätzte weitere mindestens 35%, so dass im Hinblick auf den Südwest- und Westbereich als Endergebnis eine ungeklärte Baugrund-Fläche von 15% verblieb.
– Dafür, dass die vorstehende Schätzung jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin ausfällt, sprechen auch Aspekte des erst- und zweitinstanzlichen Vorbringens der Klägerin. Erstinstanzlich hat die Klägerin erklärt, die Bereiche des Baufeldes ohne Luftbildauswertung seien insgesamt mehr als 100 qm groß gewesen, im Berufungsverfahren hat sie – wie im Tatbestand näher dargelegt – die Größe des von ihr zu bearbeitenden Baugrundes mit ca. 4.160 bis 5.100 qm angegeben. Selbst bei großzügiger Interpretation der Bezeichnung “mehr als 100 qm” und Verdopplung dieser Flächenangabe auf 200 qm betrug der Anteil der unzureichenden Kampfmittelaufklärung an der zugunsten der Klägerin angenommenen geringeren Baugrundfläche von 4.160 qm lediglich gerundete 5 %.
(c) Die von der Klägerin auf Basis der Berufungsrügen und ihrer Stellungnahme zu den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 16.08.2023 grundsätzlich gegen die rechtliche Beurteilung des Landgerichts und des Senats vorgebrachten Einwendungen überzeugen insgesamt nicht:
[1] Soweit die Klägerin meint, es sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihr nicht alle notwendigen Informationen vorgelegt habe, trifft dieser Vorwurf gemäß den vorstehenden Ausführungen zu dem Umfang der geklärten Kampfmittellage des Baugrundstücks [s. Ordnungspunkt A. I. 2. a. (2)] bereits tatsächlich nicht zu.
[2] Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe eine Bestätigung zur Kampfmittelfreiheit des Baufeldes in Form der Erklärung nach ATV DIN 18299, Abschnitt 0.1.17 der VOB/C geschuldet, aber nicht vorgelegt, ist ebenfalls unbegründet. Soweit die Klägerin darauf abstellen will, dass das in dem Merkblatt “Kampfmittelfrei bauen” enthaltene Musterformular (LG-106 f.) nicht verwendet wurde, ist dieses bereits nach den Angaben in diesem Merkblatt lediglich eine unverbindliche Vorlage, wie sich aus der am oberen Rand befindlichen Angabe “Der Freigabe-Text kann lauten:” ergibt. Hinzu kommt, dass sich nach dem Wortlaut der ATV DIN 18299 die Aufnahme der einzelnen Angaben zur Leistungsbeschreibung insgesamt “nach den Erfordernissen des Einzelfalls” richtet (s. den 5. Absatz zum Gliederungspunkt “0 Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung”), was dann folgerichtig auch für Art und Inhalt der Erklärung selbst gilt.
[3] Die Klägerin vertritt auch zu Unrecht die Ansicht, es reiche generell nicht aus, dass der Bauherr nach Einschaltung der zuständigen Behörden dem Auftragnehmer lediglich Unterlagen zusendet und Argumente vorbringt, aus denen dieser ableiten soll, dass Kampfmittelfreiheit vorliegen könnte.
Insoweit ist zum einen erneut auf die in der ATV DIN 18299 angegebenen “Erfordernisse(n) des Einzelfalls” zu verweisen, die dem Bauherrn einen großen Spielraum zur Erfüllung seiner Pflichten lässt. In diese Richtung geht auch das Merkblatt “Kampfmittelfrei bauen”, wenn dort festgehalten ist, dass eine Bestätigung auch durch den öffentlichen Auftraggeber selbst erfolgen kann (LG-106).
Zum anderen ergibt sich auch aus der bauvertraglichen Kooperationspflicht, dass die Klägerin sich hinsichtlich der die Beklagte treffenden Kampfmittelaufklärung nicht auf eine formelle Rechtsposition zurückziehen durfte. Die Vertragsparteien eines VOB/B-Vertrags sind während der Vertragsdurchführung zur Kooperation verpflichtet (BGH, Urt. v. 28.10.1999 – VII ZR 393/98, NJW 2000, 807, 808; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher-Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 13. Teil Rz. 81). Aus dem Kooperationsverhältnis ergeben sich Obliegenheiten und Pflichten zur Mitwirkung und gegenseitigen Information (BGH, Urt. v. 23.05.1996 – VII ZR 245/94, BGHZ 133, 44, 47). Die Kooperationspflichten sollen unter anderem gewährleisten, dass in Fällen, in denen nach der Vorstellung einer oder beider Parteien die vertraglich vorgesehene Vertragsdurchführung oder der Inhalt des Vertrags an die geänderten tatsächlichen Umstände angepasst werden muss, Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte nach Möglichkeit einvernehmlich beigelegt werden (BGH, Urt. v. 28.10.1999, a.a.O.). Dementsprechend war die Klägerin gehalten, die in Form der am 14.08.2019 übersandten Unterlagen erfolgte Aufklärung über die Kampfmittellage als ausreichend entgegen zu nehmen. Dass dies eine Auswertung der überlassenen Unterlagen voraussetzte, war zwischen den Parteien so vereinbart, denn die Übersendung erfolgte dem Inhalt der E-Mail vom 14.08.2019 zufolge im Anschluss an eine Baubesprechung vom gleichen Tag gerade zwecks Stellungnahme seitens der Klägerin.
[4] Die Rügen der Klägerin, das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass die Bezirksregierung in der E-Mail vom 09.09.2019 darauf verwiesen habe, ihr sei ohne die Entfernung der festgestellten Aufschüttungen eine Kampfmittelräumung ab der Oberfläche (GOK 1945) nicht möglich, und weiterhin, dass die Beklagte bis heute keine Unterlagen vorgelegt habe, aus denen sich ergebe, dass aufgrund ihres Antrages vom 09.09.2019 eine notwendige Kampfmitteluntersuchung durchgeführt worden sei, verkennen insgesamt, dass weder die Beklagte noch die Bezirksregierung das genaue Vorgehen zur Kampfmittelermittlung bestimmen. Die maßgebliche Entscheidungskompetenz, ob und welche Untersuchungsmaßnahmen im Einzelnen erfolgen, steht allein dem Ordnungsamt zu [vgl. obige Ausführungen zu A. I. 2. a. (1) (c)].
Die Mitteilung der Bezirksregierung vom 09.09.2019 ist aber auch deshalb ohne Belang, weil diese die Entfernung der Aufschüttungen zur Räumung von Kampfmitteln anspricht, es aber im Verhältnis der Parteien zunächst einmal nur darum ging, ob überhaupt Anlass zu weiteren Kampfmittelerkundungen bestand. Aufgrund der zu Nachkriegs-Aufschüttungen bestehenden Regeln (s. die Ausführungen zu A. I. 2. a. (1) (d) [2] [a]) war im Streitfall aber gerade keine weitere Kampfmittelaufklärung bezüglich der von der Bezirksregierung angesprochenen Aufschüttungen erforderlich.
b. Auf Basis der seitens der Beklagten in einem Umfang von mindestens 85% des Baugrunds geklärten Kampfmittelbelastung hat die Klägerin durch ihre vollständige Leistungsverweigerung erneut ihre bauvertragliche Kooperationspflicht verletzt.
Wie dargelegt soll die Kooperationspflicht gerade gewährleisten, dass Meinungsverschiedenheiten der Bauvertragsparteien nach Möglichkeit einvernehmlich beigelegt werden. Dem steht aber die Haltung der Beklagten, trotz der für mindestens 85% des Baugrundes geklärten Kampfmittelsituation keinerlei Leistungen vorzunehmen, diametral entgegen. Arbeiten im Bereich der geklärten Bauflächen waren der Beklagten insbesondere auch deshalb zumutbar, weil es sich – jedenfalls in weitem Umfang – um zusammenhängende Flächen handelte. Bezüglich der sich im Norden, Osten und Süden befindlichen Baubereiche war die Kampfmittellage komplett geklärt. Die teilweise ungeklärten Flächen befanden sich allein im Westen der Dreifachturnhalle und hätten – jedenfalls zunächst – unbearbeitet gelassen werden können, zumal es unmittelbar entlang der Dreifachturnhalle einen weiteren zusammenhängend kampfmittelgeklärten und damit bearbeitbaren Baugrundstücksstreifen gab. Dass die komplette Einstellung der Arbeiten bei nur in Teilbereichen ungeklärter Kampfmittelsituation die bauvertraglichen Kooperationspflichten verletzt und deshalb kein Leistungsverweigerungsrecht besteht, hat auch das OLG Dresden (Urt. v. 27.09.2016 – 6 U 564/16) so entschieden.
II.
Wie das Landgericht bereits zutreffend – und von der Berufung nicht angegriffen – ausgeführt hat, kann die Klägerin ihre streitgegenständlichen Vergütungsansprüche schon deshalb nicht auf die seitens der Beklagten am 16.08.2019 ausgesprochene Teilkündigung stützen, weil insoweit substantiierter Vortrag fehlt.
III.
Soweit die Klägerin mit der Berufung die vom Landgericht erst ab dem 01.04.2020 zuerkannten Verzugszinsen angreift und insoweit den bereits erstinstanzlich beantragten Zinszeitpunkt 01.02.2020 begehrt, ist die Berufung ebenfalls unbegründet, da bezüglich des 01.02.2020 keine verzugsauslösenden Tatsachen vorgebracht worden sind.
IV.
Schließlich stehen der Klägerin auch die mit der Berufung weiter verfolgten vorprozessualen Anwaltskosten nicht zu. Insbesondere besteht kein Schadensersatzanspruch gemäß den §§ 631, 280 Abs. 1, 249 BGB unter dem Gesichtspunkt der Abwehr einer unberechtigten Kündigung, denn gemäß den Ausführungen zu Ziffer I. war die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 25.10.2019 berechtigt.
B.
Anschlussberufung der Beklagten
Die zulässige Anschlussberufung ist nur teilweise begründet.
Das Landgericht hat der Klägerin zu Unrecht einen über 10.672,81 Euro liegenden Zahlungsanspruch von insgesamt 15.023,75 Euro zugesprochen, in Höhe von 4.350,94 Euro hat die Klägerin keinen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte.
I.
Nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Parteien stand der Klägerin gemäß den Ausführungen auf Seite 5 des angegriffenen Urteils ein offener Vergütungsanspruch (§ 631 BGB) in Höhe von 10.672,81 Euro zu.
Der darüber hinaus vom Landgericht als berechtigt bewertete Vergütungsanspruch in Höhe von weiteren 4.350,94 Euro brutto für die Pos. 09.0 der Rechnung vom 28.12.2019 (LG-178 f.) steht der Klägerin jedoch nicht zu. Wie von der Beklagten ausgeführt, hatte die Klägerin entgegen der in der Pos. 09.0 erfolgten Abrechnung der Lieferung und Verarbeitung von 275 ³ Baumsubstrat je Euro 65,00 netto lediglich 225 ³ Baumsubstrat geliefert und dieses Material insgesamt nicht verarbeitet, so dass unter Berücksichtigung der geminderten Masse sowie eines Abzugs von 25% wegen der fehlenden Verarbeitung zurecht 4.350,94 Euro brutto von der geltend gemachten Vergütung abgezogen wurden.
Das erstmalig im Berufungsverfahren erfolgte vorstehend geschilderte Vorbringen der Beklagten ist unabhängig von den in § 531 Abs. 2 ZPO geregelten Zulassungsgründen zu berücksichtigen, denn der Vortrag ist unstreitig und damit nicht im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO neu, sondern stets zuzulassen (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2008 – GSZ 1/08, BGHZ 177, 212). Die Klägerin hat die dargestellten Umstände nicht bestritten, sondern lediglich einen geringeren Abzug iHv 2.000 Euro für angebracht gehalten. Insoweit hat sie aber keine tatsächlichen Einwände gegen die von der Beklagten vorgetragenen Berechnung erhoben, so dass auch diese als unstreitig zu behandeln ist.
II.
Die der Klägerin zustehende Vergütungsforderung von 10.672,81 Euro ist nicht durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung iHv 6.736,35 Euro nach § 389 BGB erloschen.
Der Beklagten steht keine Gegenforderung iHv 6.736,35 Euro gemäß den §§ 280 Abs. 2, 286, 249 BGB im Hinblick darauf zu, dass sich die Klägerin im Zeitpunkt der seitens der Beklagten am 06.08.2019 erfolgten Beauftragung des vorprozessual tätigen Rechtsanwalts im Verzug befand. Gemäß den Ausführungen unter Ziffer A. I. ist die seitens der Beklagten zu erbringende Bestätigung über die Kampfmittelsituation auf dem Baugrundstück erst am 14.08.2019 erfolgt, so dass die Klägerin bei der Anwaltsbeauftragung noch nicht mit ihrer Leistungserbringung in Verzug war.
C.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze des Klägervertreters vom 02.10.2023 und 04.10.2023 wurden berücksichtigt und geben keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der Verhandlung gemäß § 156 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern nicht eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat hat den Rechtsstreit auf der Grundlage der in NRW bestehenden Grundsätze zur Aufklärung des Kampfmittelrisikos bei Bauvorhaben alleine nach den tatsächlichen Besonderheiten des vorliegenden Sachverhalts entschieden.

