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VG Arnsberg zur der Frage der rechtlichen Qualität eines Abwasserkanals

VG Arnsberg zur der Frage der rechtlichen Qualität eines Abwasserkanals

Bei dem fraglichen Kanal handelt es sich nicht um eine öffentliche Abwasserleitung, sondern um eine private Einrichtung der Eigentümer der Grundstücke

VG Arnsberg, Urteil vom 18.01.2010 – 14 K 1176/09


Tatbestand

Die Parteien streiten über die rechtliche Qualität eines Abwasserkanals. Die Kläger sind Eigentümer des Wohnhausgrundstücks B. I. , das sie vor wenigen Jahren erworben haben. Das Grundstück liegt nordwestlich der Straße B. I. , die im Wesentlichen von Südwesten nach Nordosten verläuft. Die Grundstücke beiderseits der Straße sind durchgehend bebaut, wobei die Bebauung in ihren Ursprüngen auf die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts zurückgeht. Das Gelände weist ein Gefälle von Südosten nach Nordwesten auf mit der Folge, dass die nordwestlich der Straße gelegenen Gebäude mit ihren Fundamenten zum Teil deutlich tiefer liegen als die Straßenoberfläche. Zur Zeit der Errichtung der Gebäude beiderseits der Straße war eine öffentliche Kanalisation nicht vorhanden. Damals wurde zwischen dem Bauherren, der Arbeiter-Heimstättengenossenschaft eGmbH in I1. -I2. , und der Stadtgemeinde I1. vereinbart, dass in den Häusern Trockenklosetts eingebaut und für die Unterbringung der menschlichen Abfallstoffe und der Gebrauchswässer wasserdichte Gruben angelegt würden, die nach Bedarf entleert werden sollten. Für die Beseitigung des Niederschlagswassers war eine nordwestlich der Häuser verlaufende Rohrleitung von 20 cm Weite bei 1,10 Meter Tiefe geplant, die in einem Siepen enden sollte. Die Wohnhäuser wurden errichtet und die Entwässerungsanlagen wurden vereinbarungsgemäß hergestellt.

In den Jahren 1959/60 stellte die Stadt I1. in der Straße “B. I. ” einen Abwasserkanal her, an den nach den Vorstellungen der Stadt auch die nordwestlich der Straße gelegenen Grundstücke angeschlossen werden sollten. Unter dem 4. November 1959 richtete der Oberstadtdirektor der Stadt I1. ein Schreiben unter anderem an den damaligen Eigentümer des Grundstücks B. I. 27, in welchem er diesen “dringend” bat, den Anschluss des Wohnhauses “sofort nach Betriebsfertigstellung des städtischen Kanals kurzfristig herzustellen”. Dazu bezog sich der Oberstadtdirektor unter anderem auf verschiedene Vorschriften der Ortssatzung der Stadt I1. , nach denen für jedes bebaute Grundstück an kanalisierten Straßen Anschlusspflicht und Benutzungszwang bestehe. Im Januar 1960 trafen jedoch die Eigentümer der Grundstücke B. I. 5 bis 41 (ungerade Zahlen) eine Vereinbarung, wonach der vorhandene Regenwasserkanal aus dem Jahre 1931 in Zukunft als Schmutzwasserkanal benutzt werden und über das Grundstück B. I. an den städtischen Kanal angebunden werden sollte. Es wurde ausdrücklich bestimmt, dass es sich weiterhin um einen “Privatkanal” handele, den die “Grundstückseigentümer 5 bis 41” gemeinsam reinigen und unterhalten bzw. die anteiligen Kosten für diese Tätigkeiten aufbringen sollten. Mit Bauschein vom 10. Mai 1961 erteilte der Oberstadtdirektor der Stadt I1. dem Eigentümer des Grundstücks B. I. die Genehmigung zur Herstellung der Entwässerungsanlage für dieses Grundstück, wobei auf dem zur Genehmigung gehörenden Lageplan ausdrücklich von einem “Hauptkanal hinter den Häusern mit Anschluss an den städt. Kanal” die Rede ist.

Mit Bescheid vom 24. April 1962 zog der Oberstadtdirektor der Stadt I1. den damaligen Eigentümer des Grundstücks B. I. zu einer einmaligen Kanalanschlussgebühr heran, nachdem dessen Grundstück “betriebsfähig an die städtische Abwasseranlage angeschlossen ist”. Mit Urteil vom 6. Juni 1963 – 1 K 250/62 – hob die 1. Kammer des erkennenden Gerichts diesen Bescheid auf. In den Gründen des Urteils wird hervorgehoben, dass die Stadt I1. für sämtliche betroffenen Grundstücke nur einen Kanalanschluss habe herstellen müssen, während die Eigentümer die gesamten Unterhaltungskosten des langen Privatkanals, den sie zudem auf eigene Kosten hergestellt hätten, zusätzlich tragen müssten. Auf diese Weise seien einerseits die Leistungen des damaligen Beklagten erheblich geringer als bei den normalen Kanalanschlüssen, während andererseits den Grundstückseigentümern nur ein Anschluss an die Kanalisation geboten werde, der mit erheblichen “Mehrunkosten” für den einzelnen Eigentümer verbunden sei als in den Regelfällen.

Seit Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts bemühten sich der Oberstadtdirektor der Stadt I1. und später der Beklagte um eine Sanierung des fraglichen Kanals hinter den Häusern entlang der Straße B. I. . In diesem Zusammenhang kam es auch zu Besprechungen mit dem Regierungspräsidenten und dem zuständigen Ministerium, in denen diese die Ansicht vertraten, der im privaten Eigentum befindliche Kanal sei “ohne Zweifel” ein öffentlicher Kanal. Öffentlich in diesem Sinne sei jeder Kanal, in welchem zwei oder mehr Abwasserteilströme zusammenflössen. Mitte der neunziger Jahre verhandelten die Eigentümer und die Stadt I1. über den Neubau eines Privatkanals, wobei die Mehrheit der Eigentümer sich in der Pflicht sah, die Kosten hierfür zu tragen, während der Rechtsvorgänger der Kläger meinte, die Sanierung bzw. Erneuerung des “Privatkanals” sei Sache der Kommune, weil deren Pflicht dort beginne, wo das Abwasser von mindestens zwei Grundstücken zusammengeführt werde; Verträge zwischen den an einem solchen Kanal angeschlossenen Anliegern seien unerheblich. Später wurde seitens der Stadt I1. erwogen, den Kanal durch die Stadtentwässerung I1. AöR (SEH) sanieren zu lassen. Dies geschah jedoch nicht. Soweit der Beklagte Sanierungsmaßnahmen durchgeführte, stellte er diese den jeweiligen Eigentümern in Rechnung.

Mit Schreiben vom 22. Juni 2004 widersprach der Kläger einer entsprechenden Rechnung, die der Beklagte für die Beseitigung einer Verstopfung ausgestellt hatte. Er machte geltend: Die Verstopfung habe sich nicht auf seinem Grundstück eingestellt. Sie – die Kläger – hätten nur das “Pech” gehabt, als erste das Problem zu erkennen, weil bei ihnen der Kanal durch den Keller verlaufe. Im Übrigen hätten sie erfahren, dass ein privater Kanal zu einem öffentlichen Kanal wird, wenn mehr als drei Haushalte angeschlossen seien. Weil dies hier der Fall sei, müsse die Stadt I1. für Wartung und Reinigung des Kanals sorgen.

Mit Schreiben vom 11. August 2004 legte der Beklagte dem Kläger seine Sicht der Angelegenheit dar: Die Häuser Im B. I. 5 bis 41 entwässerten über einen Privatkanal, der hinter den Gebäuden verlaufe und bei Haus Nr. 41 in den öffentlichen Kanal münde. Die öffentliche Abwasseranlage liege im Straßenbereich vor den Wohnhäusern. Seit der Herstellung des öffentlichen Kanals bestehe für jedes Grundstück die Möglichkeit und die Verpflichtung, das Schmutzwasser diesem Kanal direkt zuzuführen. Er – der Beklagte – habe bislang darauf verzichtet, separate Anschlusskanäle zu fordern. Die gemeinsame Ableitung über den Privatkanal sei für die Eigentümer kostengünstiger und werde im Hinblick auf die Unterhaltungsvereinbarung aus dem Jahre 1960 gestattet. Danach seien die Grundstückseigentümer verpflichtet, den gesamten Privatkanal gemeinsam zu reinigen und zu unterhalten bzw. die Kosten hierfür gemeinsam zu tragen. Als Miteigentümer habe der Kläger dem Beklagten den Auftrag erteilt, eine Verstopfung zu beseitigen. Dies habe er

– der Beklagte – getan, so dass der Kläger zahlungspflichtig sei.

Im Januar 2005 fand unter Beteiligung von Bediensteten des Beklagten eine Anwohnerversammlung statt, bei der seitens der Vertreter des Beklagten herausgestellt wurde, dass dieser eine Sanierung des Privatkanals ablehne und die Eigentümer entweder die Möglichkeit hätten, den Kanal zu sanieren oder ihre Grundstücke – nach der Errichtung eines separaten Regenwasserkanals in der Straße – an den Schmutzwasserkanal im Straßenkörper anzuschließen, wobei dies in den meisten Fällen nur mit Hilfe einer Hebeanlage möglich ist. Die Anlieger bildeten eine Arbeitsgruppe, welche die in der Versammlung aufgezeigten Möglichkeiten ausloten sollte. Ergebnisse der Tätigkeit dieser Gruppe sind allerdings nicht aktenkundig. Vielmehr war die Mehrzahl der Eigentümer gewillt, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen.

Am 21. April 2009 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben, bei der es sich ausweislich eines Schreibens des Prozessbevollmächtigten der Kläger an den Beklagten um eine Musterklage auch für die weiteren betroffenen Eigentümer handelt. Die Kläger begründen eingehend ihre Rechtsansicht, wonach der hinter den Häusern bzw. unterhalb ihres Gebäudes verlaufende Kanal nordwestlich der Straße B. I. ein öffentlicher Kanal sei, weil er mehrere Grundstücke entwässere, er seitens der Behörden und – zwischenzeitlich – auch des Beklagten so eingeschätzt worden sei und er zum Entwässerungskonzept der Stadt I1. gehöre.

Die Kläger beantragen,

1. festzustellen, dass es sich bei der durch ihr Grundstück “B. I. ” verlaufenden Entwässerungsleitung um einen öffentlichen Kanal handelt,

2. den Beklagten zu verpflichten, diese Entwässerungsleitung auf seine Kosten zu sanieren, zu kontrollieren sowie dauerhaft zu unterhalten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit eingehenden Ausführungen begründet er seine Rechtsansicht, wonach es sich bei der streitigen Abwasserleitung um einen Privatkanal handele, auch wenn die beteiligten Behörden früher eine abweichende Auffassung vertreten hätten, die mittlerweile in der Rechtsprechung überholt sei.

Am 10. September 2009 hat der Berichterstatter vor dem Grundstück der Kläger die Streitsache mit den Parteien erörtert. Hierbei hat er sich auch einen Eindruck von den örtlichen Gegebenheiten verschafft. Auf die über diesen Termin gefertigte Niederschrift (Bl. 69 bis 71 der Gerichtsakte) wird verwiesen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist mit dem Hauptantrag zu 1. als Feststellungsklage zulässig. Nach § 43 Abs. 1 Alt. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann mit dieser Klageart das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter Rechtsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift sind die aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm sich ergebenden rechtlichen Beziehungen einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache zu verstehen,

vgl. nur Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage (2007), § 43 Rand-Nr. 11 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte.

Im vorliegenden Fall ist das Begehren der Kläger auf die Feststellung gerichtet, dass der in Rede stehende Abwasserkanal zum öffentlichen Kanalnetz der Stadt I1. bzw. der SEH gehört. Hierbei handelt es sich um ein der Feststellung zugängliches Rechtsverhältnis. Das berechtigte Interesse der Kläger an einer baldigen Klärung dieser Frage ist vor dem Hintergrund der Sanierungsbedürftigkeit der betreffenden Abwasserleitung offenkundig.

Die Klage mit dem Antrag zu 1. hat in der Sache allerdings keinen Erfolg. Bei dem fraglichen Kanal handelt es sich nicht um eine öffentliche Abwasserleitung, sondern um eine private Einrichtung der Eigentümer der Grundstücke nordwestlich der Straße B. I. . Diese Erkenntnis folgt aus der geschichtlichen Entwicklung der Anlage, die folgendes Bild zeigt:

Der Kanal wurde Anfang der dreißiger Jahre von den beteiligten Eigentümern eindeutig als private Anlage hergestellt. Weder die Eigentümer noch die damalige Stadt I1. handelten in der Absicht oder in dem Bewusstsein, es werde eine öffentliche Kanalisation geschaffen. Soweit die Stadt I1. seinerzeit überhaupt hinzugezogen wurde, erklärt sich dieser Umstand zwanglos aus der Zuständigkeit der Stadtverwaltung als Baupolizeibehörde. Auch nach damaligem Recht musste für die zu errichtenden Wohnhäuser die Erschließung gesichert sein; hierzu gehörte auch die entwässerungstechnische Erschließung (vgl. heute § 4 Abs. 1 Nr. 3 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen). Nachdem die Bauherren eine privatrechtliche Regelung der Beseitigung des Niederschlagswassers gefunden hatten und im Übrigen vorgesehen war, die sonstigen Abwässer einschließlich der Fäkalien wasserdichten Gruben zuzuführen, wurde diese Lösung augenscheinlich von der Stadt I1. gebilligt. Eine Übernahme der Abwasserleitung in die Zuständigkeit der Stadt ist hierdurch nicht erfolgt.

Die Umwandlung des bisherigen Regenwasserkanals in einen Schmutzwasserkanal Anfang der sechziger Jahre hat dessen rechtliche Qualität nicht verändert. Die aus jener Zeit vorliegenden Verlautbarungen sind insoweit eindeutig. So wird in dem Schreiben des Oberstadtdirektors der Stadt I1. an den Eigentümer des Grundstücks B. I. 27 vom 4. November 1959 gefordert, das Wohnhaus kurzfristig an den städtischen Kanal anzuschließen, und es wird weiter ausgeführt, der Anschluss vom städtischen Straßenkanal bis zur Grundstücksgrenze werde von einem Vertragsunternehmer der Stadt I1. hergestellt. Die wiederholte Erwähnung eines städtischen Kanals zeigt den Gegensatz auf zu dem privaten Kanal, der damals seit rund dreißig Jahren vorhanden war. Auch der Heranziehungsbescheid des Oberstadtdirektors vom 24. April 1962 zeichnet sich durch einen eindeutigen Wortlaut aus, wenn es dort heißt, das Grundstück B. I. sei nunmehr “betriebsfähig an die städtische Abwasseranlage angeschlossen”. Diese Formulierung zwingt zu dem Umkehrschluss, dass nach Auffassung der Beteiligten zuvor keine städtische Abwasseranlage vorhanden war. Die tatsächliche Umwandlung des bisherigen Regenwasserkanals in eine Leitung für sämtliche Abwässer hat seine rechtliche Qualität nicht verändert. Grundlage hierfür war die Vereinbarung aus Januar 1960, in der ausdrücklich betont wird, dass der Kanal “Privatkanal” bleibe. Soweit die Stadt I1. die Funktionserweiterung des Kanals gebilligt hat, betraf diese Billigung auch die rechtliche Beschreibung des Kanals als private Einrichtung. Eine Übernahme in das öffentliche (städtische) Kanalnetz ist eindeutig nicht erfolgt.

Auch in den Jahren nach 1960 ist der fragliche Kanal keine öffentliche Einrichtung im Sinne des Klagebegehrens geworden. Damit eine Sache zu einer öffentliche Sache im Rechtssinne wird, bedarf es eines ausdrücklichen Rechtsakts, nämlich der sogenannten Widmung, wodurch die öffentlichrechtliche Sachherrschaft begründet, der öffentliche Zweck der Sache bestimmt und der Umfang ihrer möglichen Nutzung geregelt wird,

vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Band II, 6. Auflage (2000) Seite 687 (Rand-Nr. 1).

Eine Widmung kann erfolgen durch Gesetz, im Zuge eines förmlichen Verfahrens, durch einen ausdrücklich darauf gerichteten Verwaltungsakt, durch die Eintragung in ein öffentliches Register oder durch sogenannte “unvordenkliche Verjährung”, also die widerlegbare Vermutung der Öffentlichkeit der Sache,

vgl. zu alledem nur Wolff/Bachof/Stober a.a.O. Rand-Nummern 8 ff.

Im vorliegenden Fall lässt sich eine Widmung des fraglichen Abwasserkanals nicht feststellen.

Zunächst scheidet eine Widmung durch Gesetz aus, wobei als “Gesetz” im hier interessierenden Sinne nur die jeweiligen Satzungen der Stadt I1. bzw. der SEH in Betracht kommen. Auf der Grundlage der geltenden Entwässerungssatzung (ES) ergibt sich hierzu folgende Rechtslage:

Nach § 1 Abs. 1 ES betreibt das von dem Beklagten repräsentierte Kommunalunternehmen die Abwasseranlagen als öffentliche Einrichtung. Nach Nr. 8 der Anlage I zu § 1 Abs. 5 ES gehören zu den öffentlichen Abwasseranlagen alle vom Kommunalunternehmen selbst oder in dessen Auftrag betriebene Anlagen und Fahrzeuge, die dem Sammeln usw. von Abwasser dienen; hierzu gehören auch Abwasseranlagen, die von Dritten hergestellt und unterhalten werden und die dem Kommunalunternehmen für die Einleitung der Abwässer zur Verfügung gestellt sind. Im vorliegenden Fall kommt allenfalls die zweite Alternative in Betracht, weil der Kanal von Dritten hergestellt und (nicht) unterhalten wurde. Es fehlt jedoch an dem Merkmal “zur Verfügung gestellt sind”. Zwar wünschen die Eigentümer, dass die SEH sich des Kanals bedient und ihn in ihre Verfügungsmacht übernimmt. Dies hat indessen die SEH bislang nicht unternommen. Eine “aufgedrängte Verfügung” meint Anlage I zu § 1 Abs. 5 ES offensichtlich nicht.

§ 10 ff. ES verhalten sich ferner über die sogenannten Anschlusskanäle, mit denen die Grundstücke an die öffentliche Abwasseranlage anzuschließen sind. Hierzu heißt es in Nr. 9 der Anlage zu § 1 Abs. 5 ES, der Anschlusskanal verbinde die Grundstücksentwässerungsanlage mit der öffentlichen Abwasseranlage, wobei der Anschlusskanal nicht Bestandteil der öffentlichen Abwasseranlage sei. Dort (Nr. 9) wird ferner differenziert zwischen dem Hausanschlusskanal und dem Grundstücksanschlusskanal, die in ihrem Zusammenwirken den Anschlusskanal bilden. Diese Vorschrift ist zugeschnitten auf §§ 11 f. ES, wonach grundsätzlich jedes Grundstück einen eigenen Anschluss braucht und lediglich in Ausnahmefällen das Kommunalunternehmen einen gemeinsamen Anschlusskanal gestatten kann. Genau dies ist im vorliegenden Fall allerdings geschehen, indem die Stadt I1. im Jahre 1960 den seinerzeit betroffenen Eigentümern die Errichtung eines gemeinsamen Anschlusskanals gestattet hat, der nach Satzungsrecht nicht zur öffentlichen Abwasseranlage gehört. Danach lässt sich auch aus der einschlägigen Satzung eine Widmung des fraglichen Rohres zur öffentlichen Sache nicht feststellen.

