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BGH zu der Frage, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, daß diese nicht als Ganzes vereinbart ist

BGH zu der Frage, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, daß diese nicht als Ganzes vereinbart ist

vorgestellt von Thomas Ax

Jede vertragliche Abweichung von der VOB/B führt dazu, daß diese nicht als Ganzes vereinbart ist. Es kommt nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat.
BGH, Urteil vom 22. Januar 2004

Tatbestand:
Die Klägerin begehrt restlichen Werklohn. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte die Schlußzahlungseinrede nach § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B wirksam erhoben hat.

Die Beklagte beauftragte 1998 ragte 1998 unter Vereinbarung der VOB/B die Klägerin mit der Erstellung der Betonsohle bei einem Neubauvorhaben. Nach § 14 Abs. 2 des Vertrages haftete der Auftragnehmer “für sämtliche Personen-, Sach- und Vermögensschäden, die schuldhaft aus Anlaß seiner Arbeiten oder aus deren Folgen entstehen”. Der Vertrag enthielt ferner Bestimmungen über die Aufgaben der Streithelferin, die das Projekt als Architektin betreute. Die Schlußrechnung der Klägerin wies einen Restwerklohn von 44.330,02 DM aus. Die Streithelferin kürzte die Rechnung auf 16.660,22 DM.

Sie teilte der Klägerin schriftlich mit, die Beklagte werde diesen Betrag als Schlußzahlung im Sinne von § 16 VOB/B leisten und wies auf die Ausschlußwirkung hin. Die Beklagte überwies den Betrag an die Klägerin unter Bezugnahme auf die Schlußrechnung. Rund zweieinhalb Jahre später wandte sich die Klägerin gegen die Abrechnung der Streithelferin und bezifferte ihre noch offene Forderung mit 18.474,21 DM.

Diesen Betrag hat die Klägerin eingeklagt. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 16.769,01 DM und Zinsen verurteilt. Auf die von der Streithelferin unterstützte Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob der vom Bauherrn beauftragte Architekt auch die Schlußzahlungserklärung für den Bauherrn abgeben dürfe, wenn er mit der Bauabrechnung befaßt und die nach außen in Erscheinung getretene maßgebende Stelle für alle die Abrechnung des Bauvorhabens betreffenden Angelegenheiten sei. Die Klägerin erstrebt mit ihrer Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Die Beurteilung richtet sich nach den bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 EGBGB).

I.
Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin könne ihren Werklohnanspruch nicht durchsetzen. Die Beklagte könne sich auf die Einrede der vorbehaltlosen Annahme der Schlußzahlung durch die Klägerin nach § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B berufen. Die Voraussetzungen hierfür lägen vor. Insbesondere sei die Streithelferin bevollmächtigt gewesen, die Schlußzahlungserklärung für die Beklagte abzugeben.

II.
Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, ob § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B anwendbar ist. Das ist, wie sich aus den ihm vorgelegten Vertragsunterlagen ergibt, nicht der Fall. Auf die Frage, ob die Streithelferin zur Abgabe der Schlußzahlungserklärung bevollmächtigt war, kommt es daher nicht an.

1. Die Beklagte hat das Vertragswerk gestellt. Sie ist deshalb die Verwenderin, zu deren Lasten die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorzunehmen ist. § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung, die der Inhaltskontrolle nicht standhält, weil sie den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt (BGH, Urteil vom 19. März 1998 – VII ZR 116/97, BGHZ 138, 176, 178).

2. Allerdings unterliegen die einzelnen Regelungen der VOB/B nach der Rechtsprechung des Senats zum Geltungsbereich des AGB-Gesetzes nicht der Inhaltskontrolle, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hat. Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, daß die VOB/B einen billigen Interessenausgleich zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber bezweckt. Würden einzelne Regelungen der Inhaltskontrolle unterzogen, so könnte der bezweckte Interessenausgleich gestört sein. Die VOB/B ist deshalb der Inhaltskontrolle entzogen worden, wenn der von ihr verwirklichte Interessenausgleich durch die Vertragsgestaltung nicht wesentlich beeinträchtigt worden ist (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1982 – VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135, 142). Die Inhaltskontrolle war eröffnet, wenn der Vertrag Regelungen vorsah, die in den Kernbereich der VOB/B eingreifen. Einen derartigen Eingriff hat der Senat bejaht bei Änderungen von § 1 Nr. 3 (Urteil vom 28. November 2002 – VII ZR 4/00, BauR 2003, 380, 381 = ZfBR 2003, 248 = NZBau 2003, 150), von § 2 Nr. 3 und Nr. 5 (Urteile vom 20. Dezember 1990 – VII ZR 248/89 = BauR 1991, 210 = ZfBR 1991, 101 und vom 25. Januar 1996 – VII ZR 233/94, BGHZ 131, 392, 397), von § 8 Nr. 1 (Urteil vom 28. November 2002 – VII ZR 4/00 aaO), von § 9 Nr. 3 (Urteil vom 28. September 1989 – VII ZR 167/88, BauR 1990, 81, 83 = ZfBR 1990, 18), der Abnahmeregelungen (Urteile vom 6. Juni 1991 – VII ZR 101/90, BauR 1991, 740, 741 = ZfBR 1991, 253; vom 17. November 1994 – VII ZR 245/93, BauR 1995, 234, 236 = ZfBR 1995, 77 und vom 25. Januar 1996 – VII ZR 233/94 aaO), von § 13 Nr. 7 Abs. 4 (Urteil vom 21. Juni 1990 – VII ZR 109/89, BGHZ 111, 394, 397) und von § 16 Nr. 1 (Urteil vom 14. Februar 1991 – VII ZR 291/89, BauR 1991, 473 = ZfBR 1991, 199).

Diese Rechtsprechung hat teilweise insoweit Widerspruch erfahren, als keine klaren Abgrenzungskriterien entwickelt worden seien, unter welchen Voraussetzungen eine wesentliche Beeinträchtigung des in der VOB/B verwirklichten Interessenausgleichs angenommen werden könne (Siegburg, BauR 1993, 9, 10, 16; Bunte, Festschrift für Korbion S. 18; Anker/Zumschlinge, BauR 1995, 323, 325; Kraus/Vygen/Oppler, BauR 1999, 964, 967; Kraus, BauR 2001, 1, 10; vgl. auch Tomic, BauR 2001, 14, 16). Dem ist zuzustimmen. Aus der bisherigen Senatsrechtsprechung lassen sich keine greifbaren Kriterien dafür ableiten, wann eine von der VOB/B abweichende Regelung in deren Kernbereich eingreift. Die vom Senat verwendeten Formulierungen haben sich nicht als brauchbares Abgrenzungskriterium erwiesen. Sie ermöglichen nicht die für den Rechtsverkehr erforderliche sichere Beurteilung, inwieweit ein vertragliches Regelwerk der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz unterliegt. Nötig ist aber eine Rechtsanwendung, die für die Vertragsparteien eine verläßliche Prognose ermöglicht. Aus den bisherigen Entscheidungen ergibt sich, daß der Bundesgerichtshof schon bei relativ geringfügigen Abweichungen einen Eingriff in den Kernbereich der VOB/B bejaht und tendenziell zu erkennen gegeben hat, daß grundsätzlich jede inhaltliche Abweichung einen Eingriff in die Ausgewogenheit der VOB/B darstellt. Diese Entwicklung ist im Interesse der Rechtssicherheit dahin abzuschließen, daß grundsätzlich jede inhaltliche Abweichung von der VOB/B als eine Störung des von ihr beabsichtigten Interessenausgleichs zu bewerten ist. Denn anderenfalls wäre die im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen notwendige Transparenz (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.) nicht zu gewährleisten. Die VOB/B ist demnach nur dann einer Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz entzogen, wenn sie als Ganzes vereinbart worden ist. Es kommt nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat. Damit ist die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen und auch unabhängig davon, ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen “ausgeglichen” werden.

Inwieweit die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur VOB/B als Ganzes auch auf Fälle unter Geltung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts anwendbar ist, bleibt offen.

3. Ein Eingriff in die VOB/B liegt vor; er wäre allerdings auch bereits nach der bisherigen Senatsrechtsprechung relevant gewesen. § 14 Abs. 2 der Geschäftsbedingungen der Beklagten weicht von § 13 Nr. 7 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/B ab. Der Auftragnehmer schuldet Schadensersatz unabhängig von der Erheblichkeit eines Mangels und unabhängig von den einschränkenden Tatbeständen des § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B. Damit unterliegen die Regelungen der VOB/B der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG.

III.
Das Berufungsurteil kann somit keinen Bestand haben, es ist aufzuheben. Da zur Höhe des Anspruchs noch Feststellungen zu treffen sind, war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

VOB/B gilt für öffentliche Auftraggeber bereits in der Vergabe

VOB/B gilt für öffentliche Auftraggeber bereits in der Vergabe

von Thomas Ax

Versucht ein Auftraggeber in einem EUweiten Vergabeverfahren über Bauleistungen entgegen § 8aEU VOB/A anstatt der VOB/B ein weitgehend abweichendes vertragliches Regelwerk zur Anwendung zu bringen, kann der Verstoß gegen § 8aEU VOB/A im Vergabenachprüfungsverfahren geltend gemacht werden da es sich (auch) um eine vergaberechtliche Norm handelt.

Eine zivilrechtliche Prüfung von Vertragsklauseln in Form einer AGB-Inhaltskontrolle findet im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht statt.

Gem. § 8aEU Abs. 1 VOB/A ist in den Vergabeunterlagen vorzuschreiben, dass die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden. Nach § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 1 VOB/A müssen die Regelungen der VOB/B grundsätzlich unverändert bleiben. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass durch die abweichenden Vereinbarungen der Parteien ein Eingriff in die Regelungen der VOB/B vorgenommen wird und auf diese Weise die VOB/B ihre Privilegierung als Allgemeine Geschäftsbedingung verliert.

Von diesem Grundsatz sind folgende Ausnahmen möglich: Gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VOB/A können Auftraggeber, die ständig Bauleistungen vergeben, die Regelungen der VOB/B für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch Zusätzliche Vertragsbedingungen ergänzen. Diese Zusätzlichen Vertragsbedingungen dürfen den Regelungen der VOB/B gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A allerdings nicht widersprechen. Ferner können nach § 8aEU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A die Regelungen der VOB/B durch Besondere Vertragsbedingungen ergänzt werden, wobei sich Abweichungen auf die Fälle beschränken sollen, in denen in der VOB/B eine besondere Vereinbarung ausdrücklich vorgesehen ist und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 13).

Zusätzliche Vertragsbedingungen werden regelmäßig als Allgemeine Geschäftsbedingungen gem. § 305 Abs. 1 BGB einzustufen sein, mit der Konsequenz, dass die einzelnen Regelungen der Zusätzlichen Vertragsbedingungen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterfallen, falls keine Privilegierung durch die Vereinbarung der VOB/B als Ganzes eingreift (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 16).

Zusätzliche Vertragsbedingungen dürfen den Allgemeinen Vertragsbedingungen der VOB/B gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A jedoch nicht widersprechen, sondern die Regelungen der VOB/B allenfalls konkretisieren oder näher ausgestalten. Eine Konkretisierung der Regelungen der VOB/B kommt beispielsweise dort in Betracht, wo die VOB/B unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet. Für nähere Ausgestaltungen ist insbesondere dort Raum, wo die Regelungen der VOB/B eine gesonderte Abrede zwischen den Parteien voraussetzen. Dies ist z.B. der Fall bei Regelungen zu Ausführungsfristen, die nach § 5 Abs. 1 VOB/B einer Vereinbarung zwischen den Parteien bedürfen oder bei einer Vertragsstrafe gem. § 11 VOB/B.

Eine Konkretisierung bzw. Ausgestaltung der VOB/B kommt auch dort in Betracht, wo die Regelungen der VOB/B sogenannte Öffnungsklauseln („wenn nichts anderes vereinbart ist“) enthalten (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 17-20).

 

Vgl dazu VK Südbayern, 14.02.2022 – 3194.Z3-3_01-21-44:

 

Gründe

I.

1

Mit Auftragsbekanntmachung vom 15.06.2021 schrieb die Antragsgegnerin den Neubau eines Feuerwehrgerätehauses mit Wohnnutzung aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Das Leistungsverzeichnis enthielt unter Abschnitt B – Bauvertrag umfassende Regelungen und Vertragsbedingungen zur Bauausführung die in einer Vielzahl von Punkten von den Regelungen der VOB/B abweichen und sich teilweise am Bauvertragsrecht des BGB (§ 650a ff. BGB) orientieren.

2

Bei Widersprüchen im Vertrag sollten abweichend von § 1 Abs. 2 VOB/B nacheinander folgende Vertragsbestandteile gelten:

  1. die Leistungsbeschreibung (LV-Vorbemerkungen, Positionstexte, Pläne, Zeichnungen, Berechnungen, Gutachten)
  2. die Besonderen Vertragsbedingungen (BVB), siehe unten 2.1,

3.

die Zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen (ZTV), siehe unten 3

4.

die VOB/B 2016 und die VOB/C 2019, jedoch mit folgenden Abweichungen und Ergänzungen.

3

Seite 4 bis 14 der Leistungsbeschreibung weisen Änderungen bzw. Modifikationen und Konkretisierungen zu zahlreichen Vorschriften der VOB/B auf.

4

Die Abweichungen umfassen beispielsweise den Ausschluss der Null-Abschnitte und der Abrechnungsbestimmungen der VOB/C, das Recht der Antragsgegnerin zur Ersatzvornahme ohne vorherige Auftragsentziehung abweichend von § 4 Abs. 7 VOB/B, die Berechtigung der Antragsgegnerin, neue Vertragsfristen nach billigem Ermessen festzulegen, die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Behinderungsanzeige selbst bei Offenkundigkeit, die Verlängerung der Frist des § 6 Abs. 7 VOB/B auf 6 Monate, den Ausschluss von § 7 und 12 Abs. 6 VOB/B und den Ausschluss von Teilabnahme und fiktiver Abnahme.

5

Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 21.06.2021, dass die Ausschreibungsunterlagen gegen § 8a VOB/A verstoßen würden, da sie gravierende Abweichungen und Ergänzungen zu den Regeln der VOB/B aufweisen würden. Es sei der Antragstellerin deshalb unmöglich ein Angebot abzugeben. Außerdem rügte sie, dass die Frist zur Angebotsabgabe widersprüchlich sei, einmal sei diese auf den 12. und einmal auf den 15.07.2021 festgelegt worden.

6

Mit Änderungsbekanntmachung vom 29.06.2021 legte die Antragsgegnerin die Angebotsfrist auf den 15.07.2021 fest und teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 29.06.2021 mit, dass sie ihrer Rüge nicht abhelfen werde. Die Antragsgegnerin sei bewusst von den Regelungen der VOB/B abgewichen und habe die Ausschreibung explizit auf das Bauvorhaben zugeschnitten, da eine unveränderte Anwendung der VOB/B in der Realität nicht möglich sei. Außerdem habe die Antragsgegnerin bestimmte Regelungen, insbesondere für die Abtretung/Aufrechnung/Zurückbehaltung und den gesetzlichen Mindestlohn/keine Schwarzarbeit treffen müssen, da diese in der VOB/B nicht geregelt seien.

7

Die Antragstellerin stellte daraufhin mit Schreiben vom 07.07.2021 31 Bieterfragen zu den Ausschreibungsunterlagen. Diese wurden von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 09.07.2021 beantwortet.

8

Bieterfrage 27 zu Pos. 5.1.1.8 Perimeterdämmung lautet:

9

Gem. LV-Langtext ist einen Perimeterdämmung 1-lagig in Dämmstärke 180 mm, mit Zulässiger Druckspannung von 255 kN/m2 anzubieten. Produkte mit einer Dämmerstärke von 180 mm, haben aber gem. Zulassung eine geringere Druckspannung von 210 kN/m2. Was ist zu kalkulieren 1-lagig oder eine 2-lagige Verlegung um die Dämmstärke von 180 mm zu erreichen?

