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OLG Brandenburg zu der Frage, dass die Parteien eines Werkvertrages im Zweifel auch die Funktionstauglichkeit des Werkes als Beschaffenheit (konkludent) vereinbart haben, wozu insbesondere die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik gehört

OLG Brandenburg zu der Frage, dass die Parteien eines Werkvertrages im Zweifel auch die Funktionstauglichkeit des Werkes als Beschaffenheit (konkludent) vereinbart haben, wozu insbesondere die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik gehört

vorgestellt von Thomas Ax

Der Werklohnanspruch des Auftragnehmers wird auch ohne Setzung einer angemessenen Abnahmefrist fällig, wenn der Auftraggeber die Abnahme endgültig verweigert. Ob ein mit Pflasterarbeiten betrauter Auftragnehmer (auch) die Beseitigung eines Kontergefälles schuldet, ist durch Auslegung des Vertrags nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu ermitteln, wobei neben dem Wortlaut der vertraglichen Vereinbarung insbesondere auch deren Begleitumstände und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen sind. Die Ausführungsvorschriften zu § 7 des Berliner Straßengesetzes über Geh- und Radwege (AV Geh- und Radwege) stellen keine das Vertragssoll bestimmenden allgemein anerkannten Regeln der Technik oder (zwingende) Normen des öffentlichen Rechts dar. Die Verletzung der Prüfungs- und Hinweispflicht ist kein Tatbestand, der die Mängelhaftung begründen kann; vielmehr befreit die Erfüllung der Prüfungs- und Hinweispflicht den Auftragnehmer (ausnahmsweise) von der verschuldensunabhängigen Mangelhaftung.

OLG Brandenburg, Urteil vom 19.03.2025 – 4 U 68/24

Gründe
I.
Die Klägerin verlangt Werklohn für Pflasterarbeiten an einem Gehsteig, die die Beklagte für mangelhaft hält, weil die Gefällerichtung nach ihrer Ansicht falsch sei.
Die Beklagte war mit Pflasterarbeiten an einem öffentlichen Gehsteig in der K… Str. … B… beauftragt worden. Im Nachgang zu einem Ortstermin listete das B… Straßen- und Grünflächenamt (im Folgenden nur „Straßenamt“) in einer Email vom 28.01.2021 (Anlage B1, S. 3) verschiedene Mängel des Pflasters auf, u.a. „Gefälle zum Haus statt zur Fahrbahn (2,5%)“. Mit Schreiben des Projektsteuerers G.. vom 10.05.2021 (Anlage B1) wurde die Beklagte zur Mängelbeseitigung aufgefordert. In diesem Schreiben wurden die in der vorerwähnten Email aufgeführten Mängel näher beschrieben, nicht jedoch die fehlerhafte Gefällerichtung. Die Email vom 28.01.2021 lag diesem Schreiben als Anlage bei.
In einem Telefonat am 10.03.2022 sprach der Prokurist der Beklagten, der Zeuge T…, mit einem Mitarbeiter der Klägerin, ob die Klägerin bereit sei, die Arbeiten zur Mängelbeseitigung zu übernehmen. Der nähere Inhalt des Telefonats ist streitig. Im Nachgang zu diesem Telefonat übersandte der Zeuge T… eine Email an die Klägerin, in der es heißt:
„[…] wie soeben telefonisch besprochen ein paar Unterlagen zur K… Straße .. zur Einsicht. Wir müssen dem Kunden leider sehr kurzfristig (morgen) einen ungefähren Termin zur Ausführung benennen, hierzu bitte ich um telefonische (mobil) Rücksprache. […]“
Dieser Email war jedenfalls das Schreiben des Projektsteuerers G.. vom 10.05.2021 beigefügt.