OLG Düsseldorf zu der Frage, dass sich nicht jede Störung auf den Bauablauf auswirkt, weshalb es einer bauablaufbezogenen Darstellung bedarf

OLG Düsseldorf zu der Frage, dass sich nicht jede Störung auf den Bauablauf auswirkt, weshalb es einer bauablaufbezogenen Darstellung bedarf

vorgestellt von Thomas Ax

Beruft sich ein Unternehmer darauf, dass er wegen Störungen den Fertigstellungstermin nicht habe einhalten können, genügt es zu seiner Entlastung nicht, wenn er zu (vermeintlichen) Störungen des Bauablaufs vorträgt. Nicht jede Störung wirkt sich auf den Bauablauf aus, weshalb es einer bauablaufbezogenen Darstellung bedarf. Die Beklagte müsste also darlegen, wie sie den (hypothetischen, störungsfreien) Bauablauf geplant hatte und in welcher Art und Weise sich die Störungen unter Berücksichtigung des tatsächlichen Bauablaufs ausgewirkt haben.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.03.2024 – 22 U 142/23

Gründe
I.
Die Beklagten zu 1) bis 3) sind in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Architekten tätig. Die Beklagte zu 4), die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wurde von dem Kläger durch im Jahr 2014 abgeschlossenen Architektenvertrag mit Planungs- und Überwachungsleistungen für den Neubau eines Einfamilienhauses betraut. Der Kläger hat wegen verschiedener Ausführungsmängel unter Bezugnahme auf zwei gutachterliche Stellungnahmen des Sachverständigen B. Schadensersatz in Höhe von zunächst 25.347,00 EUR brutto geltend gemacht, weil die Mängel im Rahmen der Bauüberwachung hätten vermieden werden müssen. Zudem hat er Kosten für die gutachterlichen Stellungnahmen des Sachverständigen B. in Höhe von 1.681,30 EUR brutto und außergerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von 1.430,38 EUR brutto geltend gemacht.
In seiner Klage hat der Kläger zunächst nicht angegeben, welcher Teil der Forderung in Höhe von 25.347,00 EUR brutto auf welchen der Mängel entfällt. Mit Schriftsatz vom 23.07.2020 (Blatt 7, LG-GA 330) hat er eine (ungefähre, weil gerundete) Aufteilung vorgenommen und die einzelnen Ansprüche wie folgt beziffert.
Bezeichnung Mangel
netto
brutto
Absturzsicherung
454,00 €
540,26
Putz Absturzsicherung
3.825,00 €
4.551,75
Kellerausgangstüre
1.300,00 €
1.547,00
Durchbrüche
1.010,00 €
1.201,90
Trockenbaufugen
6.300,00 €
7.497,00
Bad
6.000,00 €
7.140,00
Summe
18.889,00 €
22.477,91
gerundet auf
18.000,00 €
21.420,00
Sockelausbildung WDVS
2.530,00 €
3.010,70
Dämmung Lichtschacht
313,00 €
372,47
Fenster WDVS Einf.
424,00 €
504,56
Summe
3.267,00 €
3.887,73
gerundet auf
3.300,00 €
3.927,00
Summe (18.000,00 € + 3.300,00 €)
21.300,00 €
25.347,00
Zugleich hat der Kläger die Teilrücknahme der Klage in Höhe von 7.497,00 EUR brutto erklärt, weil der Mangel “Trockenbaufugen” nach Anhängigkeit aber vor Rechtshängigkeit der Klage am 10.01.2019 beseitigt worden sei.

Mit Schriftsatz vom 17.06.2021 hat der Kläger seine Klage erweitert und 15.000,00 EUR wegen mangelnder Bauwerksabdichtung geltend gemacht. Er hat hierfür auf eine Stellungnahme des Sachverständigen B. vom 10.06.2021(LG-GA 670) Bezug genommen. Die Beklagten haben die Verjährungseinrede erhoben. Der Kläger hat zur Entkräftung der Verjährungseinrede Beweis dafür angetreten, dass die eintretende Feuchtigkeit in Zusammenhang mit einem Mangel steht, der bereits in der Stellungnahme des Sachverständigen B. vom 10.01.2019 angeführt worden ist. Hierzu hat der vom Gericht bestellte Sachverständige A. ein Gutachten erstellt (LG-GA 1106). Nach Erstattung des Gutachtens hat der Kläger im Hinblick auf die von den Beklagten erhobene Verjährungseinrede den mit der Klageerweiterung verfolgten Klageanspruch in Höhe von 15.000,00 EUR für erledigt erklärt. Die Beklagten haben sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.

Durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagten verurteilt, als Gesamtschuldner 19.381,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.10.2019 sowie 1.242,84 EUR außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten zu zahlen und hat festgestellt, dass der Rechtsstreits in Höhe von 15.000,00 EUR erledigt ist. Die Kosten des Rechtsstreits hat es den Beklagten auferlegt. Eine Kostenerstattung zu Gunsten des Streithelfers hat es nicht angeordnet. Das Landgericht hat entschieden, dass dem Kläger wegen der Ausführungsmängel “Durchbrüche” 600,00 EUR brutto, “Bad” 16.000,00 EUR brutto, “Sockelausbildung WDVS” 600,00 EUR und “Dämmung Lichtschacht” 500,00 EUR brutto zustehen, zusammen 17.700,00 EUR. Zudem könne der Kläger Erstattung der Rechnungen des Sachverständigen B. in Höhe von 1.681,30 EUR beanspruchen, zusammen also 19.381,30 EUR. Der mit der Klageerweiterung verfolgte Anspruch sei durch die Verjährungseinrede erledigt worden. Vor Erhebung der Verjährungseinrede sei der Anspruch des Klägers begründet gewesen.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Weil der Sachverständige B. sich mit Mängeln befasst habe, wegen derer das Landgericht keine Haftung festgestellt habe, seien die Kosten für die Stellungnahmen des Sachverständigen B. nicht zu erstatten. Zudem wenden sich die Beklagten gegen die landgerichtliche Kostenentscheidung. Der Kläger sei teilweise unterlegen, was in der Kostenentscheidung nicht berücksichtigt worden sei. Wegen der Feststellung der Erledigung machen die Beklagten geltend, dass die Klageforderung in Höhe von 15.000,00 EUR nicht vorgerichtlich geltend gemacht worden sei und sie daher die Einrede der Verjährung vorprozessual nicht hätten erheben können. Zudem hätten sie geltend, dass der Schaden durch Schwarzarbeit entstanden sei. Die Verurteilung zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sei zu beanstanden, weil die Klageforderung teilweise abgewiesen worden sei bzw. sich Verschiebungen ergeben hätten. Sie regen als Kostenentscheidung an, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger zur Hälfte und den Beklagte zu je 1/8 aufzuerlegen.

Die Beklagten beantragen,

das landgerichtliche Urteil abzuändern und sie unter Abweisung der weitergehenden Klage gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 17.700,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.10.2019 zu zahlen und festzustellen, dass der Rechtsstreit in Höhe von 15.000,00 EUR erledigt ist.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und die Kostenentscheidung.

II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
Das Landgericht hat dem Kläger zu Unrecht die Kosten der Stellungnahmen des Sachverständigen B. und die Kosten des Rechtsstreits in voller Höhe auferlegt. Auch ist die Entscheidung zu den außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung nicht zutreffend.

1.Kosten für Gutachten, die der Besteller zur Aufklärung nur vermeintlicher Mängel aufwendet, die entweder nicht bestehen oder für die der Unternehmer nicht einzustehen hat, sind dem Besteller vom Unternehmer nicht zu erstatten. Nur soweit dem Besteller Schadensersatzansprüche zustehen, gehören die Gutachterkosten zum Schaden. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Beklagte nur für die Mängel “Durchbrüche”, “Bad”, “Sockelausbildung WDVS” und “Dämmung Lichtschacht” einstehen muss. Welche Kosten gerade für die Aufklärung dieser Mängel von dem Kläger aufgewendet worden sind, ist gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzen. Die Rechnungen des Sachverständigen (LG-GA 91 ff.) lassen nicht erkennen, welcher zeitliche Aufwand für die Aufklärung welchen Mangels angefallen ist. Danach kann nur ein Mindestschaden geschätzt werden. Der Senat schätzt auf 400,00 EUR.

2.Auf verschiedene Mängel gestützte Ansprüche sind verschiedene Streitgegenstände (BGH, Urt. v. 19.07.2018 – VII ZR 19/18, Rn. 15, WM 2019, 411 = BauR 2018, 1879; Senat, Beschl. v. 28.10.2022 – I-22 U 53/22, NZBau 2023, 314). Bei der Kostenentscheidung hätte das Landgericht daher berücksichtigen müssen, dass es die Klage wegen mehrerer der von dem Kläger verfolgten Ansprüche abgewiesen hat.
Der Umfang dieser Teilabweisung wird dadurch verdeckt, dass das Landgericht wegen des Mangels “Bad” 16.000,00 EUR statt 6.000,00 EUR zugesprochen hat. Das greift die Berufung nicht an, wobei ein solcher Berufungsangriff – wäre er erfolgt – auch keine Erfolgsaussicht gehabt hätte; denn ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO wird im Berufungsverfahren schon dadurch geheilt, dass der Kläger das angefochtene Urteil verteidigt. Bei der Kostenentscheidung für die erste Instanz kann hingegen nicht zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden, dass das Landgericht für den Mangel “Bad” 16.000,00 EUR brutto statt 7.140,00 EUR brutto zugesprochen hat.

3.Die Berufung rügt zu Recht, dass das Landgericht die von dem Kläger erklärte Rücknahme bei der Kostenentscheidung nicht berücksichtigt hat. Auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung der Beklagten ist es nicht veranlasst, aus Billigkeitsgründen die Kosten trotz Rücknahme den Beklagten aufzuerlegen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass schon im Zeitpunkt der Einreichung der Klage damit zu rechnen war, dass die Mängelbeseitigung noch erfolgen würde.

4.Die Entscheidung des Landgerichts zur Erledigung der Hauptsache ist nicht angegriffen. Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Rüge der Beklagten, das Landgericht habe Vortrag zur Erledigung der Hauptsache übergangen, nicht an. Auch ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Feststellung der Erledigung der Hauptsache bei der Kostenentscheidung zu Lasten der Beklagten gewertet hat. Die Beklagten haben sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen. Für die Kostenentscheidung kommt es danach allein darauf an, ob sie unterlegen sind. Das ist nach der Entscheidung des Landgerichts der Fall. Auf die von den Beklagten angestellten Billigkeitserwägungen wäre es nur dann ankommen, wenn sie sich der Erledigungserklärung angeschlossen hätten.

 5.Gleichwohl trifft den Kläger bezüglich des für erledigt erklärten Anspruchs ein Kostennachteil. Gemäß § 96 ZPO sind ihm die Kosten für die Erstattung des Gutachtens A. vom 07.06.2022 aufzuerlegen, weil er ein unbegründetes Angriffsmittel geltend gemacht hat. Der Sachverständige A. hat den unter Beweis gestellten Sachvortrag nicht bestätigt. Deshalb war der geltend gemachte Anspruch verjährt und ist für erledigt erklärt worden.

6.Abzuändern ist auch die Entscheidung des Landgerichts zu den vorgerichtlichen Kosten. Dem Grund nach besteht allerdings ein Kostenerstattungsanspruch. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Beklagte zu 4) wegen mangelhafter Bauüberwachung gemäß §§ 634 Nr. 4, 280 BGB Schadensersatz wegen im Bauwerk realisierter Mängel schuldet. Zu dem zu ersetzenden Schaden gehören auch außergerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung. Unschädlich ist, dass die die Beklagte zu 4) zur Zahlung von “Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung gem. § 637 Abs. 3 BGB” aufgefordert worden ist. Ein solcher Kostenvorschussanspruch gemäß § 637 Abs. 3 BGB besteht zwar nicht; er entspricht aber inhaltlich dem auf Ersatz des Vorfinanzierungsschaden gerichteten Schadensersatzanspruch des Bestellers, den der Bundesgerichtshof dem Besteller eines Architekten- und Ingenieurvertrags wegen im Bauwerk realisierter Mängel des Planungs- und Überwachungswerks vor Mängelbeseitigung zubilligt (BGH, Urt. v. 22.02.2018 – VII ZR 46/17, Rn. 67, NZBau 2018, 201). Der Beklagte ist aufgefordert worden, einen Vorschuss in Höhe von 25.000,00 EUR zu zahlen. Das entspricht (ungefähr) der auf die Mängel gestützten Klageforderung in Höhe von 25.347,00 EUR. Diese auf die Mängel gestützte Klageforderung war indessen – wie vorstehend ausgeführt – wegen mehrerer Mängel unbegründet, so dass zu Gunsten des Klägers für die vorgerichtliche Kostenerstattung von einem Gegenstandswert in Höhe von 8.840,00 EUR auszugehen ist. Das Landgericht hat angenommen, dass nur eine Gebühr von 1,3 anzusetzen ist. Das wird nicht angegriffen. Zu erstatten sind danach vorgerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von 808,13 EUR brutto.

7.Nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass ein Teilunterliegen des Klägers in erster Instanz vorliegt. Die Kostenentscheidung war daher gemäß §§ 92, 269 ZPO entsprechend abzuändern. Zugunsten des Klägers hat der Senat gewertet, dass er die Höhe der Mängelbeseitigungskosten schätzen musste. Danach erscheint als angemessen, die Kosten gegeneinander aufzuheben. Die Beklagten haften gemäß § 100 Abs. 4 ZPO für die Kostenerstattung als Gesamtschuldner. Im Falle der Kostenaufhebung ist keine Kostenerstattung zu Gunsten des Streithelfers zu treffen.