Die Antragsgegnerin antwortete auf die Frage:

10

Die Verlegung ist 1-lagig zu kalkulieren.

11

Bieterfrage 29 zu Pos. 5.1.1.2 bis 12 und 16 bis 21 lautet: 1) Bei den Perimeterdämmungen fehlt im Langtext eine Materialangabe, wie z.B auch bei Pos. 5.1.1.1. Soll hier auch XPS-Dämmung angeboten werden?

12

2) In den verschieden Langtexten zu den Positionen werden immer wieder nur WLG 035 (außer bei Pos. 5.1.1.20 – 21 WLG 040) angegeben. Die WLG 035 ist keine eindeutige Bezeichnung. Der Lambdawert ist abhängig von der Dämmstärke, so das zur Kalkulation die geforderten Lambdawerte nach DIN 13164 benötigt werden.

13

Die Antragsgegnerin antwortete auf die Frage:

14

Ja, XPS z. B. Styrodur 4000 CS, Austrotherm oder gleichwertig Lambdawerte nach DIN 13164 0,035 für Dämmstärken d=60, 80 100, 120, 140, 160, 200, 240 mm.

15

Bieterfrage 31 zu Pos. 5.1.38 – 42 lautet:

16

Abdichtung KMB: Leistungsbeschreibung ist nicht eindeutig. Es fehlen sämtlich kalkulationsrelevanten Angaben, wie zum Beispiel die Angabe der Wassereinwirkungsklasse, Schichtdicke etc. Wir bitten um Ergänzung dieser Angaben.

17

Die Antragsgegnerin antwortete auf die Frage:

18

Abdichtung von außen von erdberührten Bauteilen gegen Einwirkung von Bodenfeuchte und nichtdrückendem Wasser nach DIN 5533 Schichtdicke gesamt: mind. 4 mm Verbrauch je nach Fabrikat: ca. 1,4 kg/m2/mm Trockenzeit 48h bei 20°C/70% Luftfeuchtigkeit Temperatur: 5° bis 35°C Risseüberbrückend Lösungsmittelfrei Kunststoffmodifiziert Wassereinwirkungsklasse gemäß DIN 18533, W1.1- E/W1.2-ENV2.1-E/W3-E/VV4-E Da die Antragstellerin die Antworten der Antragsgegnerin jedoch nicht für geeignet hielt, den Sachverhalt endgültig aufzuklären, rügte sie weitere Vergaberechtsverstöße, insbesondere einen Verstoß gegen § 12a EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A, widersprüchliche Antworten zur Perimeterdämmung und zur Wassereinwirkungsklasse, eine versteckte Produktvorgabe auf das Produkt Styrodur 4000 CS, die unzulässige Ausgestaltung der Winterbaumaßnahmen als Bedarfsposition und erneut Abweichungen von der VOB/B.

19

Diese Verstöße rügte sie erneut mit anwaltlichem Schreiben vom 12.07.2021 und kündigte einen Nachprüfungsantrag an. Mit Schreiben vom 14.07.2021 teilte die Antragsgegnerin mit, dass sie der Rüge nicht abhelfen werde.

20

Nachdem den Rügen der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 12.07.2021 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.

21

Der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Die Antragstellerin habe ihr Interesse am Auftrag durch die Rügen und die Stellung eines Nachprüfungsantrags hinreichend dargelegt und sei damit unstrittig antragsbefugt. Auf Grund der vergaberechtswidrigen Verdingungsunterlagen sei es ihr nicht möglich und zumutbar gewesen ein Angebot abzugeben.

22

Die Verdingungsunterlagen, insbesondere der Abschnitt „B-Bauvertrag“ seien vergaberechtswidrig, da sie weitestgehend von der VOB/B zu Lasten des Auftragnehmers abweichen würden. Teilweise seien die Vertragsbedingungen unangemessen für den Auftraggeber und würden einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB nicht standhalten. Auch die Bezeichnung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen als „Besondere Vertragsbedingungen“ und nicht als Zusätzliche Vertragsbedingungen sei falsch, man könne die Bestimmungen die für Zusätzliche Vertragsbedingungen gelten nicht einfach durch eine andere Bezeichnung umgehen, wenn es sich unzweifelhaft um solche handle. Insgesamt würden die Verdingungsunterlagen gegen § 8a EU VOB/A und die Verpflichtung eines öffentlichen Auftraggebers ausgewogene Vertragsbedingungen auszuschreiben verstoßen und seien damit vergaberechtswidrig. § 8a EU VOB/A entfalte dabei auch bieterschützende Wirkung. Weiter seien auch insbesondere die Regelungen zur Bauzeit widersprüchlich, unangemessen und vergaberechtswidrig. Insbesondere die fehlenden Regelungen im Zusammenhang mit den Perimeterdämmungen würden der volatilen Marktsituation keine Rechnung tragen, diese „besonderen Schwierigkeiten“ hätte die Antragsgegnerin jedoch gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B berücksichtigen müssen.

23

Auch enthalte die Ausschreibung unerfüllbare Bedingungen und die Leistungsbeschreibung sei weder eindeutig noch vollständig. Ferner sei eine ordnungsgemäße Kalkulation unmöglich, da Angaben, die für die Preisermittlung relevant seien, fehlen würden.

24

Die Antragstellerinbeantragt

25

  1. Der Antragsgegnerin wird es untersagt, auf der Grundlage der in ihrer Ausschreibung „Neubau Feuerwehrgerätehaus mit Wohnnutzung in U…, VE 103 Baumeisterarbeiten“ … festgelegten Bedingungen den Zuschlag zu erteilen.

26

  1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, wegen der Bauleistungen, die Gegenstand der vorbezeichneten Ausschreibung sind, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren nach Maßgabe der VOB/A-EU unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen. Hierbei sind die im Nachprüfungsantrag von der Antragstellerin geltend gemachten Rechtsverletzungen zu vermeiden und abzustellen. Insbesondere werden der Antragsgegnerin folgende Vorgaben auferlegt:

27

  1. Es ist in den Verdingungsunterlagen vorzusehen, dass in dem Bauvertrag die Regelungen der VOB/B insgesamt ohne Abweichung vereinbart werden.

28

  1. Die Ausschreibung darf keine Vorgabe von Vertragsbestimmungen enthalten, welche den Bieter und späteren Auftragnehmer unangemessen benachteiligen.

29

  1. Die Ausschreibung hat ein Termingerüst, sowohl hinsichtlich der Planlieferung als auch hinsichtlich der Bauleistungen selbst, zu enthalten,

– in dem die Ausführungsfristen ausreichend bemessen sind,

– in dem besondere Schwierigkeiten, insbesondere in Form der derzeitigen fehlenden Prognostizierbarkeit, welche Lieferzeiten bestimmte Baumaterialien, beispielsweise Perimeterdämmungen, haben, angemessen berücksichtigt werden,

– welches eine angemessene Vorlaufzeit nach Zuschlagserteilung von mindestens 10 Wochen beinhaltet,

– das in sich widerspruchsfrei ist, insbesondere nicht einerseits einen festen Beginntermin und andererseits die Befugnis des Auftraggebers, den Baubeginn mit einem Vorlauf von 12 Werktagen zu fordern, beinhaltet.

30

  1. In den Positionen 5.1.1.2 bis 12 und 16 bis 21 des Leistungsverzeichnisses sind die Produkte so auszuschreiben, dass sie zu marktüblichen Konditionen bezogen werden können. Insbesondere ist der Lambdawert so zu bemessen, dass auf dem Markt erhältliche Produkte diesen aufweisen.

31

  1. In Position 5.1.1.8 sind Produkte auszuschreiben und zu definieren, die auf dem Markt zu üblichen Konditionen angeboten werden. Es ist zu vermeiden, dass eine Druckspannung vorgegeben wird, welche keines der marktüblichen Produkte für die betreffende Dämmstärke vorweist.

32

  1. Hinsichtlich der Positionen 5.1.2.38 bis 42 ist eindeutig festzulegen, welche Einwirkungsklasse der Abdichtung nach DIN 18533 vorgeschrieben ist und ob zur Ausführung der Leistung eine Verstärkung notwendig wird.

33

  1. In Abschnitt 1.1.4 des Leistungsverzeichnisses ist auf Seite 51 folgende Formulierung ersatzlos zu streichen:

„Der Auftraggeber behält sich vor, einzelne Leistungsbereiche oder Positionen im Auftragsfall zu streichen, ohne dass sich hierdurch Änderungen der Einheitspreise ergeben.

Aus Änderungen können keine Ansprüche abgeleitet werden.

Gleiches gilt für Massenminderungen und -mehrungen.

Es besteht kein Anspruch des AN auf Ausführung und Abrechnung der nachfolgenden Positionen zum Winterbau.

Ausführung aller unter Titel 1.5 aufgeführten Positionen nur nach Anmeldung der Leistungen durch den AN an AG/Objektüberwachung, Abstimmung und auf gesonderte Anweisung durch die Objektüberwachung und Freigabe durch den Bauherrn.“

34

  1. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin.

35

  1. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

36

  1. Der Antragstellerin wird Akteneinsicht gemäß § 165 abs. 1 GWB gewährt.

37

Die Antragsgegnerinbeantragt

38

  1. Den Nachprüfungsantrag als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen,

2.

Der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin aufzuerlegen,

3.

Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.

39

Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin schon nicht zulässig gewesen sei, da sie ihr Interesse an dem Auftrag nicht schlüssig und substantiiert dargelegt habe. Eine Angebotsabgabe sei ihr zumutbar gewesen.

40

Weiter trägt die Antragsgegnerin vor, dass es unmöglich sei die VOB/B als Ganzes zu vereinbaren, da schon die kleinste Änderung zum Verlust der Privilegierung führe und Änderungen in der Praxis regelmäßig wegen der Besonderheiten des Vorhabens vorgenommen werden müssten. Auch sei § 8a EU VOB/A nicht bieterschützend, die Antragstellerin könne ihren Nachprüfungsantrag nicht darauf stützen. Wäre § 8a EU VOB/A bieterschützend hätte dies zur Folge, dass zivilrechtliche Auseinandersetzungen in das Vergabenachprüfungsverfahren verlagert werden. Ferner begünstigt der Entfall der Privilegierung der VOB/B auch den Bieter und ist somit kein Nachteil für diesen. Die Antragsgegnerin habe die Besonderen Vertragsbedingungen richtigerweise als solche benannt. Insgesamt enthielten die Verdingungsunterlagen Klarstellungen der Gesetzeslage auf Basis der Rechtsprechung, außerdem lägen sie im Interesse beider Parteien und würden gerade nicht die Bieter benachteiligen. Durch die Vertragsbedingungen würde den Bietern auch kein Schaden entstehen. Ferner trägt die Antragsgegnerin vor, dass im Vergabenachprüfungsverfahren keine zivilrechtliche Wirksamkeitskontrolle durchgeführt werde, insbesondere eine AGB-Kontrolle könnte hier nicht stattfinden. Die Vertragsbedingungen würden jedoch entgegen der Behauptungen der Antragstellerin selbstverständlich einer solchen Überprüfung standhalten und seien rechtmäßig. Die Leistungsbeschreibung sei eindeutig und vollständig und enthalte hinreichende Angaben und erfüllbare Bedingungen.

41

Ferner seien auch die Fristen eindeutig und angemessen, die Antragsgegnerin habe insbesondere die Beschaffung der Perimeterdämmung bei der Fristfestlegung nicht berücksichtigen müssen, dies sei Beschaffungsrisiko des Bieters.

42

Da die Verdingungsunterlagen rechtmäßig seien, sei keine Rechtsverletzung der Antragstellerin ersichtlich, selbst bei einem unterstellten Vergaberechtsverstoß drohe der Antragstellerin kein Schaden durch Beeinträchtigung ihrer Aussichten auf den Erhalt des Zuschlags. Der Nachprüfungsantrag sei damit zumindest auch nicht begründet.

43

Mit Schreiben vom 09.12.2021 hat die Vergabekammer Südbayern einen rechtlichen Hinweis an die Antragsgegnerin erteilt und mitgeteilt, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nach derzeitiger Rechtsauffassung der Vergabekammer zulässig und begründet sei. Die Antragstellerin habe ihr Interesse am Auftrag durch die Rügen und die Stellung des Nachprüfungsantrags hinreichend dargelegt. Ferner sei insbesondere auch § 8a EU VOB/A nach derzeitiger Rechtsauffassung der Vergabekammer bieterschützend.

44

Die Vergabekammer kam weiter zu der vorläufigen Einschätzung, dass die Ausschreibung und insbesondere die Vertragsbedingungen Vergaberechtsverstöße enthalten würden, da sie ein tiefgreifend geändertes Regelwerk enthielten, welches nicht nur punktuell von der VOB/B abweiche. Weiter führt die Vergabekammer aus, dass eine AGB-Kontrolle nicht von der Vergabekammer ausgeführt werde, auf die zivilrechtliche Beurteilung komme es hier nach derzeitiger Auffassung der Vergabekammer jedoch nicht an.

45

Die Vergabekammer hat mit deren Zustimmung und nach Verzicht auf eine mündliche Verhandlung am 08.02.2022 die Sach- und Rechtslage per Videokonferenz mit den Beteiligten erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme.

46

Der ehrenamtliche Beisitzerhat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle einer Verfahrenseinstellung auf den Vorsitzenden und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen.

47

Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der Erörterung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.

II.

48

Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.

49

Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.

50

Gegenstand der Vergabe ist ein Bauauftrag i. S. d. § 103 Abs. 3GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 5.350.000 Euro.

51

Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.

52

  1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

53

1.1. Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.

54

Die Antragstellerinhat ihr Interesse am Auftrag zwar nicht durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Sie hat aber rechtzeitig Rügen gegen die Gestaltung der Vergabeunterlagen, insbesondere der Vertragsbedingungen erhoben und die Unklarheit einzelner Positionen des LV bemängelt. Damit und mit der Stellung des streitgegenständlichen Nachprüfungsantrags hat sie ihr Interesse am Auftrag hinreichend nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten.

55

1.2. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 oder 3GWB entgegen. Die Antragstellerin hat mit ihren Rügen eines Verstoßes der Vertragsbedingungen in den Vergabeunterlagen gegen § 8aEU VOB/A und zur Widersprüchlichkeit der Fristen und Termine vom 21.06.2021 ihrer Rügeobligenheit sowohl nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 als auch Nr. 3 GWB genüge getan. Gleiches gilt auch für die weiteren Rügen vom 09.07.2021 bzgl. der Vorgaben des Leistungsverzeichnisses zur Perimeterdämmung sowie zur ausgeschriebenen Wassereinwirkungsklasse. Hier erfolgte die Rüge noch am selben Tag, an dem die Antragstellerin die – aus ihrer Sicht unzureichenden – Antworten auf ihre Bieterfragen vom 07.07.2021 erhalten hatte.

56

1.3. Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Antragsbefugnis der Antragstellerin.

57

Die Antragstellerin hat rechtzeitig vor dem Termin zur Angebotsabgabe verschiedene von ihr angenommene Verstöße gegen vergaberechtliche Vorschriften gerügt. Sie hat ihr Interesse am Auftrag somit durch diese Rügen und die Stellung des streitgegenständlichen Nachprüfungsantrags in ausreichendem Maße dargelegt.