Unter dem 14.03.2022 (Anlage K1) unterbreitete die Klägerin der Beklagten das Angebot, den „Gehsteig gemäß Mangelprotokoll G.. / TBA v. 10.5.21 in Gänze“ zu „überarbeiten“. Dem lag ein Einheitspreis von 65 €/qm bei einer angenommenen Fläche von 320 qm zugrunde. Die Beklagte nahm das Angebot mit kleineren handschriftlichen Änderungen an. Die Klägerin führte die Pflasterarbeiten aus, ohne allerdings die Gefällerichtung zur Fahrbahn hin zu ändern.
Die Klägerin legte unter dem 31.03.2022 eine Teilrechnung über 10.000 € (Anlage K3) sowie unter dem 04.04.2022 eine Schlussrechnung über 14.795,95 € für eine Fläche von 227,63 qm (Anlage K4). In der Schlussrechnung ist das Aufmaß im Einzelnen angegeben. Eine Mahnung der Klägerin vom 30.05.2022 (Anlage K5) blieb ebenso fruchtlos, wie ein Anwaltsschreiben vom 30.06.2022 (Anlage K6). Das Verlangen der Klägerin auf förmliche Abnahme vom 07.07.2022 (zugegangen am 11.07.2022) lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 22.07.2022 ab.
Den Schlussrechnungsbetrag (gemäß § 13b UStG netto), verlangt die Klägerin mit der Klage.
Die Klägerin behauptet, sie habe die Email des Straßen- und Grünflächenamtes vom 28.01.2021 vor der Beauftragung nicht erhalten. Vielmehr sei vor ihrer Beauftragung telefonisch zwischen ihrem Geschäftsführer, dem Zeugen F… (als Bauleiter) und dem Zeugen T… (Prokurist der Beklagten) besprochen worden, dass die Gefällesituation nicht geändert werden solle. Sie meint, die Änderung der Gefällerichtung zur Fahrbahn hin sei nicht geschuldet, zumal im Bereich der Hauswand Entwässerungsanlagen vorhanden seien. Die Klägerin habe den Einheitspreis nur für die Korrektur des vorgefundenen Pflasters berechnet; eine Änderung des Gefälles hätte einen höheren Einheitspreis zur Folge gehabt. Im Übrigen sei die gewünschte Änderung der Gefällerichtung technisch kaum möglich, weil der Gehsteig dann unterhalb der Fahrbahnebene enden würde. Die dann nötige Anpassung der Höhenniveaus der Fahrbahn würde Baukosten in Millionenhöhe verursachen. Das zuständige Straßenamt habe die Fläche als fachgerecht und mangelfrei befunden. Die Klägerin meint, in der Schlussrechnung sei eine Fertigstellungsanzeige zu sehen, so dass die Werkleistung gemäß § 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B als abgenommen gelte und der Werklohn fällig sei.
Die Beklagte hat die in der Schlussrechnung angesetzte Menge von 227,63 qm bestritten. Sie hat die Ansicht vertreten, auch die Korrektur der Gefällerichtung sei Vertragsinhalt geworden, nicht zuletzt, weil nach den Berliner Ausführungsvorschriften zum Straßenbau nur ein Gefälle zur Fahrbahn hin zulässig sei. Eine Abnahme sei nicht erfolgt, der Werklohn damit nicht fällig. Die VOB/B seien nicht einbezogen worden.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass die Werkleistung mangelfrei und abnahmereif sei. Das Angebot der Klägerin vom 14.03.2022 sei inhaltlich so auszulegen, dass darin eine Korrektur der Gefällerichtung nicht enthalten gewesen sei, und dies unabhängig davon, ob die Klägerin die Email vom 28.01.2021 erhalten habe. Der Sachvortrag der Beklagten über eine telefonische Abstimmung zur Gefällesituation finde in den Vertragsunterlagen keine Stütze und sei deshalb unsubstantiiert. Die Schlussrechnung sei prüffähig und auf eine fiktive Abnahme komme es nicht an, nachdem die Beklagte die Abnahme zu Unrecht verweigert habe. Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Verurteilung. Sie wiederholt und vertieft ihre Ansicht, dass auch die Veränderung der Gefällerichtung Vertragssoll gewesen sei. Die Email des Straßenamtes vom 28.01.2021 sei in der an die Klägerin gerichteten Email vom 10.03.2022 angehängt gewesen (Anlage BB1). Verfahrensfehlerhaft habe das Landgericht der Beklagten nicht ermöglicht, auf das Bestreiten der Klägerin über den Zugang der Email vom 28.01.2021 zu replizieren, weshalb die Anlage BB1 erst in der Berufungsinstanz vorgelegt werden könne. Die interessengerechte Auslegung ergebe, dass die Beklagte die Klägerin auch mit der Beseitigung der falschen Gefällerichtung beauftragt habe. Im Übrigen schulde die Klägerin die Korrektur des Gefälles aufgrund der Berliner Ausführungsvorschriften zum Gehwegbau sowie aufgrund der Bestimmungen der DIN 18318. Das Landgericht hätte zudem dem Angebot nachgehen müssen, den Zeugen T… über den Inhalt der telefonischen Absprachen zwischen den Vertragsparteien zu vernehmen. Schließlich sei die Schlussrechnung mangels Nachweises der abgerechneten Fläche nicht prüffähig. Einen Ausdruck ihrer Email vom 10.03.2022, einschließlich der darin enthaltenen Anlagen, hat die Beklagte im Termin vor dem Senat am 05.02.2025 vorgelegt.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 02.05.2024, 1 O 23/23, abzuändern und die Klage als derzeit unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Email des Straßen- und Grünflächenamtes vom 28.01.2021 habe ihr jedenfalls nicht zum Zeitpunkt der telefonischen Vertragsverhandlungen vorgelegen. Möglicherweise sei diese Anlage der Email vom 10.03.2022 nicht vollständig übermittelt oder ausgedruckt worden. Jedenfalls hätten sich die Streitparteien vertraglich nicht darauf geeinigt, dass die Klägerin auch das fehlerhafte Gefälle habe korrigieren sollen.
Der Senat hat die Zeugen T… und F… zum Inhalt des Telefonats vom 10.03.2022 im Termin am 05.02.2025 vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist nur im Hinblick auf einen kleinen Teil der Zinsforderung und die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.
1.
Die Klägerin hat gemäß § 631 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Zahlung von Werklohn in Höhe von 14.795,95 €. Die Streitparteien haben einen Werkvertrag geschlossen, der eine Vergütung von 65,00 € pro Quadratmeter vorsah. Bei einer Fläche von 227,63 qm ergibt dies den ausgeurteilten Betrag.
a)
Der Werklohn ist fällig. Die Fälligkeit eines Werklohnanspruchs setzt grundsätzlich gemäß § 641 Abs. 1 S. 1 BGB die Abnahme des Werks durch den Besteller voraus, § 640 Abs. 1 S. 1 BGB. Dem steht es gleich, wenn der Besteller das Werk nicht innerhalb einer ihm vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abnimmt, obwohl er dazu verpflichtet ist, § 640 Abs. 1 S. 3 BGB. Wenn der Besteller die Abnahme endgültig verweigert, so ist diese Fristsetzung entbehrlich (BGH, Urteil vom 08.11.2007 – VII ZR 183/05, Rn. 29, juris).