8.Der Senat setzt den Streitwert abweichend von der Entscheidung des Landgerichts gemäß § 63 Abs. 3 GKG für den Zeitraum nach der Erledigungserklärung vom 01.08.2022 auf bis 22.000,00 EUR fest. Bei teilweiser einseitiger Erledigungserklärung ist dem Streitwert der nicht für erledigt erklärten Hauptsache das Kosteninteresse wegen des für erledigt erklärten Anspruchs hinzuzusetzen (BGH, Beschl. v. 09.05.1996 – VII ZR 143/94, NJW-RR 1996, 1210).

9.Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 92, 100 Abs. 4, 101 ZPO. Auch hier war zu Gunsten des Klägers zu werten, dass die Entscheidung von einer Schätzung abhängt, weshalb die Kosten gegeneinander aufzuheben waren.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 S. 1, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen.

Berufungsstreitwert: 2.924,14 EUR (die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten waren bei der Bemessung des Streitwerts zu berücksichtigen, weil die Hauptforderung nicht mehr in Streit ist).
… … …

BGH: Unterlassung einer unzulässigen Vertiefung

BGH: Unterlassung einer unzulässigen Vertiefung

vorgestellt von Thomas Ax

Die auf Unterlassung einer unzulässigen Vertiefung gerichtete Klage erfordert nicht die Angabe der Bodenfestigkeit des bedrohten Grundstücks (Abgrenzung zu Senat, Urt. v. 24. Februar 1978, V ZR 95/75, NJW 1978, 1584 u. Urt. v. 27. November 1981, V ZR 42/79, WM 1982, 68).

BGH, Urteil vom 29.05.2009 – V ZR 15/08

Gründe

I.

Das Berufungsgericht meint, der Unterlassungsantrag genüge den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht und sei daher unzulässig. Die Kläger müssten die frühere Festigkeit des Bodens ihrer Grundstücke genau angeben. Andernfalls stünde nicht fest, welchen Erfolg die Beklagten durch die von ihnen zu ergreifenden Befestigungs- oder Sicherungsmaßnahmen schuldeten.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Unterlassungsantrag der Kläger ist ausreichend bestimmt.

1. Allerdings hat der Senat für einen auf Beseitigung der Folgen einer unzulässigen Vertiefung (§§ 1004 Abs. 1, 909 BGB) gerichteten Antrag entschieden, dass der Kläger die frühere Festigkeit seines Grundstücks genau angeben muss. Der durch eine Vertiefung im Sinne des § 909 BGB in seinem Eigentum beeinträchtigte Kläger kann verlangen, dass der Boden seines Grundstücks durch eine genügende anderweitige Befestigung wieder so belastbar wird, wie es vor der Störung der Fall war. Durch welche Maßnahmen dies erreicht wird, ist dem Beklagten überlassen. Maßgeblich ist, dass er die frühere Festigkeit des beeinträchtigten Grundstücks wiederherstellt; sie muss daher genau bezeichnet werden (vgl. Senat, Urt. v. 24. Februar 1978, V ZR 95/75, NJW 1978, 1584 sowie Urt. v. 27. November 1981, V ZR 42/79, WM 1982, 68).

a) Das gilt indessen nicht, wenn von dem Beklagten verlangt wird, eine unzulässige Vertiefung zu unterlassen. Die Klage ist dann nicht auf die Herbeiführung eines bestimmten – und daher genau zu bezeichnenden – Erfolgs gerichtet, sondern auf die Vermeidung einer drohenden Beeinträchtigung. Sie ist ausreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn die zu unterlassende Beeinträchtigung so deutlich bezeichnet ist, dass der Streitgegenstand klar umrissen ist, sich der Beklagte erschöpfend verteidigen kann und nicht dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung überlassen bleibt, was dem Beklagten verboten ist (vgl. BGHZ 156, 1, 8 f. m.w.N.). Bei einer (erstmals) drohenden Vertiefung genügt hierzu grundsätzlich die Wiedergabe des in § 909 BGB enthaltenen Verbots, ein Grundstück in der Weise zu vertiefen, dass der Boden eines benachbarten Grundstücks die erforderliche Stütze verliert, wenn nicht für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist (zutreffend: PWW/Lemke, BGB, 4. Aufl., § 909 Rdn. 39; wohl auch MünchKomm-BGB/Säcker, 4. Aufl., § 909 Rdn. 18 f.).

Die Angabe der Festigkeit des bedrohten Grundstücks ist dagegen nicht erforderlich (a.A. Palandt/Bassenge, BGB, 68. Aufl., § 909 Rdn. 7; Staudinger/Roth, BGB [2002], § 909 Rdn. 38; Erman/Lorenz, 12. Aufl., § 909 Rdn. 4; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, 2. Aufl., § 909 Rdn. 31; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 253 Rdn. 35). Die beklagte Partei und das Vollstreckungsgericht vermögen auch ohne sie zu erkennen, was verboten worden ist, nämlich dem Boden des klägerischen Grundstücks die erforderliche Stütze zu entziehen. Welche Stütze im Sinne von § 909 BGB erforderlich ist, beurteilt sich danach, welche Befestigung das Grundstück nach seiner tatsächlichen Beschaffenheit benötigt (Senat, BGHZ 101, 290, 293). Auch für die Feststellung, ob gegen das Verbot verstoßen wurde, ist die Angabe der ursprünglichen Festigkeit des klägerischen Grundstücks im Urteil nicht erforderlich. Nicht selten, beispielsweise bei Bodenabrissen oder einem Gebäudeeinsturz, wird der Verstoß ohnehin offenkundig sein. Ist er es nicht, genügt die – wenn auch regelmäßig mit sachverständiger Hilfe zu treffende – Feststellung, dass der Boden in der Senkrechten den Halt verliert oder die Festigkeit der unteren Bodenschichten in ihrem waagerechten Verlauf beeinträchtigt worden ist (vgl. Senat, BGHZ 85, 375, 378).

b) Etwas anderes folgt nicht aus der Erwägung des Berufungsgerichts, das von den Klägern verfolgte Unterlassungsbegehren decke sich mit einem Beseitigungsanspruch (und erfordere deshalb einen gleichlautenden Antrag), weil die Nichtbeseitigung einer Störung mit einer Fortsetzung der Beeinträchtigungshandlung gleichzusetzen sei. Letzteres ist nur anzunehmen, wenn ein bestehender Störungszustand durch weitere Verletzungshandlungen fortlaufend “erneuert” wird (vgl. BGH, Urt. v. 31. Mai 1957, I ZR 163/55, LM § 1004 Nr. 32 für die Beibehaltung eines unrichtigen Firmennamens). Das trifft auf Beeinträchtigungen infolge unzulässiger Vertiefung nicht zu. Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch haben hier grundsätzlich unterschiedliche Inhalte. Mit einer (vorbeugenden) Unterlassungsklage kann sich der betroffene Eigentümer gegen einen drohenden, aber noch nicht eingetretenen Stützverlust wenden. Bei einem bereits eingetretenen Stützverlust ist der Beseitigungsanspruch geltend zu machen, und zwar auch dann, wenn die Beeinträchtigung infolge der Untätigkeit des Vertiefenden über einen längeren Zeitraum andauert (vgl. Senat, Urt. v. 15. Februar 2008, V ZR 17/07, NJW-RR 2008, 969, 970 Rdn. 17). Die Nichtbeseitigung des Stützverlusts stellt keine fortgesetzte Erneuerung der Störung dar; ihr kann deshalb nicht mit einem Unterlassungsantrag begegnet werden.

III.

Die Abweisung des auf Unterlassung einer unzulässigen Vertiefung gerichteten Klageantrag als unzulässig kann daher keinen Bestand haben; das angefochtene Urteil ist insoweit aufzuheben (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 ZPO).

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt aus konsequent – nicht geprüft hat, ob der geltend gemachte Unterlassungsanspruch begründet ist (vgl. hierzu MünchKomm-BGB/Säcker, 4. Aufl., § 909 Rdn. 18). Insbesondere fehlen Feststellungen, ob den Grundstücken der Kläger infolge der von der Beklagten zu 1 geplanten bzw. ausgeführten Vertiefung ihres Grundstücks ein Stützverlust droht. Die Klägerin zu 1 hat hierzu unter Beweisantritt vorgetragen, es lasse sich bereits aus den Bauplänen ersehen, dass die Stützmauer ihres Grundstücks einstürzen werde. Die Kläger zu 6 und 7 haben unter Bezugnahme auf ein von ihnen eingeholtes Sachverständigengutachten behauptet, im Zusammenhang mit dem Bau der Tiefgarage bzw. der Rampenanlage werde ihr Grundstück unterschnitten mit der Folge, dass der Einsturz von Carport und Schuppen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Hiermit hat sich das Berufungsgericht bislang nicht befasst. Dies wird nachzuholen sein, sofern es im Zeitpunkt der neuen Berufungsverhandlung noch darauf ankommt.