Auch die früheren Satzungen der Stadt I1. enthalten keine Vorschriften, auf deren Grundlage der Privatkanal zur öffentlichen Sache hätte werden können. Die Entwässerungssatzung der Stadt I1. vom 20. September 1989 unterschied in den §§ 7, 8 zwischen Grundstücksentwässerungsanlagen und Anschlusskanälen (Haus- und Grundstücksanschlüsse), wobei letztere die Verbindung zwischen der öffentlichen Abwasseranlage und dem Revisionsschacht auf dem (privaten) Grundstück bildeten. Nach § 8 Abs. 2 der Satzung sollte jedes Grundstück einen eigenen Kanalanschluss haben, wobei diese Formulierung der Errichtung eines gemeinsamen Anschlusskanals für mehrere Grundstücke im Einzelfall erkennbar nicht entgegenstand. Die Entwässerungssatzung vom 19. Dezember 1980 stellte in ihrem § 1 Abs. 3 ausdrücklich klar, dass Haus- und Grundstücksanschlüsse nicht zu der öffentlichen Abwasseranlage gehörten, wobei nach § 9 Abs. 3 gestattet werden konnte, dass unter besonderen Verhältnissen mehrere Grundstücke durch einen Anschlusskanal entwässern. Nach diesen Satzungsbestimmungen war der im vorliegenden Fall streitige Kanal ein Anschlusskanal für mehrere Grundstücke und somit nach § 1 Abs. 3 ES 1980 nicht Bestandteil der öffentlichen Abwasseranlage. Die Entwässerungssatzung vom 10. Januar 1972 eröffnete in ihrem § 11 Abs. 2 ebenfalls die Möglichkeit, mehrere Grundstücke durch einen gemeinsamen Anschlusskanal zu entwässern, wobei die jeweiligen Unterhaltungs- und Benutzungsrechte sowie die Pflichten schriftlich festgelegt und entweder durch eine Baulast oder grundbuchlich gesichert werden mussten. Auch unter der Geltung der Entwässerungssatzung 1972 war der fragliche Kanal mithin eine private Einrichtung, wobei die in § 11 Abs. 2 ES 1972 normierte Forderung nach einer schriftlichen Festlegung der Rechte und Pflichten angesichts der Vereinbarung aus Januar 1960 erfüllt war. Die Entwässerungssatzung vom 4. November 1963 schließlich definierte in ihrem § 1 Abs. 1 die Entwässerungsanlage als öffentliche Einrichtung, wobei der Stadt I1. nur der Transport der Abwässer von den Einleitungsstellen bis zu den Klärwerken oblag. § 8 ES 1963 enthielt zahlreiche Regelungen betreffend die Grundstücksentwässerungsanlagen, für deren ordnungsgemäßer Betrieb und für deren Unterhaltung allein die Anschlussberechtigten verantwortlich waren. Im Übrigen liefert § 8 ES 1963 ebenfalls keine Hinweise darauf, dass nach damaligem Satzungsrecht ein privater Kanal, an dem mehrere Grundstücke angeschlossen waren, allein durch diesen Umstand ein öffentlicher Kanal war.

Ausweislich des gesamten Akteninhalts ist eine Widmung des Kanals zur öffentlichen Sache auch nicht durch eine entsprechende Verwaltungsentscheidung (Verwaltungsakt) des Beklagten bzw. früher des Oberstadtdirektors der Stadt I1. erfolgt. Zutreffend ist freilich der Hinweis der Kläger und ihres Prozessbevollmächtigten darauf, dass in den neunziger Jahren, ausgehend von entsprechenden Ãußerungen der Bezirksregierung, Bedienstete der Stadtverwaltung I1. der Rechtsansicht waren, angesichts der mehreren Grundstücken dienenden Funktion des Kanals gehöre dieser zur öffentlichen Abwasserbeseitigung I1. . Allein eine Rechtsansicht und auch die Verlautbarung einer solchen Ansicht vermögen indessen eine Widmung nicht auszulösen. Damit eine Widmung im Wege des Erlasses eines Verwaltungsakts angenommen werden kann, muss eine behördliche Ãußerung festgestellt werden können, die der Definition des Verwaltungsakts, wie sie in § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) niedergelegt ist, entspricht. Es muss eine hoheitliche Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen vorliegen, an der es hier fehlt. Selbst wenn seinerzeit beim Oberstadtdirektor der Stadt I1. und im Hause des Beklagten vorübergehend die Auffassung bestanden haben mag, der fragliche Kanal sei eine öffentliche Sache, für deren Unterhaltung die Stadt I1. oder die SEH verantwortlich seien, ist eine Rechtsmeinung noch keine “Maßnahme” im Sinne von § 35 VwVfG, zumal sie auch keinen regelnden Charakter im Sinne dieser Vorschrift zu entfalten vermag. Nur beiläufig sei insoweit festgestellt, dass die einschlägigen Ãußerungen aus dem Hause des Beklagten auch gar nicht eindeutig waren. Gerade der in der mündlichen Verhandlung erörterte Besprechungsvermerk vom 3. März 1999 ist sogar in gewisser Weise widersprüchlich, wenn dort einerseits gesagt wird, die Sanierung der Abwasserverhältnisse müsse durch die SEH erfolgen, wobei die Sanierung sich auf den “bestehenden bisherigen Privatkanal” beziehe. Etwas weiter ist dort von dem “bestehenden bzw. noch auszubauenden öffentlichen Kanal in der Straße B. I. ” die Rede, womit als bestehender öffentlicher Kanal augenscheinlich nicht der hinter bzw. unter den Wohnhäusern nordwestlich der Straße verlaufende Kanal gemeint war. Von einer eindeutigen Ãußerung des Beklagten bzw. des Oberstadtdirektors dahin, jener Kanal sei Teil der öffentlichen Abwasseranlagen, kann nach alledem nicht die Rede sein.

Für eine “Widmung kraft unvordenklicher Verjährung” ist im vorliegenden Fall kein Raum. Dieses Institut greift nur dort Platz, wo die rechtliche Qualität einer tatsächlich öffentlichen Sache nicht bis zu den Anfängen zurückverfolgt werden kann, jedoch eine widerlegbare Vermutung für die Öffentlichkeit anzuerkennen ist. Dem gegenüber kann im vorliegenden Zusammenhang die Historie von der Errichtung des Kanals Anfang der dreißiger Jahre bis in die heutige Zeit nachgewiesen werden, so dass von “Unvordenklichkeit” nicht die Rede ist.

Es ist schließlich auch keine Widmung durch ein schlüssiges Verhalten des Oberstadtdirektors der Stadt I1. bzw. des Beklagten ersichtlich. Namentlich hat die SEH in der Vergangenheit Sanierungs- und Reparaturarbeiten nicht etwa in eigenem Namen durchgeführt, sondern sie ist stets auf Kosten und auf Rechnung der Anlieger tätig geworden. Gerade das vorliegende Verfahren wurde nicht zuletzt dadurch ausgelöst, dass die SEH den Klägern eine Rechnung für die Beseitigung einer Verstopfung präsentierte, mit der die Kläger – aus ihrer Sicht folgerichtig – nicht einverstanden waren. Ein konkretes Verhalten des Beklagten, das als konkludente Widmung aufgefasst werden könnte, war und ist an keiner Stelle ersichtlich.

Nach alledem erweist sich der Klageantrag zu 1. als unbegründet: Der durch das Grundstück der Kläger verlaufende Kanal ist keine öffentliche Entwässerungsleitung.

Auch der zweite Antrag ist als Leistungsklage zulässig, jedoch nicht begründet. Der Beklagte bzw. die von ihm repräsentierte SEH ist nicht verpflichtet, den Kanal zu sanieren, zu kontrollieren und ihn dauerhaft zu unterhalten. Ausgehend von der zuvor gewonnenen Erkenntnis, dass die fragliche Leitung nicht zur öffentlichen Abwasseranlage gehört, sondern sie als Anschlusskanal im Sinne von § 11 ES anzusehen ist, greift § 11 Abs. 5 ES ein, wonach die Herstellung, Erneuerung und Veränderung sowie die laufende Unterhaltung der Grundstücksentwässerungsanlagen bis zur öffentlichen Abwasseranlage von den Grundstückseigentümern durchzuführen ist. Zwar ist diese Vorschrift zugeschnitten auf die “Normalsituation”, in der einem Grundstück mit einem Grundstückseigentümer eine Grundstücksentwässerungsanlage zugeordnet ist. Sie muss indessen auch in dem vorliegenden Sonderfall greifen, weil die Satzung gleichsam ein “Mittelding” zwischen Grundstücksentwässerungsanlage und öffentlicher Abwasseranlage nicht kennt. Wenn und soweit eine Abwasserleitung nicht zur öffentlichen Abwasseranlage gehört, sind der Beklagte und die SEH für deren Unterhaltung nicht zuständig. Befindet sich die Leitung – wie hier – im Eigentum einer Vielzahl von Grundstückseigentümern, müssen diese eine Einigung über die notwendigen Maßnahmen treffen, auch wenn dies im Einzelfall beträchtliche Probleme bereiten kann. Ein sachgerechter Schritt zu deren Lösung wurde ja auch schon unternommen: Der Anfang 2005 gegründete Arbeitskreis müsste in der Lage sein, mit Unterstützung des Beklagten eine für alle Grundstückseigentümer tragbare Lösung zu erarbeiten; das Gericht kann in der vorliegenden Konstellation aus den zuvor dargestellten Gründen keine Hilfen anbieten.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.

Das Gericht sieht davon ab, die Berufung zuzulassen, weil die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen. Insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu, obwohl die Kläger den Prozess als “Musterverfahren” betreiben, dessen Ausgang auch für die übrigen Eigentümer von beträchtlicher Bedeutung ist. Dies verleiht der Rechtssache gleichwohl keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil der Streit nur die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse eines Einzelfalls, nämlich eines Abwasserkanals, zum Gegenstand hat.

OLG Oldenburg zu der Frage der Verpflichtung zur Duldung der Führung von Leitungen über ein Nachbargrundstück ohne Sicherung durch ein dingliches Recht, etwa eine Grunddienstbarkeit gemäß §§ 1018 ff BGB

OLG Oldenburg zu der Frage der Verpflichtung zur Duldung der Führung von Leitungen über ein Nachbargrundstück ohne Sicherung durch ein dingliches Recht, etwa eine Grunddienstbarkeit gemäß §§ 1018 ff BGB

Eine Duldungspflicht ergibt sich nicht aus einer etwaigen Baulast, und zwar unabhängig davon, ob bzw. welche Leitungen tatsächlich unter einer solchen Baulast liegen, denn die Baulast bewirkt keine privatrechtlichen Nutzungsansprüche bzw. Duldungspflichten.

OLG Oldenburg, Urteil vom 30.01.2014 (Az.: 1 U 104/13):

Gründe:

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zutreffend hat das Landgericht der Klägerin gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB einen Anspruch auf Beseitigung derjenigen Leitungen aus ihrem Grundeigentum zugesprochen, die von dem Hintergrundstück der Beklagten über den Grundbesitz der Klägerin in D. L., führen.

Die streitgegenständlichen Leitungen stellen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf welche Bezug genommen wird, eine Eigentumsbeeinträchtigung dar.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Klägerin nicht gemäß § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung dieser Beeinträchtigung verpflichtet.

Eine zivilrechtliche Grundlage für die Nutzung des fremden Grundstücks ist nicht gegeben. Dass die Führung der Leitungen über das Eigentum der Klägerin nicht durch ein dingliches Recht, etwa eine Grunddienstbarkeit gemäß §§ 1018 ff BGB, gesichert ist, ist zwischen den Parteien unstreitig. Aber auch eine schuldrechtliche Bindung der Klägerin liegt nicht vor. Ob das Landgericht darauf hätte hinweisen müssen, dass es den Sachvortrag der Beklagten zu deren angeblichem Nutzungsrecht für unbeachtlich hielt, kann dahinstehen, denn die Beklagten hatten in der Berufungsinstanz hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Ein solches Nutzungsrecht steht dem Anspruch der Klägerin indes nicht entgegen. Das Einvernehmen, das es offensichtlich zwischen den Beklagten und dem Vater des Beklagten zu 2) gegeben hat, entfaltet ohne die unstreitig fehlende dingliche Absicherung gegenüber der Klägerin keine Wirkung. Dabei kann die genaue rechtliche Einordnung offenbleiben. Es dürfte sich um einen grundsätzlich jederzeit kündbaren unentgeltlichen Gestattungsvertrag gehandelt haben; ein solcher schuldrechtlicher Vertrag bindet Sondernachfolger grundsätzlich nicht. Ansatzpunkte für eine Ausnahme sind nicht ersichtlich. Vielmehr endete die Gestattung mit dem Eigentumsverlust des Vaters des Beklagten zu 2), ohne dass es einer rechtsgeschäftlichen Beendigung seitens der Klägerin bedurfte.

Entgegen der Argumentation der Beklagten verhelfen die Vorschriften der §§ 57 ZVG, 566 BGB ihrem Standpunkt nicht zum Erfolg, denn sie waren jedenfalls weder Mieter noch Pächter des Vordergrundstücks.

Auch eine Duldungspflicht aus Rechtsnormen ist nicht gegeben.

Eine solche Duldungspflicht ergibt sich insbesondere nicht aus einer etwaigen Baulast, und zwar unabhängig davon, ob bzw. welche Leitungen tatsächlich unter einer solchen Baulast liegen, denn die Baulast bewirkt keine privatrechtlichen Nutzungsansprüche bzw. Duldungspflichten ). Eine andere Bewertung widerspräche dem zivilrechtlichen Prinzip des numerus clausus der Sachenrechte. Zwar kann dem Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB – unter strengen Voraussetzungen – die tatsächliche Unmöglichkeit der Beseitigung der Eigentumsstörung entgegengehalten werden. Auch diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Die Beklagten berufen sich in diesem Zusammenhang auf den in der Baulast auf der südlichen Seite des Vordergrundstücks liegenden Erdöltank. Diese tatsächlichen Gegebenheiten hindern die Beklagten jedoch nicht daran, die Leitungen über den in ihrem Eigentum stehenden Grundstücksstreifen zu führen, der auf der nördlichen Seite des Vordergrundstücks verläuft. Soweit die Beklagten die Auffassung geltend machen, dies sei ihnen wirtschaftlich nicht zuzumuten, hindert dieser Umstand nicht die tatsächliche Möglichkeit der Störungsbeseitigung.

Auch aus der nachbarrechtlichen Vorschrift des § 906 Abs. 2 BGB lässt sich entgegen der Argumentation der Beklagten eine Duldungspflicht nicht herleiten, weil es nicht um Immissionen im Sinne dieser Regelung geht.

Die Vorschrift des § 242 BGB, insbesondere in Gestalt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, verhilft der Berufung der Beklagten ebenfalls nicht zum Erfolg. Dieses Rechtsinstitut kann zwar in zwingenden Ausnahmefällen Rechte beschränken oder ausschließen. Ein solcher Ausnahmefall liegt aber nicht vor. Allein der Umstand, dass es für die Beklagten einen erheblichen wirtschaftlichen Aufwand bedeutet, für ihre Leitungen das eigene Grundstück zu benutzen, statt sie weiterhin über fremdes Eigentum zu führen, vermag bei Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Einschränkung der Eigentümerbefugnisse aus § 903 BGB nicht zu rechtfertigen; dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Ein Verstoß gegen das Schikaneverbot des § 226 BGB ist nicht ersichtlich. Dafür, dass es Beweggrund der Klägerin bei der Verfolgung ihrer Ansprüche ist, die Beklagten zu schädigen, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dass die Klägerin die Beseitigung der Leitungen begehrt, um die ihr gesetzlich zustehenden Rechte als Eigentümerin auszuüben und insbesondere auch das Grundstück zu bebauen, liegt nahe.

Ein Gewohnheitsrecht – d. h. eine lang dauernde tatsächliche Übung, getragen von einer Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise, das durch die Einhaltung der Übung bestehende Recht sei zu befolgen – des Inhalts, dass Grundstückseigentümer fremde Ver- oder Entsorgungsleitungen in ihrem Eigentum zu dulden hätten, gibt es nicht.

Schließlich halten die Beklagten dem Anspruch nicht mit Erfolg die Einrede der Verjährung entgegen. Der Anspruch auf Beseitigung der Eigentumsstörung unterliegt der regelmäßigen Verjährung gemäß §§ 195, 199 Abs. 1, 4, 5 BGB. Der Beginn der Verjährungsfrist setzt die Entstehung des Anspruchs voraus, § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Maßgebend dafür ist der Beginn der Beeinträchtigung. Die streitgegenständliche Eigentumsstörung begann mit dem Erwerb des Eigentums durch die Klägerin im November 2012. Zwar wird mit dem Wechsel des Eigentums am gestörten Grundstück keine neue Verjährungsfrist in Lauf gesetzt. Solange der Vater des Beklagten zu 2) Eigentümer des Vordergrundstücks war, bestand jedoch kein Anspruch aus § 1004 BGB, weil er aufgrund einer unentgeltlichen Gestattung bzw. eines wie auch immer gearteten zivilrechtlichen Rechtsverhältnisses zur Duldung verpflichtet war. Die Grundlage dieser Duldungspflicht ist aber mit dem Eigentumswechsel auf die Klägerin entfallen. Vor diesem Hintergrund lag eine rechtlich relevante Eigentumsbeeinträchtigung erst mit dem Übergang des Eigentums auf die Klägerin vor.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO. Der Schriftsatz der Beklagten vom 29.1.2014 hat dem Senat vor Verkündung des Urteils vorgelegen. Es gibt jedoch weder zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung noch zur Zulassung der Revision Anlass.

Hinreichende Sicherung des Durchleitungsrechtes im Fall eines tatsächlich noch nicht an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossenen Hinterlieger-Grundstücks nur bei Bestehen einer entsprechenden Grunddienstbarkeit

Hinreichende Sicherung des Durchleitungsrechtes im Fall eines tatsächlich noch nicht an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossenen Hinterlieger-Grundstücks nur bei Bestehen einer entsprechenden Grunddienstbarkeit

von Thomas Ax

Das OVG NRW hat mit Beschluss vom 05.10.2012 (Az. 15 A 1409/12) entschieden, dass ein Anschluss eines Grundstückes an den öffentlichen Abwasserkanal nur dann verlangt wird, wenn ein Anschlussrecht des Grundstückseigentümers nach der Abwasserbeseitigungssatzung besteht. Die beklagte Gemeinde hatte dem Grundstückseigentümer (Kläger) aufgegeben, sein nicht unmittelbar an dem öffentlichen Verkehrsraum gelegenes Grundstück an die öffentliche Abwasseranlage anzuschließen, wobei das Grundstück von anderen Grundstücken umgeben war, die im Eigentum Dritter standen.

Nach der Abwasserbeseitigungssatzung der beklagten Gemeinde bestand das Anschlussrecht an den öffentlichen Abwasserkanal dann, wenn eine öffentliche Abwasserleitung vor dem anzuschließenden Grundstück verlegt worden ist oder in unmittelbarer Nähe des Grundstücks, etwa wenn über einen Weg ein unmittelbarer Zugang zur öffentlichen Straße mit einem öffentlichen Kanal besteht. Durch eine solche satzungsrechtliche Regelung sollen nach dem OVG NRW grundsätzlich räumlich von der öffentlichen Abwasserleitung entfernt liegende Grundstücke in das Anschlussrecht einbezogen werden, wenn ein Hinterlieger-Grundstück über ein VorderliegerGrundstück – wie hier über eine Zuwegungsfläche — Zugang zu einer kanalisierten Straße hat (vgl. OVG NRW, Urteil vom 05.06.2003 — Az. 15 A 1738/03 -, NWVBl. 2003, S. 435).