Die Werkleistung ist – wie nachfolgend unter b) dargelegt – mangelfrei und abnahmereif fertig gestellt, so dass die Beklagte die Abnahme nicht verweigern kann. Die Klägerin hat der Beklagten zwar keine Frist zur Abnahme gesetzt, jedoch verweigerte die Beklagte die Abnahme am 22.07.2022 endgültig, zu der sie mit Schreiben vom 07.07.2022 aufgefordert worden war, so dass der Werklohnanspruch fällig ist.
b)
Die Werkleistung ist mangelfrei und damit abnahmereif. Zwar weist das Gefälle der Pflasterfläche teilweise nicht in Richtung Straße, jedoch war die Korrektur des Kontergefälles – als einzig in Betracht kommender Mangel – von der Klägerin vertraglich nicht geschuldet.
aa)
Die Parteien haben sich nicht im Wege einer ausdrücklichen Vereinbarung nach § 633 Abs. 2 S. 1 BGB auf die Beseitigung des Kontergefälles geeinigt.
Auch unter Berücksichtigung des Inhalts der Email vom 10.03.2022 einschließlich der beiden beigefügten Schreiben ergibt sich nicht, dass das Angebot der Klägerin vom 14.03.2022 auch die Beseitigung des Kontergefälles erfasste. Gemäß §§ 133, 157 BGB sind Willenserklärungen so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dies erfordern, wobei neben dem Wortlaut der vertraglichen Vereinbarung insbesondere auch deren Begleitumstände und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen sind (stRspr. vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2000 – VIII ZR 275/98 –, Rn. 20, juris).
Bei der Auslegung ist zunächst in tatsächlicher Hinsicht zugrunde zu legen, dass die Klägerin nach dem Telefonat vom 10.03.2022 auch die Email des Straßenamtes vom 28.01.2021 (als Anlage der Email vom 10.03.2022) erhalten hatte. Die Klägerin hat, nachdem die Beklagte einen Ausdruck der Email vom 10.03.2022 nebst der darin bezeichneten Anlagen vorgelegt hat, deren Erhalt nicht wirksam bestritten. Insbesondere kann sich die Klägerin, da sie sich gemäß § 138 Abs. 1 ZPO vollständig zu erklären hat, nicht mit Erfolg darauf berufen, die streitige Anlage sei „möglicherweise“ nicht der Email beigefügt gewesen. Die Klägerin muss grundsätzlich wissen (und vortragen), welche Emails mit welchem Inhalt und welchen Anlagen sie konkret erhalten hat. Das nicht wirksame Bestreiten hat gemäß § 138 Abs. 3 ZPO zur Folge, dass die entsprechende Behauptung der Beklagten als zugestanden zu behandeln ist, die als unstreitige Tatsache auch keinem Novenausschluss nach § 531 ZPO unterliegt.
Gleichwohl lässt sich aus dem Wortlaut des Angebots, den „Gehsteig gemäß Mangelprotokoll G.. / TBA v. 10.05.21 in Gänze überarbeiten“, auf die Verpflichtung zur Beseitigung des Kontergefälles nicht schließen. Das in Bezug genommene Dokument der G.. vom 10.05.2021 erwähnt das Kontergefälle weder ausdrücklich noch implizit. Es wird zwar am Ende des Dokuments die Email des Straßenamtes vom 28.01.2021 als Anlage benannt. Inhaltlich erwähnt das Schreiben der G.. frühere Mängelanzeigen des Straßenamtes, nicht jedoch die in der Email vom 28.01.2021 enthaltene Mängelauflistung. Das Schreiben der G.. wiederholt auch nicht lediglich diese Mängelauflistung, sondern enthält eigene – ausführliche und nummerierte – Beschreibungen der zu beseitigenden Mängel mit der ausdrücklichen Aufforderung, mit