58

Ein Unternehmen, das rechtzeitig Vergabeverstöße gerügt hat, die im Falle ihres Vorliegens eine Korrektur der Vergabeunterlagen erfordern, muss zum Erhalt seiner Antragsbefugnis kein Angebot in dem seiner Ansicht nach fehlerhaften Vergabeverfahren abgeben. Die Antragstellerin hat in ausreichendem Maße vorgetragen, warum sie eine Angebotsabgabe für unzumutbar hielt. Einer weiteren Darlegung bedarf es nicht. Insbesondere muss ein Bieter in einer solchen Situation nicht darlegen, dass ihm eine Angebotsabgabe unmöglich wäre oder er an jeglicher zumutbaren Kalkulation gehindert wäre.

59

1.4. Die von der Antragstellerin gerügten Verstöße gegen vergaberechtliche Normen sind auch bieterschützend und können in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden.

60

In Bezug auf die gerügten Verstöße gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 GWB aufgrund der LV-Positionen und Antworten auf die Bieterfragen zur Perimeterdämmung und zur Wassereinwirkungsklasse bedarf dies keiner näheren Darlegung.

61

Nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern gilt dies aber auch für Verstöße gegen § 8aEU VOB/A. Diese Vorschrift schreibt vor, dass bei Aufträgen, die im Rahmen von Vergabeverfahren VOB/A vergeben werden, die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden müssen. Sie trifft damit primär Regelungen für die spätere Phase der Auftragsdurchführung, allerdings mit Relevanz für die Kalkulation der Bieter im Vergabeverfahren.

62

Vergaberechtliche Intention der Vorschrift ist es, dafür zu sorgen, dass die VOB/B als Ganzes Anwendung findet und damit nach der Rechtsprechung des BGH (BGH Urteil vom 10.5.2007 – VII ZR 226/05, Urteil vom 22.1.2004 – VII ZR 419/02) eine gesonderte Inhaltskontrolle der einzelnen Regelungen der VOB/B nach §§ 307 ff. BGB nicht stattfindet. Im Vergabeverfahren wird durch diese Regelung dem Interesse des Bieters Rechnung getragen, unabhängig von Unsicherheiten über die Geltung der Regelungen der VOB/B und der Frage der Inhaltskontrolle von AGBs sein Angebot kalkulieren zu können. Hinzu kommt noch, dass alle Beteiligten am Bau aufgrund langjähriger Übung auch ohne juristische Beratung die Regelungen der VOB/B in den Grundzügen kennen und ihr Handeln daran ausrichten. Von jedem Auftraggeber selbst zusammengestellte Bauverträge müssten – auch wenn sie sich am Leitbild des Bauvertragsrechts des BGB orientieren mögen und keine die Auftragnehmer unangemessen beeinträchtigenden Regelungen enthalten – immer von den Bietern im Einzelfall aufwändig kalkulatorisch bewertet werden. Auch dies soll § 8aEU VOB/A vermeiden Die Norm könnte insoweit auch als gesondert normierte Ausprägung des anerkannt bieterschützenden Verbots in § 7EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, dem Bieter ungewöhnliche Wagnisse aufzuerlegen, anzusehen sein.

63

Vor dem Hintergrund der Kalkulationsrelevanz können Verstöße eines Auftraggebers gegen § 8aEU VOB/A nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern ohne Weiteres im Vergabenachprüfungsverfahren geltend gemacht werden, da es sich (auch) um vergaberechtliche Normen handelt. Jedenfalls wenn die Abweichungen von der VOB/B zu einer Verschärfung der Regelungen zu Lasten des Bieters führen oder führen können, ist die Norm bieterschützend (VK Sachsen, Beschluss vom 13.12.2013 – 1/SVK/038-13).

64

Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin in ihren sog. Besonderen Vertragsbedingungen ein in weiten Bereichen von der VOB/B abweichendes Regelwerk aufgestellt, das sich teilweise am Bauvertragsrecht des BGB orientiert. Die VOB/B gilt demgegenüber nur nachrangig und mit den zahlreichen Ergänzungen durch die sog. Besonderen Vertragsbedingungen.

65

Da aufgrund der Vielzahl der Abweichungen nicht mehr davon auszugehen ist, dass die VOB/B als Ganzes vereinbart ist und eine AGBrechtliche Privilegierung der Regelungen vorliegt, unterliegt die Antragstellerin hier genau den Kalkulationsrisiken, vor denen § 8aEU VOB/A die Bieter schützen soll.

66

Zudem benachteiligen nach dem Vortrag der Antragstellerin zahlreiche der Änderungen den künftigen Auftragnehmer im Vergleich zu den Regelungen der VOB/B, was zu weiteren Kalkulationsrisiken führt. Dies führt zu einer potentiellen Verschlechterung der Zuschlagschancen der Antragstellerin und kann von ihr im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden.

67

Die Vergabekammer teilt insbesondere nicht die Auffassung der Antragsgegnerin, dass § 8aEU VOB/A schon deshalb nicht als bieterschützend angesehen werden kann, weil keine entsprechende Regelung in der RL 2014/24/EU besteht. Den Mitgliedsstaaten ist es unbenommen über die Regelungen der Richtlinie hinausgehende bieterschützende Normen zu schaffen, wie z.B. die deutschen Regelungen zur Losvergabe in § 97 Abs. 4 GWB zeigen.

68

Auch die von der Antragsgegnerin geäußerten Zweifel, ob § 8aEU VOB/A über die Verweisung des § 2 VgV von der Verordnungsermächtigung des § 113 GWB gedeckt ist, führen nicht dazu, die Norm als nicht bieterschützend anzusehen. Zu einen ist keineswegs eindeutig, dass § 8aEU VOB/A nicht von der Verordnungsermächtigung des § 113 GWB gedeckt ist, da diese auch die Befugnis zur Regelung von Anforderungen an den Auftragsgegenstand, wozu auch vertragliche Regelungen gehören können, und zum Abschluss des Vertrags umfasst. Andererseits hält sich die Vergabekammer in Fällen in denen es nicht um den Anwendungsvorrang des Europarechts geht, nicht zu einer Inzidentverwerfung einer untergesetzlichen Rechtsnorm befugt.

69

  1. Der zulässige Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die streitgegenständlichen Vergabeunterlagen verstoßen eklatant gegen § 8aEU VOB/A, zudem liegt zumindest bei der Pos. 5.1.1.8 auch ein Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 GWB vor.

70

2.1. Gem. § 8aEU Abs. 1 VOB/A ist in den Vergabeunterlagen vorzuschreiben, dass die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden. Nach § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 1 VOB/A müssen die Regelungen der VOB/B grundsätzlich unverändert bleiben. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass durch die abweichenden Vereinbarungen der Parteien ein Eingriff in die Regelungen der VOB/B vorgenommen wird und auf diese Weise die VOB/B ihre Privilegierung als Allgemeine Geschäftsbedingung verliert.

71

Von diesem Grundsatz sind folgende Ausnahmen möglich: Gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VOB/A können Auftraggeber, die ständig Bauleistungen vergeben, die Regelungen der VOB/B für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch Zusätzliche Vertragsbedingungen ergänzen. Diese Zusätzlichen Vertragsbedingungen dürfen den Regelungen der VOB/B gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A allerdings nicht widersprechen. Ferner können nach § 8aEU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A die Regelungen der VOB/B durch Besondere Vertragsbedingungen ergänzt werden, wobei sich Abweichungen auf die Fälle beschränken sollen, in denen in der VOB/B eine besondere Vereinbarung ausdrücklich vorgesehen ist und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 13).

72

Es spricht im vorliegenden Fall viel dafür, dass die vertraglichen Regelungen unter B -Bauvertrag Ziffer 2.1 der Vergabeunterlagen als Zusätzliche Vertragsbedingungen i.S.d. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VOB/A anzusehen sind, da sie ersichtlich für eine Vielzahl von Bauvergaben der Antragsgegnerin konzipiert wurden. Derartige Zusätzliche Vertragsbedingungen werden regelmäßig als Allgemeine Geschäftsbedingungen gem. § 305 Abs. 1 BGB einzustufen sein, mit der Konsequenz, dass die einzelnen Regelungen der Zusätzlichen Vertragsbedingungen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterfallen, falls keine Privilegierung durch die Vereinbarung der VOB/B als Ganzes eingreift (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 16).

73

Zusätzliche Vertragsbedingungen dürfen den Allgemeinen Vertragsbedingungen der VOB/B gem. § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A jedoch nicht widersprechen, sondern die Regelungen der VOB/B allenfalls konkretisieren oder näher ausgestalten. Eine Konkretisierung der Regelungen der VOB/B kommt beispielsweise dort in Betracht, wo die VOB/B unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet. Für nähere Ausgestaltungen ist insbesondere dort Raum, wo die Regelungen der VOB/B eine gesonderte Abrede zwischen den Parteien voraussetzen. Dies ist z.B. der Fall bei Regelungen zu Ausführungsfristen, die nach § 5 Abs. 1 VOB/B einer Vereinbarung zwischen den Parteien bedürfen oder bei einer Vertragsstrafe gem. § 11 VOB/B.

74

Eine Konkretisierung bzw. Ausgestaltung der VOB/B kommt auch dort in Betracht, wo die Regelungen der VOB/B sogenannte Öffnungsklauseln („wenn nichts anderes vereinbart ist“) enthalten (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 17-20).

75

Die von der Antragsgegnerin getroffenen Regelungen gehen weit über diese zulässigen Konkretisierungen oder in der VOB/B vorgesehenen Ausgestaltungen hinaus.

76

Dies beginnt schon damit, dass nach den Regelungen in den Vergabeunterlagen die VOB/B gerade nicht als Allgemeine Vertragsbedingungen vereinbart sein soll. An ihre Stelle treten die sog. „Besonderen Vertragsbedingungen“ unter Ziffer 2.1, die VOB/B soll nur subsidiär und im Rahmen der zahlreichen Modifikationen gelten.

77

Keine zulässige Konkretisierung oder in der VOB/B vorgesehenen Ausgestaltung stellen beispielsweise folgende Punkte dar:

– der Ausschluss der Null-Abschnitte und der Abrechnungsbestimmungen der VOB/C

– das Recht zur Ersatzvornahme ohne vorherige Auftragsentziehung abweichend von § 4 Abs. 7 VOB/B

– die in der VOB/B nicht vorgesehene Berechtigung der Antragsgegnerin, neue Vertragsfristen nach billigem Ermessen festzulegen

– die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Behinderungsanzeige selbst bei Offenkundigkeit entgegen § 6 Abs. 1 Satz 2 VOB/B

– die Verlängerung der Frist des § 6 Abs. 7 VOB/B auf 6 Monate

– der Ausschluss von § 7 und 12 Abs. 6 VOB/B

– der Ausschluss von Ausschluss von Teilabnahme und fiktiver Abnahme in Abweichung von § 12 Abs. 2 und Abs. 5 VOB/B Auf Vertragsklauseln der Antragsgegnerin, bei denen die Frage einer zulässigen Abweichung von der VOB/B von der Auslegung zivilrechtlicher Rechtsprechung abhängt wie bei den Abänderungen der Regelungen des § 1 Abs. 3 und Abs. 4 VOB/B bei Änderungen des Bauentwurfs bzw. Werkerfolgs oder des § 2 Abs. 5 ff VOB/B bei zusätzlichen Vergütungsansprüchen im Falle von Änderungsanordnungen, kommt es damit für die Annahme eines Verstoßes gegen § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A überhaupt nicht an.

78

Von der Antragsgegnerin gewollt sind hier keine punktuellen Abweichungen von den Regelungen der VOB/B oder dort vorgesehene Ausgestaltungen oder Konkretisierungen, sondern ein tiefgreifend geändertes Regelwerk, das sich teilweise maßgeblich am Bauvertragsrecht des BGB orientiert. Ein solches gegenüber der VOB/B tiefgreifend geändertes Regelwerk lässt § 8aEU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A bei öffentlichen Bauausschreibungen aber gerade nicht zu.

79

Für die vergaberechtliche Beurteilung ist es ohne jeden Belang, ob die etwaigen Regelungen etwa dem gesetzlichen Leitbild des BGB-Bauvertragsrechts entsprechen oder einer AGB-Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB standhalten würden. Dies ist von der Vergabekammer nicht zu entscheiden, sondern Sache der ordentlichen Gerichte. Intention des § 8aEU VOB/A ist, dass sich derartige Fragen in einem Vergabeverfahren überhaupt nicht stellen.

80

An diesem Ergebnis würde sich auch nichts ändern, wenn man die Regelungen als Besonderen Vertragsbedingungen i.S.d. § 8 EU Abs. 2 Nr. 2 S. 2 VOB/A ansehen würde, auch wenn dafür nach Auffassung der Vergabekammer keine Anhaltspunkte ersichtlich sind. Denn auch die Besonderen Vertragsbedingungen sollen sich auf Fälle beschränken, in denen nach der VOB/B besondere Vereinbarungen ausdrücklich vorgesehen sind und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern. Besondere Vereinbarungen sind in der VOB/B ausdrücklich dann vorgesehen, wenn die Regelungen der VOB/B eine gesonderte Abrede zwischen den Parteien voraussetzen (z.B. bei § 5 VOB/B, § 11 VOB/B, § 17 VOB/B) oder aber eine entsprechende Öffnungsklausel beinhalten (z.B. § 2 Abs. 4 VOB/B, § 2 Abs. 7 Nr. 3 VOB/B, § 4 Abs. 4 VOB/B). Darüber hinaus müssen die Eigenart der Bauleistung und ihrer Ausführung die Aufnahme von Besonderen Vertragsbedingungen erfordern. Diese Voraussetzung wird regelmäßig bei komplexen Bauvorhaben mit hohen bautechnischen, baubetrieblichen und/oder terminlichen Anforderungen erfüllt sein (BeckOK VergabeR/Heinrich VOB/A § 8aEU Rn. 24, 25).

81

Auch Besondere Vertragsbedingungen i.S.d. § 8a EU Abs. 2 Nr. 2 S. 2 VOB/A erlauben jedoch kein so grundlegend von der VOB/B abweichendes Regelwerk wie das der Antragsgegnerin. Zudem fehlt jede dokumentierte Begründung, dass die Eigenart der Bauleistung und ihre Ausführung die Aufnahme einer Besonderen Vertragsbedingung erfordern würde.

82

Da zumindest einige der Abweichungen von der VOB/B – wie der Ausschluss der Null-Abschnitte und der Abrechnungsbestimmungen der VOB/C, das Recht zur Ersatzvornahme ohne vorherige Auftragsentziehung abweichend von § 4 Abs. 7 VOB/B oder die Verlängerung der Frist des § 6 Abs. 7 VOB/B auf 6 Monate – auch geeignet sind, die Rechtsstellung des Auftragnehmers im Vertragsvollzug gegenüber einer unveränderten Vereinbarung der VOB/B zu verschlechtern, läge auch dann eine Rechtsverletzung der Antragstellerin vor, wenn man dies zur Voraussetzung für den Bieterschutz der Regelung machen würde (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 13.12.2013 – 1/SVK/038-13). Die Vergabekammer Südbayern tendiert allerdings dazu, dass zumindest bei einem derart eindeutigen Verstoß gegen § 8aEU eine Verschlechterung der Rechtsstellung des künftigen Auftragnehmers im Vertragsvollzug gegenüber einer unveränderten Vereinbarung der VOB/B keine zwingende Voraussetzung für die Annahme von Bieterschutz nach § 97 Abs. 6 GWB ist.

83

2.2. Zumindest bei der Pos. 5.1.1.8 liegt gerade auch unter Berücksichtigung der Beantwortung der Bieterfragen der Antragstellerin ein Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 GWB vor.

84

Ungeachtet der zahlreichen weiteren Streitfragen zu dieser Position stellt jedenfalls die Forderung einer zulässigen Druckspannung von 255 kN/m2 für Produkte mit der Dämmstärke 180mm einen Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 GWB dar.