Die Inanspruchnahme der Zuwegung zur Durchleitung des Abwassers vermittelt aber nach dem OVG NRW aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann ein Anschlussrecht, wenn die Möglichkeit zur Durchleitung hinreichend gesichert ist.

Eine solche hinreichende Sicherung ist nach dem OVG NRW erst dann zu bejahen, wenn die Inanspruchnahme der öffentlichen Abwasseranlage nur noch vom Willen des Grundstückseigentümers abhängt, der sich an die öffentliche Abwasseranlage anschließen soll. Das bedeutet für ein — wie hier — noch nicht tatsächlich an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossenes Hinterlieger-Grundstück, welches auch nicht dem Eigentümer des Vorderlieger-Grundstücks gehört, dass allein eine auf die Durchleitung von Abwasser bezogene Baulast oder eine bloße schuldrechtliche Verpflichtung für die Annahme einer gesicherten Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Abwasseranlage ebenso wenig ausreicht wie ein Notleitungsrecht (§ 917 BGB; vgl. OVG NRW, Urteile vom 02.03.2004 — Az. 15 A 1151/02 -, OVG NRW, Urteil vom 20.03.2007 — Az. 15 A 4728/04 — KStZ 2007, S. 200).

Nach dem OVG NRW ist eine hinreichende Sicherung des Durchleitungsrechtes daher im Fall eines tatsächlich noch nicht an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossenen Hinterlieger-Grundstücks nur bei Bestehen einer entsprechenden Grunddienstbarkeit oder dann zu bejahen, wenn die Dienstbarkeit zwar noch nicht bestellt ist, ihre Bestellung jedoch allein noch vom Handeln des anschlussverpflichteten Grundstückseigentümers abhängig ist, es einer weiteren Mitwirkung Dritter zur Verschaffung der dinglichen Sicherung, also nicht mehr bedarf (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.12.1993 — Az. 22 A 12 32/92 -, NWVBl 1994, S. 174 ff.).

Eine Grunddienstbarkeit war im zu entscheidenden Fall jedoch weder bestellt noch war ihre Bestellung ausschließlich vom Handeln des klagenden Grundstückseigentümers abhängig.

VG Bayreuth zu der Frage der Zugehörigkeit eines Abwasserkanals zu einer öffentlichen Entwässerungseinrichtung

VG Bayreuth zu der Frage der Zugehörigkeit eines Abwasserkanals zu einer öffentlichen Entwässerungseinrichtung

1. Ob ein bestehender Kanal Teil einer öffentlichen Entwässerungseinrichtung iSv Art. 21 Abs. 1 BayGO ist, beurteilt sich danach, ob er vom Einrichtungsbetreiber durch einen Widmungsakt der allgemeinen Benutzung zugänglich gemacht worden ist und im öffentlichen Interesse unterhalten wird. (Rn. 25)

2. Ob ein Kanalstück Teil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung ist, kann sich danach richten, ob er dazu bestimmt ist, Abwasser nur eines Einzelnen oder einer unbestimmten Anzahl nicht näher bezeichneter Einleiter aufzunehmen. (Rn. 34)

3. Enthält das materielle Recht keine besonderen Regelungen, so greift der allgemeine Rechtsgrundsatz ein, dass die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, zu ihren Lasten geht. (Rn. 43)

VG Bayreuth, Urteil v. 30.10.2019 – B 4 K 18.339

Fundstelle:

BeckRS 2019, 48384

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Zugehörigkeit eines Kanals zur öffentlichen Entwässerungsanlage.

2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks … in … Dieses Haus sowie das benachbarte Haus auf dem Grundstück …, das im Eigentum der Landeskirchengemeinde … steht, wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet. Vormals befand sich an diesem Standort die ehemalige Straße „…“, die nicht mehr vorhanden ist.

3
Nachdem es im Jahr 2014 – infolge einer Verstopfung des sich unter den Gebäuden befindlichen Kanalzuges durch eine gelöste Steinplatte – zu Schäden in den Kellern der beiden Gebäude kam, holte die Landeskirchengemeinde ein Angebot eines Spezialbetriebes der Kanalwirtschaft zur Verrohrung des Kanals ein, das sich nach der vorläufigen Kostenschätzung vom 29. September 2014 auf 10.734,59 Euro belief.

4
Mit Schreiben vom 20. Oktober 2014 bat die Landeskirchengemeinde die Beklagte um Mitteilung, ob diese die Kanalsanierung durchführen werde, um weitere Gebäudeschäden zu vermeiden. Ihrer Ansicht nach sei die Beklagte hierzu verpflichtet.

5
Mit Schreiben der Beklagten vom 2. Dezember 2014 an den Kläger bestritt diese eine Verpflichtung zum Unterhalt des Kanals sowie zur Haftung für die entstandenen Gebäudeschäden. In den Fahrweg namens „…“, der bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts über die heutigen Grundstücke … und … verlief, sei um das Jahr 1892 ein Entwässerungskanal eingelegt worden. Um 1900 sei das Gebiet neu überplant und der Weg in diesem Bereich aufgelassen worden. Im Jahr 1906 sei die Bebauung erfolgt. Der Kanal werde weder im Kaufvertrag noch in einer der Hausakten über den Bau der beiden Anwesen … und … erwähnt. Er habe offensichtlich ausschließlich zur Ableitung des Oberflächenwassers des vormaligen Weges gedient. Hinweise darauf, dass über den Kanal Hausabwässer abgeleitet oder ein ehemals natürlicher Bachlauf verroht worden sei, seien nicht gefunden worden. Mit der Auflassung habe er seinen Charakter als öffentlicher Kanal verloren und sei als wesentlicher Bestandteil des Grundstücks im Jahr 1906 mitverkauft worden. Zudem sei die Existenz des Kanals den damaligen Vertragspartnern bekannt gewesen, da zumindest im Anwesen des Klägers ein Zugang zu dem Kanal mittels eines Revisionsschachts eingebaut worden sei. Er sei allem Anschein nach als privater Entwässerungskanal genutzt worden.

6
Der Kläger entgegnete dem mit Schreiben vom 1. Februar 2015 und verwies dabei auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 23. Januar 2012 (Az. 8 K 1522/11). Seiner Meinung nach handele es sich eindeutig um eine öffentliche Abwasserleitung. Der streitige Kanal sei von der Beklagten hergestellt worden und zu diesem Zeitpunkt unstrittig ein öffentlicher Kanal gewesen. Zur Entwidmung bedürfe es eines förmlichen Rechtsaktes. Den Ausführungen der Beklagten, dass dies durch den Kaufvertrag geschehen sei, werde widersprochen. Zum einen sei der Kanal lediglich ein Scheinbestandteil, zum anderen hätte er im Kaufvertrag an die Grundstückseigentümer herangetragen werden müssen. Zudem sei der ursprüngliche Weg „…“ auch nach dem Hausbau hinter dem Haus weitergegangen. Dies gehe eindeutig aus der Baugenehmigung hervor, der zufolge der damalige Bauherr vor Baubeginn eine Umgehung über das heutige Grundstück … habe schaffen müssen, um die hinter seinem Haus liegenden Grundstücke anzuschließen. Wenn also nach dem Grundstücksübergang noch anliegende Häuser des Weges „…“ an den Kanal angeschlossen gewesen seien, sei er in seiner Gesamtheit noch in Betrieb und damit öffentlich gewesen. Zudem würden die in § 3 der Satzung für die öffentliche Entwässerungsanlage der Stadt … vom 10. Februar 1993 in der Fassung vom 18. Dezember 2012 (EWS) definierten Begriffe in kritischen Fällen versagen, wenn gerade nicht zu erkennen sei, an welchem Punkt eine Grundstücksanschlussleitung ende und die öffentliche Abwasserleitung beginne. Auch gehe aus der Satzung nicht hervor, dass nur die im Katasterplan der Stadt eingezeichneten Leitungen öffentlich seien. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass eine Leitung, die aus dem Plan einseitig durch die Stadt gestrichen würde, ihren öffentlichen Status verlieren würde, ohne dass dem jeweiligen Grundstückseigentümer hiergegen ein Rechtsweg zustünde. Auch werde eine Mehrzahl von Grundstücken über den Kanal entwässert, da dieser über das Grundstück der Landeskirchengemeinde hinaus weiterlaufe und bei Regen von dort aus nicht unerheblicher Wassereintrag erfolge. Aus den Äußerungen der Beklagten gehe zudem hervor, dass diese den Kanal als öffentlich ansehe. Sie habe dem Kläger zunächst untersagt, etwas auf eigene Faust vorzunehmen und habe zuletzt vorsorglich Haftungsansprüche wegen Beschädigung ihres Kanals durch den Hausbau angedroht. Ferner sei der Kanal in den sechziger Jahren von der Straße aus über den ersten Schacht hinaus verrohrt worden, wodurch der Schaden erst entstanden sei. Unerheblich sei auch, dass kein dingliches Recht für den Kanal im Grundbuch eingetragen sei. Entscheidend für die Einordnung als öffentlicher Kanal sei vielmehr, dass er – was hier zutreffe – technisch geeignet sei, die Abwässer einer Vielzahl von Grundstücken aufzunehmen. Aus diesen Gründen fordere er die Beklagte auf, die Arbeiten aufzunehmen und die notwendigen Schäden zu beheben.

7
Am 17. März 2015 fand ein Ortstermin zur Kanalbestandsaufnahme in der … statt. Dabei wurde eine Untersuchung mit einem Kanal-TV von einem auf dem Grundstück gelegenen Kontrollschacht (Tiefe ca. 3,2 m) aus gegen die Fließrichtung in südwestlicher Richtung zur … hin durchgeführt. Aufgrund eines links einragenden Anschlusses sowie eines geringen Richtungswechsels war nach etwa 3 m kein Weiterkommen mehr möglich. Eine zusätzliche Befahrung mit einer Schiebekamera erbrachte ebenfalls keinen Erfolg.

8
Mit Schreiben der Beklagten vom 14. April 2015 an den Kläger führte diese aus, dass die Kamerabefahrung keinen Nachweis über den Verlauf und den Ursprung des Kanals erbracht habe. Es könne aber festgestellt werden, dass es sich bei dem streitigen Kanal nicht um den „Kanal durch das …“ aus dem Jahr 1892 handele, da dieser – falls er noch existiere – tiefer im Erdboden liege. Daher könne über die Entstehung und den Zweck des Kanals lediglich spekuliert werden. Zudem stehe fest, dass der befahrene Kanal weder in dem Plan aus dem Jahr 1892 noch in den Plänen für die Errichtung des Kanalnetzes (frühes 20. Jahrhundert), das seit 1964 als öffentliche Einrichtung betrieben werde, als Abwasserkanal verzeichnet sei. Für sämtliche Gebäude erfolge die Entwässerung über einen Kanal in der … oder in der … Insoweit sei weiterhin nicht ersichtlich, dass der Kanal der Abwasserbeseitigung als öffentliche Aufgabe diene oder zur Zeit der Errichtung des Abwassernetzes gedient habe. Dem Augenschein nach nehme er lediglich Sickerwasser aus den Grundstücksgärten im Eck … auf. Dass der Kanal unter der … weiterverlaufe und Abwasser aus westlich der … gelegenen Grundstücken aufnehme, sei reine Spekulation. Auch würden sich keine Belege für die Theorie finden, dass die Beklagte den Kanal in den sechziger Jahren verrohrt habe. Es wäre unlogisch, dass die Stadt den Kanal ein Stück weit unter einem bestehenden Gebäude verrohrt und dann an einer willkürlichen Stelle unter dem Gebäude mit der Verrohrung aufgehört habe. Des Weiteren habe man den Eigentümern nicht untersagt, etwas an dem Kanal zu unternehmen, sondern aus technischer Sicht davon abgeraten, vor Klärung der Sachlage bauliche Veränderungen am Kanal vorzunehmen. Etwaige Ansprüche seien „höchst vorsorglich“ angemeldet worden, sodass sich daraus nicht der Schluss ziehen lasse, dass die Beklagte den Kanal zu irgendeinem Zeitpunkt als öffentlich anerkannt hätte. Vielmehr würden die gewonnenen Erkenntnisse gegen die Zuordnung des Kanals zum öffentlichen Kanalnetz sprechen. Daher werde keine Unterhaltsverpflichtung anerkannt.

9
Mit Schriftsatz vom 29. März 2018 erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth und beantragte zuletzt,

festzustellen, dass es sich bei dem unterhalb der Anwesen … und … in … verlaufenden „…“ um einen öffentlichen Kanal und damit Bestandteil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung handelt sowie hilfsweise festzustellen, dass die Unterhaltslast für den streitgegenständlichen Kanal der Beklagten obliegt.

10
Zur Begründung führte er mit weiterem Schriftsatz vom 30. Juli 2018 aus, dass die Klage zunächst zulässig sei. Unter anderem bestehe ein Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten, das auf Normen des öffentlichen Rechts beruhe und an dessen baldiger Feststellung der Kläger ein berechtigtes Interesse habe. Durch den beschädigten „…“ seien bereits Wasserschäden am klägerischen Eigentum entstanden und es würden auch weitere Überschwemmungen aufgrund von angestautem Niederschlagswasser drohen, sodass der Kläger ein berechtigtes Interesse an einer baldigen Klärung der Unterhaltslast für diesen Kanal habe. Da der Kanal ausschließlich Niederschlagswasser führe, handele es sich um einen Regenwasserkanal i.S.d. § 3 EWS. Er sei auch technisch in der Lage, Abwässer einer Vielzahl von Grundstücken aufzunehmen und erfülle auch heute noch die Funktion, bei Starkwasser große Flüssigkeitsmengen aus dem Einzugsgebiet abzuleiten. Diese grundsätzliche Eignung werde auch nicht durch die Sanierungsbedürftigkeit des Kanals infrage gestellt. Zudem habe die Beklagte in § 3 EWS den Umfang der zentralen öffentlichen Niederschlagswasserbeseitigungsanlage eindeutig bestimmt und damit zu erkennen gegeben, dass die davon umfassten Leitungen und sonstigen Entwässerungseinrichtungen zur öffentlichen Niederschlagswasserbeseitigungsanlage gehören und deren Zweck dienen würden. Der Umstand, dass der Kanal unter privaten Grundstücken verlaufe, stehe seiner Einordnung als öffentliche Einrichtung nicht entgegen. Auch ergebe sich aus der Satzung keineswegs, dass nur die Anlagen öffentlich seien, die im Plan für die Errichtung des Kanalnetzes der Beklagten aus dem Jahr 1964 eingezeichnet seien. Die Beklagte habe den Kanal im Zusammenhang mit der geplanten Drainagerohrverlegung als zugehörig zum öffentlichen Abwasserentsorgungsnetz angesehen. Insoweit habe sie die Durchführung der Arbeiten verboten und darauf hingewiesen, dass der Kanal eine öffentliche Leitung sei.

11
Zudem handele es sich einerseits auch um keinen Grundstücksanschluss, da die Hausgrundstücke nicht über diesen entwässert werden. Nach Aussage der Beklagten sei für die Entwässerung sämtlicher Gebäude im streitgegenständlichen Einzugsgebiet ein Kanal entweder in der … oder in der … vorgesehen. Andererseits handele es sich auch um keine Grundstücksentwässerungsanlage, die neben einem Grundstücksanschluss nicht zur Entwässerungsanlage der Beklagten gehören würde. Nach § 3 EWS seien Grundstücksentwässerungsanlagen nur solche Einrichtungen eines Grundstücks, die dem Ableiten des Abwassers bis einschließlich des Kontrollschachts bzw. bis zur Grundstücksgrenze dienen würden. Angesichts der Tatsache, dass neben den Grundstücken … und … noch mindestens ein weiteres Anwesen angeschlossen sei, liege auch keine originäre Einrichtung des klägerischen Grundstücks vor. Im Umkehrschluss gehöre der Kanal daher zur Entwässerungsanlage der Beklagten.

12
Auch sei er nicht infolge des klägerischen Grundstückskaufs zu einem Privatkanal geworden. Er habe sich zum Zeitpunkt seiner Entstehung auf öffentlichem Straßengrund der Beklagten befunden. Soweit Versorgungsleitungen durch fremde Grundstücke geführt werden, stünden diese nach der Verkehrsanschauung im Eigentum des Versorgungsunternehmers und nicht der einzelnen Grundstückseigentümer. Dauerhaft verlegte Versorgungsleitungen seien keine wesentlichen Bestandteile eines Grundstücks i.S.v. § 94 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), da sie nach der Verkehrsauffassung entweder der Versorgung eines Nachbargrundstücks dienten und somit dessen Zubehör seien oder da sie einen Teil des jeweiligen Versorgungsnetzes bilden würden. Daher sei es nicht zu einer nachträglichen Übertragung des Eigentums gekommen, da der „…“ kein wesentlicher Bestandteil sei, der im Rahmen der Auflassung auf den Kläger übergegangen sein könnte. Auch sei nichts dafür ersichtlich, dass der Kanal kraft Vereinbarung im Rahmen des Grundstückskaufs zu einem wesentlichen Bestandteil geworden sei.

13
Mit Schriftsatz vom 19. September 2018 beantragte die Beklagte,
die Klage abzuweisen.

14
Sie führte erwidernd aus, dass die Feststellungsklage zunächst unzulässig sei, da der Kläger eine mögliche Verletzung seines Eigentumsrechts zweckmäßiger durch Leistungsklage auf Schadenersatz oder auf Entfernung des Kanals geltend machen könnte. Auch sei die Klage nicht hinreichend bestimmt, da der Begriff „…“ weder dem zuständigen Fachbereich noch der vorhandenen Fachliteratur bekannt sei. Im Laufe der damaligen Ermittlungen seien im klägerischen Grundstück drei verlaufende Kanäle ermittelt worden. Ein vom Nachbargrundstück … herkommender – bis zu einem im Keller des Anwesens … befindlichen Revisionsschacht verlaufender – Natursteinkanal unbekannten Alters, ein von diesem Revisionsschacht die … Richtung … querender Betonkanal, ebenfalls unbekannten Alters, des Weiteren ein im Jahr 1892 tiefer verlegter oder wenigstens zur Verlegung geplanter Tonrohrkanal, der jedoch bei den Ermittlungen in den Jahren 2014/2015 in der Natur nicht habe aufgefunden werden können. Es sei nicht ersichtlich, welchen der Kanäle der Kläger als zugehörig zum öffentlichen Netz festgestellt haben wolle. Alle drei Kanäle würden nicht zum öffentlichen Kanalnetz der Beklagten gehören. Es sei für keinen der Kanäle eine Verbindung zu einer entwässernden Oberfläche festgestellt worden, sodass sie nicht ausschließlich Niederschlagswasser führen könnten. Die topographische Situation deute vielmehr darauf hin, dass zumindest die beiden festgestellten Kanäle in erster Linie das dort zu Regenzeiten hoch stehende Grundwasser ableiten würden. Auch habe die Beklagte sehr wohl den Willen gehabt, lediglich die um das Jahr 1950 als Bestand aufgenommen Kanäle sowie die danach vorgenommenen Erweiterungen und Veränderungen als Entwässerungsanlagen zu widmen. Dass vereinzelte Differenzen zwischen dem amtlichen Katasterplan und dem tatsächlichen Bestand auftreten könnten, werde nicht bestritten, müsse sich aber als Ausnahme auf offensichtliche Fehler beschränken. Soweit die Kanäle nicht im Grundstück des Klägers verlaufen, fehle es an der Klagebefugnis. Auch werde ausdrücklich bestritten, dass die Beklagte den Kanal als zugehörig zum öffentlichen Abwassernetz angesehen habe. Selbst wenn dies so wäre, könne dies die Beklagte nicht daran hindern, aufgrund später gewonnener Erkenntnisse ihre Ansicht zu ändern. Schließlich habe der Kläger den Kanal zunächst selbst als seinen eigenen angesehen, als er eine Fachfirma mit der Sanierung beauftragt habe.