der Mängelbeseitigung bis zum 19.05.2021 zu beginnen. Bei der Lektüre des Schreibens der G.. entsteht der Eindruck, dass diese Auflistung von Mängeln abschließend ist, so dass schon kein Anlass besteht, die Email vom 28.01.2021 für die Frage heranzuziehen, welche Mängel zu beseitigen sind. Zudem besteht die Mängelliste aus der Email des Straßenamtes vom 28.01.2021 aus vielen nur kurz und stichpunktartig beschriebenen Mängeln, die sich – mit Ausnahme des hier streitgegenständlichen Kontergefälles – in dem Schreiben der G.. wiederfinden. Nur ein sehr sorgfältiger Vergleich beider Dokumente offenbart unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse, dass das in der Email erwähnte Kontergefälle im Schreiben der G.. keine Erwähnung gefunden hat. Aus welchem Grund das Kontergefälle im Schreiben des G.. nicht erwähnt wurde, erschließt sich aus den Dokumenten nicht. Die Bezugnahme auf die im Schreiben der G.. aufgeführten Mängel schließt damit nicht die in der Email des Straßenamtes genannten Mängel ein. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass in dem Angebot das Straßenamt mit „TBA“ (“Tiefbauamt“) genannt wird. Denn dass die aufgelisteten Mängel auf entsprechende Mängelanzeigen des Straßenamtes beruhen, ergibt sich inhaltlich auch aus dem Schreiben der G.., so dass „Mangelprotokoll G.. / TBA v. 10.5.21“ nur das Schreiben vom 10.05.2021 meint und nicht auch die Email vom 28.01.2021. Auch der Zusatz „in Gänze“ stellt nur eine Zusammenfassung der im Schreiben der G.. ausführlich beschriebenen Mängel dar und nicht eine Erweiterung auf die in der Email des Straßenamtes genannten Mängel. Die Email vom 10.03.2022 enthält lediglich einleitende Worte und keine für die hier in Rede stehende Frage der Auslegung des Angebots vom 14.03.2022 maßgeblichen Aspekte. Auch aus den mit der Email am 10.03.2022 mit übersandten Fotos vom Gehweg ergibt sich nicht, dass ein Kontergefälle zu beseitigen wäre. Es ist in Ansehung der vier Fotos, die den streitgegenständlichen Gehwegabschnitt übersichtsmäßig darstellen, – und bei Kenntnis des hiesigen Streits – allenfalls zu erahnen, dass an einer Stelle ein Kontergefälle bestehen könnte.
Auch unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien ergibt sich eine Einbeziehung der Pflicht zur Beseitigung des Kontergefälles nicht. Zwar liegt es auf der Hand, dass es der Beklagten darum ging, ihre eigene Pflicht zur Mängelbeseitigung gegenüber ihrem Auftraggeber zu erfüllen. Jedoch gilt dies im Verhältnis zur hiesigen Klägerin nur, soweit diese den Umfang der zu leistenden Arbeiten auch erkennen musste. Da es sich bei dem Schreiben der G.. vom 10.05.2021 ausdrücklich um eine „Mängelanzeige und Fristsetzung gem. VOB/B § 13 (5)“ handelte, in der die relevanten Mängel sorgfältig beschrieben und aufgelistet wurden, die bei oberflächlicher Lektüre mit denjenigen aus der Email des Straßenamtes vom 28.01.2021 übereinstimmen, gab es aus der Sicht der Klägerin schon keinen Anlass, beide Dokumente genau auf inhaltliche Übereinstimmung zu prüfen. Ob das Kontergefälle im Verhältnis zwischen der Beklagten und ihrer Auftraggeberin von der Mängelanzeige der G.. vom 10.05.2021 inhaltlich erfasst wird, bedarf hier keiner Klärung.