85

Die Antragsgegnerin ist inhaltlich der Rüge der Antragstellerin, dass sämtliche am Markt erhältlichen, ansonsten LVkonformen Produkte mit der Dämmstärke 180mm nur eine zulässige Druckspannung von 210 kN/m2 haben, nicht entgegengetreten, so dass die Vergabekammer davon ausgehen muss, dass die Rüge inhaltlich zutreffend ist.

86

Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, dass ihre Antwort auf die diesbezügliche Bieterfrage der Antragstellerin mit dem Satz „Die Verlegung ist einlagig zu kalkulieren.“ nach dem objektiven Empfängerhorizont als Zustimmung zur Verwendung von Produkten mit einer geringeren Druckspannung von 210 kN/m2 verstanden werden müsste, kann ihr keinesfalls gefolgt werden. Nimmt der öffentliche Auftraggeber von einer ausdrücklichen, aber mit den am Markt erhältlichen Produkten unerfüllbaren Vorgabe der Leistungsbeschreibung im Rahmen einer Bieterfrage Abstand, muss er dies konkret und unmissverständlich tun. Die Antwort, dass die Verlegung einlagig zu kalkulieren sei, ist auch für einen fachkundigen Bieter vielmehr so zu verstehen, dass der Auftraggeber bei seiner unerfüllbaren Vorgabe bleibt, als dass er seine Zustimmung zu einer Verwendung von Dämmprodukten gibt, die lediglich eine zulässige Druckspannung von 210 kN/m2 haben. Die erforderliche Eindeutigkeit ist damit keinesfalls gegeben.

87

2.3. Vor dem Hintergrund des Verstoßes gegen § 8aEU VOB/A und dem Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 GWB bedürfen die zahlreichen weiteren aufgeworfenen Fragen keiner abschließenden Entscheidung.

88

Das Vergabeverfahren muss ohnehin mindestens in den Stand vor Veröffentlichung der Vergabeunterlagen zurückversetzt und die Vergabeunterlagen korrigiert werden.

89

Die Vergabekammer Südbayern weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass hinsichtlich der Positionen Pos. 5.1.1.2 bis 12 und 16 bis 21 eine Klarstellung geboten ist, ob es auf den Bemessungswert der Wärmeleitfähigkeit (λB) oder auf den Nennwert der Wärmeleitfähigkeit nach DIN EN 13164 (λD) ankommt.

90

Die Streitfrage, ob im Verfahren die Übergabe der Planunterlagen am 17.08.2021 und der Beginn der Hauptleistungen der Baumeisterarbeiten am 13.09.2021 maßgeblich waren und die Regelung, dass mit der Ausführung der Leistung 12 Werktage nach Abruf des AG in Textform zu beginnen war, hierzu im Widerspruch stand, hat sich durch Zeitablauf aufgrund der Nachprüfungsverfahrens erledigt. Der Auftraggeber wird im Falle fortstehender Beschaffungsabsicht entweder neue Fristen festsetzen oder klarstellen müssen, dass nunmehr die Abruffrist von 12 Werktagen maßgeblich ist.

91

Die Vergabekammer Südbayern weist weiterhin darauf, dass die Unwägbarkeiten in welchem Umfang Winterbaumaßnahmen anfallen, möglicherweise ein sachlicher Grund für die Ausschreibung als Bedarfsposition sein könnten. Die Anforderungen hierfür sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 VOB/A allerdings hoch. Nur solche Positionen, bei denen trotz Ausschöpfung aller örtlichen und technischen Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt der Ausschreibung objektiv nicht feststellbar ist, ob und in welchem Umfang Leistungen zur Ausführung gelangen werden, dürfen als Bedarfs- bzw. Eventualposition ausgeschrieben werden (OLG Düsseldorf Beschluss vom 10.2.2010 – Verg 36/09). Allerdings kann die Regelung auf S. 51 des LV von einem verständigen Bieter durchaus so gelesen werden, dass die Auftraggeberin nicht verpflichtet ist, notwendige Winterbaumaßnahmen freizugeben und zu vergüten, obwohl ein Auftragnehmer Winterbaubedingungen leisten müsste. Da dies – nach Angaben der Antragsgegnerin – nicht ihrer Intention entspricht und sie lediglich eine Abstimmung des ausführenden Bauunternehmens mit der Bauleitung vor Ausführung der Winterbaumaßnahmen für erforderlich hält, wäre eine Klarstellung sachdienlich, wenn sich die Streitfrage nicht bereits durch Zeitablauf erledigt hat.

VOB/B für Einsteiger

VOB/B für Einsteiger

von Thomas Ax

Werkvertrag und AGB

Das Vertragsrecht ist allgemein im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Das BGB unterscheidet eine Reihe von unterschiedlichen Vertragsarten, z.B. Kaufvertrag, Dienstvertrag, Werkvertrag. Jeder Bauleistungsvertrag ist ein Werkvertrag nach §§ 631 bis 651 BGB. Wenn die VOB/B als Vertragsgrundlage vereinbart wird, handelt es sich hierbei um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) nach § 305 BGB. Die VOB/B hebelt also das BGB nicht aus, sondern ergänzt das BGB um bauspezifische Regelungen. Außerdem ändert die VOB/B einige Regelungen des BGB unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse bei Baumaßnahmen. Es ist deshalb übrigens eigentlich falsch, zwischen „BGB-Vertrag“ und „VOB-Vertrag“ zu unterscheiden. Richtig wäre „BGB-Vertrag“ und „BGB-Vertrag mit VOB als Vertragsbestandteil“. Zugegebenermaßen ist die übliche Unterscheidung nach BGB- und VOB-Vertrag umgangssprachlich einfacher.

AGB und Inhaltskontrolle

Gemäß § 307 BGB unterliegen AGBs der Inhaltskontrolle. Das bedeutet, dass im Streitfall überprüft wird, ob einzelne Klauseln in AGBs unwirksam sind, weil sie den Vertragspartner des Verwenders der AGB, also desjenigen, der die AGB zum Vertragsbestandteil gemacht hat, entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Nach § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

Sonderstellung der VOB

Für die VOB enthält das BGB nun aber eine Sonderregelung. Nach § 310 BGB entfällt die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, wenn die VOB/B in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist. Diese Bestimmung des BGB bedeutet aber auch, dass die VOB/B der Inhaltskontrolle zu unterwerfen ist, sobald eine einzige Klausel der VOB/B verändert wird. Das hat bereits der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom 22.01.2004 (Aktenzeichen VII ZR 419/02) so entschieden:

„Jede vertragliche Abweichung von der VOB/B führt dazu, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist. Es kommt nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat.“

Dieses BGH-Urteil war der Grund dafür, dass inzwischen im BGB festgehalten ist, dass die Inhaltskontrolle nur entfällt, wenn die VOB/B ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist.

Beim Aufstellen von Vergabeunterlagen bei Ausschreibungen, zumindest bestehend aus Besonderen Vertragsbedingungen und der Leistungsbeschreibung, muss der Auftraggeber – und damit auch der für den Auftraggeber tätige Architekt oder Ingenieur – darauf achten, dass keine unzulässigen Änderungen der VOB/B vorgenommen werden. Das würde im Rechtsstreit dazu führen, dass im Zuge der Inhaltskontrolle alle Klauseln, die den Auftraggeber bevorteilen, entfallen und durch die entsprechenden Bestimmungen des BGB ersetzt werden. Alle Klauseln aber, die dem Vertragspartner, also dem Auftragnehmer, einen Vorteil einräumen, bleiben bestehen.

Der umgekehrte Fall liegt vor, wenn ein Auftragnehmer von sich aus einem Auftraggeber ein Angebot unterbreitet und darin die VOB/B als Vertragsbestandteil festlegt. Dann ist der Auftragnehmer der Verwender der AGB VOB/B. Wenn in diesem Fall der Auftragnehmer einzelne Klauseln der VOB/B verändert, wird sich das im Fall eines Rechtsstreits im Zuge der dann durchzuführenden Inhaltskontrolle zu seinen Ungunsten auswirken.

Zulässige Abweichungen von der VOB/B

Darf denn dann überhaupt von einer Klausel der VOB/B abgewichen werden?

Die Antwort lautet ja. Alle Klauseln der VOB/B, bei denen die VOB/B ausdrücklich sagt, dass abweichende Regelungen zulässig sind, dürfen selbstverständlich geändert werden. Die VOB/B empfiehlt bei einigen Klauseln sogar ausdrücklich, dass die Vertragsparteien etwas vereinbaren sollen. Nur wenn sie das unterlassen, greift die VOB/B mit einer eigenen Regelung ein. Ein Beispiel hierfür ist die Vereinbarung einer Verjährungsfrist für Mängelansprüche. Die VOB/B sagt in § 13 Abs. 4 ausdrücklich: „Ist für Mängelansprüche keine Verjährungsfrist im Vertrag vereinbart, so beträgt sie für Bauwerke 4 Jahre …“ Also ist es selbst verständlich zulässig, eine Verjährungsfrist von z.B. fünf Jahren zu vereinbaren.

Nur dürfen die anderen Regelungen zur Regelung von Mängelansprüchen nach § 13 VOB/B, bei denen nicht der ausdrückliche Hinweis auf zulässige andere Vereinbarungen zu finden ist, nicht verändert werden.

Auswirkungen auf die Gestaltung der Vergabeunterlagen

In den Vergabeunterlagen ist vorzuschreiben, dass die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden. Das gilt auch für etwaige Zusätzliche Vertragsbedingungen und etwaige Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen, soweit sie Bestandteile des Vertrags werden sollen. Die Allgemeinen Vertragsbedingungen bleiben grundsätzlich unverändert. Sie können von Auftraggebern, die ständig Bauleistungen vergeben, für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch Zusätzliche Vertragsbedingungen ergänzt werden. Diese dürfen den Allgemeinen Vertragsbedingungen nicht widersprechen. Für die Erfordernisse des Einzelfalles sind die Allgemeinen Vertragsbedingungen und etwaige Zusätzliche Vertragsbedingungen durch Besondere Vertragsbedingungen zu ergänzen. In diesen sollen sich Abweichungen von den Allgemeinen Vertragsbedingungen auf die Fälle beschränken, in denen dort besondere Vereinbarungen ausdrücklich vorgesehen sind und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern. Die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen bleiben grundsätzlich unverändert. 2Sie können von Auftraggebern, die ständig Bauleistungen vergeben, für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen ergänzt werden. 3Für die Erfordernisse des Einzelfalles sind Ergänzungen und Änderungen in der Leistungsbeschreibung festzulegen.

In den Zusätzlichen Vertragsbedingungen oder in den Besonderen Vertragsbedingungen sollen, soweit erforderlich, folgende Punkte geregelt werden:

a)           Unterlagen (§ 8b Absatz 3; § 3 Absatz 5 und 6 VOB/B),

b)           Benutzung von Lager- und Arbeitsplätzen, Zufahrtswegen, Anschlussgleisen, Wasser- und Energieanschlüssen (§ 4 Absatz 4 VOB/B),

c)           Weitervergabe an Nachunternehmen (§ 4 Absatz 8 VOB/B),

d)           Ausführungsfristen (§ 9; § 5 VOB/B),

e)           Haftung (§ 10 Absatz 2 VOB/B),

f)            Vertragsstrafen und Beschleunigungsvergütungen (§ 9a; § 11 VOB/B),

g)           Abnahme (§ 12 VOB/B),

h)           Vertragsart (§§ 4, 4a), Abrechnung (§ 14 VOB/B),

i)            Stundenlohnarbeiten (§ 15 VOB/B),

j)            Zahlungen, Vorauszahlungen (§ 16 VOB/B),

k)           Sicherheitsleistung (§ 9c; § 17 VOB/B),

l)            Gerichtsstand (§ 18 Absatz 1 VOB/B),

m)         Lohn- und Gehaltsnebenkosten,

n)           Änderung der Vertragspreise (§ 9d).

Im Einzelfall erforderliche besondere Vereinbarungen über die Mängelansprüche sowie deren Verjährung (§ 9b; § 13 Absatz 1, 4 und 7 VOB/B) und über die Verteilung der Gefahr bei Schäden, die durch Hochwasser, Sturmfluten, Grundwasser, Wind, Schnee, Eis und dergleichen entstehen können (§ 7 VOB/B), sind in den Besonderen Vertragsbedingungen zu treffen. Sind für bestimmte Bauleistungen gleichgelagerte Voraussetzungen im Sinne von § 9b gegeben, so dürfen die besonderen Vereinbarungen auch in Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen vorgesehen werden.

VOB und Verbraucher

Eine Besonderheit stellen Verträge zwischen einem Auftragnehmer und einem Verbraucher dar. In § 310 Abs. 3 BGB wird festgelegt, dass die Inhaltskontrolle bei Verbraucherverträgen nur dann entfällt, wenn die VOB/B durch den Verbraucher als AGB verwendet, also zum Vertragsbestandteil gemacht wird.

Das ist logischerweise immer der Fall, wenn ein Verbraucher Bauleistungen ausschreibt und in den Vergabeunterlagen vorgibt, dass die VOB/B Vertragsbestandteil sein soll.

Bei einem Verbraucher, der die VOB üblicherweise nicht kennen muss, ist es aber zwingend erforderlich, dass der für ihn ausschreibende Architekt oder Ingenieur seinen Auftraggeber über die Vor- und Nachteile, die sich aus der VOB/B (und auch VOB/C!) für ihn ergeben, aufklärt. Der Verbraucher muss dann entscheiden, ob er die VOB als Vertragsbestandteil vorgeben will oder nicht. Diese Entscheidung darf dem Verbraucher seinem Architekten oder Ingenieur nicht vorenthalten, indem er einfach von sich aus die VOB/B in den Vergabeunterlagen vorgibt. Das kann zu Haftungsansprüchen des Auftraggebers gegenüber seinem Architekten/Ingenieur führen!

Wer ist nun ein Verbraucher? Das definiert § 13 BGB. Danach ist ein Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Nach dieser Definition ist also z.B. auch ein Architekt Verbraucher, wenn er privat sein eigenes Haus neu- oder umbaut. Betrifft der Neu- oder Umbau dagegen sein Büro, steht das im Zusammenhang mit seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit und damit ist er in dem Fall kein Verbraucher.

AxTiefbaurecht unterstützt GU bei der Realisierung des letzten Teilstücks des Rheingau-Radwegs: Letztes Teilstück des Rheingau-Radwegs wird gebaut

AxTiefbaurecht unterstützt GU bei der Realisierung des letzten Teilstücks des Rheingau-Radwegs: Letztes Teilstück des Rheingau-Radwegs wird gebaut

Tatsächlich endet der Rheingau-Radweg von Westen kommend unvermittelt kurz vor dem Rüdesheimer Ortsschild. Radfahrer müssen für die letzten 600 Meter auf die vielbefahrene, nicht mal sechs Meter breite Bundesstraße wechseln und dann im Gegenverkehr die Straße queren, um in die Innenstadt zu gelangen. An der Gefahrenstelle mahnen zwar Zweirad-Überholverbotsschilder. Doch daran hält sich niemand. Auch die 30 km – Beschränkung ist für die Autofahrer uninteressant. Die Radwegeführung hat ursprünglich im Zusammenhang mit einer Verlegung der Bahnstrecke bei Rüdesheim in einen Tunnel gestanden. Doch dieses Projekt sei im Jahr 2012 aufgegeben worden. Derweil soll der Radweg nun auf einem heutigen Abstellgleis der Bahn entstehen. Die geplanten Kosten: etwa 1,8 Millionen Euro. Damit kann die Strecke in Gänze zu einem “erstklassigen Erlebnis” für Radfahrer werden.