Im Hinblick auf den Jägerzaun, der bereits einen Stützverlust erlitten haben könnte, muss erforderlichenfalls geklärt werden, ob die Kläger insoweit die Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung verlangen, oder ob ihr diesbezüglicher Vortrag, was näher liegt, lediglich die drohende Gefahr verdeutlichen soll, die sie mit der vorbeugenden Unterlassungsklage abwenden wollen. Sollte das Klageziel auch die Beseitigung eines bereits eingetretenen Stützverlusts umfassen, ist auf eine sachdienliche Antragstellung hinzuwirken (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Das betrifft allerdings nicht die ausreichende Bestimmtheit des Klageantrags – der vorbeugende Unterlassungsantrag ist hinreichend bestimmt -, sondern ggf. die Formulierung eines dem Klageziel entsprechenden (weiteren) Antrags (vgl. zum möglichen Nebeneinander von Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch: Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, 2. Aufl., § 909 Rdn. 24).

Krüger Klein Schmidt-Räntsch Stresemann Roth Vorinstanzen:

LG Konstanz, Entscheidung vom 09.09.2005 – 3 O 175/03 B –

OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 19.12.2007 – 9 U 163/05

OLG Schleswig: Weiterbau abbrechen, wenn erkennbar ist, dass die Baugrube zu flach und damit die genehmigte Planung nicht eingehalten werden konnte

OLG Schleswig: Weiterbau abbrechen, wenn erkennbar ist, dass die Baugrube zu flach und damit die genehmigte Planung nicht eingehalten werden konnte

vorgestellt von Thomas Ax

Der Beklagte hätte die Klägerin bzw. deren vor Ort tätigen Mitarbeiter vor Beginn der Tiefbauarbeiten darauf hinweisen müssen, dass nach den tatsächlichen Vorgaben für die Tiefe der Baugrube (angezeigter Nullpunkt) anschließend der Keller deutlich (rund 80 cm) über die Geländeoberfläche hinausragen würde. Damit hätte der Beklagte die Klägerin bzw. ihren für sie vor Ort handelnden Ehemann und/oder den Zeugen B auf den Widerspruch zwischen der ihm bekannten Planzeichnung Anlage K9 und der durch Angabe des Nullpunktes bedingten Aushubtiefe (zweitinstanzlich unstreitig 2 m bis 2,20 m) hinweisen müssen. Nach der Bauzeichnung sollte die Kelleroberkante nämlich ebenerdig abschließen.

OLG Schleswig, Urteil vom 10.08.2017 – 7 U 120/15

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten, der unter anderem Erdbauarbeiten durchführt, auf Schadensersatz – zweitinstanzlich in Höhe von noch rund 43.058,00 € – in Anspruch.

Die Klägerin beabsichtigte in den Jahren 2013/2014, den – mittlerweile fertiggestellten – Neubau eines Cafés im Stadtpark H. Dieses sollte sich äußerlich wie aus der Skizze Anlage K9 ersichtlich darstellen.

Der Beklagte erhielt aufgrund eines Angebots vom 21.11.2013 (Anlage B1, Bl. 29 GA) den Auftrag, Erdarbeiten für den geplanten Neubau (X-Straße.) auszuführen. Nach einem Ortstermin am 21.11.2013 sollte zunächst die Baugrube ausgehoben werden. Im Anschluss daran sollte ein aus Betonfertigteilen zusammengesetzter Keller (sog. “Thermo-Rohbau-Keller) von der JS GmbH eingebaut werden. Dem Beklagten war die Bauzeichnung (Anl. K9) bekannt.

Der Aushub der Baugrube erfolgte zwischen dem 29.11. und 04.12.2013 durch den Zeugen P, einen Mitarbeiter des Beklagten. Dabei erfolgte vor Ort und vor Beginn der Arbeiten eine genaue Einweisung durch den Zeugen R (Ehemann der Klägerin) sowie durch den Zeugen B, der sich als Bauleiter der Klägerin gerierte. Durch diese wurde auch der sogenannte Nullpunkt vorgegeben.

Der Beklagte forderte für seine Arbeiten unter dem 04.12.2013 (Anlage K2) einen ersten Abschlag von 9.037,43 €, der von der Klägerin gezahlt wurde. Im Februar 2014 wurde der Keller geliefert und eingebaut, der rund 80 cm über die Geländeoberfläche hinausragte und damit offensichtlich nicht mit den Bauplänen übereinstimmte. Die Klägerin forderte den Beklagten anschließend zur Fertigstellung der beauftragten Erdarbeiten auf. In der Zeit vom 18.3.-19.3.2014 führte der Beklagte die Arbeiten auftragsgemäß aus, und lieferte statt geplanter ca. 250 qbm tatsächlich 293 qbm Füllsand, der anschließend verdichtet bzw. aufgeschüttet wurde. Die Klägerin bezahlte den Restbetrag aus der Schlussrechnung des Beklagten vom 25.3.2014 (14.371,99 ./. bereits gezahlter 9.037,34 = 5.334,65 €; vgl. Bl. 246-249 GA). Außerdem ließ sie die Arbeiten mit den Mauerarbeiten am Erdgeschoss fortsetzen (vgl. Lichtbild v. 24.3.2014, Bl. 255 GA). Weil der Rohbau nicht den genehmigten Bauplänen entsprach, forderte die Stadt von der Klägerin mit Schreiben vom 29.4.2014 (Anlage K8, Bl. 16) die Umsetzung der abgestimmten Planung bis zum 30.6.2014 und damit den Rückbau des herausragenden Kellers.

Mit Anwaltsschreiben vom 16.05.2014 (Anlage K6) ließ die Klägerin den Beklagten auffordern, bis zum 29.05.2014 mitzuteilen, ob er “an einer einvernehmlichen Vertiefung der Kellergrube gegen Übernahme der Kosten auf Ihre Rechnung bei gleichzeitiger Vertiefung interessiert” sei. Zudem ließ sie “hiermit hinsichtlich des Rückbaus des Kellers um 80 cm Tiefe” den Beklagten “ausdrücklich in Verzug” setzen und kündigte “nach Ablauf der Frist die kostenmäßig gegen Sie gewandte Ersatzvornahme durch einen Drittunternehmer” an.

Der Beklagte lehnte dies mit Anwaltsschreiben vom 20.05.2014 (Bl. 59 f. d. A.) unter Hinweis darauf ab, er habe die Baugrube nach den ausdrücklichen Vorgaben der Mitarbeiter der Klägerin ordnungsgemäß errichtet.

Mit weiterem Schreiben vom 06.06.2014 ließ die Klägerin dem Beklagten eine Frist zur ordnungsgemäßen Herstellung der Baugrube auf den 13.06.2014 setzen, die ergebnislos verstrich.

In der Folgezeit musste der errichtete Rohbau einschließlich Keller und Bodenplatte wieder abgerissen, die Grube tiefer gesetzt und wieder eine neue Bodenplatte erstellt werden. Das Café wurde nunmehr planmäßig errichtet und wird seit Juni 2015 im Stadtpark betrieben.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei ihr wegen mangelhaften Aushubes der Baugrube zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hat erstinstanzlich als Schaden den Pauschalpreis für den Thermo-Keller inkl. Mwst. mit 58.072,00 € zzgl. der Kosten der Abbrucharbeiten mit 10.174,50 €, insgesamt 68.246,50 € geltend gemacht.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 68.246,50 € nebst 5%-Punkten Verzugszinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 30.04.2015 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, entsprechend der ihm erteilten Vorgaben die Kellergrube ordnungsgemäß ausgehoben zu haben.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung) abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, Schadensersatzansprüche stünden der Klägerin allein schon deshalb nicht zu, weil es an einer ordnungsgemäßen Fristsetzung zur Mängelbeseitigung gefehlt habe.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie rügt Rechtsfehler des angefochtenen Urteils, zudem Verfahrensfehler des Landgerichts.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Erdarbeiten des Beklagten seien gar nicht abgenommen worden. Zudem sei eine Fristsetzung zur Mängelbeseitigung angesichts der Verweigerungshaltung des Beklagten entbehrlich gewesen. Jedenfalls aber sei sie mit den Anwaltsschreiben vom 16.05. bzw. 06.06.2014 ordnungsgemäß erfolgt.

Sie bestreitet erstmals im zweiten Rechtszug, dass dem Beklagten bzw. seinem Mitarbeiter der Nullpunkt seitens des Zeugen R oder des Zeugen B vorgegeben worden sei.

Jedenfalls hätte der Beklagte erkennen können und müssen, da ihm – insoweit unstreitig – die Skizze Anlage K9 bekannt gewesen sei, dass bei einer Tiefe des Aushubs von rund 2,20 m der Keller notwendig über die Geländeoberfläche herausragen würde. Darauf hätte er die Klägerin bzw. deren Ehemann hinweisen müssen.

Zweitinstanzlich macht die Klägerin als Schaden nur noch einen Betrag von 43.057,83 € geltend. Die Reduzierung beruht auf dem unstreitigen Umstand, dass die Klägerin durch die Fa. … Betonbohr- und Sägetechnik die alten Kellerwand-Betonelemente demontieren und nach Befreiung von Beton- und Mörtelresten wieder einbauen ließ, mithin keinen neuen Fertigkeller mehr errichtete.