Etwas anderes ergibt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht aus dem Inhalt des Telefonats vom 10.03.2022. Der Zeuge T… hat zwar ausgesagt, in dem fraglichen Telefonat mit dem Zeugen F… auch das Kontergefälle angesprochen zu haben. Jedoch konnte sich der Senat unter Würdigung der vom Zeugen T… geschilderten Umstände nicht hinreichend von der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugen. Zum Zeitpunkt des Telefonats am 10.03.2022 stand die Beseitigung des Kontergefälles noch nicht im Streit und dies war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht abzusehen. Auch hat der Zeuge T… nicht geschildert, dass ihm die inhaltliche Diskrepanz zwischen dem Schreiben der G.. und der Email des Straßenamtes damals überhaupt schon aufgefallen war. Dann wäre auch zu erwarten, dass der Zeuge T… sowohl im Telefonat als auch in der nachfolgenden Email besonders auf diese Diskrepanz hinweist, was er in seiner Zeugenvernehmung jedoch nicht angegeben hat. Schließlich musste der Zeuge T… auf Nachfrage auch einräumen, dass sich mit der Beseitigung des Kontergefälles ein Großteil der übrigen Mängel erübrigt hätte. Denn das Kontergefälle befand sich an der straßenabgewandten Seite des Gehsteigs, so dass die Beseitigung des Kontergefälles auf ihrer Länge die weitgehende Neuerstellung der kompletten Gehwegpflasterung bis zum Straßenrand erforderlich gemacht hätte. Es muss davon ausgegangen werden, dass dieser Aspekt den Gesprächsteilnehmern als erfahrene Tiefbauer nicht verborgen geblieben wäre, wenn das Kontergefälle tatsächlich schon im Telefonat am 10.03.2022 erörtert worden wäre, da es sich ganz wesentlich auf den Umfang der Arbeiten auswirkt. Da die Mängelbeschreibung der Klägerin zum Zeitpunkt des Telefonats noch gar nicht vorlag, ist auch nicht zu erwarten, dass die Gesprächsteilnehmer schon über einzelne Details der Arbeiten gesprochen haben. Der von der Klägerin in ihrem Angebot angesetzte Einheitspreis von 65 €/qm spricht jedenfalls nicht dafür, dass die Klägerin von derart umfangreichen Arbeiten ausgegangen ist, wie sie die Beseitigung des Kontergefälles mit sich gebracht hätte; auch dies musste der Zeuge T… einräumen. Vielmehr stand im Vordergrund des Telefonats für den Zeugen T… in erster Linie die Eilbedürftigkeit der Arbeiten, wie es sich aus der Email vom 10.03.2022 und dem Schreiben der G.. vom 10.05.2021 ergibt. Es ging demnach zunächst nur darum abzuklären, ob die Klägerin kurzfristig tätig werden konnte. Dem entsprechend wurden die beiden oben erörterten Schreiben erst im Nachgang zum Telefonat übermittelt, um der Klägerin eine Angebotserstellung zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund dieser Umstände gab es aus der Sicht des Zeugen T… auch keinen Grund, nun gerade das Kontergefälle bereits im Telefonat am 10.03.2022 zu erörtern. Tatsächlich wurde erstmals am 22.07.2022 von der Beklagten der Einwand erhoben, dass die Arbeiten auch die Beseitigung des Kontergefälles erfassen sollten. Der Zeuge F… hat abgestritten, dass über das Kontergefälle im Rahmen des Telefonats gesprochen worden sei, so dass dessen Aussage unergiebig für die Beweisfrage war.
bb)
Die Streitparteien haben sich auch nicht stillschweigend auf die Beseitigung des Kontergefälles im Sinne einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 633 Abs. 2 S. 1 BGB geeinigt. Im Zweifel haben die Parteien eines Werkvertrages auch die Funktionstauglichkeit des Werkes als Beschaffenheit (konkludent) vereinbart, wozu insbesondere die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik gehört (stRspr., vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2017, VII ZR 65/14, Rn. 23, juris). Im vorliegenden Fall ist jedoch die Beseitigung des Kontergefälles auch nicht nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik geschuldet.