Preview TiefbauRecht Heft 7/2025

Preview TiefbauRecht Heft 7/2025

OLG Celle zu der Frage, wer für Wandrisse aufgrund von Kanalbauarbeiten haftet

vorgestellt von Thomas Ax

Auch im Bereich der Daseinsvorsorge (hier städtische Entwässerung) kann eine Haftung des Staates bestehen, wenn der übertragene hoheitliche Charakter der Aufgabe im Vordergrund steht, ein enger Zusammenhang zwischen der Maßnahme und der schädigenden Handlung vorliegt und das private Unternehmen lediglich als “Werkzeug” oder “verlängerter Arm” der öffentlichen Hand agiert, ohne dass diese auf die Fachkunde des Unternehmers zurückgreift, weil ihre eigenen Fachleute den detaillierten Bauablauf vorgegeben haben, diesen überwachen und alle anfallenden Entscheidungen treffen (hier bejaht für Arbeiten an einem städtischen Entwässerungskanal). Das bauausführende Unternehmen handelt in einem solchen Fall als Verwaltungshelferin in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes. Damit ist eine Überleitung der Haftung auf die beauftragende öffentlich-rechtliche Körperschaft verbunden. Eine Klage gegen das bauausführende Unternehmen ist dann als unzulässig abzuweisen (vgl. BGH, Urteil vom 11.07.2018 – IV ZR 243/17, Rz. 32, IBRRS 2018, 2508), weil die nach § 51 Abs. 1 ZPO erforderliche Prozessführungsbefugnis der Beklagten nicht gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2005 – VIII ZR 301/03, Rz. 7, IBRRS 2005, 2101).

OLG Celle, Urteil vom 08.01.2025 – 14 U 49/24

Gründe:

I.

Die Klägerin ist Eigentümerin einer vermieteten Eigentumswohnung in der O.straße … im II. Obergeschoss rechts in H. Die Beklagte führte im November 2021 in der W.straße Kanalbauarbeiten am dortigen Schmutzwasserkanal durch.

Die Klägerin behauptet, durch die Kanalbauarbeiten der Beklagten, die in ca. 20 m Entfernung von ihrem Haus entfernt stattgefunden hätten, seien in ihrem Wohn- und Schlafzimmer massive Risse in den Wänden entstanden (vgl. Lichtbilder, Bl. 4ff. EA). Vor Beginn der Arbeiten seien die massiven Risse in den Wänden in den beiden Zimmern nicht vorhanden gewesen. Durch die Bauarbeiten hätten an vielen Tagen die Hauswände vibriert; Gläser und Tassen hätten massiv in den Regalen vibriert. Durch die Ausschachtungs- und Rammarbeiten seien im ganzen Haus, auch im Keller, Risse entstanden. Zur Schadensbeseitigung seien netto 7.140,00 Euro erforderlich. Die Wände mit Rissbildung seien zu behandeln, d. h. die Fugen zu erweitern, die Wände zu grundieren, die Risse mit Fugenmaterial zu verfüllen und an die Wandflächen anzuarbeiten. Schließlich seien die Wandbereiche fachgerecht zu streichen. Bei den Schäden handele es sich um Schäden am Sondereigentum, nämlich dem Putz der fraglichen Räume.

Die Klägerin bestreitet, dass die Arbeiten am Entwässerungssystem seitens der Landeshauptstadt Hannover in Auftrag gegeben worden seien. Sie habe dazu auch keine Information erhalten.

Die Beklagte bestreitet sowohl die Aktiv- als auch Passivlegitimation. Aktivlegitimiert für Schadensersatzansprüche sei nur die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, nicht hingegen die Klägerin als einzelne Wohnungseigentümerin. Die tragenden Mauern und Wände seien dem Gemeinschaftseigentum zuzuordnen. Die Beklagte habe zudem als Verwaltungshelferin unselbstständig und im öffentlichen Auftrag ausschließlich hoheitliche Pflichten vorgenommen. Die Stadtentwässerung habe der Beklagten ein klares Leistungsverzeichnis vorgegeben, in dem sämtliche Schritte der Baumaßnahme vorgegeben und von der Beklagten als Auftragnehmerin entsprechend zu erfüllen gewesen seien.

Im Übrigen seien die Kanalbauarbeiten, die in einer Entfernung von 70 m zum Haus der Klägerin stattgefunden hätten, nicht schadensursächlich gewesen. Vielmehr seien die Risse auf vorhandene bauliche Anomalitäten zurückzuführen.

Gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlichen Anträge auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Klägerin fehle es an der erforderlichen Prozessführungsbefugnis für die geltend gemachten Schadensersatzansprüche. Prozessführungsbefugt sei gemäß § 9a Abs. 2 WEG allein die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, weil es sich bei dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB um “aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte” im Sinne von § 9a Abs. 2 WEG handele, die allein die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ausübe.

Die Klägerin wendet sich gegen das landgerichtliche Urteil und verfolgt ihre erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiter. Sie bezieht sich im Berufungsverfahren auf eine nach der Verkündung des landgerichtlichen Urteils erfolgte Abtretungsvereinbarung vom 11.04.2024, nach der die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ihre sämtlichen Ansprüche auf Schadenersatz gegen die Beklagte aus den von dieser verursachten Beschädigungen des Hauses O.straße … – insbesondere im Bereich der Wände im Wohn- und Schlafzimmer der Wohnung O.straße …, II. OG rechts – aufgrund Straßenbau- und Tiefbauarbeiten an die Klägerin zur gerichtlichen Verfolgung dieser Ansprüche abgetreten hat.

Sie beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Hannover zum Az. 16 O 280/23 vom 23.02.2024 zu verurteilen, an die Klägerin 7.140,00 Euro nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte bestreitet vorsorglich, dass der Beschluss wirksam sei, und meint, der diesbezügliche Vortrag der Klägerin sei verspätet. Im Übrigen nimmt sie auf ihren erstinstanzlichen Vortrag Bezug, den sie aufrecht erhält.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K. und H. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen. Der Senat nimmt ferner Bezug auf seinen Hinweisbeschluss vom 23.07.2024 sowie – wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes – auf den vorgetragenen Inhalt der zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie keinen Erfolg.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte gem. § 823 Abs. 1 BGB aufgrund einer Eigentumsverletzung an ihrem Sondereigentum gem. § 5 WEG oder am Gemeinschaftseigentum, denn es besteht bereits keine Passivlegitimation der Beklagten.

Es kann insoweit dahinstehen, ob das Landgericht aus eigener Sachkunde – ohne Gutachten – entscheiden konnte, dass es sich bei den behaupteten Wandrissen um Schäden am Gemeinschaftseigentum und nicht am Sondereigentum gehandelt hat, für welches die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt noch nicht prozessführungsbefugt war. Denn durch die nach Abschluss der ersten Instanz erfolgte Abtretung eventueller Schadensersatzansprüche der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer an die Klägerin ist diese prozessführungsbefugt (a). Die Klage scheitert an der mangelnden Passivlegitimation der Beklagten (b).

a) Die Klägerin ist prozessführungsbefugt. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hat der Klägerin gem. § 9a Abs. 2 WEG iVm § 398 BGB sämtliche Ansprüche auf Schadensersatz gegen die Beklagte aus den von dieser verursachten Beschädigungen des Hauses O.straße … – insbesondere im Bereich der Wände im Wohn- und Schlafzimmer der Wohnung O.straße …, II. OG rechts – aufgrund Straßenbau- und Tiefbauarbeiten zur gerichtlichen Verfolgung abgetreten (vgl. Abtretungserklärung vom 11.4.2024, Bl. 27 EA sowie Protokoll der Eigentümerversammlung vom 11.4.2024, Bl. 29 f. EA).

Die Abtretung von Ansprüchen gem. § 398 BGB an einzelne Wohnungseigentümer durch die Gemeinschaft ist zulässig (vgl. Abramenko in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 8. Auflage 2024, § 9a WoEigG, Rn. 62b). Insoweit sind bestimmbare Forderungen grundsätzlich – abgesehen von Ausnahmen – ohne Mitwirkung des Schuldners übertragbar. Auch künftige Forderungen sind abtretbar (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2005 – XI ZR 289/04, Rn. 15 mwN, NJW-RR 2005, 1408).

Die Klägerin darf sich auch auf die erst nach Abschluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz erfolgte Abtretung berufen, ohne dass der Erwerb dieser Rechtsposition als nachlässig iSv § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO gesehen werden müsste. Eine Pflicht zur beschleunigten Schaffung materiellrechtlicher Voraussetzungen kann den prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften nicht entnommen werden. Insofern hat der Bundesgerichtshof die Präklusion eines Verteidigungsmittels abgelehnt, das der dortige Beklagte erst aufgrund eines von ihm während des Rechtsstreits erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses geltend machen konnte (BGH, Urteil vom 10. März 2011 – IX ZR 82/10; MDR 2011, 754, Rn. 18). Für einen Rechtserwerb im Wege der Abtretung kann nichts Anderes gelten (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011 – X ZR 77/10, Rn. 14).

b) Die Klage ist jedoch als unzulässig abzuweisen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2018 – IV ZR 243/17, Rn. 32), weil die nach § 51 Abs. 1 ZPO erforderliche Prozessführungsbefugnis der Beklagten nicht gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2005 – VIII ZR 301/03, Rn. 7). Bei der gesetzlichen Prozessführungsbefugnis handelt es sich um eine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1992 – XII ZR 125/91, NJW-RR 1993, 442; BGH, Urteil vom 24. September 1996 – XI ZR 185/94, WM 1996, 2247; BGH, Urteil vom 25. Mai 2005 – VIII ZR 301/03, Rn. 8).

aa) Die Beklagte ist als Verwaltungshelferin in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes tätig geworden wäre. Damit ist eine Überleitung der – hier behaupteten – Haftung der Beklagten auf die beauftragende öffentlich-rechtliche Körperschaft erfolgt.

Gemäß § 839 BGB iVm Art. 34 S. 1 GG tritt – im Wege der befreienden Haftungsübernahme – die jeweilige Anstellungskörperschaft als Anspruchsgegnerin des Geschädigten an die Stelle dessen, der in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat. In diesem Falle scheidet eine persönliche Haftung des Amtsträgers gegenüber dem Geschädigten aus (BGH, Urteil vom 11. Januar 2024 – III ZR 15/23, Rn. 9; Urteil vom 9.10.2014 – III ZR 68/14; OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.12.2017 – 7 U 97/16; OLG Hamm, Urteil vom 6. April 2022 – I-11 U 77/21).

Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes darstellt, bestimmt sich danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen (BGH, Urteil vom 11. Januar 2024 – III ZR 15/23, Rn. 11). Hiernach können auch Mitarbeiter eines privaten Unternehmens Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne sein. Dies kommt dann in Betracht, wenn Private als Verwaltungshelfer bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben tätig werden. Dafür ist erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang und eine engere Beziehung zwischen der Betätigung des Privaten und der hoheitlichen Aufgabe besteht, wobei die öffentliche Hand in so weitgehendem Maße auf die Durchführung der Arbeiten Einfluss nimmt, dass der Private gleichsam als bloßes “Werkzeug” oder “Erfüllungsgehilfe” des Hoheitsträgers handelt und dieser die Tätigkeit des Privaten deshalb wie eine eigene gegen sich gelten lassen muss.

Es ist mithin eine Gesamtbetrachtung anzustellen, der ein “bewegliches Beurteilungsraster” zugrunde liegt: Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der öffentlichen Hand zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Privaten ist, desto näher liegt es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 2023 – III ZR 215/21, Rn. 25).

Jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung kann sich die öffentliche Hand der Amtshaftung für fehlerhaftes Verhalten ihrer Bediensteten grundsätzlich nicht dadurch entziehen, dass sie die Durchführung einer Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer überträgt (BGH, Urteil vom 11. Januar 2024 – III ZR 15/23; Urteil vom 06.06.2019 – III ZR 124/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.12.2017 – 7 U 97/16; OLG Hamm, Urteil vom 29.07.2015 – 11 U 32/14; OLG Hamm, Urteil vom 30.03.2011 – 11 U 221/10; OLG Hamm, Urteil vom 6. April 2022 – I-11 U 77/21).

Aber auch im Bereich der Daseinsvorsorge kann dann eine staatliche Haftung vorliegen, wenn der hoheitliche Charakter der Maßnahme im Vordergrund steht, ein enger Zusammenhang zwischen Maßnahme und schädigender Handlung besteht und keinerlei eigener Entscheidungs- und Ausführungsspielraum für den Unternehmer besteht (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – III ZR 68/14, Rn. 19 – Beauftragung eines Winterdienstes durch einen Hoheitsträger).

bb) So liegt der Fall hier. Die Arbeiten der Beklagten an der Infrastruktur – hier Entwässerungssystem – als Teil der Daseinsvorsorge haben hoheitlichen Charakter. Die Abwasserbeseitigung ebenso wie die Straßenbaulast gehören zur schlichten Hoheitsverwaltung im Bereich der Daseinsvorsorge; ihre Wahrnehmung ist Ausübung eines öffentlichen Amtes (vgl. Wingler in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 839 BGB (Stand: 15.11.2024), Rn. 68 ff. 75 mwN). Der hoheitliche Charakter der Maßnahme – Erneuerung des Schmutzwasserkanals – stand bei der Baumaßnahme auch im Vordergrund. Zwischen der Maßnahme und der schädigenden Handlung bestand ein enger äußerer und innerer Zusammenhang, denn die – behaupteten – Beschädigungen am Eigentum der Klägerin sollen durch die Maßnahme verursacht worden sein.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wurden die Arbeiten am Entwässerungskanal von einem Hoheitsträger – der Landeshauptstadt Hannover – in Auftrag gegeben. Die Beklagte hatte bei der Ausführung des Auftrags keine eigenen Gestaltungs- oder Entscheidungsspielräume und keine Möglichkeit, von den Vorgaben ihrer Auftraggeberin abzuweichen. Diese hatte die einzelnen Arbeiten zuvor in einem Leistungsverzeichnis genau aufgeführt und war durch eigene Bauleiter vor Ort, die die Arbeiten der Beklagten überwacht und kontrolliert haben. Bei Problemen oder Fragen hat die Auftraggeberin, vertreten durch ihre Mitarbeiter, selbst entschieden.

Der Zeuge K. hat in seiner Vernehmung plausibel, ausführlich und nachvollziehbar ausgeführt, er sei Angestellter der Landeshauptstadt Hannover und als solcher Sachgebietsleiter bei der Stadtentwässerung, zuständig für den Kanalbau. Er sei damals im Jahr 2020/2021 für das hier streitige Projekt – Erneuerung des Schmutzwasserkanals der W.straße – verantwortlich gewesen. Das Bauvorhaben sei aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung von der Landeshauptstadt Hannover an die Beklagte vergeben worden. Es habe ein sehr detailliertes Leistungsverzeichnis (“haarklein alles aufgeführt”) gegeben, das der Auftragnehmerin keinen eigenen Gestaltungs- oder Entscheidungsspielraum gelassen habe. Alles sei vorgegeben gewesen, alle Arbeiten seien in Absprache mit der Stadtentwässerung durchgeführt worden. Sogar die eingesetzten Geräte seien kontrolliert worden. Bei Konflikten oder Fragen hätten die städtischen Mitarbeiter, nicht die Beklagte, entschieden.

Diese Angaben wurde auch von dem Zeugen H. bestätigt, der bekundet hat, zum Zeitpunkt der damaligen Arbeiten an dem Schmutzwasserkanal der W.straße bei der Beklagten als Bauleiter angestellt gewesen zu sein und die dortigen Arbeiten für die Beklagte betreut zu haben. Es sei damals nicht so gewesen, dass er und die übrigen Mitarbeiter der Beklagten eigenverantwortlich gearbeitet hätten. Alles sei mit der Stadt abgestimmt gewesen. Es habe Bauleiter der Stadtentwässerung gegeben, die alle Arbeiten der Beklagten kontrolliert und überwacht hätten. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten lediglich die Vorgaben der Stadt abgearbeitet. Wenn es Fragen oder Probleme gegeben habe, habe stets die Stadt entschieden.