Sie beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie 43.057,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.07.2014 zu zahlen,

hilfsweise,

die Sache unter Aufhebung des am 21.07.2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Itzehoe, Az.: 7 O 159/14, an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags. Er behauptet, das Baugelände habe ein zum Weg ansteigendes Gefälle von mindestens 70 cm gehabt.

Der Senat hat im Termin am 10. Mai 2016 ergänzend den Beklagten persönlich angehört.

Nach Aufhebung des am 02.06.2016 verkündeten, die Berufung der Klägerin zurückweisenden Senatsurteils durch den Bundesgerichtshof (BGH VII ZR 181/16) mit Beschluss vom 18. Januar 2017 hat der Senat Termin bestimmt und ergänzend die Parteien persönlich angehört. Außerdem hat er gemäß prozessleitender Verfügung vom 29.06.2017 (Bl. 229 d. A.) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen R, P, S, S-G und F.

Wegen des Inhalts wird auf die Sitzungsniederschriften vom 10.05.2016 (Bl. 165-167 d. A.) und 25.07.2017 (Bl. 236-244 d. A.) nebst Protokollanlagen (Bl. 245-257 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin hat nur im zuerkannten Umfang Erfolg. Im Übrigen erweist sie sich als unbegründet.

1. Der Klägerin stehen keine Schadensersatzansprüche aus §§ 634 Nr. 4, 636 BGB zu. Diese scheitern – entgegen der Auffassung des Landgerichts – jedoch nicht an einer fehlenden Fristsetzung zur Mängelbeseitigung sondern daran, dass die Aushubtiefe der Baugrube nach den dem Beklagten bzw. dessen Mitarbeiter, dem Zeugen P, gemachten Vorgaben nicht mangelhaft war. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats aus dem Urteil vom 2.6.2016 Bezug genommen, die durch die Revisionsentscheidung des BGH vom 18.1.2017 nicht beanstandet worden sind.

Nach dem schon erstinstanzlich unstreitigen Vorbringen der Klägerin war sowohl bei der Vor-Ort-Besichtigung am 21.11.2013 (im Beisein des Beklagten) als auch nochmals bei Beginn der Baggerarbeiten am 29.11.2013 (gegenüber dem Zeugen P) durch die Zeugen B und R der sogenannte Nullpunkt angewiesen und mitgeteilt worden. Diese Feststellungen hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 18. Januar 2017 (dort Rn. 17) ausdrücklich gebilligt. Im Übrigen hat der Zeuge P diesen Umstand bei seiner Vernehmung am 25.7.2017 nochmals ausdrücklich bestätigt (Bl. 241 GA).

Soweit die Klägerin nunmehr – im Gegensatz zu ihrem erstinstanzlichen Vortrag, wonach vor Beginn der Baggerarbeiten durch die Zeugen B und R nochmals der Nullpunkt angezeigt worden ist (Schriftsatz vom 13.10.2014, Bl. 38 GA) – bestreitet, dass ein Nullpunkt vorher angezeigt worden sei und sich die Aussagen der Zeugen R und B insoweit zu Eigen macht, verhält sie sich widersprüchlich und kann damit nicht mehr gehört werden. Das nunmehrige erstmalige Bestreiten ihres in erster Instanz unstreitigen Vortrages stellt ein neues Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel dar, das der Zurückweisung gemäß §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO unterliegt.

Demzufolge lässt sich nicht feststellen, dass die ausgehobene Baugrube im Sinne von § 633 Abs. 1 BGB mangelhaft gewesen ist, denn ein Mangel folgt nicht bereits aus dem Umstand, dass der Fertigkeller rund 80 cm aus der Baugrube herausragte. Vielmehr hätte die Klägerin darlegen und beweisen müssen, dass trotz des aus ihrer Sphäre vorgegebenen Nullpunkts die Baugrube zu flach ausgehoben worden ist. Das ist ihr aber nicht gelungen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat ergänzend auf die Ausführungen Seite 5 Mitte bis Seite 6 des Senatsurteils vom 02.06.2016.

2. Der Beklagte ist der Klägerin jedoch wegen Verletzung einer Hinweis- und Aufklärungspflicht als Nebenpflicht zum Werkvertrag gemäß §§ 631 ff., 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet.

a) Der Beklagte hätte die Klägerin bzw. deren vor Ort tätigen Mitarbeiter vor Beginn der Tiefbauarbeiten darauf hinweisen müssen, dass nach den tatsächlichen Vorgaben für die Tiefe der Baugrube (angezeigter Nullpunkt) anschließend der Keller deutlich (rund 80 cm) über die Geländeoberfläche hinausragen würde. Damit hätte der Beklagte die Klägerin bzw. ihren für sie vor Ort handelnden Ehemann und/oder den Zeugen B auf den Widerspruch zwischen der ihm bekannten Planzeichnung Anlage K9 und der durch Angabe des Nullpunktes bedingten Aushubtiefe (zweitinstanzlich unstreitig 2 m bis 2,20 m) hinweisen müssen. Nach der Bauzeichnung sollte die Kelleroberkante nämlich ebenerdig abschließen.

Die Behauptung des Beklagten, der Baugrund habe ein deutliches Gefälle (mindestens 70 cm) zum nördlich gelegenen Weg hin aufgewiesen (vgl. Skizze Bl. 245 GA) mit der Folge, dass (nur) durch Aufschüttungen eine allseits ebene Fläche hätte entstehen können, hat in der Beweisaufnahme keine Bestätigung gefunden. Bis auf den Zeugen P, den Baggerfahrer des Beklagten, haben sämtliche Zeugen den Baugrund als plan oder mit lediglich einem leichten Gefälle versehen beschrieben. Die Zeugin S-G, die über den Stadtpark, wo sich der Baugrund befindet, die Revierleitung hat, hat beispielsweise angegeben, es gebe dort “lediglich ein leichtes Gefälle zum Weg hin, schätzungsweise circa 10 cm”. Der Zeuge F, seinerzeit zuständiger Bauamtsleiter beim Bezirksamt H-Nord, hat angegeben, dass es nach seiner Erinnerung “fast überhaupt kein Gefälle”, wenn überhaupt ein leichtes Gefälle zur westlich gelegenen X-Straße hin” gegeben habe. Das Gelände sei nämlich früher einmal die Liegewiese eines Freiluftbades gewesen. Auch aus den weiter zur Akte gereichten Lichtbildern (Bl. 250-257 d. A.) ergibt sich, dass das Gelände weitgehend eben war, zumal auch der ursprünglich eingebaute Keller offensichtlich an allen vier Seiten weitgehend in gleicher Höhe die Geländeoberfläche überragte.

In Kenntnis dessen hätte der Beklagte als Fachmann darauf hinweisen müssen, dass die Kelleroberkante nach den erteilten Vorgaben nicht (weitgehend) plan mit dem Gelände abschließen, mithin im Widerspruch zur Bauzeichnung (Anl. K9) stehen würde. Unstreitig ist ein solcher Hinweis nicht erfolgt.

b) Verletzung der Schadensminderungspflicht nach § 254 2 BGB

Der Senat hat die Klägerin im Termin am 25.7.2017 ausdrücklich auf eine Verletzung ihrer Schadensminderungspflicht hingewiesen (Bl. 244 GA). Der aus der Hinweispflichtverletzung des Beklagten erwachsene Schadensersatzanspruch der Klägerin umfasst deshalb nur einen Teil der von ihr geltend gemachten Kosten.

Einen nicht unerheblichen Teil der von ihr als Schaden geltend gemachten Kosten hat die Klägerin nämlich selbst verursacht, weil sie den Keller fertigstellen ließ und anschließend sogar noch damit begonnen hat, das Gelände aufzuschütten und das Erdgeschoss des Cafés aufzumauern. Es war nämlich offensichtlich, dass das Bauwerk in der vorhandenen Form gegen die Baugenehmigung verstieß. Hierbei muss sich die Klägerin auch die Sachkunde ihres Ehemannes und ihres Bauleiters B zurechnen lassen (vgl. BGH VII ZR 457/98, Urteil vom 18.01.2001). Die Klägerin wusste, dass die Baugenehmigung aus Gründen des Denkmalschutzes und der Barrierefreiheit nur ein ebenerdiges Bauwerk vorsah.