15
Auch nach zwei Kamerabefahrungen habe der weitere Verlauf des Kanals über das Grundstück … hinaus nicht festgestellt werden können. Umfangreiche Ermittlungen würden die Vermutung nahelegen, dass der Kanal ursprünglich der Entwässerung des Weges gedient habe. Daher habe es sich seinerzeit gerade nicht um eine Ver- bzw. Entsorgungsleitung gehandelt, sondern um eine Entwässerungsanlage der Straße selbst, die damit Bestandteil des Weges gewesen sei. Der Kanal habe damit das rechtliche Schicksal des Weges geteilt und mit dessen Auflassung seinen öffentlichen Charakter verloren. Bei der Neuparzellierung sei er wesentlicher Bestandteil der jeweiligen Grundstücke gewesen und somit als solches mit dem Grundstück an den Rechtsvorgänger des Klägers verkauft worden. Damit sei auch plausibel erklärt, dass der Kanal in keinem Kanalkataster, Bebauungsplan oder der Kaufvertragsurkunde über das Grundstück Erwähnung gefunden habe. Was den Tonrohrkanal angehe, hätten keine Erkenntnisse über dessen heutige Existenz und damit über eine etwaige heutige Funktion gewonnen werden können.

16
Mit weiterem Schriftsatz vom 24. Oktober 2019 ergänzte die Klägerseite ihr Vorbringen. Die Feststellungsklage sei zulässig, da der Grundsatz der Subsidiarität nicht für das Verhältnis von Feststellungsklagen gegen einen Hoheitsträger und allgemeiner Leistungsklagen gelte. Zudem sei diese auch als Zwischenfeststellungsklage statthaft, da die Feststellung, dass die Beklagte die Unterhaltslast für den streitigen Kanal trage, vorgreiflich sei für die Entscheidung, ob sie dem Kläger wegen der Beschädigung des Wohnhauses Schadensersatz zu leisten habe. Auch sei die Klage hinreichend bestimmt, da der streitgegenständliche Kanal aus der Klagebegründung erkennbar sei. Alle drei von der Beklagten ermittelten Kanäle seien zum öffentlichen Kanalnetz zugehörig. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beklagte keine Verbindung zu einer zu entwässernden Oberfläche habe feststellen können. Die unterbliebene Feststellung sei darauf zurückzuführen, dass der Kanal mit den Untersuchungsgeräten der Beklagten nicht befahren werden konnte. Ferner stelle es eine bloße Vermutung ohne Tatsachengrundlage dar, soweit die Beklagte behauptet, dass der Kanal das zu Regenzeiten hoch stehende Grundwasser ableite. Vielmehr sei es ein Indiz für die Einordnung als Regenwasserkanal, dass bei Starkregen große Wassermengen durch den Kanal abgeleitet würden. Daneben könnte es sich bei dem Kanal aber auch um einen verrohrten Bach handeln. Der damalige Straßenname „…“ deute darauf hin. Dies würde zudem erklären, weshalb der Kanal weiterhin Wasser führe. Er könne jedenfalls keine Straßenentwässerungsanlage gewesen sein, da er immer noch Wasser führe, obwohl keine Straße mehr vorhanden sei, die entwässert werden könnte. Somit sei der Kanal nicht Bestandteil des Weges i.S.d. Art. 2 Nr. 1 a) des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG). Demnach handele es sich bei dem Kanal um ein Gewässer dritter Ordnung, deren Unterhaltung der Gemeinde als eigene Aufgabe obliege.

17
Die Beklagte entgegnete dem mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2019. Eine zu entwässernde Oberfläche habe nicht festgestellt werden können, da an der Oberfläche kein Einlauf vorhanden sei. Auch sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine Grundstücksentwässerungsanlage nicht unter mehreren Grundstücken verlaufen könne. Dies sei jedoch unerheblich, da der vom Kläger gezogene Umkehrschluss, dass der Kanal zur Entwässerungseinrichtung der Beklagten gehöre, da es sich weder um einen Grundstücksanschluss noch eine Grundstücksentwässerungsanlage handele, unzulässig sei. Die Beklagte bestimme nach § 1 Abs. 2 EWS Art und Umfang der Entwässerungsanlage. Zudem widerspreche der Kläger sich insofern, als er zunächst behaupte, dass es sich um einen Regenwasserkanal handele, während er anschließend erkläre, dass ein Gewässer dritter Ordnung vorliege. Die Schlussfolgerung vom Straßennamen – der nicht „…“, sondern nur „…“ gelautet habe – auf ein Gewässer dritter Ordnung sei in keiner Weise zwingend. Außerdem sei im Endbericht zum Gewässerentwicklungskonzept für Gewässer dritter Ordnung für das Gebiet der Beklagten vom Mai 2010 an dieser Stelle kein Gewässer verzeichnet. Der Anschein spreche nach wie vor dafür, dass der Kanal als Bestandteil des Grundstücks im Eigentum des Klägers stehe. Die bestehenden Restzweifel gingen zu Lasten des Klägers.

18
Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30. Oktober 2019 Bezug genommen. Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

19
Die zulässige Klage ist sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unbegründet. Der streitgegenständliche Kanal (im Weiteren als „Steinkanal“ bezeichnet) ist weder Bestandteil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung der Beklagten noch obliegt ihr die Unterhaltslast für den Kanal.

20
Der zulässige Hauptantrag ist unbegründet, da der im Streit stehende Steinkanal kein Bestandteil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung der Beklagten ist.

21
a) Die Klage im Hauptantrag ist als Feststellungsklage zulässig. Zunächst ist die Klage statthaft, da sie auf die Feststellung der Zugehörigkeit des Steinkanals zur öffentlichen Entwässerungseinrichtung und damit auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet ist. Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung. Dafür genügt nach ständiger Rechtsprechung jedes nach der Sachlage anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (vgl. BVerwG, U.v. 27.5.2009 – 8 C 10/08 – juris; U.v. 15.7.2016 – 9 A 16/15 – juris Rn. 26). Ein solch schutzwürdiges Interesse wirtschaftlicher Art liegt vor. Durch den Feststellungsantrag möchte der Kläger sowohl klären, wer für den entstandenen Schaden an seinem Haus haftet, als auch, wem die Unterhaltung des Steinkanals mit den gegebenenfalls notwendigen Verrohrungsarbeiten obliegt.

22
Die Feststellungsklage ist schließlich auch nicht nach § 43 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen, weil der Kläger seine Rechte durch eine allgemeine Leistungsklage geltend machen könnte. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist seinem Zweck entsprechend einschränkend auszulegen. Eine Feststellungsklage kommt trotz der Möglichkeit einer Leistungsklage insbesondere dann in Betracht, wenn die Feststellungsklage den effektiveren Rechtsschutz bietet (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1997 – 1 C 2/95 – juris Rn. 25; U.v. 15.7.2016 – 9 A 16/15 – juris Rn. 28). Die Feststellung der Zugehörigkeit des Steinkanals zur öffentlichen Einrichtung reicht in ihrem Gegenstand weiter als ein reines Leistungsbegehren und ist über den Einzelfall hinaus in gleich gelagerten Fällen auch künftig wieder von Bedeutung. Damit wird sowohl gegenwärtig als auch für die Zukunft unter den Beteiligten geklärt, wem der Unterhalt des Steinkanals obliegt und wer für etwaige, durch den Steinkanal entstandene bzw. zukünftig entstehende Schäden an den Gebäuden haften muss. Somit kann es dahinstehen, ob im Verhältnis zu juristischen Personen des öffentlichen Rechts ausnahmsweise vom Vorrang der Leistungsklage gegenüber der Feststellungsklage entgegen dem Wortlaut des § 43 Abs. 2 VwGO – wie von Klägerseite behauptet – abzusehen ist.

23
Schließlich ist der Antrag auch hinreichend bestimmt gemäß § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO, da sowohl für die Beteiligten als auch für das Gericht klar ersichtlich ist, welcher Kanal – unabhängig von dessen Bezeichnung als „…“ – vorliegend im Streit steht.

24
b) Die Klage hat im Hauptantrag jedoch keinen Erfolg, da der unter dem klägerischen Grundstück verlaufende Steinkanal kein Bestandteil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung der Beklagten nach Art. 21 Abs. 1 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (GO) ist.

25
aa) Ob ein bestehender Kanal Teil einer öffentlichen Entwässerungseinrichtung i.S.v. Art. 21 Abs. 1 GO ist, beurteilt sich danach, ob er vom Einrichtungsbetreiber durch einen Widmungsakt der allgemeinen Benutzung zugänglich gemacht worden ist und im öffentlichen Interesse unterhalten wird. Da an die Form des Widmungsaktes bei kommunalen Entwässerungsanlagen keine besonderen gesetzlichen Anforderungen gestellt werden, ergibt sich eine Widmung häufig nur aus einer Betrachtung der Gesamtumstände (BayVGH, U.v. 21.3.2012 – 4 B 11.2358 – juris Rn. 22 m.w.N.). Auf die Eigentumsverhältnisse an den einzelnen Teilen der Anlage sowie deren Sonderrechtsfähigkeit nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts kommt es hiernach grundsätzlich nicht an (BVerwG, B.v. 13.1.2016 – 7 B 3/15 – juris Rn. 7).

26
bb) Daran gemessen ist der Steinkanal kein Teil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung. Weder durch die Bestimmungen der Entwässerungssatzung der Beklagten noch durch ein anderweitiges Handeln der Beklagten liegt ein (nachweisbarer) Widmungsakt im Hinblick auf den Steinkanal vor.

27
(1) Gleichwohl ist der Klägerseite zunächst zuzustimmen, dass es sich bei dem Steinkanal den Definitionen in § 3 EWS zufolge weder um einen Grundstücksanschluss noch um eine Grundstücksentwässerungsanlage handelt, sodass der Steinkanal nicht bereits aufgrund der Ausschlussregelung des § 1 Abs. 3 EWS von der Entwässerungsanlage ausgeschlossen ist. Bei den Grundstücksanschlüssen handelt es sich nach § 3 EWS um die Leitungen vom Kanal bis zum Kontrollschacht bzw. bis zur Grundstücksgrenze, falls kein Kontrollschacht vorhanden ist, während Grundstücksentwässerungsanlagen die Einrichtungen eines Grundstücks sind, die dem Ableiten des Abwassers dienen, bis einschließlich des Kontrollschachts bzw. bis zur Grundstücksgrenze. Diese gehören nach § 1 Abs. 3 EWS nicht zur Entwässerungsanlage der Beklagten.

28
Vorliegend erfolgt die Entwässerung des klägerischen Grundstücks sowie aller Grundstücke der … über die jeweiligen Grundstücksanschlussleitungen in den in der Straße gelegenen öffentlichen Kanal. Der Steinkanal besitzt hierbei keine Verbindung zur Grundstücksanschlussleitung bzw. zum öffentlichen Kanal in der … Wie die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung klarstellten, geht der Steinkanal hingegen unter dem klägerischen Grundstück in einen Betonrohrkanal über, der die … quert und erst im weiteren Verlauf in der … eine Verbindung zum öffentlichen, in der … gelegenen Kanalnetz aufweist. Somit wäre allenfalls zu diskutieren, ob das Betonrohr nach der Grundstücksgrenze des Klägers als Grundstücksanschluss zu qualifizieren wäre. Der auf dem Klägergrundstück verlaufende Steinkanal ist jedoch definitionsgemäß ersichtlich nicht darunter zu fassen. Da er zudem unstreitig nicht der Ableitung des Abwassers des klägerischen Grundstücks dient, handelt es sich auch um keine Grundstücksentwässerungsanlage des Klägers.

29
(2) Allerdings kann daraus nicht automatisch im Umkehrschluss – wie von Klägerseite angenommen – gefolgert werden, dass der Steinkanal folglich der Entwässerungseinrichtung der Beklagten zugehörig sei. Ebenso reicht es nicht aus, dass der Kanal tatsächlich Niederschlagswasser ableitet und demnach der Definition in § 3 EWS zufolge als Regenwasserkanal zu qualifizieren wäre. Vielmehr ist in § 1 Abs. 2 EWS geregelt, dass Art und Umfang der Entwässerungseinrichtung und somit die Zugehörigkeit eines Kanals zu derselben durch die Stadt bestimmt wird. Wenn sich die Beklagte die Bestimmung der Art und des Umfangs der Entwässerungsanlage in der Satzung vorbehalten hat und weiterhin vorbehält, so macht sie damit lediglich deutlich, dass sie außerhalb der Satzung bestimmen will, was Bestandteil ihrer Entwässerungsanlage sein soll und was nicht (BayVGH, U.v. 21.12.2000 – 23 B 00.2132 – juris Rn. 38). Das Gesetz stellt keine besonderen Anforderungen an die Form des Widmungsaktes. Dass und wieweit eine Widmung vorliegt, muss sich aus den gesamten Umständen ergeben. Indizien für eine – konkludente – Widmung außerhalb des Satzungsrechts der Beklagten sind insbesondere die bisherige Benutzungspraxis, die Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses sowie die Art und Weise der haushaltsrechtlichen Behandlung. Bei der exakten Bestimmung des Umfangs eines zur Entwässerungsanlage gehörenden Kanalnetzes kommt den Kanalbestandsplänen der Stadt eine erhöhte Bedeutung zu. Nach diesen Plänen bestimmt sich, welche Grundstücke durch die öffentliche Entwässerungsanlage erschlossen sind, so dass die Eigentümer zu Beiträgen herangezogen und im Falle einer Bebauung zum Anschluss an die öffentliche Anlage verpflichtet werden können. Es kann daher angenommen werden, dass die Bestandspläne öffentlicher Entwässerungseinrichtungen in aller Regel mit besonderer Sorgfalt geführt werden (BayVGH, U.v. 21.3.2012 – 4 B 11.2358 – juris Rn. 22 mit Verweis auf BayVGH, U.v. 21.12.2000 – 23 B 00.2132 – juris Rn. 39 ff.).

30
(3) Davon ausgehend ist der Steinkanal kein Bestandteil der Entwässerungseinrichtung, da er weder in den Kanalbestandsplänen der Beklagten enthalten ist noch anderweitige Indizien für eine Widmung des Kanals vorliegen.

31
(a) Der aktuelle, dem Gericht übergebene Kanalbestandsplan vom 24. Oktober 2019 basiert auf einer Bestandserfassung der öffentlichen Kanäle durch ein Ingenieurbüro im Jahr 1950. Zu diesem Zeitpunkt waren die …, die … sowie die … bereits kanalisiert. Sämtliche Veränderungen und Erweiterungen, die nach dem Jahr 1950 an der öffentlichen Entwässerungseinrichtung vorgenommen wurden, beispielsweise die Kanalauswechslung in der … im Jahr 1955, wurden von der Beklagten durch farbliche Hervorhebung in den fortgeführten Bestandsplänen kenntlich gemacht. Da den Kanalbestandsplänen der Stadt bei der Bestimmung des Umfangs der öffentlichen Einrichtung eine erhöhte Bedeutung zukommt und diese in aller Regel mit besonderer Sorgfalt geführt werden, liegt in der Nichterfassung des Steinkanals in sämtlichen Bestandsplänen ein gewichtiges Indiz gegen dessen Einstufung als Teil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung. Insbesondere äußerte die Beklagte auch, dass sie den Willen gehabt habe, nur die im Jahr 1950 aufgenommenen Kanäle sowie die danach vorgenommenen Veränderungen und Erweiterungen als Teile der Entwässerungsanlage zu widmen.

32
(b) Im Übrigen sind auch keine entgegenstehenden Indizien ersichtlich, die zu einem anderen Ergebnis führen.

33
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde aufgeklärt, dass ein vom Kläger beauftragtes Fachunternehmen im Jahr 2014 einen sogenannten Rauchtest durchführte, bei dem der Rauch im Steinkanal unter dem klägerischen Grundstück in Richtung … aufwärts geleitet wurde. Dabei konnte festgestellt werden, dass aus der Dachrinne des Anwesens … Rauch austrat. Damit ist aller Voraussicht nach davon auszugehen, dass durch die Dachrinne in diesem Grundstück eine dauerhafte Regenwassereinleitung in den Steinkanal stattfindet. Gleichwohl führt dies aber nicht dazu, dass aus dieser Benutzungspraxis ein Indiz für die Qualifizierung des Kanals als öffentlicher Regenwasserkanal hergeleitet werden kann. Vielmehr wird das Regenwasser vom Grundstück in der … offenbar teilweise in rechtswidriger Weise nicht in den öffentlichen Kanal in der … selbst eingeleitet. Aus diesem widerrechtlichen Verhalten eines Anwohners kann jedoch kein Rückschluss auf die Zugehörigkeit des Kanals zur Entwässerungseinrichtung gezogen werden, da der Einrichtungsträger die Bestandteile seiner öffentlichen Einrichtung selbst durch Widmungsakt bestimmt. Auch kann allein durch das Einleiten keine konkludente Widmung des Steinkanals stattgefunden haben, da dies eine zumindest stillschweigende Billigung der Einleitungssituation durch das nach der Kommunalverfassung zuständige Organ voraussetzen würde (BayVGH, B.v. 4.1.2012 – 4 CE 11.3002 – juris Rn. 9). Da die Beklagte angab, erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung durch den Kläger von der rechtswidrigen Einleitung erfahren zu haben, scheidet eine stillschweigende Billigung mangels Kenntnis auf Seiten der Beklagten aus. Ihr obliegt es jedoch aufgrund des in § 5 Abs. 5 Satz 1 EWS geregelten Benutzungszwangs zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands gegen den Grundstückseigentümer vorzugehen und diesen dazu anhalten, das Regenwasser ordnungsgemäß dem öffentlichen Entwässerungskanal in der … zuzuführen. Damit könnte im Übrigen zukünftig vermieden werden, dass weitere Schäden am klägerischen Gebäude durch die Ableitung im Steinkanal entstehen.