Der Senat hat weder in Bezug auf die Aussagen des Zeugen K. noch in Bezug auf die ebenso nachvollziehbaren Angaben des Zeugen H., die sich zudem mit den Bekundungen des Zeugen K. decken, Zweifel, dass diese der Wahrheit entsprechen. Es ist überdies fernliegend, dass ein anderer als ein öffentlicher Auftraggeber – hier die Landeshauptstadt Hannover – die Erneuerung eines Schmutzwasserkanals über eine gesamte Straßenbreite in Auftrag geben würde. Hierzu gibt es seitens der Klägerin – außer dem einfachen Bestreiten, dem der Senat durch die Zeugenvernehmung nachgekommen ist – auch keinen Vortrag.

Der hier vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich insofern von demjenigen, den der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 13.04.2023 zu entscheiden hatte. Dort war dem von der öffentlichen Hand beauftragten Fachunternehmen bei der Montage von Schutzplanken ein eigener Entscheidungsbeziehungsweise Ausführungsspielraum gelassen worden, überdies stand dort der hoheitliche Charakter der Maßnahme nicht im Vordergrund (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 2023 – III ZR 215/21, Rn. 28, 30).

Der Senat verkennt nicht, dass eine Haftung des Staates insbesondere für den Bereich der Eingriffsverwaltung geboten ist, in dem der Staat mit hoheitlichen Anordnungen in die Rechts- und Freiheitssphäre von Bürgern eingreift und sich daher nicht der eigenen Haftung dadurch entziehen kann, dass er die Durchführung einer Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer überträgt (st. Rspr. vgl. BGH, Urteil vom 13. April 2023 – III ZR 215/21, Rn. 28 mwN), welche hier nicht vorliegt. Dennoch kann – wie hier – auch im Bereich der Daseinsvorsorge eine Haftung des Staates bestehen, wenn der übertragene hoheitliche Charakter der Aufgabe im Vordergrund steht, ein enger Zusammenhang zwischen der Maßnahme und der schädigenden Handlung vorliegt und das private Unternehmen lediglich als “Werkzeug” oder “verlängerter Arm” der öffentlichen Hand agiert, ohne dass diese auf die Fachkunde des Unternehmers zurückgreift, weil ihre eigenen Fachleute den detaillierten Bauablauf vorgegeben haben, diesen überwachen und alle anfallenden Entscheidungen treffen.

2. Mangels Hauptforderungen besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen.

OLG Brandenburg zu der Frage, dass die Parteien eines Werkvertrages im Zweifel auch die Funktionstauglichkeit des Werkes als Beschaffenheit (konkludent) vereinbart haben, wozu insbesondere die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik gehört

OLG Brandenburg zu der Frage, dass die Parteien eines Werkvertrages im Zweifel auch die Funktionstauglichkeit des Werkes als Beschaffenheit (konkludent) vereinbart haben, wozu insbesondere die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik gehört

vorgestellt von Thomas Ax

Der Werklohnanspruch des Auftragnehmers wird auch ohne Setzung einer angemessenen Abnahmefrist fällig, wenn der Auftraggeber die Abnahme endgültig verweigert. Ob ein mit Pflasterarbeiten betrauter Auftragnehmer (auch) die Beseitigung eines Kontergefälles schuldet, ist durch Auslegung des Vertrags nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu ermitteln, wobei neben dem Wortlaut der vertraglichen Vereinbarung insbesondere auch deren Begleitumstände und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen sind. Die Ausführungsvorschriften zu § 7 des Berliner Straßengesetzes über Geh- und Radwege (AV Geh- und Radwege) stellen keine das Vertragssoll bestimmenden allgemein anerkannten Regeln der Technik oder (zwingende) Normen des öffentlichen Rechts dar. Die Verletzung der Prüfungs- und Hinweispflicht ist kein Tatbestand, der die Mängelhaftung begründen kann; vielmehr befreit die Erfüllung der Prüfungs- und Hinweispflicht den Auftragnehmer (ausnahmsweise) von der verschuldensunabhängigen Mangelhaftung.