Bereits die Anfang Dezember 2013 ausgehobene Baugrube sah augenscheinlich schon sehr flach aus (vgl. Lichtbild Bl. 256 GA). Schon dieser Umstand hätte der Klägerin bzw. ihrem baukundigen Ehemann, der immerhin ein Bauingenieurstudium aufgenommen hat, auffallen können. Doch selbst wenn die schon augenscheinlich recht flache Baugrube – gerade auch nach Einbringen der Sohlplatte – immer noch keinen Anlass zur Prüfung der Baugrundtiefe gegeben hätte, wäre die Klägerin doch spätestens am Tag des Kellereinbaus und schon nach dem Einbringen des ersten Beton-Kellerelements gehalten gewesen, den Weiterbau abzubrechen. Denn spätestens ab diesem Zeitpunkt war für jedermann offensichtlich, dass die Baugrube zu flach und damit die genehmigte Planung nicht eingehalten werden konnte. Wie sich aus dem Lichtbild Bl. 254 d. A. ergibt, wurde der Fertigkeller in Einzelteilen in die Baugrube eingebracht, die dort anschließend verbunden wurden. Der baurechtswidrige Zustand der Maßnahme war schon nach Einbringen des ersten Kellerwandelements augenfällig. Vor Ort befand sich seinerzeit – wie ganz überwiegend wenn auf der Baustelle was los war – für die Klägerin der Zeuge R, dem als gelernter Handwerker mit begonnenem – wenn auch nicht abgeschlossenen – Bauingenieurstudium eine gewisse Sachkunde nicht abgesprochen werden kann. Statt angesichts der klaren bauplanungsrechtlichen Vorgaben darauf zu setzen, den nach oben herausragenden Keller durch nachträgliche Aufschüttungen und das Erstellen einer Rampe dem Gelände anzugleichen, hätte der Zeuge sofort den weiteren Kellereinbau stoppen müssen.

Deshalb können nur die notwendigen Kosten, die ab jenem Zeitpunkt (Kellereinbau) angefallen wären, ersetzt werden. Dabei handelt es sich um die Kosten für Abbruch und Entsorgung der bereits eingebrachten Fundament-/Sohlplatte, die Kosten für die Vertiefung der Baugrube sowie diejenigen Kosten für den Einbau einer neuen Fundament-/Sohlplatte. Diese Kosten schätzt der Senat gem. § 287 ZPO auf netto 12.100,00 €.

Die Klägerin ist als Bauherrin und Betreiberin des Cafès P als Gewerbetreibende zum Vorsteuerabzug berechtigt. Deshalb besteht keine Ersatzpflicht für Mehrwertsteuer (BGH NJW 2014,2874). Sie macht deshalb zu Recht auch nur Nettobeträge geltend.

Die Kosten für die Vertiefung der Baugrube erweisen sich als sogenannte Sowieso-Kosten, die auch dann angefallen wären, wenn der Beklagte nach einem entsprechenden Hinweis sogleich die Baugrube tiefer ausgehoben hätte.

Die Kosten für eine neue Fundamentplatte belaufen sich gemäß Rechnung der JK vom 14.8.2014 auf 7.600,00 € (netto) (vgl. Anlage K20, Bl. 138 GA). Hinzu kommen die Kosten für Abbruch und Entsorgung der ursprünglich eingebauten Fundamentplatte (Größe ca. 12,67 x 7,83 m; C25/30 WU Stahlfaserbeton), die der Senat auf 4.500,00 € (netto) schätzt (§ 287 ZPO). Der Senat hat sich telefonisch bei dem Bausachverständigen Architekten H aus X sachkundig gemacht und den genannten Betrag ermittelt (vgl. Vermerk vom 1.8.2017, Bl. 282 GA). Indiziell hat der Senat ferner die Rechnung K vom 4.8.2014 (Anlage K13, Bl. 132 GA) als Schätzgrundlage herangezogen und dabei berücksichtigt, dass die dort aufgeführten Abbruch- und Entsorgungsarbeiten das gesamte bis dahin errichtete Bauwerk betrafen. Deshalb war dieser Rechnungsbetrag (netto 12.885,50 €) geschätzt um ca. 2/3 zu kürzen, weil es hier nur um die Entsorgungskosten für die Fundamentplatte geht.

Für die weitergehenden, der Klägerin durch Abbruch und Neuaufbau entstandenen Kosten hat der Beklagte nicht einzustehen, denn es geht allein zu Lasten der Klägerin, wenn sie trotz eines offensichtlich bauordnungswidrigen Zustandes des Bauwerks weitere Arbeiten hat vornehmen lassen, die absehbar wieder beseitigt werden mussten.

Die Ausführungen der Klägerin aus dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 07.08.2017 rechtfertigen nicht die Wiedereröffnung der Verhandlung nach § 156 ZPO. Eine Pflicht des Senats zur Wiedereröffnung von Amts wegen (§ 156 Abs. 2 ZPO) besteht nicht, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Es liegt auch keine Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht vor. Den Mitverschuldenseinwand hat der Beklagte bereits mit Schriftsatz vom 07.04.2017 (S. 3+4) erhoben, indem er vorgetragen hat, dass “nach Einbringung des Kellers für alle Beteiligten offensichtlich war, dass eine Ebenerdigkeit mit der Geländefläche zum Wanderweg nicht gegeben war” und gleichwohl die Klägerin als Bauherrin weiterbauen ließ und sogar mit den Maurerarbeiten auf der Kelleroberfläche begonnen hatte.

§ 254 BGB begründet keine Einrede, sondern einen von Amts wegen zu berücksichtigenden Einwand (BGH NJW 1991, 167). Unstreitig war der Zeuge R als Ehemann und Beauftragter der Klägerin bei der Anlieferung der Kellerelemente zugegen. Eine entsprechende Kenntnis muss sich die Klägerin zurechnen lassen (§ 166 I BGB). Der ausdrückliche Hinweis des Senats im Termin am 25.07.2017 war deshalb auch nicht überraschend und im Übrigen auch Gegenstand des ausführlich begründeten gerichtlichen Vergleichsvorschlags.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegt nicht vor.

Kurz belichtet – Evakuierung wegen Weltkriegsbombe: Wer zahlt für Betriebsunterbrechung?

Kurz belichtet - Evakuierung wegen Weltkriegsbombe: Wer zahlt für Betriebsunterbrechung?

OLG Nürnberg, Urteil vom 05.02.2025 – 4 U 1458/23

1. Zur Frage der Passivlegitimation bei einem Anspruch aus enteignendem Eingriff, wenn eine Große Kreisstadt als untere Sicherheitsbehörde wegen des Fundes einer Weltkriegsbombe auf einem Krankenhausgrundstück mittels einer Allgemeinverfügung eine Evakuierung eines Krankenhauses anordnet und wenn die Entschärfung der Bombe durch einen vom Freistaat Bayern vorgehaltenen Kampfmittelbeseitigungsdienst vorgenommen wird.

2. Der öffentlich-rechtliche Zustandsstörer muss im Hinblick auf seine Verantwortlichkeit seine polizeiliche Inanspruchnahme ohne eine Entschädigung hinnehmen. Ein Zustandsstörer erleidet ungeachtet dessen, ob er sicherheitsrechtlich für die Störungsbeseitigung in Anspruch genommen wurde, kein Sonderopfer, das entschädigungsrechtlich im Rahmen polizeilicher Entschädigungsregeln des Freistaats Bayern oder auf der Grundlage des allgemeinen Aufopferungsrechts ausgeglichen werden müsste.

Kurz vorgestellt: Aktuelle Rechtsprechung zur Haftung bei Tiefbauarbeiten

Kurz vorgestellt: Aktuelle Rechtsprechung zur Haftung bei Tiefbauarbeiten

von Thomas Ax

Beschädigung eines Mittelspannungskabels ist Energiewirtschaftssache
OLG Hamm, vom 07.05.2024 – 7 U 109/23
1. Wegen der im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gebotenen weiten Auslegung des § 102 Abs. 1 EnWG und der Notwendigkeit, Rechts(mittel)klarheit und -sicherheit zu schaffen, ist davon auszugehen, dass i.S.d. § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG Vorfragen aus dem EnWG und nach einem auf diesem Gesetz beruhenden untergesetzlichen Regelungswerk immer schon dann zu beantworten sind, wenn – wie hier – nach einer Kabelbeschädigung Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB geltend gemacht werden und dabei energiewirtschaftliche Fragen entscheidungserheblich sind oder noch werden können (in Fortschreibung zu BGH, Beschluss vom 17.07.2018 – EnZB 53/17, Rz. 15, IBRRS 2018, 2760).
2. Da die Anwendbarkeit von § 102 Abs. 1 EnWG in diesen Fällen noch nicht abschließend geklärt ist, ist die Berufung nicht als unzulässig zu verwerfen, sondern das Berufungsverfahren analog § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB von Amts wegen an das zuständige Berufungsgericht zu verweisen, auch wenn erstinstanzlich ein Landgericht in seiner Spezialzuständigkeit für energiewirtschaftliche Fragen entschieden hat (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 17.07.2018 – EnZB 53/17, Rz. 24 ff., IBRRS 2018, 2760; in Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 06.06.2023 – VI ZB 75/22, Rn. 21 f., IBRRS 2023, 2380).