34
Selbst wenn sich der Steinkanal im bisher nicht befahrenen Teil weiter aufwärts in Richtung … erstrecken sollte und dort weitere Fremdanschlüsse vorhanden sein sollten, durch die Niederschlagswasser in den Steinkanal eingeleitet würde, ließe sich auch daraus nicht auf eine konkludente Widmung des Kanals schließen. Ob ein Kanalstück Teil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung ist, kann sich zwar danach richten, ob er dazu bestimmt ist, Abwasser nur eines Einzelnen oder einer unbestimmten Anzahl nicht näher bezeichneter Einleiter aufzunehmen (BVerwG, B.v. 13.1.2016 – 7 B 3/15 – juris Rn. 8). Hier liegt eine solche Bestimmung durch die Beklagte aber nicht vor, da die Entwässerung über den öffentlichen Kanal erfolgen soll. Vielmehr gaben die Vertreter der Beklagtenseite für das Gericht nachvollziehbar an, dass die Beklagte von der Existenz des gegenständlichen Steinkanals keine Kenntnis gehabt habe und erstmalig durch den Kläger bzw. die Landeskirchengemeinde … und deren Schreiben vom 20. Oktober 2014 vom Kanal erfahren habe. Dies deckt sich mit den vorgelegten Behördenakten, denen gleichermaßen kein Hinweis zum Ursprung und Verlauf des Steinkanals zu entnehmen ist.

35
Außerdem würde die von Klägerseite angeführte Verrohrung des Kanals von der … in Richtung …, die nach Klägerauskunft durch die Beklagte – im Widerspruch zu der Angabe der Beklagten über ihre Unkenntnis vom gegenständlichen Kanal – etwa um das Jahr 1960 vorgenommen worden sein soll, zu keiner konkludenten Widmung des Steinkanals als Bestandteil der öffentlichen Einrichtung führen. Besonders deutlich wird dies daran, dass die Beklagte – wie bereits erläutert – ab dem Jahr 1950 einen Kanalbestandsplan führte, in dem die Veränderungen und Erweiterungen an der öffentlichen Entwässerungsanlage eingetragen wurden. Hätte sie demnach den Steinkanal sowie den neu errichteten Betonrohrkanal bei der Vornahme der Arbeiten um das Jahr 1960 als Teil der Entwässerungseinrichtung betrachtet, wäre sorgfaltsgemäß eine Erweiterung der Entwässerungseinrichtung im Plan eingetragen worden. Nachdem dies jedoch unterblieb, lässt sich im Umkehrschluss auf einen – zum damaligen Zeitpunkt – fehlenden Willen der Beklagten zur Widmung des Steinkanals als Teil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung schließen. Soweit ersichtlich wurden durch die Beklagte auch keine anderen Unterhaltungsarbeiten am Steinkanal selbst vorgenommen, die gegebenenfalls zu einer konkludenten Widmung zu einem anderen Zeitpunkt hätten führen können.

36
Überdies ist auch aus den Äußerungen der Beklagten – sowohl im behördlichen als auch im gerichtlichen Verfahren – nichts für eine konkludente Widmung ersichtlich. Die Beklagte untersagte dem Kläger zwar vorerst, die Instandhaltungsmaßnahmen vorzunehmen und meldete vorsorglich Schadensersatzansprüche gegenüber den Grundstückseigentümern an. Dies erfolgte allerdings augenfällig vor dem Hintergrund, dass die Beklagte zunächst eine rechtliche Prüfung des Sachverhalts vornehmen wollte. Eine Anerkennung der Zugehörigkeit des Kanals zur Entwässerungsanlage ist darin indessen nicht enthalten.

37
Schließlich ist noch anzumerken, dass es auf die Frage, ob das Eigentum am Steinkanal nach § 94 bzw. § 95 BGB im Rahmen des Kaufvertrages aus dem Jahr 1906 auf den vormaligen Eigentümer übergegangen ist, im Rahmen der Feststellung der Zugehörigkeit des Kanals zur Entwässerungsanlage nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht ankommt (BVerwG, B.v. 13.1.2016 – 7 B 3/15 – juris Rn. 7).

38
Aus diesen Gründen und unter besonderer Berücksichtigung der Kanalbestandspläne ist der streitige Kanal daher mangels Widmung kein Bestandteil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung der Beklagten.

39
Der in der mündlichen Verhandlung ergänzte Hilfsantrag des Klägers ist zwar zulässig, jedoch ebenfalls unbegründet. Die vom Kläger begehrte Feststellung der Unterhaltslast der Beklagten ist zu versagen, da der Ursprung des Steinkanals trotz intensiver Bemühungen der Beklagten zur Sachaufklärung nicht nachweisbar ist. Die Nichterweislichkeit geht daher zu Lasten des Klägers.

40
a) Der unter einer innerprozessualen Bedingung stehende Antrag ist ebenfalls als Feststellungsantrag statthaft. Auch insoweit liegt keine Subsidiarität vor, § 43 Abs. 2 VwGO, da der Feststellungsantrag weiter reicht und folglich einen effektiveren Rechtsschutz als eine Leistungsklage darstellt.

41
b) Zunächst besteht keine Unterhaltungslast der Beklagten nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (WHG) i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Nr. 3 des Bayerischen Wassergesetzes (BayWG), da die Behauptung des Klägers, dass es sich bei dem Steinkanal um ein eingefasstes Gewässer dritter Ordnung handele, nicht nachgewiesen werden konnte. Die Argumentation des Klägers, dass der Straßenname „…“ darauf hindeute, dass es sich um einen verrohrten Bachlauf handeln könnte, wurde von der Beklagtenseite entkräftet. Diese wies darauf hin, dass der Weg nur den Namen „…“ trug und ein Bachlauf an dieser Stelle nicht bekannt sei. Dem Gericht gegenüber erklärte der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung darüber hinaus, dass um die Jahrhundertwende die Verrohrung des … vorgenommen und dieser gleichzeitig dinglich gesichert worden sei. Daher sei davon auszugehen, dass bei einer Einfassung eines etwaigen Baches im „…“ im gleichen Zeitraum ebenfalls eine dingliche Sicherung eingetragen worden wäre. Davon abgesehen sei auch im Endbericht zu dem Gewässerentwicklungskonzept für Gewässer dritter Ordnung für das Gebiet der Beklagten vom Mai 2010 kein Gewässer auf Höhe des klägerischen Grundstücks verzeichnet.

42
Nachdem die Begründung des Klägers weitestgehend auf einer am Straßennamen orientierten Vermutung basiert, kann diese aufgrund der Entgegnung der Beklagten nicht überzeugen. Hinzu kommt, dass in der Behördenakte der Beklagten ein Auszug aus dem Buch „Bavaria. Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern“ von Joseph Heyberger aus dem Jahr 1868 enthalten ist, in dem die Gewässer des Bezirksamts … aufgeführt sind, wobei ein sogenannter „…“ in der Auflistung nicht erwähnt ist.

43
Aus diesen Gründen erscheint es als unwahrscheinlich, dass es sich bei dem Steinkanal um ein eingefasstes Gewässer handelt. Da eine endgültige Klärung dieser Streitfrage jedoch mangels weiterer Möglichkeiten zur Sachverhaltsermittlung seitens des Gerichts im vorliegenden Verfahren nicht erreichbar ist, geht dies letztlich zu Lasten des Klägers. Dem Verwaltungsrecht sind dem Zivilprozess vergleichbare Behauptungs- und Beweisführungslasten (formelle Beweislast) im Allgemeinen wegen des Untersuchungsgrundsatzes nach § 86 Abs. 1 VwGO zwar fremd. Allerdings ist es eine Frage des materiellen Rechts, zu wessen Lasten es geht, wenn eine entscheidungserhebliche Tatfrage unaufklärbar bleibt. Die materielle Beweislast bestimmt sich nach dem jeweiligen materiellen Fachrecht und ist in Auslegung der im Einzelfall einschlägigen Normen zu ermitteln. Einzelne Vorschriften des materiellen Rechts enthalten widerleglich gesetzliche Vermutungen im Sinne einer Regelung der materiellen Beweislast. Enthält das materielle Recht hingegen – was der Normalfall ist – keine besonderen Regelungen, so greift der allgemeine Rechtsgrundsatz ein, dass die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, zu ihren Lasten geht (vgl. Eyermann/Kraft, 15. Aufl. 2019, VwGO § 108 Rn. 50ff. m.w.N.).

44
Da den einschlägigen Normen des Wasserrechts keine Vermutungsregelung zu entnehmen ist, ist auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz zurückzugreifen. Demzufolge geht der fehlende Nachweis des Bachlaufes zu Lasten des Klägers, da dieser aus der behaupteten Unterhaltungslast der Beklagten für ein Gewässer dritter Ordnung eine ihm günstige Rechtsfolge herleiten wollte.

45
c) Ebenso verhält es sich mit dem Vorbringen, dass die Beklagte eine Unterhaltungslast treffe, da es sich bei dem Steinkanal um eine Straßenentwässerungseinrichtung des vormaligen Fahrwegs „…“ handele.

46
Abgesehen davon, dass der Kläger zuletzt selbst mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2019 abstritt, dass es sich bei dem Steinkanal um eine Straßenentwässerung des ehemaligen Weges gehandelt habe, da trotz fehlender Straße nach wie vor ein stetiger Wasserlauf vorhanden sei, liegen auch für diese Einordnung keine gesicherten Erkenntnisse vor. Die Beklagtenseite konnte aufgrund der durchgeführten Kamerabefahrungen ermitteln, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Kanal jedenfalls nicht um den im Jahr 1892 geplanten „(Tonrohr-)Kanal durch das …“ handelt, da dieser sich tiefer im Erdreich befinden müsste.

47
Da dem entscheidenden Gericht allerdings keine weitergehenden Erkenntnisse vorliegen, kann der Ursprung des Kanals und damit auch dessen Zweck bei seiner Errichtung nicht weiter aufgeklärt werden. Die insoweit entscheidende Frage, ob der Kanal im Zeitpunkt seiner Errichtung zu einem öffentlichen Zweck gewidmet wurde, ist somit nicht nachweisbar. Aus diesem Grund geht auch diese Unklarheit zu Lasten des Klägers.

48
Demzufolge kann es dahinstehen, ob die behauptete Straßenentwässerungseinrichtung infolge der Auflassung des Weges im Jahr 1900 eine Entwidmung erfuhr. Ebenso sind die Ausführungen zu den Eigentumsverhältnissen am Steinkanal nicht entscheidungsrelevant.

49
Weitere Anhaltspunkte, aus denen sich eine Unterhaltungslast der Beklagten ergeben könnten, wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Somit war die Klage vollumfänglich abzuweisen.

II.

50
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

Anschlusspflicht an den Abwasser-Kanal

Anschlusspflicht an den Abwasser-Kanal

von Thomas Ax

Das Bundesverwaltungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (zuletzt Beschluss vom 19.12.1997, Az. 8 B 234.97 -, UPR 1998, S 192 ff; abgedruckt auch in der Rechtsprechungssammlung der Abwasserberatung NRW e.V., Band 2, Stand Januar 2000, S. 507) entschieden, dass das Eigentumsrecht eines Grundstückseigentümers, der auf seinem Grundstück eine private Kleinkläranlage betreibt, von vornherein dahin eingeschränkt ist, dass er diese Anlage nur solange benutzen darf, bis die Gemeinde von der ihr gesetzlich zustehenden Befugnis Gebrauch macht, die Abwasserbeseitigung im öffentlichen Interesse in ihrer Verantwortung zu übernehmen und deshalb den Anschluss – und Benutzungszwang an die gemeindliche Abwasseranlage anordnet.

Der durch die gemeindliche Entwässerungssatzung (Abwasserbeseitigungssatzung) begründete Zwang, Grundstücke an die öffentliche Abwasseranlage anzuschließen und diese zu benutzen, ist nach dem Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich auch kein Eingriff in das Eigentum eines Grundstückseigentümers (Art. 14 Abs. 1 GG), sondern bedeutet für den betroffenen Grundstückseigentümer eine zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken seines Grundeigentums, die durch die Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG) gerechtfertigt ist.

Schutzgut der öffentlichen Abwasserbeseitigung ist nach dem Bundesverwaltungsgericht, die Sauberkeit des Grundwassers im Interesse des Allgemeinwohls zu erhalten. Der durch die Entwässerungssatzung angeordnete Zwang, Grundstücke an die öffentliche Kanalisation anzuschließen und die gemeindliche Abwassereinrichtung zu benutzen, dient der Sicherung dieses Schutzgutes. Durch den Anschluss- und Benutzungszwang läßt sich nach dem Bundesverwaltungsgericht mit größtmöglicher Sicherheit eine Verunreinigung des Grundwassers durch Abwasser ausschließen. Ein Verzicht auf dieses Maß an Sicherheit führt bereits zu einer dem Allgemeinwohl widersprechenden Gefährdung des Schutzgutes.
Vor diesem Hintergrund sind Kleinkläranlagen und auch abflusslose Gruben auf privaten Grundstücken von vornherein abwassertechnische Provisorien, die ihre Aufgabe erfüllt haben, sobald vor dem Grundstück ein betriebsfertiger Abwasserkanal verlegt worden ist.

In diesem Zusammenhang hat auch das OVG NRW mit Beschluss vom 05.06.2003 (Az.: 15 A 1738) nochmals klargestellt, dass ein Grundstück an den öffentlichen (gemeindlichen) Abwasserkanal anzuschließen ist, wenn vor dem Grundstück ein betriebsfertiger Abwasserkanal durch die Gemeinde hergestellt worden ist. Das Argument, eine private Kleinkläranlage erreiche die gleiche Reinigungsleistung wie eine Abführung des Abwassers über den öffentlichen Abwasserkanal greift nach dem OVG NRW deshalb nicht durch, weil eine zentrale Abwasserbeseitigung durch die Gemeinde bereits einen maßgeblichen Gesichtspunkt der Volksgesundheit darstellt. Denn hierdurch erübrigt sich der Betrieb einer Vielzahl von Kleinkläranlagen, deren Funktionstüchtigkeit ständig überwacht werden müsse sowie der Erlass von entsprechenden Anordnungen bei festgestellten Mißständen. Mithin werde durch die zentrale gemeindliche Abwasserbeseitigung über Kanäle die Sicherheit der Schmutzwasserbeseitigung erhöht, was der Volksgesundheit diene.

OLG München: HOAI-Mindestsätze = übliche Vergütung

OLG München: HOAI-Mindestsätze = übliche Vergütung

vorgestellt von Thomas Ax

1. Macht der Architekt sein Honorar geltend, muss er nicht nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ein Architektenvertrag geschlossen wurde, sondern auch, welche Leistungen sein Auftrag umfasst und welche Vergütung hierfür vereinbart wurde.
2. Haben die Parteien eines Architektenvertrags keine Honorarvereinbarung getroffen, ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019 (IBR 2019, 476) stellt die Abrechnung nach HOAI-Mindestsätzen die übliche Vergütung dar.
3. Die Abrechnung des Architektenhonorars hat prüfbar nach den Vorgaben der DIN 276 zu erfolgen.
OLG München, Urteil vom 15.06.2021 – 9 U 631/20 Bau
vorhergehend:
LG München I, 17.01.2020 – 24 O 10960/17
nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 01.03.2023 – VII ZR 661/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt auf Grund mündlich erteilter Aufträge Honorar für seine Ingenieurleistungen bei 2 verschiedenen Abschnitten eines Bauvorhabens der Beklagten in B. A. (“Wohnen am S. 4” [‘SP4’], Am L. 5, 5a, 5b, ursprünglich E. Straße in B. A.). Hierbei handelt es sich um ein Mehrfamilienhaus mit 4 Wohngeschoßen und 25 Wohneinheiten sowie eine geschlossene Tiefgarage mit 42 Stellplätzen.

Die Beklagte bestreitet im Wesentlichen die Auftragserteilungen an den Kläger. Der Kläger behauptet, die abgerechneten Leistungen erbracht zu haben. Diese seien von der Beklagten auch angenommen worden. Die Parteien haben erstmals 2011 zusammengearbeitet. Den hier gegenständlichen ersten Bauabschnitt, ein Mehrfamilienhaus, führte die Klägerin in den Jahren 2015 und 2016 durch. Der Kläger behauptet, bei Baustellenbesprechungen im Februar 2015 mit Leistungen im Zusammenhang mit dem erforderlichen Verbau beauftragt worden zu sein und begehrt hierfür auf der Grundlage seiner überarbeiteten Rechnung vom 05.04.2016 den Betrag von 10.146,78 Euro brutto. Die Beklagte räumt ein, vom Kläger beraten worden zu sein und habe das daraus folgende Honorar von 4.315,40 Euro bezahlt brutto.

Für den zweiten hier gegenständlichen Bauabschnitt, “Wohnen am S.“, hatte die Beklagte den Architekten S.-N. mit den Leistungsphasen 1 – 8 beauftragt. Der Kläger war damals als Nachunternehmer für den Architekten im Rahmen der Leistungsphase 8 tätig. Der Kläger behauptet, von der Beklagten für die Bauabschnitte SP1 und SP2 im Laufe des Jahres 2012 direkt mit der Fachbauleitung für die technische Ausrüstung, mit der Bauüberwachung für Kundenwünsche, mit zusätzlichen Leistungen außerhalb des Auftragsumfangs des Architekten und für die Außenanlagen beauftragt worden zu sein. Eben dieser Leistungsumfang sei vom Geschäftsführer bzw. einer Mitarbeiterin der Beklagten dann auch für den hier streitgegenständlichen Bauabschnitt SP4 angefordert worden (LGU S. 5). Hierfür begehrt der Kläger auf der Grundlage seiner überarbeiteten Rechnung vom 25.01.2018 den Betrag von 102.360,20 Euro brutto. Die Beklagte behauptet, für dieses Bauvorhaben sei der Kläger lediglich als Mitarbeiter des Architekten S.-N. tätig geworden.

Das Landgericht hat zur Auftragserteilung Zeugen vernommen und zur Honorarhöhe Sachverständigenbeweis erhoben. Die Zeugin A. W. habe die Auftragserteilung für den ersten Bauabschnitt bestätigt. Für den zweiten Bauabschnitt habe der Zeuge S.-N. lediglich eine Auftragserteilung für Leistungsphase 8 im Bereich der technischen Ausrüstung sowie für die Außenanlagen bestätigt. Der Sachverständige K. habe auf dieser Grundlage für die beiden Bauabschnitte restliche Honoraransprüche des Klägers ermittelt, die das Landgericht dann zugesprochen hat.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er verfolgt weiterhin die bereits erstinstanzlich beantragten Honorarbeträge von 10.146,78 Euro brutto bzw. 102.360,20 Euro brutto. Die Beklagte tritt dem entgegen.

Der Kläger beantragte zuletzt,

I. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 17.01.2020 zu dem Az.: 24 O 10960/17 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 10.146,78 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Teilbetrag von 9.775,26 Euro seit 11.05.2016 und aus einem weiteren Teilbetrag von 371,52 Euro seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

II. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 17.01.2020 zu dem Az.: 24 O 10969/20 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 102.360,20 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2020 hat der Senat rechtliche Hinweise erteilt. Insoweit wird Bezug genommen auf den Hinweisbeschluss vom 22.12.2020 (Bl. 250/254 d.A.). Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Landgerichts München I weist keine Rechtsfehler auf. Sowohl der Auftragsumfang als auch die Höhe des Honorars hat das Landgericht – sachverständig beraten – zutreffend festgestellt.

Ein weiteres Honorar steht dem Kläger nicht zu, da es an einem ausreichenden Sachvortrag zu den von ihm erbrachten Leistungen und einer prüffähigen Schlussrechnung fehlt. Dies hat das Erstgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen zutreffend festgestellt.