OLG Brandenburg, Urteil vom 19.03.2025 – 4 U 68/24

Gründe
I.
Die Klägerin verlangt Werklohn für Pflasterarbeiten an einem Gehsteig, die die Beklagte für mangelhaft hält, weil die Gefällerichtung nach ihrer Ansicht falsch sei.
Die Beklagte war mit Pflasterarbeiten an einem öffentlichen Gehsteig in der K… Str. … B… beauftragt worden. Im Nachgang zu einem Ortstermin listete das B… Straßen- und Grünflächenamt (im Folgenden nur „Straßenamt“) in einer Email vom 28.01.2021 (Anlage B1, S. 3) verschiedene Mängel des Pflasters auf, u.a. „Gefälle zum Haus statt zur Fahrbahn (2,5%)“. Mit Schreiben des Projektsteuerers G.. vom 10.05.2021 (Anlage B1) wurde die Beklagte zur Mängelbeseitigung aufgefordert. In diesem Schreiben wurden die in der vorerwähnten Email aufgeführten Mängel näher beschrieben, nicht jedoch die fehlerhafte Gefällerichtung. Die Email vom 28.01.2021 lag diesem Schreiben als Anlage bei.
In einem Telefonat am 10.03.2022 sprach der Prokurist der Beklagten, der Zeuge T…, mit einem Mitarbeiter der Klägerin, ob die Klägerin bereit sei, die Arbeiten zur Mängelbeseitigung zu übernehmen. Der nähere Inhalt des Telefonats ist streitig. Im Nachgang zu diesem Telefonat übersandte der Zeuge T… eine Email an die Klägerin, in der es heißt:
„[…] wie soeben telefonisch besprochen ein paar Unterlagen zur K… Straße .. zur Einsicht. Wir müssen dem Kunden leider sehr kurzfristig (morgen) einen ungefähren Termin zur Ausführung benennen, hierzu bitte ich um telefonische (mobil) Rücksprache. […]“
Dieser Email war jedenfalls das Schreiben des Projektsteuerers G.. vom 10.05.2021 beigefügt.
Unter dem 14.03.2022 (Anlage K1) unterbreitete die Klägerin der Beklagten das Angebot, den „Gehsteig gemäß Mangelprotokoll G.. / TBA v. 10.5.21 in Gänze“ zu „überarbeiten“. Dem lag ein Einheitspreis von 65 €/qm bei einer angenommenen Fläche von 320 qm zugrunde. Die Beklagte nahm das Angebot mit kleineren handschriftlichen Änderungen an. Die Klägerin führte die Pflasterarbeiten aus, ohne allerdings die Gefällerichtung zur Fahrbahn hin zu ändern.
Die Klägerin legte unter dem 31.03.2022 eine Teilrechnung über 10.000 € (Anlage K3) sowie unter dem 04.04.2022 eine Schlussrechnung über 14.795,95 € für eine Fläche von 227,63 qm (Anlage K4). In der Schlussrechnung ist das Aufmaß im Einzelnen angegeben. Eine Mahnung der Klägerin vom 30.05.2022 (Anlage K5) blieb ebenso fruchtlos, wie ein Anwaltsschreiben vom 30.06.2022 (Anlage K6). Das Verlangen der Klägerin auf förmliche Abnahme vom 07.07.2022 (zugegangen am 11.07.2022) lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 22.07.2022 ab.
Den Schlussrechnungsbetrag (gemäß § 13b UStG netto), verlangt die Klägerin mit der Klage.
Die Klägerin behauptet, sie habe die Email des Straßen- und Grünflächenamtes vom 28.01.2021 vor der Beauftragung nicht erhalten. Vielmehr sei vor ihrer Beauftragung telefonisch zwischen ihrem Geschäftsführer, dem Zeugen F… (als Bauleiter) und dem Zeugen T… (Prokurist der Beklagten) besprochen worden, dass die Gefällesituation nicht geändert werden solle. Sie meint, die Änderung der Gefällerichtung zur Fahrbahn hin sei nicht geschuldet, zumal im Bereich der Hauswand Entwässerungsanlagen vorhanden seien. Die Klägerin habe den Einheitspreis nur für die Korrektur des vorgefundenen Pflasters berechnet; eine Änderung des Gefälles hätte einen höheren Einheitspreis zur Folge gehabt. Im Übrigen sei die gewünschte Änderung der Gefällerichtung technisch kaum möglich, weil der Gehsteig dann unterhalb der Fahrbahnebene enden würde. Die dann nötige Anpassung der Höhenniveaus der Fahrbahn würde Baukosten in Millionenhöhe verursachen. Das zuständige Straßenamt habe die Fläche als fachgerecht und mangelfrei befunden. Die Klägerin meint, in der Schlussrechnung sei eine Fertigstellungsanzeige zu sehen, so dass die Werkleistung gemäß § 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B als abgenommen gelte und der Werklohn fällig sei.
Die Beklagte hat die in der Schlussrechnung angesetzte Menge von 227,63 qm bestritten. Sie hat die Ansicht vertreten, auch die Korrektur der Gefällerichtung sei Vertragsinhalt geworden, nicht zuletzt, weil nach den Berliner Ausführungsvorschriften zum Straßenbau nur ein Gefälle zur Fahrbahn hin zulässig sei. Eine Abnahme sei nicht erfolgt, der Werklohn damit nicht fällig. Die VOB/B seien nicht einbezogen worden.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass die Werkleistung mangelfrei und abnahmereif sei. Das Angebot der Klägerin vom 14.03.2022 sei inhaltlich so auszulegen, dass darin eine Korrektur der Gefällerichtung nicht enthalten gewesen sei, und dies unabhängig davon, ob die Klägerin die Email vom 28.01.2021 erhalten habe. Der Sachvortrag der Beklagten über eine telefonische Abstimmung zur Gefällesituation finde in den Vertragsunterlagen keine Stütze und sei deshalb unsubstantiiert. Die Schlussrechnung sei prüffähig und auf eine fiktive Abnahme komme es nicht an, nachdem die Beklagte die Abnahme zu Unrecht verweigert habe. Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Verurteilung. Sie wiederholt und vertieft ihre Ansicht, dass auch die Veränderung der Gefällerichtung Vertragssoll gewesen sei. Die Email des Straßenamtes vom 28.01.2021 sei in der an die Klägerin gerichteten Email vom 10.03.2022 angehängt gewesen (Anlage BB1). Verfahrensfehlerhaft habe das Landgericht der Beklagten nicht ermöglicht, auf das Bestreiten der Klägerin über den Zugang der Email vom 28.01.2021 zu replizieren, weshalb die Anlage BB1 erst in der Berufungsinstanz vorgelegt werden könne. Die interessengerechte Auslegung ergebe, dass die Beklagte die Klägerin auch mit der Beseitigung der falschen Gefällerichtung beauftragt habe. Im Übrigen schulde die Klägerin die Korrektur des Gefälles aufgrund der Berliner Ausführungsvorschriften zum Gehwegbau sowie aufgrund der Bestimmungen der DIN 18318. Das Landgericht hätte zudem dem Angebot nachgehen müssen, den Zeugen T… über den Inhalt der telefonischen Absprachen zwischen den Vertragsparteien zu vernehmen. Schließlich sei die Schlussrechnung mangels Nachweises der abgerechneten Fläche nicht prüffähig. Einen Ausdruck ihrer Email vom 10.03.2022, einschließlich der darin enthaltenen Anlagen, hat die Beklagte im Termin vor dem Senat am 05.02.2025 vorgelegt.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 02.05.2024, 1 O 23/23, abzuändern und die Klage als derzeit unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Email des Straßen- und Grünflächenamtes vom 28.01.2021 habe ihr jedenfalls nicht zum Zeitpunkt der telefonischen Vertragsverhandlungen vorgelegen. Möglicherweise sei diese Anlage der Email vom 10.03.2022 nicht vollständig übermittelt oder ausgedruckt worden. Jedenfalls hätten sich die Streitparteien vertraglich nicht darauf geeinigt, dass die Klägerin auch das fehlerhafte Gefälle habe korrigieren sollen.
Der Senat hat die Zeugen T… und F… zum Inhalt des Telefonats vom 10.03.2022 im Termin am 05.02.2025 vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist nur im Hinblick auf einen kleinen Teil der Zinsforderung und die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.
1.
Die Klägerin hat gemäß § 631 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Zahlung von Werklohn in Höhe von 14.795,95 €. Die Streitparteien haben einen Werkvertrag geschlossen, der eine Vergütung von 65,00 € pro Quadratmeter vorsah. Bei einer Fläche von 227,63 qm ergibt dies den ausgeurteilten Betrag.
a)
Der Werklohn ist fällig. Die Fälligkeit eines Werklohnanspruchs setzt grundsätzlich gemäß § 641 Abs. 1 S. 1 BGB die Abnahme des Werks durch den Besteller voraus, § 640 Abs. 1 S. 1 BGB. Dem steht es gleich, wenn der Besteller das Werk nicht innerhalb einer ihm vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abnimmt, obwohl er dazu verpflichtet ist, § 640 Abs. 1 S. 3 BGB. Wenn der Besteller die Abnahme endgültig verweigert, so ist diese Fristsetzung entbehrlich (BGH, Urteil vom 08.11.2007 – VII ZR 183/05, Rn. 29, juris).
Die Werkleistung ist – wie nachfolgend unter b) dargelegt – mangelfrei und abnahmereif fertig gestellt, so dass die Beklagte die Abnahme nicht verweigern kann. Die Klägerin hat der Beklagten zwar keine Frist zur Abnahme gesetzt, jedoch verweigerte die Beklagte die Abnahme am 22.07.2022 endgültig, zu der sie mit Schreiben vom 07.07.2022 aufgefordert worden war, so dass der Werklohnanspruch fällig ist.
b)
Die Werkleistung ist mangelfrei und damit abnahmereif. Zwar weist das Gefälle der Pflasterfläche teilweise nicht in Richtung Straße, jedoch war die Korrektur des Kontergefälles – als einzig in Betracht kommender Mangel – von der Klägerin vertraglich nicht geschuldet.
aa)
Die Parteien haben sich nicht im Wege einer ausdrücklichen Vereinbarung nach § 633 Abs. 2 S. 1 BGB auf die Beseitigung des Kontergefälles geeinigt.
Auch unter Berücksichtigung des Inhalts der Email vom 10.03.2022 einschließlich der beiden beigefügten Schreiben ergibt sich nicht, dass das Angebot der Klägerin vom 14.03.2022 auch die Beseitigung des Kontergefälles erfasste. Gemäß §§ 133, 157 BGB sind Willenserklärungen so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dies erfordern, wobei neben dem Wortlaut der vertraglichen Vereinbarung insbesondere auch deren Begleitumstände und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen sind (stRspr. vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2000 – VIII ZR 275/98 –, Rn. 20, juris).
Bei der Auslegung ist zunächst in tatsächlicher Hinsicht zugrunde zu legen, dass die Klägerin nach dem Telefonat vom 10.03.2022 auch die Email des Straßenamtes vom 28.01.2021 (als Anlage der Email vom 10.03.2022) erhalten hatte. Die Klägerin hat, nachdem die Beklagte einen Ausdruck der Email vom 10.03.2022 nebst der darin bezeichneten Anlagen vorgelegt hat, deren Erhalt nicht wirksam bestritten. Insbesondere kann sich die Klägerin, da sie sich gemäß § 138 Abs. 1 ZPO vollständig zu erklären hat, nicht mit Erfolg darauf berufen, die streitige Anlage sei „möglicherweise“ nicht der Email beigefügt gewesen. Die Klägerin muss grundsätzlich wissen (und vortragen), welche Emails mit welchem Inhalt und welchen Anlagen sie konkret erhalten hat. Das nicht wirksame Bestreiten hat gemäß § 138 Abs. 3 ZPO zur Folge, dass die entsprechende Behauptung der Beklagten als zugestanden zu behandeln ist, die als unstreitige Tatsache auch keinem Novenausschluss nach § 531 ZPO unterliegt.
Gleichwohl lässt sich aus dem Wortlaut des Angebots, den „Gehsteig gemäß Mangelprotokoll G.. / TBA v. 10.05.21 in Gänze überarbeiten“, auf die Verpflichtung zur Beseitigung des Kontergefälles nicht schließen. Das in Bezug genommene Dokument der G.. vom 10.05.2021 erwähnt das Kontergefälle weder ausdrücklich noch implizit. Es wird zwar am Ende des Dokuments die Email des Straßenamtes vom 28.01.2021 als Anlage benannt. Inhaltlich erwähnt das Schreiben der G.. frühere Mängelanzeigen des Straßenamtes, nicht jedoch die in der Email vom 28.01.2021 enthaltene Mängelauflistung. Das Schreiben der G.. wiederholt auch nicht lediglich diese Mängelauflistung, sondern enthält eigene – ausführliche und nummerierte – Beschreibungen der zu beseitigenden Mängel mit der ausdrücklichen Aufforderung, mit der Mängelbeseitigung bis zum 19.05.2021 zu beginnen. Bei der Lektüre des Schreibens der G.. entsteht der Eindruck, dass diese Auflistung von Mängeln abschließend ist, so dass schon kein Anlass besteht, die Email vom 28.01.2021 für die Frage heranzuziehen, welche Mängel zu beseitigen sind. Zudem besteht die Mängelliste aus der Email des Straßenamtes vom 28.01.2021 aus vielen nur kurz und stichpunktartig beschriebenen Mängeln, die sich – mit Ausnahme des hier streitgegenständlichen Kontergefälles – in dem Schreiben der G.. wiederfinden. Nur ein sehr sorgfältiger Vergleich beider Dokumente offenbart unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse, dass das in der Email erwähnte Kontergefälle im Schreiben der G.. keine Erwähnung gefunden hat. Aus welchem Grund das Kontergefälle im Schreiben des G.. nicht erwähnt wurde, erschließt sich aus den Dokumenten nicht. Die Bezugnahme auf die im Schreiben der G.. aufgeführten Mängel schließt damit nicht die in der Email des Straßenamtes genannten Mängel ein. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass in dem Angebot das Straßenamt mit „TBA“ (“Tiefbauamt“) genannt wird. Denn dass die aufgelisteten Mängel auf entsprechende Mängelanzeigen des Straßenamtes beruhen, ergibt sich inhaltlich auch aus dem Schreiben der G.., so dass „Mangelprotokoll G.. / TBA v. 10.5.21“ nur das Schreiben vom 10.05.2021 meint und nicht auch die Email vom 28.01.2021. Auch der Zusatz „in Gänze“ stellt nur eine Zusammenfassung der im Schreiben der G.. ausführlich beschriebenen Mängel dar und nicht eine Erweiterung auf die in der Email des Straßenamtes genannten Mängel. Die Email vom 10.03.2022 enthält lediglich einleitende Worte und keine für die hier in Rede stehende Frage der Auslegung des Angebots vom 14.03.2022 maßgeblichen Aspekte. Auch aus den mit der Email am 10.03.2022 mit übersandten Fotos vom Gehweg ergibt sich nicht, dass ein Kontergefälle zu beseitigen wäre. Es ist in Ansehung der vier Fotos, die den streitgegenständlichen Gehwegabschnitt übersichtsmäßig darstellen, – und bei Kenntnis des hiesigen Streits – allenfalls zu erahnen, dass an einer Stelle ein Kontergefälle bestehen könnte.
Auch unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien ergibt sich eine Einbeziehung der Pflicht zur Beseitigung des Kontergefälles nicht. Zwar liegt es auf der Hand, dass es der Beklagten darum ging, ihre eigene Pflicht zur Mängelbeseitigung gegenüber ihrem Auftraggeber zu erfüllen. Jedoch gilt dies im Verhältnis zur hiesigen Klägerin nur, soweit diese den Umfang der zu leistenden Arbeiten auch erkennen musste. Da es sich bei dem Schreiben der G.. vom 10.05.2021 ausdrücklich um eine „Mängelanzeige und Fristsetzung gem. VOB/B § 13 (5)“ handelte, in der die relevanten Mängel sorgfältig beschrieben und aufgelistet wurden, die bei oberflächlicher Lektüre mit denjenigen aus der Email des Straßenamtes vom 28.01.2021 übereinstimmen, gab es aus der Sicht der Klägerin schon keinen Anlass, beide Dokumente genau auf inhaltliche Übereinstimmung zu prüfen. Ob das Kontergefälle im Verhältnis zwischen der Beklagten und ihrer Auftraggeberin von der Mängelanzeige der G.. vom 10.05.2021 inhaltlich erfasst wird, bedarf hier keiner Klärung.
Etwas anderes ergibt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht aus dem Inhalt des Telefonats vom 10.03.2022. Der Zeuge T… hat zwar ausgesagt, in dem fraglichen Telefonat mit dem Zeugen F… auch das Kontergefälle angesprochen zu haben. Jedoch konnte sich der Senat unter Würdigung der vom Zeugen T… geschilderten Umstände nicht hinreichend von der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugen. Zum Zeitpunkt des Telefonats am 10.03.2022 stand die Beseitigung des Kontergefälles noch nicht im Streit und dies war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht abzusehen. Auch hat der Zeuge T… nicht geschildert, dass ihm die inhaltliche Diskrepanz zwischen dem Schreiben der G.. und der Email des Straßenamtes damals überhaupt schon aufgefallen war. Dann wäre auch zu erwarten, dass der Zeuge T… sowohl im Telefonat als auch in der nachfolgenden Email besonders auf diese Diskrepanz hinweist, was er in seiner Zeugenvernehmung jedoch nicht angegeben hat. Schließlich musste der Zeuge T… auf Nachfrage auch einräumen, dass sich mit der Beseitigung des Kontergefälles ein Großteil der übrigen Mängel erübrigt hätte. Denn das Kontergefälle befand sich an der straßenabgewandten Seite des Gehsteigs, so dass die Beseitigung des Kontergefälles auf ihrer Länge die weitgehende Neuerstellung der kompletten Gehwegpflasterung bis zum Straßenrand erforderlich gemacht hätte. Es muss davon ausgegangen werden, dass dieser Aspekt den Gesprächsteilnehmern als erfahrene Tiefbauer nicht verborgen geblieben wäre, wenn das Kontergefälle tatsächlich schon im Telefonat am 10.03.2022 erörtert worden wäre, da es sich ganz wesentlich auf den Umfang der Arbeiten auswirkt. Da die Mängelbeschreibung der Klägerin zum Zeitpunkt des Telefonats noch gar nicht vorlag, ist auch nicht zu erwarten, dass die Gesprächsteilnehmer schon über einzelne Details der Arbeiten gesprochen haben. Der von der Klägerin in ihrem Angebot angesetzte Einheitspreis von 65 €/qm spricht jedenfalls nicht dafür, dass die Klägerin von derart umfangreichen Arbeiten ausgegangen ist, wie sie die Beseitigung des Kontergefälles mit sich gebracht hätte; auch dies musste der Zeuge T… einräumen. Vielmehr stand im Vordergrund des Telefonats für den Zeugen T… in erster Linie die Eilbedürftigkeit der Arbeiten, wie es sich aus der Email vom 10.03.2022 und dem Schreiben der G.. vom 10.05.2021 ergibt. Es ging demnach zunächst nur darum abzuklären, ob die Klägerin kurzfristig tätig werden konnte. Dem entsprechend wurden die beiden oben erörterten Schreiben erst im Nachgang zum Telefonat übermittelt, um der Klägerin eine Angebotserstellung zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund dieser Umstände gab es aus der Sicht des Zeugen T… auch keinen Grund, nun gerade das Kontergefälle bereits im Telefonat am 10.03.2022 zu erörtern. Tatsächlich wurde erstmals am 22.07.2022 von der Beklagten der Einwand erhoben, dass die Arbeiten auch die Beseitigung des Kontergefälles erfassen sollten. Der Zeuge F… hat abgestritten, dass über das Kontergefälle im Rahmen des Telefonats gesprochen worden sei, so dass dessen Aussage unergiebig für die Beweisfrage war.
bb)
Die Streitparteien haben sich auch nicht stillschweigend auf die Beseitigung des Kontergefälles im Sinne einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 633 Abs. 2 S. 1 BGB geeinigt. Im Zweifel haben die Parteien eines Werkvertrages auch die Funktionstauglichkeit des Werkes als Beschaffenheit (konkludent) vereinbart, wozu insbesondere die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik gehört (stRspr., vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2017, VII ZR 65/14, Rn. 23, juris). Im vorliegenden Fall ist jedoch die Beseitigung des Kontergefälles auch nicht nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik geschuldet.
Es trifft zwar zu – was gerichtsbekannt ist -, dass eine Pflasterfläche nach DIN 18318 zur Wasserableitung stets in Gefälle von mindestens 1,5 % haben muss. Der hier streitgegenständliche Gehweg verfügt unstreitig über ein entsprechendes Gefälle. Unzutreffend ist die Auffassung der Beklagten, nur ein Gefälle in Fahrbahnrichtung sei „abflusswirksam“. Derartiges ist jedenfalls nicht Inhalt der allgemein anerkanntes Regeln der Technik, da es Pflasterflächen gibt, die überhaupt nicht an eine Fahrbahn grenzen. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass das (Konter)gefälle in die Richtung des angrenzenden Hauses, das über eine eigene Wasserableitung verfügt, gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt.
cc)
Auch aus den Ausführungsvorschriften zu § 7 des Berliner Straßengesetzes über Geh- und Radwege (AV Geh- und Radwege, im Folgenden nur „AV“) lässt sich ein Vertragssoll mit Blick auf das streitgegenständliche Kontergefälle nicht ableiten. Die AV enthält zwar in Teil A, Nr. 10 – Entwässerung eine Vorschrift über Geh- und Radwege, wonach „die Querneigung […] in der Regel von der Straßengrenze zur Fahrbahn hin 2,5 % betragen“ soll. Es handelt sich insofern jedoch nicht um eine allgemein anerkannte Regel der Technik.
Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind solche technischen Regeln, die sich unter einer hinreichenden Zahl kompetenter Fachleute als theoretisch richtig durchgesetzt und die sich in der Baupraxis als richtig bewährt haben (vgl. Kniffka/Koeble, Kompendium Baurechts, 5. Aufl. 2020, Teil 5 Rn. 47 m.w.N.). Bei den Festlegungen in dem – hier relevanten – Teil A der AV handelt es sich dagegen ausweislich der Überschrift dieses Teils („Teil A – Entwurf und Gestaltung“) um Regelungen zum Entwurf und zur Gestaltung von Rad- und Gehwegen, z.B. zu Breiten, Abständen, Belag usw. Dabei handelt es sich um Planungsgrößen, d.h. um grundsätzlich variable Parameter, die aus technischer Sicht auch anders gewählt werden könnten und aus Gründen etwa der Einheitlichkeit in der AV näher bestimmt werden. Aufgrund ihrer systematischen Stellung, ihres Wortlautes und ihres Zwecks ist die Vorschrift als rein planerische Sollvorgabe anzusehen. Die Bestimmungen des Teils A der AV konkretisieren damit ein Planungsermessen und richtet sich an die Planer, nicht jedoch an die bauausführenden Unternehmer. D.h. die Bestimmung formuliert lediglich ein Planungsziel, von dem unter Umständen – etwa wegen faktischer Unmöglichkeit oder aus wirtschaftlichen Gründen – auch abgesehen werden könnte. Die Entscheidung über die Gestaltung der Gefällerichtung bedarf stets auch der Berücksichtigung u.a. der damit verbundenen Kosten. Auch der Umstand, dass die Vorschrift als Sollvorschrift formuliert ist, spricht gegen ihre Qualifikation als allgemein anerkannte Regel der Technik.
Die zitierte Bestimmung der AV zur Querneigung ist schließlich auch nicht als (zwingende) Norm des öffentlichen Rechts einzustufen, aus der sich die Pflicht zur Beseitigung des Kontergefälles ableiten ließe. Denn – wie oben ausgeführt – handelt es sich um eine Sollvorschrift, die bezogen auf das jeweils zu planende Objekt der planerischen Konkretisierung bedarf. Diese Konkretisierung betrifft nicht den Pflichtenkreis des bauausführenden Unternehmers.
c)
Dem Werklohnanspruch steht eine vermeintliche Verletzung einer Prüfungs- und Hinweispflicht der Klägerin nicht entgegen. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt zwar auch für den BGB-Werkvertrag (so wie beim VOB/B-Vertrag ausdrücklich aus § 13 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 3) die Pflicht des Werkunternehmers, den Besteller vor Schäden zu bewahren und auf Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung hinzuweisen (BGH, Urteil vom 08.11.2007, VII ZR 183/05, Rn. 22, juris). Jedoch führt eine – unterstellte – Verletzung der Prüfungs- und Hinweispflicht nicht dazu, dass von einem Mangel des Werks auszugehen wäre. Grundsätzlich lässt sich ein Mangel nicht allein aus der Verletzung der Prüfungs- und Hinweispflicht herleiten. Die Verletzung der Prüfungs- und Hinweispflicht ist kein Tatbestand, der die Mängelhaftung begründen kann; vielmehr befreit die Erfüllung der Prüfungs- und Hinweispflicht den Unternehmer (ausnahmsweise) von der verschuldensunabhängigen Mangelhaftung (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 08.11.2007, VII ZR 183/05, Rn. 23, juris). Hier ist – wie oben dargelegt – schon kein Mangel feststellbar. Im Übrigen musste sich der Klägerin hier ein – unterstellter – Planungsfehler nicht derart aufdrängen, dass sie verpflichtet gewesen wäre, auf das Kontergefälle hinzuweisen.
d)
Der Höhe nach entspricht der ausgeurteilte Werklohnanspruch dem in der Rechnung zutreffend ausgewiesenen Betrag. Bei einem Einheitspreisvertrag hat der Unternehmer den Vergütungsanspruch nach den vertraglichen Einheitspreisen abzurechnen, d.h. diese mit den für sie anzunehmenden Mengen zu multiplizieren und auf dieser Basis die sich aus den einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses ergebenden Ansprüche zu errechnen (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.1995, VII ZR 198/94, Rn. 13, juris). Die Schlussrechnung besteht hier lediglich aus einer einzigen Position, nämlich der Angabe der Fläche unter Zugrundelegung eines Einheitspreises von 65 €/qm. Zusätzlich ist das Aufmaß in der Rechnung angegeben. Das pauschale Bestreiten der Beklagten der Richtigkeit der abgerechneten Flächen ist ohne Substanz und damit unbeachtlich. Da die Klägerin ein Aufmaß bereits mit der Rechnung vorgelegt hat, kann die Beklagte die Richtigkeit der abgerechneten Flächen nicht pauschal bestreiten, zumal die abgerechnete Fläche etwa ein Drittel unter dem im Angebot angenommenen Flächenmaß bleibt. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Beklagte die fraglichen Bereiche des öffentlich zugänglichen Gehwegs vor dem Tätigwerden der Klägerin fotografisch dokumentiert hatte und ihr als Fachunternehmerin ein substantiiertes Bestreiten ohne weiteres möglich wäre.
2.
Die Klägerin kann Zinsen in Höhe der beantragten 8 % gemäß §§ 288 Abs. 2, 286 Abs. 3 BGB ab dem 22.08.2022 verlangen. Mangels vorheriger Abnahme oder Abnahmefiktion waren weder die von der Klägerin gestellten Rechnungen noch die Mahnung verzugsbegründend. Erst mit der endgültigen Ablehnung der Abnahme durch die Beklagte am 22.07.2022 wurde der Werklohn fällig, so dass gemäß § 286 Abs. 3 BGB Verzug erst 30 Tage später, d.h. am 22.08.2022 eintrat.
3.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Kosten für die vorgerichtliche Beauftragung des Anwalts. Denn diese erfolgte spätestens am 30.06.2022, d.h. als sich die Beklagte noch nicht in Verzug befand. Die Anwaltskosten können daher nicht unter Verzugsgesichtspunkten verlangt werden.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Auftraggeber kann Personalaufstockung verlangen!