Leitungspläne nicht mehr aktuell: Tiefbauer muss Handschachtung vornehmen
BGH, Urteil vom 13.04.2023 – III ZR 17/22
1. Ein Tiefbauunternehmer hat bei Bauarbeiten an öffentlichen Straßen mit dem Vorhandensein unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen zu rechnen, äußerste Vorsicht walten zu lassen und muss sich der unverhältnismäßig großen Gefahren bewusst sein, die durch eine Beschädigung von Strom-, Gas-, Wasser- oder Telefonleitungen hervorgerufen werden können.
2. Der Tiefbauunternehmer muss sich im Rahmen der allgemeinen technischen Erfahrung die Kenntnisse verschaffen, die die sichere Bewältigung der auszuführenden Arbeiten voraussetzt. Er ist insbesondere verpflichtet, sich den erforderlichen Grad von Gewissheit über den Verlauf der Gasleitungen wie auch sonstiger Versorgungsleitungen zu verschaffen, und zwar dort, wo die entsprechenden zuverlässigen Unterlagen vorhanden sind.
3. Sind die dem Tiefbauunternehmer übergebenen Leitungspläne erkennbar nicht mehr aktuell und enthalten sie zudem den deutlichen Hinweis, dass die Lage der Leitungen von den Planangaben abweichen kann und deshalb durch fachgerechte Erkundungsmaßnahmen vor Ort festgestellt werden muss, hat sich der Tiefbauunternehmer über den tatsächlichen Leitungsverlauf durch geeignete Maßnahmen, zum Beispiel in Form von Suchschächten und Grabungen in Handschachtung, zu vergewissern, bevor er mit seinen Rammarbeiten beginnt.

Keine Amtshaftung bei Stromkabelschaden durch Straßenbauarbeiten
BGH, Urteil vom 13.04.2023 – III ZR 215/21
Die Mitarbeiter eines privaten Unternehmens, die im Zuge von Straßenbauarbeiten der öffentlichen Hand neue Fahrzeugrückhaltesysteme (Schutzplanken) montieren, handeln nicht in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes, wenn das beauftragte Fachunternehmen bei den zu erbringenden Montagearbeiten, die der Daseinsvorsorge dienen und bei denen der hoheitliche Charakter daher nicht im Vordergrund steht, über einen relevanten eigenen Ausführungsspielraum verfügt. Bei schuldhafter Beschädigung fremder Versorgungsleitungen (hier: durch Rammarbeiten) haftet das private Unternehmen nach § 823 Abs. 1 BGB (Bestätigung und Fortführung von Senat, IBR 2019, 493).

Tiefbauer darf auf angegebene Leitungstiefe vertrauen
LG Rostock, Urteil vom 20.01.2023 – 2 O 260/22
1. Ein Tiefbauunternehmer hat sich vor der Durchführung von Erdarbeiten an öffentlichen Straßenflächen nach der Existenz und dem Verlauf unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen zu erkundigen. Er muss sich Gewissheit über die Verlegung von Versorgungsleitungen im Boden verschaffen.
2. Um den unverhältnismäßig hohen Gefahren, die durch eine Beschädigung von Strom-, Gas-, Wasser- oder Telefonleitungen hervorgerufen werden können, zu begegnen, ist mit äußerster Vorsicht vor allem bei der Verwendung von Baggern und anderem schweren Arbeitsgerät vorzugehen.
3. Dort, wo entsprechend zuverlässige Unterlagen vorhanden sind, muss sich der Tiefbauunternehmer über den Verlauf von Versorgungsleitungen erkundigen; im Rahmen der allgemeinen technischen Erfahrung hat er sich die Kenntnisse zu verschaffen, welche die sichere Bewältigung der auszuführenden Arbeiten voraussetzt.
4. Es besteht eine Erkundigungspflicht gegenüber den zuständigen Versorgungsunternehmen. Wenn dies nicht weiterhilft, hat sich der Tiefbauunternehmer die erforderliche Gewissheit durch andere geeignete Maßnahmen zu verschaffen, etwa durch Probebohrungen oder Ausschachtungen von Hand in dem Bereich, den er ausheben will.
5. Hat der Tiefbauunternehmer seine Erkundigungspflichten erfüllt, trifft ihn an der Beschädigung eines Glasfaserkabels kein Verschulden, wenn dessen Tiefenlage konkret mit ca. 0,7 m benannt wurde, es sich jedoch in einer Tiefe von ca. 3,30 m befindet.

Auch bei oberirdischen Baggerarbeiten bestehen Erkundigungspflichten
LG Mannheim, Urteil vom 20.11.2020 – 9 O 341/19
1. Der Bauunternehmer ist vor Beginn von Erdarbeiten verpflichtet, sich beim Versorgungsunternehmen über die Lage unterirdisch verlegter Kabel zu erkundigen und entsprechende Pläne einzusehen.
2. Auch wenn es sich nicht um Tiefbauarbeiten handelt, sondern um oberirdische Arbeiten, bei denen ein Bagger eingesetzt wird, besteht diese Erkundigungspflicht jedenfalls dann, wenn die Schaufel des Baggers zwangsläufig die oberen Schichten des Erdreichs berührt.
3. Der Bauunternehmer muss bei Einsicht in die Pläne mit geringfügigen Abweichungen der tatsächlichen Lage der Kabel von der im Plan eingezeichneten Lage rechnen. Kann er die Lage der Kabel durch Einsicht in die Pläne nicht abschließend klären, muss er die Lage auf andere Weise ermitteln, z.B. durch Probebohrungen oder Handschachtung.

Erdarbeiten auf Privatgrundstück: Tiefbauer muss sich über Leitungsverlauf erkundigen
AG Brandenburg, Urteil vom 20.12.2019 – 31 C 193/18
1. Die Betreiberin eines im Erdreich verlegten Telekommunikations-Kabels ist grundsätzlich auch als Eigentümerin dieses Kabels anzusehen, da derartige Leitungen nur Scheinbestandteile des Grundstücks sind (§§ 95, 1006 BGB i.V.m. § 76 TKG).
2. Zu den Pflichten eines Tiefbauunternehmers – der an oder auf öffentlichen Straßen Bauarbeiten durchführt – gehört es, sich über Lage und Verlauf unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen von sich aus zu vergewissern, bevor er mit seinen Arbeiten beginnt. Die gleichen Erkundigungs- und Sicherungspflichten besteht aber auch bei Tiefbauarbeiten auf einem Privatgrundstück, wenn Anhaltspunkte für die Möglichkeit vorliegen, dass dort auch unterirdisch verlegte Versorgungsleitungen vorhanden sind (§§ 249, 254, 823, 831 BGB i.V.m. § 287 ZPO).
3. Zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten und deren Höhe (§§ 249, 250, 254, 280, 286, 288 BGB i.V.m. § 10 RDG und § 4 RDGEG sowie Art. 3 Abs. 1 e Satz 2 der Zahlungsverzugsrichtlinie und § 19 RVG).

Tiefbauunternehmer darf sich nicht auf Angaben des Auftraggebers verlassen
OLG Köln, Urteil vom 27.12.2017 – 16 U 56/17
1. Ein Tiefbauunternehmen, das im Bereich von öffentlichen Straßen und Wegen Bohrungen und Grabungen vornimmt, muss sich vor Beginn seiner Arbeiten zuverlässig erkundigen, ob bzw. wo dort Versorgungsleitungen verlegt sind. Das gilt auch dann, wenn das Tiefbauunternehmen lediglich als Nachunternehmer einer größeren Firma tätig wird.
2. Wird ein Lichtwellenleiterkabel bei Tiefbauarbeiten beschädigt, hat der Schädiger dem Eigentümer die Kosten für den Austausch der gesamten Kabellänge zwischen den beiden der Schadenstelle benachbarten, konstruktiv bedingten Bestandsmuffen (sog. “Regellängenaustausch”) zu ersetzen.

Tiefbauer darf auf Leitungsplan vertrauen
OLG Brandenburg, Urteil vom 05.04.2017 – 4 U 24/16
1. Ein Tiefbauunternehmen hat sich Gewissheit über die Verlegung von Versorgungsleitungen im Boden zu verschaffen. Gegenüber den zuständigen Versorgungsunternehmen besteht insofern eine Erkundigungspflicht.
2. Übergibt das zuständigen Versorgungsunternehmen dem Tiefbauer einen Bestandsplan, darf dieser darauf vertrauen, dass über die in dem Bestandsplan eingezeichneten Leitungen hinaus keine weiteren Leitungen vorhanden sind.
3. Ein Tiefbauunternehmern ist nicht dazu verpflichtet, weitere Erkundigungen daraufhin einzuholen, ob in dem Bestandsplan (überhaupt) nicht eingetragene Leitungen vorhanden sind.

Gefährdungshaftung bei Tiefbauarbeiten
OLG Dresden, Urteil vom 25.11.2015 – 1 U 880/15
1. Die Gefahrträchtigkeit von Tiefbauarbeiten erfordert es, dass in einem Abstand von weniger als 5 m zu verlegten Kabeln ständig ein Mitarbeiter des bauausführenden Unternehmens zur Einweisung des Maschinenbedieners anwesend ist.
2. Ab einem Abstand von 40 cm zur Kabellage sind weitere Sicherheitsmaßnahmen, z. B. eine Suchschachtung, angezeigt.
3. Vorstehende Grundsätze gelten auch dann, wenn das Tiefbauunternehmen laut vorliegendem Schachtschein von einer völlig anderen Kabellage ausgegangen ist.