Auch im Berufungsverfahren hat der Kläger seine erbrachten Leistungen nicht näher bzw. nachvollziehbarer dargestellt, sondern vielmehr angegeben, hierzu auch nicht mehr vortragen zu können (Schriftsatz vom 29.04.2021 (Bl. 283/285 d.A.). Soweit der Kläger auf Bl. 47 d.A. Bezug nimmt, ist der dortige Sachvortrag zu unkonkret, um daraus einen Honoraranspruch ableiten zu können. Der Kläger begnügt sich bei dieser Darstellung weitgehend damit, die Leistungsbilder der HOAI in unspezifischer Weise allgemein wiederzugeben, ohne seine Tätigkeit im Einzelnen nachvollziehbar und konkret nach Datum, Zeit, Personen etc. aufzuschlüsseln.

Zudem hat der Kläger seine erbrachten Leistungen nicht in einer HOAI-konformen Weise prüfbar abgerechnet. Eine generelle Abrechnung auf Stundenbasis kommt – auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019, Baurecht 2019, 1624 – nicht in Betracht. Zudem fehlt es an einer wirksamen Vereinbarung der Parteien zur Abrechnung auf Stundenbasis. Nur bei dem Auftrag, der darin bestand, zur Beweissicherung bei einem Nachbargrundstück den Status quo vor den Verbauarbeiten sicherzustellen, ist eine Stundenabrechnung zulässig.

1. Auftragsumfang:

a) Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht davon aus, dass die Auftragserteilung des Klägers durch die Beklagte beim Bauvorhaben Wohnen am S. 4, Am L. 5, 5a, 5b, in … B. A. in dem vom Erstgericht angenommenen Umfang durch die Beweisaufnahme in erster Instanz (Aussagen der Zeugin A. W. und des Zeugen V. S.-N.) sowie durch eine Zusammenschau und Auswertung der vorgelegten Anlagen K8, K11, K12, K14, K21, B1 und B2 nachgewiesen ist und damit dem Grunde nach eine vergütungspflichtige Tätigkeit des Klägers vorliegt. Die Aussagen der Zeugen wurden vom Erstgericht zutreffend gewürdigt.

b) Danach ist hinreichend belegt, dass der Kläger mit der Neukonzeption bzw. der Optimierung der Verbauarbeiten hinsichtlich der Leistungsphasen 1, 2, 6, 7 und 8 gemäß § 43 I HOAI 2013 und der damit zusammenhängenden Beweissicherung (auf Stundenbasis) beauftragt wurde (künftig: “Auftrag 1“), die der Kläger mit Rechnung vom 05.04.2016 (Anlage K23) abgerechnet hat, sowie mit Bauüberwachungsleistungen gemäß Leistungsphase 8 aus den Leistungsbildern “Gebäude und Innenräume“, “Technische Ausrüstung” sowie “Freianlagen“, welche der Kläger mit Rechnung vom 25.01.2018 (Anlage K24) geltend macht (künftig: “Auftrag 2“), wobei bei den Freianlagen neben der Leistungsphase 8 auch die Leistungsphasen 6 und 7 abgerechnet wurden, für deren Beauftragung der Kläger bislang beweisfällig geblieben ist, welche aber betragsmäßig nur 3.695,80 Euro netto (Differenz aus 14.783,20 Euro und 11.087,40 Euro) ausmachen.

c) Bei der Neukonzeption des Verbaus etc. (Auftrag 1) ist der Kläger von der Beklagten entgegen deren Vortrags nicht nur mit (unentgeltlichen) Beratungsleistungen beauftragt worden, sondern mit typischen Architektenleistungen, die er als solche auch erbracht hat. Dasselbe gilt für den “Auftrag 2” jedenfalls für die Leistungsphase 8.

d) Hier ist die Beklagte mit ihrer Verteidigungsstrategie gescheitert. Danach soll der Kläger Leistungen nur als Mitarbeiter oder Subunternehmer des Architekturbüros V. S.-N. erbracht haben, welche bereits bezahlt sind. Dies mag zu Beginn der Tätigkeiten des Klägers für die Beklagte in früheren Jahren der Fall gewesen sein, ist aber für den Bauabschnitt SP4 durch die durchgeführte Beweisaufnahme in erster Instanz und durch die vorgelegten Anlagen K8, K11, K14, K21, B1 und B2 klar widerlegt. Denn der Zeuge S.-N. hat unmissverständlich ausgesagt, dass der Kläger beim zugrundeliegenden Bauvorhaben Wohnen am S. 4 in B. A. nicht für ihn als Bauleiter tätig war, soweit er als Bauleiter tätig war, und dass die Sonderwünsche im Übrigen vom Kläger betreut wurden und gesondert abzurechnen waren, d.h. im Vertrag des Zeugen S.-N. lediglich ein Sonderwunsch enthalten war. Dass der Kläger insoweit nicht für das Architekturbüro S.-N. tätig geworden sein kann, ergibt sich schon aus der getroffenen vertraglichen Vereinbarung der Beklagten mit dem Architekturbüro S.-N. (Anlagen B1, B2 und K21), wonach die notwendigen Sonderfachleute (darunter die technische Ausrüstung für Heizung, Lüftung, Sanitär und Elektrik) vom Bauherren beauftragt werden und auch die Koordination der Sonderwünsche der Käufer ausschließlich über den Bauherren abgewickelt wird.

e) Da der Senat in Übereinstimmung mit dem Erstgericht von einem Auftrag des Klägers in beiden Fällen (“Auftrag 1” und “Auftrag 2“) – lediglich mit der genannten Einschränkung beim Auftrag 2 bezüglich Leistungsphasen 6 und 7 bei den Freianlagen – ausgeht, war eine vom Kläger beantragte weitere Beweiserhebung durch erneute Einvernahme der Zeugen A. W. und S. N. sowie eine persönliche Anhörung beider Parteien hierzu nicht erforderlich. Ein spezielles Beweisangebot zur Frage der Beauftragung mit den Leistungsphasen 6 und 7 bei den Freianlagen beim “Auftrag 2” lag nicht vor.

2. Leistungsumfang:

a) Der Kläger ist im Hinblick auf den Umfang seiner erbrachten Leistungen, soweit diese nicht in den beiden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. -Ing. J. K. vom 22.08.2019 (Bl. 104/131 d.A.) und vom 18.11.2019 (Bl. 151/164 d.A.) Berücksichtigung fanden, beweisfällig geblieben. Eine Beweiserhebung zum Sachvortrag des Klägers durch Sachverständigenbeweis fand bereits erstinstanzlich statt. Dabei wurde der gesamte Sachvortrag des Klägers berücksichtigt und nachvollziehbar durch den Sachverständigen bewertet.

b) Eine weitere Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten kam entgegen anfänglicher Überlegungen des Senats nicht mehr in Betracht, da der Kläger auch in der Berufungsinstanz keinen relevanten neuen bzw. ergänzenden Sachvortrag vorgebracht hat, der zu einer grundlegenden anderen Beurteilung zwingen würde. Das Beweisangebot im Schriftsatz vom 08.04.2021, S. 3, Bl. 275 d.A. ist zu unsubstantiiert und kann fehlenden Sachvortrag nicht ersetzen. Unklar ist auch, welche Hilfsindizien hierdurch unter Beweis gestellt werden sollen.

c) Richtig ist, dass der Umstand, dass das Erstgericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben hat, nahelegt, dass das Erstgericht von einem schlüssigen Sachvortrag des Klägers hierzu ausgegangen ist. Dies führt aber nicht dazu, dass ein für alle Mal von einem schlüssigen Sachvortrag des Klägers auszugehen ist, selbst wenn die Begutachtung ergibt, dass der Sachvortrag des Klägers unzureichend ist, um seine angeblich erbrachten Leistungen honorarmäßig überprüfen zu können. Auch für den Senat erschließt sich nicht, welche Tätigkeiten der Kläger konkret bei den vom Sachverständigen als nicht prüffähig angesehenen Positionen entfaltet hat. Sowohl der Sachvortrag im Zivilprozess als auch die Begründung in den Honorarschlussrechnungen ist zu unbestimmt und unkonkret.

d) Der Umfang der in den beiden Schlussrechnungen (K 23 und K 24) als erbracht abgerechneten Leistungen war keinesfalls zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte hat bereits die Auftragserteilung an den Kläger bestritten und gemeint, dass etwaige Leistungen des Klägers vom Leistungsumfang des Architekturbüros S. N. oder anderer Beteiligter erfasst waren und von diesen erbracht wurden. Dies impliziert die Behauptung, dass die Leistungen jedenfalls nicht vom Kläger erbracht wurden, womit dessen Leistungserbringung vollumfänglich bestritten wurde. Untunlich ist daher der Hinweis des Klägers darauf, dass die Beklagte überhaupt nicht bestritten hat, dass diese Arbeiten ausgeführt worden sind und deshalb bezahlt werden müssen. In rechtlicher Hinsicht dringt die Beklagte zwar mit ihrer Argumentation zur Auftragserteilung nicht durch (vgl. die obigen Ausführungen zur Auftragserteilung unter Ziffer 1.d)), dies bedeutet aber nicht, dass damit schon der Umfang der erbrachten Leistungen zugestanden oder unstreitig gestellt wurde. Über den Umfang der erbrachten Leistung war daher vom Erstgericht zutreffend Beweis zu erheben.

3. Abrechnung bei fehlender Honorarvereinbarung nach der Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019:

a) Eine Honorarvereinbarung hat zwischen den Parteien unstreitig nicht stattgefunden. Der Senat ist der Auffassung, dass auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019, Baurecht 2019, 1624 die Abrechnung nach HOAI-Mindestsätzen die übliche Vergütung darstellt, einschließlich der durch die DIN 276 vorgegebenen Abrechnungsgrundsätze. Hierauf hat der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.10.2020 (Bl. 238 d.A.) hingewiesen.

b) Sehr streitig in Rechtsprechung und Literatur ist nach wie vor, inwieweit Entscheidungen des EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland überhaupt Rechtswirkungen für am Gerichtsverfahren Nichtbeteiligte, insbesondere zwischen Privaten, entfalten können (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl. 2020, Kapitel 4, Rz. 594).

c) Jedenfalls besteht kein Grund, die HOAI auch in den Fällen für unanwendbar und insgesamt unwirksam zu erklären, in denen diese lediglich das angemessene Honorar festlegt, wenn die Parteien auf eine entsprechende Vereinbarung verzichtet haben. Denn in diesem Fall stellt die HOAI kein rechtlich zu beanstandendes zwingendes Preisrecht dar, das weder eine Mindestsatzunterschreitung noch eine Höchstsatzüberschreitung zulässt. Vielmehr stellt der Mindestsatz das angemessene Honorar i.S.d. § 632 Abs. 2 BGB dar. Andernfalls würde man ohne Not die Entscheidung des EuGH auf Sachverhalte ausdehnen, die der Entscheidung nicht zugrunde lagen und von dieser nicht erfasst sind. Dem hat auch der Gesetzgeber in der neuen HOAI 2021 Rechnung getragen, indem dort bei unterbliebener Honorarvereinbarung statt eines verbindlichen Preisrahmens die neue Honorarreglung in Form des “Basishonorarsatzes” in §§ 1 Abs. 2, 2a Abs. 1 HOAI 2021 den Vertragsparteien eine Orientierung und Hilfestellung “bei der Ermittlung des angemessenen Honorars bieten” soll (BR-Drucks. 539/20, S. 17; Aufsatz von Rechtsanwalt Dr. Matthias Orlowski, ZfBR, 2021, 315, 320).

4. Prüfbarkeit der Abrechnung:

a) Richtig ist, dass die Frage der Prüfbarkeit des Honorars eine vom Gericht und nicht vom Sachverständigen zu beurteilende Rechtsfrage ist. Sowohl das Erstgericht als auch der Senat beurteilen die Frage der Prüfbarkeit der Schlussrechnungen in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen.

b) Die Abrechnung hat prüfbar nach den Vorgaben der DIN 276 zu erfolgen. Dem ist der Kläger nicht in ausreichender Weise nachgekommen. Denn bei der Bauüberwachung für die Kundensonderwünsche hat der Kläger ganz darauf verzichtet, das Honorar nach den anrechenbaren Kosten zu ermitteln, sondern hat lediglich die Handwerkerkosten pauschal ohne Angabe eines Einheitspreises zugrunde gelegt. Dies ist nicht zulässig und ausreichend, um das angemessene Honorar zu ermitteln.

c) Mit dieser Art der Abrechnung ist der Kläger von den vorhergehenden Abrechnungen zu den Bauabschnitten “S. 1 bis 3” (vgl. Anlagen BK 3 bis 5) abgewichen, ohne dass dies nachvollziehbar oder notwendig war. Der Senat konnte jedenfalls ausschließen, dass zwischen den Parteien eine andere Art der Abrechnung vereinbart oder als üblich angesehen wurde, die eine Berufung der Beklagten auf eine fehlende Prüfbarkeit oder Unzulässigkeit der Abrechnung als Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB erscheinen ließe.

d) Für den Fall, dass der Kläger sich in einer Notlage befunden hätte, weil ihm von der Beklagten die zugrunde zu legenden anrechenbaren Kosten nicht mitgeteilt worden wären, hätte er ohne weiteres diese Kosten schätzen können, worauf der Klägervertreter selbst zutreffend hingewiesen hat (Berufungsbegründung vom 23.03.2020, S. 9/19, Bl. 214/215 d.A.). Umso unverständlicher ist, dass der Kläger dies nicht getan hat.

5. Abrechnung im Einzelnen:

a) Beim “Auftrag 1” (Schlussrechnung vom 05.04.2016, Anlage K 23) hat der Sachverständige in seinen beiden Gutachten nachvollziehbar einen Honoraranspruch des Klägers von 3.957,71 Euro netto errechnet, den das Erstgericht auch zugesprochen hat. Zu Recht hat der Sachverständige die örtliche Bauüberwachung mit Null bewertet, da die Tätigkeiten weder in der Schlussrechnung noch in der nachgereichten Anlage B 01 inhaltlich nachvollziehbar waren und zudem unklar geblieben ist, ob der Kläger neben der ohnehin mit 15 % abgerechneten Leistungsphase 8 (Bauoberleitung gemäß § 43 (1) HOAI 2013) ergänzende Tätigkeiten im Rahmen der Bauüberwachung wahrnahm und falls ja, welche. Für die Beweissicherung im Zusammenhang mit dem Verbau hat der Sachverständige nachvollziehbar ein Stundenhonorar von 8 Stunden á 70,00 Euro, also 560,00 Euro netto, zugrunde gelegt. Auch der Senat hält einen Stundensatz von 70,00 Euro für angemessen und nicht den nachträglich vom Kläger geltend gemachten Stundensatz von 115,00 Euro.

b) Beim “Auftrag 2” (Schlussrechnung vom 25.01.2018, Anlage K 24) hat der Kläger die Bauüberwachung für Gebäude und Innenräume (Kundensonderwünsche) sowie für die technische Ausrüstung aus den vom Sachverständigen genannten Gründen nicht prüfbar abgerechnet. Lediglich für die Außenanlagen bzw. Freianlagen konnte ein Honorar für die Leistungsphase 8 zugesprochen werden.


II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

Die Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Anwendung der HOAI hinsichtlich der Mindestsätze bei fehlender Honorarvereinbarung wird durch die Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019, Baurecht 2019, 1624 nicht in Frage gestellt.

Kurz belichtet: BGH zur Haftung der Gemeinde für die Verletzung von Schutz- und Obhutspflichten bei Bauarbeiten nahe der Abwasserleitung durch einen von der Gemeinde beauftragten Unternehmer

Kurz belichtet: BGH zur Haftung der Gemeinde für die Verletzung von Schutz- und Obhutspflichten bei Bauarbeiten nahe der Abwasserleitung durch einen von der Gemeinde beauftragten Unternehmer

vorgestellt von Thomas Ax

a) Beim Betrieb einer gemeindlichen Abwasserkanalisation besteht zwischen der Gemeinde und dem einzelnen Anschlussnehmer ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, das eine Haftung für Erfüllungsgehilfen entsprechend § 278 BGB begründen kann. In den Schutzbereich dieses Schuldverhältnisses ist auch der Mieter des angeschlossenen Grundstücks einbezogen.

b) Zur Haftung der Gemeinde für die Verletzung von Schutz- und Obhutspflichten bei Bauarbeiten nahe der Abwasserleitung durch einen von der Gemeinde beauftragten Unternehmer.

BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 – III ZR 303/05 – OLG Frankfurt a.M.
LG Wiesbaden

Kurz belichtet: BGH zur Haftung für einen Rückstauschaden

Kurz belichtet: BGH zur Haftung für einen Rückstauschaden

vorgestellt von Thomas Ax

a) Ein durch eine Verengung der Abwasserleitung verursachter Rückstauschaden, der durch eine – hier fehlende – Rückstaueinrichtung hätte verhindert werden können, liegt jedenfalls dann außerhalb des Schutzbereichs einer verletzten Pflicht, wenn der Anlieger nach der einschlägigen Satzung zum Einbau einer solchen Sicherung verpflichtet ist. Auf den Grund, weshalb es zu einem Rückstau im Leitungssystem gekommen ist, kommt es dann regelmäßig nicht an (Fortführung von Senat, Beschluss vom 30. Juli 1998 – III ZR 263/96, NVwZ 1998, 1218).

b) In diesen Fällen dürfen sowohl der Träger des Kanalisationsnetzes als auch von ihm mit Bauarbeiten an den Leitungen beauftragte Dritte auf die Einrichtung einer funktionsfähigen Rückstausicherung des Anliegers vertrauen.

BGH, Urteil vom 19. November 2020 – III ZR 134/19 – OLG Hamm LG Dortmund

Kurz belichtet: BGH zur Haftung für die Verwurzelung von Abwasserkanälen

Kurz belichtet: BGH zur Haftung für die Verwurzelung von Abwasserkanälen

vorgestellt von Thomas Ax

a) Ob und in welchem Umfang ein Grundstückseigentümer im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum Kontrollund Überprüfungsmaßnahmen wegen einer möglichen Verwurzelung eines Abwasserkanals durchführen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei sind die räumliche Nähe des Baums und seiner Wurzeln zu der Abwasseranlage sowie Art beziehungsweise Gattung, Alter und Wurzelsystem des Baums zu berücksichtigen.

b) Ohne sich hiernach ergebende Hinweise auf eine Verwurzelung der Kanalisation ist der Eigentümer eines Baumgrundstücks regelmäßig nicht gehalten, den Abwasserkanal selbst zu überprüfen oder den Kanalbetreiber zu einer Überprüfung aufzufordern.

c) Ist der Grundstückseigentümer hingegen zugleich der Betreiber des Abwasserkanals, muss er im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht für das Grundstück die von den Wurzeln des Baums ausgehenden Gefahren für den Kanal auch insoweit ausräumen, als er die Verwurzelung der Anlage bei Inspektions- und Wartungsmaßnahmen, die wegen anderer möglicher Beeinträchtigungen des Abwassersystems ohnehin geboten waren, erkannt hat oder hätte erkennen müssen.

d) Der Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB gegen den Betreiber einer Abwasseranlage wegen der Verletzung der Verkehrssicherungspflichten als Eigentümer eines baumbestandenen Grundstücks wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die von dem Geschädigten gegen einen möglichen Rückstau zu treffenden Vorkehrungen unzureichend waren. Vielmehr ist das Fehlen einer den Rückstau vermeidenden Sicherungsvorkehrung gegebenenfalls im Rahmen eines Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen (Abgrenzung zum Senatsbeschluss vom 30. Juli 1998 – III ZR 263/96, NVwZ 1998, 1218).