Auftraggeber kann Personalaufstockung verlangen!

OLG Naumburg, Urteil vom 04.03.2025 – 2 U 53/24:

Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 VOB/B eine Kündigung aus wichtigem Grund auch in Betracht, wenn der Auftragnehmer zwar keine sog. Vertragsfrist versäumt hat, aber einem wirksamen Abhilfeverlangen i.S.v. § 5 Abs. 3 VOB/B nicht nachgekommen und für den Auftraggeber das Setzen einer Nachfrist nach § 5 Abs. 4 VOB/B ausnahmsweise entbehrlich geworden ist.

Grundsätzlich ist der Auftraggeber zwar nach § 4 Abs. 1 Satz 3 VOB/B nur befugt, unter Wahrung der dem Auftragnehmer zustehenden eigenverantwortlichen Ausführung der Vertragsleistungen Anordnungen zu treffen, die zu deren vertragsgemäßer Erfüllung notwendig sind. Diese allgemeinen Befugnisse des Auftraggebers werden aber bei einer notleidenden Bauausführung durch § 5 Abs. 3 VOB/B ausdrücklich dahin erweitert, dass der Auftraggeber vom Auftragnehmer eine Änderung des bisherigen personellen und sachlichen Einsatzes im Sinne einer Aufstockung verlangen darf.
Der Umstand, dass der Auftraggeber wegen unterlassener Abhilfemaßnahmen zunächst eine – hinsichtlich des Umfangs der hiervon betroffenen Teilleistungen intransparente – Teilkündigung erklärt und hieran festgehalten hat, berechtigt den Auftragnehmer nach einem erneuten Abhilfeverlangen unter ausdrücklicher Aufführung der von der Teilkündigung nicht erfassten Teilleistungen nicht zur (Fortsetzung einer) totalen Leistungsverweigerung.

Schwimmbecken im Garten ist genehmigungspflichtig!

Schwimmbecken im Garten ist genehmigungspflichtig!

OVG Thüringen, Beschluss vom 06.02.2025 – 1 ZKO 534/22:

Die Errichtung eines Schwimmbeckens in einem Garten im Außenbereich ist sowohl nach der ThürBO 2014 (BauO TH 2014) als auch nach der ThürBO 2024 (BauO TH 2014) genehmigungspflichtig.

Ein Schwimmbecken i. S. v. § 60 Abs. 1 Nr. 10 lit. a) ThürBO 2014 (BauO TH 2014) (§ 63 Abs. 1 Nr. 10 lit. a) ThürBO 2024 (BauO TH 2024)) ist kein Wasserbehälter i.S.v. § 60 Abs. 1 Nr. 6 lit. f) ThürBO 2014 (BauO TH 2014) (§ 63 Abs. 1 Nr. 6 lit. f) ThürBO 2024 (BauO TH 2014)).
Der Gesetzgeber stellt insoweit auf den Zweck des Beckens ab. Die Vorschrift des § 60 Abs. 1 Nr. 10 lit. a) ThürBO 2014 (BauO TH 2014) (§ 63 Abs. 1 Nr. 10 lit. a) ThürBO 2024 (BauO TH 2024)) ist für Schwimmbecken lex specialis.

Nachbar kann sich nicht auf unzureichende Entwässerung berufen!

Nachbar kann sich nicht auf unzureichende Entwässerung berufen!

Die Befürchtung des Nachbarn, dass vom Vorhabengrundstück Niederschlagswasser auf sein Grundstück fließen wird und das vorhandene Abwassernetz sowie die Drainage auf dem Vorhabengrundstück nicht ausreichend seien, begründet grundsätzlich keinen Verstoß gegen Rücksichtnahmegebot.
VG Köln, Beschluss vom 16.04.2025 – 23 L 605/25:

Die erteilten Baugenehmigungen verstoßen nicht gegen Rechtsvorschriften, die auch dem Schutz der Rechte des Antragstellers zu dienen bestimmt sind. Ein Nachbar kann nur dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn diese gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verstößt und eine Befreiung von diesen Vorschriften nicht vorliegt oder unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist insoweit grundsätzlich der Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 2023 – 10 A 2094/20 –
Der Antragsteller trägt vor, dass die Baugenehmigungen keine hinreichenden Maßnahmen zur Vermeidung von Überflutungen und Hochwasser hinsichtlich der Regenwasserentwässerung enthalten würden und er befürchtet eine allgemeine Verschlechterung der Entwässerungssituation, da das vorhandene Abwassernetz und die Drainage nicht ausreichend seien und der Boden des Vorhabengrundstückes nur geringe Versickerungsfähigkeit besitze. Diese Erkenntnisse entnimmt der Antragsteller unter anderem aus der Tatsache, dass es in den Jahren 1985, 1994, 1995, 2017, 2020 und 2021 zu Überflutungen im Bereich der Straße “P.-straße” gekommen sei sowie aus diversen Presseartikeln, der Einsicht in Verwaltungsakten und Erkenntnissen aus Ratssitzungen.
Ein Verstoß der Baugenehmigungen gegen dem Schutz des Antragstellers dienende Vorschriften scheitert jedoch bereits daran, dass die konkrete Ausgestaltung der Entwässerung weder Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigungen noch zwingend Bestandteil der Baugenehmigungen ist.
Inhalt und Umfang der Baugenehmigung werden durch die Bauvorlagen konkretisiert.
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 2025 – 3 S 1632/23 –
Weder die textlichen Bestimmungen in der Baugenehmigung vom 23. Januar 2025 noch die mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen enthalten Regelungen für die Entwässerung. Im grün gestempelten Bauantrag vom 10. Dezember 2024 ist vielmehr angegeben, dass die Entwässerungsplanung nachgereicht wird. Das vom Antragsteller übersandte Leistungsverzeichnis vom 14. August 2024, das die Anlegung einer Versickerungsmulde enthält, ist hingegen nicht Bestandteil der Baugenehmigungen.
Auch die Teilbaugenehmigung vom 16. Dezember 2024 enthält keine konkreten Angaben zur Ausgestaltung der Entwässerung. Zwar sind Gegenstand der Teilbaugenehmigung “Erdarbeiten, Fundamentierungsarbeiten und Entwässerungsarbeiten”. Hiermit ist jedoch nicht die konkrete Ausgestaltung der Regenwasserentwässerung gemeint, sondern die Teilbaugenehmigung wurde für die Gründung erteilt.
Die im vorliegenden Baugenehmigungsverfahren nach § 65 Nr. 2 BauO NRW auch zu prüfenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen nach §§ 3 und 13 BauO NRW sind vorliegend nicht verletzt. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz1 BauO NRW sind Anlagen so zu errichten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. § 13 Satz 1 BauO NRW präzisiert diese Pflichten und bestimmt, dass bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein müssen, dass durch Wasser, Schnee, Eis, Feuchtigkeit, pflanzliche und tierische Schädlinge sowie andere chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. Nicht jede durch ein Vorhaben verursachte Veränderung der Ableitung des Niederschlagswassers begründet dabei zugleich eine unzumutbare Beeinträchtigung im Sinne dieser Vorschrift; gewisse Veränderungen der Wasserverhältnisse muss der Nachbar grundsätzlich hinnehmen. Eine die Erheblichkeitsschwelle überschreitende Verschlechterung der Situation liegt nur dann vor, wenn das Niederschlagswasser konkret auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und dort zu Überschwemmungen führt.
Vgl. VG Cottbus, Urteil vom 12. September 2019 – 3 K 1477/14 –
Eine unmittelbare Ableitung des Niederschlagswassers auf das Grundstück des Antragstellers ist jedoch weder geplant noch konkret vorgetragen. Die vom Antragsteller befürchtete allgemeine Verschlechterung der Entwässerungssituation fällt nicht in den Anwendungsbereich der §§ 3 und 13 BauO NRW. Denn die Funktionsfähigkeit der “öffentlichen Einrichtung Abwasserbeseitigung” und auch der Hochwasserschutz sind nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens für ein einzelnes Bauvorhaben,
vgl. Urteil der Kammer vom 17. Juli 2024 – 23 K 4896/22 -.
Die bauplanungsrechtlich erforderliche Erschließung, zu der auch die Entwässerung gehört, muss auch nicht schon bei Baubeginn gegeben sein. Zwar ist nach § 30 Abs. 1 BauGB ein Vorhaben nur dann zulässig, wenn auch die Erschließung gesichert ist. Hierzu gehört auch eine ordnungsgemäße Niederschlagswasserbeseitigung. Es wird jedoch nicht verlangt, dass die Erschließung bereits zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung vorliegt, sondern dass nach objektiven Kriterien erwartet werden kann, dass zum Zeitpunkt der Benutzbarkeit der baulichen Anlage die notwendige Erschließung tatsächlich vorhanden und nutzbar ist.
Vgl. Charlier in: Rixner/Biedermann/Charlier, Systematischer Praxiskommentar BauGB/BauNVO, 4. Aufl., 2022, § 30 BauGB Rn. 36.
Die vom Antragsteller vorgetragene Befürchtung, dass die Antragsgegnerin nicht in der Lage sei, eine technisch einwandfreie Entwässerungslösung zu finden, teilt das Gericht nicht. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die vom Generalunternehmer vorzunehmende Prüfung der Möglichkeiten zur Entwässerung nicht ordnungsgemäß vorgenommen wird. Der Umstand, dass die Planung den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst wurde bzw. neue Lösungen erarbeitet werden, zeigt vielmehr, dass die Entwässerungsproblematik ernst genommen wird und eine detaillierte Prüfung stattfindet. Dementsprechend befindet sich im Verwaltungsvorgang eine Mitteilung des Ingenieurbüros Q. vom 17. März 2025, nach der das Ingenieurbüro in Abstimmung mit der Unteren Wasserbehörde eine Versickerung des anfallenden Niederschlagswassers vor Ort plant unter Benennung der konkreten Ausgestaltung. Weiter ist ausgeführt, dass die Bemessung der Versickerungsanlage aufgrund der Nähe zur Ronne für ein 100-jährliches Regenereignis erfolgt.
Vorliegend ist es auch unerheblich, ob – wie der Antragsteller meint – für das Bauvorhaben zusätzlich eine wasserrechtliche Genehmigung notwendig oder gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 LWG NRW eine solche entbehrlich ist. Denn selbst bei Fehlen einer solchen wasserrechtlichen Genehmigung wäre die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigungen nicht berührt.
Im Übrigen verstoßen die streitgegenständlichen Baugenehmigungen auch nicht zu Lasten des Antragstellers gegen das grundsätzlich zu berücksichtigende Gebot der Rücksichtnahme.
Ob ein Vorhaben das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Eine erfolgreiche Berufung auf das Drittschutz vermittelnde Rücksichtnahmegebot setzt voraus, dass das Bauvorhaben bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Gewicht der mit ihm verfolgten Interessen auf der einen Seite und der Empfindlichkeit und Schutzwürdigkeit der Belange des Nachbarn auf der anderen Seite für diesen die Schwelle der Zumutbarkeit ersichtlich überschreitet. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Umgekehrt braucht derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es danach wesentlich auf eine Abwägung an zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dementsprechend ist das Rücksichtnahmegebot verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird.
Vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 23. 08. 1996 – 4 C 13.94 – und vom 25. 02. 1977 – IV C 22.75 -; OVG NRW, Urteile vom 30. 05. 2017 – 2 A 130/16 -, und vom 15. 05. 2013 – 2 A 3010/11 -.
Soweit der Kläger befürchtet, dass auf sein Grundstück Niederschlagswasser fließen wird und das vorhandene Abwassernetz sowie die Drainage auf dem Vorhabengrundstück nicht ausreichend seien, so kann dieser Vortrag einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht begründen.
Die Anforderungen an eine gesicherte Erschließung und damit auch die Entwässerung bestehen grundsätzlich nur im öffentlichen Interesse und dienen nicht auch dem Nachbarschutz. Etwas anderes kann – unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots – ausnahmsweise dann gelten, wenn durch die unzureichende Erschließung unmittelbar Nachbargrundstücke betroffen sind, etwa wenn das Niederschlagswasser gezielt auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und diese damit zur Abwehr von Schäden am eigenen Grundstück missbraucht würden oder Schäden in außergewöhnlichem Ausmaß zu befürchten wären, denen auch mit Selbsthilfemaßnahmen nicht begegnet werden könnte.
Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 29. November 2006 – 1 CS 06.2717 -; VG Arnsberg, Urteil vom 23. April 2010 – 12 K 2660/07 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2024 – 28 K 7716/21 –
Eine gezielte Ableitung des Regenwassers auf das Grundstück des Antragstellers ist jedoch – wie schon ausgeführt – nicht beabsichtigt.
Der Antragsteller kann sich auch nicht auf die Regelungen des § 78 Abs. 4 WHG, wonach die Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten untersagt ist, berufen. Denn das Grundstück der Antragsgegnerin liegt unstreitig weder in einem festgesetzten noch in einem vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet.
Da die erteilten Baugenehmigungen nicht gegen Rechtsvorschriften verstoßen, die auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind, bleibt auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Erfolg.

Bauwerksschäden nach Hangrutsch: Welcher Planer haftet in welcher Höhe?

Bauwerksschäden nach Hangrutsch: Welcher Planer haftet in welcher Höhe?

Haben im Rahmen eines Bauvorhabens zur Sanierung eines Einfamilienhauses mit Lage an einem bewaldeten Hang sowohl der Objektplaner als auch der Tragwerksplaner als auch der mit der Baugrunduntersuchung beauftragte Planer jeweils fahrlässig eine Pflichtverletzung begangen, welche mitursächlich für die Beschädigung des Objekts nach einem Hangabrutsch war, ist auch bei subjektiver Klagehäufung in jedem Vertrags- und Prozessrechtsverhältnis gesondert zu beurteilen, ob dem Bauherren ein Mitverschulden Dritter zuzurechnen ist.
Im Verhältnis zwischen Bauherr und Objektplaner sind dem Bauherrn die Pflichtverletzungen des Statikers und des Baugrundgutachters nicht zuzurechnen, weil sie keine Erfüllungsgehilfen des Bauherrn gegenüber seinem Objektplaner sind.
Im Verhältnis zwischen Bauherr und Statiker bzw. Baugrundgutachter muss sich der Bauherr grundsätzlich ein Verschulden des Objektplaners zurechnen lassen, was durch die Bildung einer Haftungsquote zu berücksichtigen ist.
Im Rahmen der Schadensermittlung muss sich der Bauherr diejenigen Kosten der endgültigen Hangsicherung als Sowieso-Kosten anrechnen lassen, welche fiktiv bei rechtzeitiger und zutreffender Beratung über die Notwendigkeit einer dauerhaften Sicherung der oberen Hangböschung im Rahmen des Bauvorhabens angefallen wären.
OLG Naumburg, Urteil vom 10.03.2022 – 2 U 35/21