BGH, Urteil vom 24. August 2017 – III ZR 574/16 – OLG Braunschweig LG Braunschweig

KanalBauVergabe

KanalBauVergabe

VK München u.a. zu der Frage, ob für den maßgeblichen Zugangszeitpunkt eines Angebots über Leistungen des Kanalbaus auf die Abrufbarkeit (bzw. Öffnungsmöglichkeit) der Angebotsdatei durch den Auftraggeber oder auf den vollständigen Upload der übermittelten Angebotsdaten auf den Server der genutzten Vergabeplattform abzustellen ist

vorgestellt von Thomas Ax

Ist der Schlusstermin für den Eingang der Angebote mit einem Datum und z.B. 10:00 Uhr Ortszeit angegeben, endet die Angebotsfrist “Punkt” 10 Uhr, d.h. um 10:00:00 Uhr, und nicht erst um 10:00:59 Uhr, d.h. mit Umspringen der Uhr auf 10:01(:00) Uhr (VK Bund, Beschluss vom 26.10.2016 – VK 1-92/16).

Ist der Schlusstermin für den Eingang der Angebote mit einem Datum und z.B. 10:00 Uhr Ortszeit angegeben, endet die Angebotsfrist “Punkt” 10 Uhr, d.h. um 10:00:00 Uhr, und nicht erst um 10:00:59 Uhr, d.h. mit Umspringen der Uhr auf 10:01(:00) Uhr (VK Bund, Beschluss vom 26.10.2016 – VK 1-92/16).

Bei einer Angebotsabgabe mit elektronischen Mitteln über eine eVergabeplattform ist für den maßgeblichen Zugangszeitpunkt eines Angebots nicht auf die Abrufbarkeit (bzw. Öffnungsmöglichkeit) der Angebotsdatei durch den Auftraggeber abzustellen, sondern auf den vollständigen Upload der übermittelten Angebotsdaten auf den Server der von der Antragsgegnerin genutzten Vergabeplattform.

Verzögerungen durch Bearbeitungsschritte der bereits eingegangenen Angebotsdaten wie Verschlüsselung und Umspeichern in den gesicherten Auftraggeberbereich auf der eVergabeplattform führen nicht zu einer faktischen Verkürzung der Angebotsfrist.

§ 312i Abs. 1 Satz 2 BGB ist für den Zugang des Angebots in einem elektronisch durchgeführten Vergabeverfahren nicht entsprechend anzuwenden.

Der Betreiber der eVergabeplattform ist auch hinsichtlich des Empfang der Angebotsdaten als Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers nach § 278 BGB anzusehen.

Vergabekammer München, Beschluss v. 15.11.2021 – 3194.Z3-3_01-21-20

Gründe

I.

1

Die Antragsgegnerin schrieb Leistungen des Kanalbaus, Wasserleitungsbaus, sowie Trassen für Lichtwellenleiter und Straßenbau in den Stadtteilen R…/ U… der Stadt P… im offenen Verfahren EUweit nach den Bestimmungen der VOB/A aus (Suppl. ABI. 2021/S …). In der Auftragsbekanntmachung vom 10.02.2021 wurde der Schlusstermin für den Eingang der Angebote auf den 11.03.2021, 10:00 Uhr bestimmt. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis.

2

Die Antragstellerin hat am 11.03.2021 ein Angebot abgegeben, für welches die Angebotsabgabe im System der Vergabeplattform mit 10:00:03 Uhr verzeichnet wurde. Dieses Angebot war preislich das Günstigste.

3

Mit Schreiben vom 19.03.2021 rügte die Antragstellerin das Submissionsergebnis, in welchem ihr Angebot als verspätet eingegangen geführt wurde, und gab an, dass die früheren Upload-Versuche auf Grund der Dateigröße von der Vergabeplattform zurückgewiesen worden seien. Die Vergabeunterlagen hätten jedoch keine Größenbeschränkung für die hochzuladenden Dateien enthalten. Auch bedeute die Abgabefrist 10:00 Uhr, dass erst der Eingang um 10:01 Uhr verspätet sei.

4

Am 22.03.2021 stellte die Antragsgegnerin eine Nachfrage an die Vergabeplattform, ob dieser für die Zeit des 11.03.2021 zwischen 09:30 Uhr und 10:00 Uhr Schwierigkeiten beim Hochladen von Daten bekannt seien und baten um Stellungnahme zu den Aktivitäten der Antragstellerin auf der Plattform in diesem Zeitraum sowie zu möglichen Problemen beim Upload von Daten. Mit Schreiben vom 23.03.2021 antwortete die Vergabeplattform, dass ihr zum fraglichen Zeitpunkt keine Probleme bekannt seien oder gemeldet worden wären, auch nicht von der Antragstellerin. Ferner gäbe es keine Größenbeschränkung für Angebotsdateien, der erste und einzige Zeitpunkt eines Eingangs eines Angebots der Antragstellerin sei in der Datenbank in ihrem System am 11.03.2021 um 10:00:03 Uhr vermerkt worden.

5

Mit Schreiben vom 26.03.2021 wurde die Antragstellerin gemäß § 134 GWB darüber informiert, dass ihr Angebot von der Wertung ausgeschlossen werde, da es nach Ablauf der Angebotsfrist eingegangen sei.

6

Nachdem der Rüge der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 01.04.2021 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.

7

Die Antragstellerin trägt vor, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei.

8

Die Antragstellerin habe um 09:34 Uhr erstmals versucht ihr Angebot mit einer Dateigröße von 160 MB auf die Vergabeplattform hochzuladen. Dieser erste Versuch sei jedoch gescheitert, die Vergabeplattform habe die Fehlermeldung ausgegeben, dass die Datei zu groß sei. Danach habe man das Leistungsverzeichnis in drei Teile aufgeteilt und eine neue ZIP-Datei mit 160 MB erstellt und um 09:53 Uhr einen zweiten Versuch gestartet die Datei auf die Vergabeplattform hochzuladen. Auch dieser Versuch sei gescheitert und von der Vergabeplattform erneut mit der Fehlermeldung, dass die Datei zu groß sei, zurückgewiesen worden. Laut Log der Firewall der Antragstellerin sei diese Datei um 09:57 auf dem Vergabeportal eingegangen, denn nur bei vollständiger Übertragung, wenn alle Datenpakete von der empfangenden Stelle quittiert worden seien, würde von der Firewall der Antragstellerin wie hier der Status mit „OK“ vermerkt.

9

Um 09:59 Uhr sei ein dritter Versuch erfolgt, hierfür habe man eine Datei mit einer Größe von etwa 32 MB erstellt. Die Firewall der Antragstellerin habe den Zugang auf der Vergabeplattform um 10:00:08 Uhr vermerkt. Der Zugang sei damit fristgerecht erfolgt.

10

Die Antragstellerin trägt vor, dass in der Bekanntmachung unter Ziffer IV.2.2) zum Schlusstermin für den Eingang der Angebote nur der Tag und als Zeitpunkt „Ortszeit:10:00 Uhr“ angegeben gewesen sei. Eine Vorgabe, dass die Angebote um Punkt 10:00 Uhr und 00 Sekunden eingegangen sein müssten, sei damit nicht erfolgt. Aus Sicht eines objektiven Bieters wäre damit erst ein Angebot, das um 10:01 Uhr einging, verspätet gewesen.

11

Zudem seien in den Vergabeunterlagen und der Auftragsbekanntmachung keinerlei Hinweise zu Beschränkungen bei den hochzuladenden Dateien enthalten gewesen. Über etwaige notwendige technische Parameter hätte die Antragsgegnerin jedoch gem. § 11a EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A die Bieter informieren müssen, da gerade im Bereich der Vergabe von Bauleistungen umfangreiche Unterlagen mit der Angebotsabgabe einzureichen seien. Entsprechende technische Einschränkungen seien der Antragstellerin auch aus den bisherigen Angebotsabgaben über dieses Vergabeportal nicht bekannt, so dass etwaige auf solchen technischen Einschränkungen beruhende Fehler nicht mehr dem Übermittlungsrisiko des Bieters zuzuordnen seien.

12

Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 28.10.2021 nahm die Antragstellerin zu der Frage Stellung, zu welchem Zeitpunkt das Angebot zugegangen ist und damit als abgegeben zählt. Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass für den Zugang die zivilrechtlichen Grundsätze zur Abgabe einer Willenserklärung zugrunde zu legen seien. Gemäß § 130 BGB werde eine empfangsbedürftige Willenserklärung mit Zugang wirksam. Zugegangen sei eine Willenserklärung, wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt sei und nach gewöhnlichen Umständen damit zu rechnen sei, dass sie zur Kenntnis genommen werden könne. Gemäß § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB sei für den Zugang entscheidend, dass der Empfänger unter gewöhnlichen Umständen die Erklärung abrufen könne. Die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass das Angebot der Antragsgegnerin fristgerecht zugegangen sei und etwaige Verzögerungen nicht der Antragstellerin zugewiesen werden können. Der Upload der 32 MB großen Datei sei von der Antragstellerin um 09:59:35 Uhr gestartet worden und vor 10:00:00 Uhr vollständig auf den Servern der Antragsgegnerin eingegangen, da die Verarbeitung auf der Plattform nach Ende des Uploads bei einem Test der sachverständigen Zeugin mit einer etwa gleich großen Datei 7 Sekunden gedauert hätte. Unter Zugrundelegung der Ausführungen der sachverständigen Zeugin stehe daher fest, dass das Angebot der Antragstellerin, die Bestzeit aus dem Testsystem zugrunde gelegt, spätestens um 09:59:56 Uhr (= 10:00:03 Uhr abzüglich 7 Sekunden) die Firewall der Vergabeplattform passiert haben müsse und auf dem Webserver gespeichert worden sei. Damit sei das Angebot der Antragstellerin in den Machtbereich der Antragsgegnerin gelangt und damit zugegangen. Auf die weiteren Verarbeitungsschritte nach dem mit dem Speichern auf dem Webserver abgeschlossenen Upload käme es nicht an, insbesondere seien die Verschlüsselung und die Einstellung in die Datenbank zur Angebotseröffnung nicht mehr der Sphäre der Antragstellerin zuzuordnen.

13

Die Antragstellerin beantragt

1. Ein Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB wegen Verstoßes gegen Vergabevorschriften bei der Ausschreibung der Antragsgegnerin zur Vergabe des Auftrags „Bauarbeiten Kanal-WV-LWL- Straße R…/U…“, gemäß Bekanntmachung vom 10.02.2021, Suppl. Zum EU-ABl. 2021/S …, wird eingeleitet.

2. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin zurückzunehmen und die Angebotswertung unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin zu wiederholen.

3. Hilfsweise: Der Antragsgegnerin wird untersagt, das Vergabeverfahren durch Zuschlagserteilung abzuschließen.

4. Der Antragstellerin wird Akteneinsicht gewährt.

5. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin.

6. Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

14

Die Antragsgegnerin beantragt

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragsgegnerin trägt die Antragstellerin.

3. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.

15

Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass der Ausschluss gerechtfertigt gewesen sei, da das Angebot der Antragstellerin um 10:00:03 Uhr verspätet eingegangen sei, die Frist sei um 10:00:00 Uhr abgelaufen. Die Vergabeplattform habe keine Größenbeschränkung für Dateien und könne die von der Antragstellerin behauptete Fehlermeldung nicht ausgeben. Wenn ein Bieter eine Angebotsdatei mit einer Dateigröße von knapp 32 MB in der allerletzten Minute vor dem Ablauf der Angebotsfrist auf die Vergabeplattform hoch lädt, dann müsse er damit rechnen, dass die Übertragungsdauer mehr als eine Minute betragen kann.

16

Auch der „OK“ Vermerk im Firewall-Log der Antragstellerin für den zweiten Versuch, das Angebot hochzuladen, sei kein Nachweis des früheren Zugangs der Daten auf der Vergabeplattform, sondern belege lediglich, dass ein Datenpaket mit einer Gesamtgröße von 160 MB die Firewall der Antragstellerin passiert habe. Der Betreiber der Vergabeplattform selbst habe dazu auf Nachfrage der Antragsgegnerin angeben, dass der Status „OK“ aus dem Firewall-Log der Antragstellerin nicht nachvollzogen werden könne, er sei jedenfalls keine Rückmeldung der Vergabeplattform und scheine ein interner Vermerk der Netzwerkarchitektur der Antragstellerin zu sein.

17

Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 02.11.2021 teilte die Antragsgegnerin mit, dass sie nach der mündlichen Verhandlung der Auffassung sei, dass es den von der Antragstellerin behaupteten ersten Abgabeversuch gegen 09:34 Uhr nie gegeben habe. Damit habe die Antragstellerin erst gegen 09:57 Uhr den ersten Abgabeversuch gestartet. Die im Nachprüfungsantrag getroffenen Aussagen zum Abgabeversuch um 09:34 Uhr und den vermeintlichen Fehlermeldungen sollten wohl dazu dienen, den Eindruck zu vermeiden, die Antragstellerin habe ihre Obliegenheiten verletzt und erst zu spät mit der Angebotsabgabe begonnen. Der OK-Vermerk der Firewall der Antragstellerin belege jedoch lediglich, dass diese Daten die Sphäre der Antragstellerin verlassen hätten, nicht jedoch, dass sie ordnungsgemäß und vollständig bei der Vergabeplattform angekommen seien und dort hätten weiterverarbeitet werden können. Die von der Antragstellerin behauptete angezeigte Fehlermeldung, dass die übertragene Datenmenge zu groß sei, sei im System gar nicht angelegt und könne daher so gar nicht ausgegeben worden sein.

18

Der Zugang eines Angebots richte sich nach § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB zudem nicht nach dem Eingang einer Datei auf irgendwelchen Servern von Providern, die ein Unternehmer benutzt, um elektronischen Geschäftsverkehr abzuwickeln. Auch wenn der Provider unstreitig als Erfüllungsgehilfe i.S.d. § 278 BGB anzusehen sei, käme es darauf jedoch gar nicht entscheidend an. Diese Erfüllungsgehilfen seien nicht mit einer Empfangsvollmacht dergestalt ausgestattet, dass der Zugang der Willenserklärung auf ihren Servern dem Unternehmer i.S.d. § 166 BGB zugerechnet werden könne. Sie fungierten als rein technische Boten, sodass der Zugang jedweder Bestellungserklärung erst mit der Kenntnisnahmemöglichkeit des Unternehmers angenommen werden kann. Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass der Unternehmer seine Serviceprovider selbst ausgewählt habe und die bestellenden Kunden keine andere Möglichkeit hätten, als diese Provider zu benutzen. Rechtlich streng zu unterscheiden sei die Frage des Zugangs in den Machtbereich von der Frage einer schuldhaften Zugangsvereitelung. Die herrschende Meinung sieht ganz klar vor, dass die abrufbare Speicherung den maßgeblichen Zugangszeitpunkt darstellt. Eben dieser Zeitpunkt werde von der Plattform völlig korrekt als Zugangszeitpunkt mit einem Zeitstempel versehen. Um die Anforderungen des § 10 VgV an die elektronischen Mittel erfüllen zu können, schreibe der öffentliche Auftraggeber zudem die Regel vor, dass die Bieter eine bestimmte Plattform verwenden müssten und dass die Angebote verschlüsselt zu übermitteln seien. Die Verschlüsselung solle den vorfristigen Zugriff auf die Angebote einerseits ausschließen und andererseits den ausschließlich berechtigten Zugriff sicherstellen. Der Auftraggeber habe also gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 VgV die Kompetenz, diese Vorgaben den Bietern innerhalb des Vergabeverfahrens zu machen. Mit der Verschlüsselung erfüllten die Bieter lediglich eine Vorgabe des Auftraggebers, wenn dieser vorschreibe, dass Angebote ausschließlich in elektronischer Form über eine vorgegebene Plattform einzureichen seien. Die Vorgabe der Verschlüsselung durch die Plattform sei hier lediglich ein „Service“ für die Bieter, da die Verschlüsselung quasi „automatisch“ für die Bieter mit erledigt werde, ohne dass die Bieter dies eigenhändig bewerkstelligen müssten, was die meisten Bieter auch technisch überfordern dürfte.

19

Mit Beiladungsbeschluss vom 14.04.2021 wurde die Beigeladene beigeladen.

20

Die Beigeladene beantragt

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen wird für notwendig erklärt.

3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Beigeladenen werden der Antragstellerin aufgegeben.

4. Es wird beantragt der Beigeladenen Akteneinsicht nach § 165 GWB zu gewähren.

21

Die Beigeladene trägt vor, dass das Angebot der Antragstellerin zu spät eingegangen sei und deshalb zwingend ausgeschlossen werden musste. Aus der objektiven Empfängerperspektive könne die Vorgabe, wonach um 10:00 Uhr das Angebot spätestens einzureichen war, keinesfalls dahingehend interpretiert werden, dass auch ein Angebotseingang um 10:00:03 Uhr noch fristgerecht wäre. Die Vorgabe 10:00 Uhr bezeichne präzise einen Zeitpunkt und nicht einen Zeitraum von 10:00:00 Uhr bis 10:00:59 Uhr.

22

Zudem sei es der Antragstellerin selbst zuzuschreiben, wenn sie sehr große Dateien mit 160 MB erst wenige Minuten vor Ende der Angebotsfrist beginnt hoch zu laden. Auch bei schnellem Internetzugang sei nicht ausgeschlossen, dass es bei der Übertragung solch großer Datenmengen zu Problemen kommen könne, dass Verbindungen abbrechen oder eine Übertragung unvollständig oder gar nicht vollzogen werden könne.

23

Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 02.11.2021 erklärte die Beigeladene, dass die nach § 54 Satz 1 VgV notwendige Kennzeichnung des elektronisch übermittelten Angebots durch die Vergabeplattform bei der Angebotsabgabe automatisch mit ausgeführt werde. Damit seien Datum und Uhrzeit des Datenempfangs durch den qualifizierten Zeitstempel genau bestimmbar und könnten manipulationssicher bestätigen, dass bestimmte Daten zum angegebenen Zeitpunkt vorgelegen hätten und das elektronische Dokument danach nicht mehr verändert worden sei. Zudem könnten Verzögerungen im Datenübertragungsprozess immer passieren, was sich die Antragstellerin hier zurechnen lassen müsse, da sie durch eine geordnete und rechtzeitige Übertragung hätte sicherstellen müssen, dass ihr Angebot verschlüsselt und öffnungsbereit bei der Vergabestelle vorliegt.

24

Mit rechtlichem Hinweis vom 16.06.2021 teilte die Vergabekammer mit, dass sie nach derzeitiger Rechtsauffassung davon ausgehe, dass es der Antragsgegnerin obliege darzulegen, dass das verspätete Hochladen des Angebots auf einem Nutzungsfehler und nicht auf einer Fehlfunktion der Vergabeplattform beruhe, sie sei gehalten dem Vortrag der Antragstellerin konkret und ausführlich entgegenzutreten. Dieser Aufforderung kam die Antragsgegnerin nach. Aus dem Vortrag der Antragsgegnerin ergaben sich weitere Fragen für die Vergabekammer. Mit Schreiben vom 17.08.2021 forderte sie die Antragstellerin daher auf, zu bestimmten technischen Punkten Stellung zu nehmen. Die Aufklärung seitens der Antragstellerin erfolgte fristgerecht. Dennoch konnten nicht alle Fragen der Vergabekammer abschließend geklärt werden, weshalb die sachverständige Zeugin S., eine Mitarbeitern der Vergabeplattform, zur mündlichen Verhandlung geladen wurde.

25

In der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2021 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert und die geladene sachverständige Zeugin vernommen. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme.

26

Insbesondere wurde erörtert, zu welchem Zeitpunkt, das im dritten Versuch erfolgreich hochgeladene Angebot der Antragstellerin tatsächlich im Machtbereich der Antragsgegnerin eingegangen sei. Dabei wurde diskutiert, inwiefern die Vergabeplattform Erfüllungsgehilfe der Antragsgegnerin sei und ob der vollständige Zugang auf der Vergabeplattform deshalb maßgeblich für den Zeitpunkt des Zugangs sei, und nicht der Zeitpunkt, ab welchem die Antragsgegnerin Zugriff darauf habe. Die sachverständige Zeugin sagte aus, dass sie dazu einen Test auf ihrem Testsystem durchgeführt habe. Der Upload einer 32 MB Zip-Datei habe 4 Sekunden gedauert, die Verschlüsselung 1 Sekunde und die Bereitstellung der Datei im Sicherheitsbereich der Anwendung, worauf auch die Antragsgegnerin Zugriff habe, hätte 6 Sekunden gedauert. Insgesamt habe der Vorgang also 11 Sekunden gedauert. Die Vergabeplattform würde den Zeitpunkt des Zugangs aus praktischen Gründen erst dann verzeichnen, wenn das Angebot im Sicherheitsbereich der Anwendung bereitgestellt wurde und nicht schon nach dem Hochladen der Datei. Die sachverständige Zeugin bestätigte ferner, dass der Beginn des dritten Versuchs der Antragstellerin, das Angebot hochzuladen auf der Vergabeplattform, mit einem Eintrag aus dem Log der Vergabeplattform um 09:59:35 Uhr übereinstimmen könnte. Eine genaue Zuordnung, ob dieser Eintrag tatsächlich mit den Aktivitäten der Antragstellerin übereinstimmt und Angaben zum genauen Zeitpunkt, wann der Upload des Angebots abgeschlossen war, seien nicht mehr möglich. Darüber könnten lediglich die Prozesslogs Auskunft geben, diese lägen aber für den fraglichen Zeitpunkt nicht mehr vor, da sie routinemäßig nach fünf bis sieben Tagen gelöscht würden.

27

Der ehrenamtliche Beisitzer hat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang auf Akteneinsicht sowie im Falle einer Verfahrenseinstellung auf den Vorsitzenden und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen.

28

Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.

II.

29

Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.

30

Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.

31

Gegenstand der Vergabe ist ein Bauauftrag i. S. d. § 103 Abs. 3GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 5.350.000 Euro erheblich.

32

Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.

33

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

34

Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.

35

Die Antragsgegnerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerinhat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch ihre Rüge und die Stellung dieses Nachprüfungsantrags geltend gemacht.

36

Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB entgegen, da die Antragstellerin insbesondere innerhalb von 10 Tagen nach der Submission und dem dortigen Vermerk eines verspäteten Angebots gegenüber dem Auftraggeber die vermeintliche Verspätung der Angebotsabgabe gerügt hat.

37

1. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.

38

Das Angebot der Antragstellerin ist nicht gem. § 16EU Nr. 1 VOB/A auszuschließen, da davon auszugehen ist, dass der wohl um 09:59:35 Uhr dritte Versuch der Angebotsabgabe rechtzeitig bei der Antragsgegnerin eingegangen ist. Auf Grund der Darstellung der sachverständigen Zeugin über den Ablauf der Angebotsabgabe muss die Vergabekammer davon ausgehen, dass der vollständige Upload und die Verschlüsselung des Angebots noch vor Ablauf der Angebotsfrist erfolgten. Lediglich das notwendige Ablegen des verschlüsselten Angebots im Bereich der Antragsgegnerin auf dem Vergabesystem war erst knapp drei Sekunden nach Ablauf der Angebotsfrist abgeschlossen. Diese Bereitstellung im Bereich der Antragsgegnerin ist für eine Angebotseröffnung zwar notwendig, fällt aber hinsichtlich eines rechtzeitigen Zugangs des Angebots nicht mehr in die Risikosphäre der Antragstellerin.

39

2.1. Der Schlusstermin für den Eingang der Angebote war in der Auftragsbekanntmachung unter Ziffer IV. 2.2.) mit 11.02.2021 und 10:00 Uhr Ortszeit angegeben. Damit endete die Angebotsfrist „Schlag“ bzw. „Punkt“ 10 Uhr, d.h. um 10:00:00 Uhr, und nicht erst um 10:00:59 Uhr, d.h. mit Umspringen der Uhr auf 10:01(:00) Uhr. Dies ergibt sich entsprechend §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont der Bieter. Danach ist eine Fristangabe wie hier das Ende der Angebotsfrist ein bestimmter Zeitpunkt im Sinne eines Schlusspunktes oder Termins, dessen Eintritt vorliegend den rechtzeitigen Eingang vom verspäteten Eingang eines Angebots trennt. Dieser Zeitpunkt bedarf daher einer genauen Bezeichnung, bis wann genau ein Angebotseingang noch rechtzeitig ist. Mit Bezeichnung dieses Zeitpunktes mit „10:00 Uhr“ im vorliegenden Verfahren ist dies aus Sicht eines objektiven Betrachters nur so zu verstehen, dass die Angebotsfrist bei Erreichen der Uhrzeit von „Punkt“ 10 Uhr endet (vgl. VK Bund, Beschluss vom 26.10.2016 – VK 1-92/16).

40

2.2. Für den maßgeblichen Zugangszeitpunkt des Angebots der Antragstellerin war nicht auf die Abrufbarkeit der Angebotsdatei durch die Antragsgegnerin abzustellen, sondern auf den vollständigen Upload der Angebotsdatei auf den Server der von der Antragsgegnerin genutzten Vergabeplattform.

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2.2.1. Der Argumentation der Antragsgegnerin, es sei entsprechend § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB für den Zugang des Angebots in einem elektronisch durchgeführten Vergabeverfahren auf den Zeitpunkt abzustellen, wenn die Parteien das Angebot unter gewöhnlichen Umständen abrufen können, kann nicht gefolgt werden.

42

Der § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB regelt die allgemeinen Pflichten im elektronischen Rechtsverkehr und knüpft die Frage des Zugangs an die Frage der Abrufbarkeit der Datei. Der Gesetzgeber hat damit Art. 11 Abs. 1, 2. Spiegelstrich der RL 2000/31/EG (e-commerce Richtlinie) umgesetzt. Im Bereich der e-commerce Richtlinie wird der Zugang erst mit der Möglichkeit, eine eingegangene Datei abzurufen, angenommen.

43

Diese Festlegung, die der Gesetzgeber im BGB für den Zugang von elektronischen Bestellungen getroffen hat, kann auf die Angebotsabgabe im Vergaberecht nicht übertragen werden. Die Konstellation bei einer Bestellung im elektronischen Rechtsverkehr, für die der § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB anwendbar ist, ist bereits nicht mit der Konstellation bei einer Vergabe vergleichbar, bei der der öffentliche Auftraggeber Leistungen ausschreibt und nicht eine Bestellung entgegennimmt und selbst eine Leistung erbringt. Auch die RL 2000/31/EG überschreibt den Artikel 11 ausdrücklich mit „Abgabe einer Bestellung“ und begrenzt ihn in Absatz 1 auf den Fall einer Bestellung.

44

Auch die drastische Rechtsfolge des zwingenden Ausschlusses eines verspäteten Angebots gem. § 16EU Nr. 1 VOB/A spricht gegen eine entsprechende Anwendung von § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB. Während der Zeitpunkt einer Bestellung und der dazu gehörigen Empfangsbestätigung insbesondere für die Dokumentation der Vorgänge von Bedeutung ist und technisch bedingte Verzögerungen im Sekundenbereich regelmäßig keine rechtlichen Nachteile für eine der Parteien nach sich ziehen, ist dies im Vergaberecht völlig anders. Hier ist ein Angebot, das eine Sekunde vor Ablauf der Angebotsfrist eingeht, wertbar, während ein Angebot das eine Sekunde nach Ablauf der Angebotsfrist eingeht zwingend auszuschließen ist. Minimale technisch bedingte Verzögerungen können hier über Wertbarkeit oder Ausschluss entscheiden.

45

2.2.2. Ein Zugang eines Angebots nach § 130 BGB setzt den Übergang des Angebots in den Machtbereich des Empfängers und dessen Möglichkeit voraus, unter normalen Umständen Kenntnis von dem Angebot erlangen zu können. Der Erklärungsempfänger trägt damit die Gefahren seines Organisations- und Machtbereichs, also das Risiko, dass eine Erklärung an ihn nicht weitergeleitet wird, dagegen muss der Erklärende neben den Risiken aus seiner Sphäre und den Transportrisiken sicherstellen, dass die Erklärung dem Empfänger so nahegebracht wird, dass es nur noch am Empfänger liegt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Im Vergaberecht zielen die Regelungen der § 10 Abs. 1 Nr. 2, § 54 Satz 1 und § 55 Abs. 1 VgV gerade darauf ab, dass eine Kenntnisnahme vom Inhalt der elektronisch abgegebenen Angebote grundsätzlich erst nach Ablauf der Angebotsfrist für den Auftraggeber möglich sein darf. Ein direktes Abstellen auf die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Angebotsinhalt wäre im Vergaberecht daher nicht zielführend, da diese stets erst nach Ablauf der Angebotsfrist gegeben sein darf.

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Für den Zugang eines Angebots auf einer Vergabeplattform ist daher auf den Eingang im Organisations- und Verantwortungsbereich des Auftraggebers abzustellen. Damit erfolgte der Zugang der Angebotsdatei der Antragstellerin im vorliegenden Fall mit dem vollständigen Upload der Datei auf dem Server des Vergabeportals und dem Auslösen des Vorgangs „Angebot verschlüsseln und im jeweiligen Auftraggeberbereich auf dem Vergabeportal ablegen“. Ab diesem Zeitpunkt hatte die Antragsgegnerin die Möglichkeit, dass die von ihr verwendete Plattform die notwendigen Schritte zur Bereitstellung des verschlüsselten Angebots im Bereich der Antragsgegnerin ausführt. Die Antragstellerin hat auf diese Vorgänge keinerlei Einfluss mehr.

47

Im Falle der Verwendung elektronischer Mittel sind Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen, Teilnahmeanträge oder Angebote dem Auftraggeber bereits „übermittelt“, wenn der Auftraggeber den Inhalt der Unterlagen lesen, speichern oder ausdrucken, das heißt dauerhaft wiedergeben und reproduzieren kann (Koch in Beck‘scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, VgV § 53 Rn. 12). Wenn der öffentliche Auftraggeber sich einer elektronischen Plattform bedient und den Bietern vorgibt, dass Angebote, Teilnahmeanträge, Interessensbekundungen und Interessensbestätigungen dort einzustellen sind, so genügt für den Zugang bereits das rechtzeitige Einstellen auf der Plattform, und zwar unabhängig davon, ob der öffentliche Auftraggeber die Erklärung ausdruckt oder auf seinem Computer speichert, unabhängig davon, ob er vom Inhalt der Erklärung Kenntnis nimmt und auch unabhängig davon, ob die Plattform auf seinen Servern befindlich ist oder an ganz anderer Stelle. Entscheidend ist, dass eine Lesbarkeit, Reproduzierbarkeit und Speicher- oder Ausdrucksmöglichkeit bei dem Empfänger gegeben ist (Verfürth in Kulartz/ Kus/ Marx/ Portz/ Prieß, VgV, 1. Aufl. 2017, § 53 VgV Rn. 7).

48

Die sachverständige Zeugin S. führte in ihrem Schreiben vom 01.10.2021 und der mündlichen Verhandlung aus, wie die Angebotsabgabe auf der im streitgegenständlichen Fall verwendeten Vergabeplattform erfolgt. Für die Abgabe eines Angebots muss ein Bieter in seinem Bereich der Vergabeplattform auf die Schaltfläche „Angebot anlegen“ klicken. Im Internetbrowser des Nutzers öffnet sich daraufhin ein Fenster, in dem ihm die auf seinem persönlichen Rechner lokal gespeicherten Dateien angezeigt werden. In diesem Fenster kann der Nutzer die hochzuladende Angebotsdatei auswählen und einen Titel vergeben. Hat er dies getan, kann er auf die Schaltfläche „Angebot hochladen, verschlüsseln und abgeben“ klicken. Mit dem Klick auf diese Schaltfläche startet der Bieter das Hochladen der Datei („Upload“) von seinem persönlichen Rechner auf die Plattform.

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Mit dem Klick auf die Schaltfläche „Angebot hochladen, verschlüsseln und abgeben“ startet ein Bieter damit eine Vorgangskette, die sich aus mehreren Übertragungs- und Verarbeitungsschritten zusammensetzt. Im ersten Schritt lädt ein Bieter sein Angebot hoch, anschließend wird das erfolgreich hochgeladene Angebot auf der Plattform verschlüsselt und zuletzt als verschlüsseltes Angebot in den Bereich des Auftraggebers eingestellt.

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Für den Zugang auf der Vergabeplattform der Antragsgegnerin kam es damit darauf an, dass das Angebot erstmals vollständig hochgeladen war, da ab diesem Zeitpunkt die Anwendungen der Vergabeplattform auf das abgegebene Angebot zugreifen konnten, die das Angebot dann verschlüsselten und anschließend in dem persönlichen Bereich der Antragsgegnerin speicherten, wo diese es sehen und nach Ablauf der Angebotsfrist auch öffnen konnte.

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Damit war Lesbarkeit und Speichermöglichkeit bezüglich der Angebotsdatei der Antragstellerin für die Vergabeplattform als Erfüllungsgehilfen und Empfangsvertreter der Antragsgegnerin gegeben, da die Datei auf einem ihrer Sphäre zuzurechnendem Medium dauerhaft zur Verfügung stand. Zumindest die weiteren Schritte zur Einstellung des (verschlüsselten) Angebots in die Datenbank zur Angebotsöffnung sind nicht mehr der Sphäre der Antragstellerin zuzuordnen. Ein zur Bereitstellung und Verwahrung eines abgegebenen Angebots notwendiges „Umspeichern“ nach vollständigem Eingang auf der Vergabeplattform liegt ausschließlich in der Sphäre des öffentlichen Auftraggebers, der zu dieser Zeit bereits über die Vergabeplattform als seinen Erfüllungsgehilfen auf die Daten des abgegebenen (verschlüsselten) Angebots zugreifen kann.

52

Würde die im streitgegenständlichen Verfahren verwendete Vergabeplattform den Bietern nicht eine komfortable Lösung anbieten, mit einem Klick alles hochzuladen und abzugeben, sondern müsste das Hochladen und ggf. Verschlüsseln des Angebots vom Bieter vor einem zusätzlichen eigenen „Klick“ auf einen Button zur Abgabe des bereits hochgeladenen und ggf. verschlüsselten Angebots erfolgen, so läge die danach notwendige Zeit, der Umspeicherung zur Bereitstellung der Daten von wenigen Sekunden in den Bereich des Auftraggebers ebenfalls allein in dem Verantwortungsbereich des öffentlichen Auftraggebers.

53

2.2.3. Das Angebot der Antragstellerin ist auch als rechtzeitig eingereicht anzusehen, da es der Antragstellerin nicht zum Nachteil gereichen darf, dass der genaue Zeitpunkt des vollständigen Uploads von der Vergabeplattform nicht gespeichert wurde bzw. die entsprechenden Logfiles nicht mehr vorhanden sind.

54

Der § 10 Abs. 1 Nr. 1 VgV ordnet für die Dokumentation des Datenempfangs ausdrücklich an, dass die verwendeten elektronischen Mittel gewährleisten müssen, dass Uhrzeit und Tag des Datenempfangs genau zu bestimmen sind. Die von der Antragsgegnerin verwendete Vergabeplattform speichert jedoch nicht den Zeitpunkt des Datenempfangs, sondern ausschließlich den Zeitpunkt, in welchem das hochgeladene Angebot nach einer anschließenden Verschlüsselung in den Bereich des Auftraggebers eingestellt wurde.

55

Aus den Ausführungen der sachverständigen Zeugin in der mündlichen Verhandlung kann jedoch geschlossen werden, dass das Angebot der Antragstellerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor 10:00 Uhr und damit rechtzeitig vor Ende der Angebotsfrist vollständig hochgeladen worden ist. Bei einem Versuch auf dem Testsystem der Vergabeplattform, welchen die sachverständige Zeugin durchgeführt hat, hat der Upload einer 32 MB großen Zip-Datei ungefähr vier Sekunden gedauert, die Verschlüsselung dieser Datei eine Sekunde und die Bereitstellung der verschlüsselten Angebotsdatei im sicheren Auftraggeberbereich der Anwendung sechs Sekunden. Es ist daher davon auszugehen, dass auch bei der Angebotsabgabe der Antragstellerin die Bereitstellung auf dem stärker frequentierten Live-System der Vergabeplattform mindestens sechs Sekunden gedauert hat und danach den Zeitstempel 10:00:03 Uhr erhalten hat. Aus diesen Informationen kann geschlossen werden, dass das Angebot der Antragstellerin noch wenige Sekunden vor Ablauf der Angebotsfrist vollständig hochgeladen worden war und damit der Antragsgegnerin rechtzeitig zugegangen ist.

56

2.2.4 Die Vergabekammer Südbayern weist zudem darauf hin, dass die Antragsgegnerin – wenn sie die Annahme vertritt, dass ein Angebot ihr erst zugegangen ist, wenn es fertig verschlüsselt und im sicheren Auftraggeberbereich der Vergabeplattform abgelegt ist – nach § 11 Abs. 3 VgV darauf hinweisen hätte müssen, dass die Angebotsfrist nicht bis zur letzten Sekunde ausgeschöpft werden darf, da nach dem vollständigen Upload des elektronischen Angebots mit einem Zeitraum von einigen Sekunden für das Verschlüsseln und Ablegen gerechnet werden muss.

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1. Kosten des Verfahrens

58

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegenddie Antragstellerin.

59

Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.

60

Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens.

61

Die Antragsgegnerinist als Gemeinde von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.

62

Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskrafterstattet.

63

Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.

64

Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da das Vergaberecht eine überdurchschnittlich komplizierte Materie ist. Als mittelständisches Unternehmen verfügt die Antragstellerin über kein zur zweckentsprechenden Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens rechtskundiges Personal, insbesondere wenn es wie im streitgegenständlichen Verfahren um Detailfragen zum Zugang eines elektronischen Angebots geht.

65

Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Vor diesem Hintergrund hat die bisherige Rechtsprechung der Vergabesenate die Beigeladene kostenrechtlich nur dann wie eine Antragstellerin oder eine Antragsgegnerin behandelt, wenn sie die durch die Beiladung begründete Stellung im Verfahren auch nutzt, indem sie sich an dem Verfahren beteiligt (BGH, Beschluss vom 26.09.2006, Az.: X ZB 14/06). Die Beigeladenehat sich im streitgegenständlichen Verfahren zwar durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag und die Stellung von Anträgen aktiv am Verfahren beteiligt, hierdurch hat sie das gegenständliche Verfahren auch wesentlich gefördert, sich jedoch nicht mit demselben Rechtsschutzziel wie die obsiegende Antragstellerin am Verfahren beteiligt. Die Vergabekammer erachtet daher die Aufwendungen der Beigeladenen nicht als erstattungsfähig.