Es trifft zwar zu – was gerichtsbekannt ist -, dass eine Pflasterfläche nach DIN 18318 zur Wasserableitung stets in Gefälle von mindestens 1,5 % haben muss. Der hier streitgegenständliche Gehweg verfügt unstreitig über ein entsprechendes Gefälle. Unzutreffend ist die Auffassung der Beklagten, nur ein Gefälle in Fahrbahnrichtung sei „abflusswirksam“. Derartiges ist jedenfalls nicht Inhalt der allgemein anerkanntes Regeln der Technik, da es Pflasterflächen gibt, die überhaupt nicht an eine Fahrbahn grenzen. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass das (Konter)gefälle in die Richtung des angrenzenden Hauses, das über eine eigene Wasserableitung verfügt, gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt.
cc)
Auch aus den Ausführungsvorschriften zu § 7 des Berliner Straßengesetzes über Geh- und Radwege (AV Geh- und Radwege, im Folgenden nur „AV“) lässt sich ein Vertragssoll mit Blick auf das streitgegenständliche Kontergefälle nicht ableiten. Die AV enthält zwar in Teil A, Nr. 10 – Entwässerung eine Vorschrift über Geh- und Radwege, wonach „die Querneigung […] in der Regel von der Straßengrenze zur Fahrbahn hin 2,5 % betragen“ soll. Es handelt sich insofern jedoch nicht um eine allgemein anerkannte Regel der Technik.
Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind solche technischen Regeln, die sich unter einer hinreichenden Zahl kompetenter Fachleute als theoretisch richtig durchgesetzt und die sich in der Baupraxis als richtig bewährt haben (vgl. Kniffka/Koeble, Kompendium Baurechts, 5. Aufl. 2020, Teil 5 Rn. 47 m.w.N.). Bei den Festlegungen in dem – hier relevanten – Teil A der AV handelt es sich dagegen ausweislich der Überschrift dieses Teils („Teil A – Entwurf und Gestaltung“) um Regelungen zum Entwurf und zur Gestaltung von Rad- und Gehwegen, z.B. zu Breiten, Abständen, Belag usw. Dabei handelt es sich um Planungsgrößen, d.h. um grundsätzlich variable Parameter, die aus technischer Sicht auch anders gewählt werden könnten und aus Gründen etwa der Einheitlichkeit in der AV näher bestimmt werden. Aufgrund ihrer systematischen Stellung, ihres Wortlautes und ihres Zwecks ist die Vorschrift als rein planerische Sollvorgabe anzusehen. Die Bestimmungen des Teils A der AV konkretisieren damit ein Planungsermessen und richtet sich an die Planer, nicht jedoch an die bauausführenden Unternehmer. D.h. die Bestimmung formuliert lediglich ein Planungsziel, von dem unter Umständen – etwa wegen faktischer Unmöglichkeit oder aus wirtschaftlichen Gründen – auch abgesehen werden könnte. Die Entscheidung über die Gestaltung der Gefällerichtung bedarf stets auch der Berücksichtigung u.a. der damit verbundenen Kosten. Auch der Umstand, dass die Vorschrift als Sollvorschrift formuliert ist, spricht gegen ihre Qualifikation als allgemein anerkannte Regel der Technik.
Die zitierte Bestimmung der AV zur Querneigung ist schließlich auch nicht als (zwingende) Norm des öffentlichen Rechts einzustufen, aus der sich die Pflicht zur Beseitigung des Kontergefälles ableiten ließe. Denn – wie oben ausgeführt – handelt es sich um eine Sollvorschrift, die bezogen auf das jeweils zu planende Objekt der planerischen Konkretisierung bedarf. Diese Konkretisierung betrifft nicht den Pflichtenkreis des bauausführenden Unternehmers.
c)
Dem Werklohnanspruch steht eine vermeintliche Verletzung einer Prüfungs- und Hinweispflicht der Klägerin nicht entgegen. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt zwar auch für den BGB-Werkvertrag (so wie beim VOB/B-Vertrag ausdrücklich aus § 13 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 3) die Pflicht des Werkunternehmers, den Besteller vor Schäden zu bewahren und auf Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung hinzuweisen (BGH, Urteil vom 08.11.2007, VII ZR 183/05, Rn. 22, juris). Jedoch führt eine – unterstellte – Verletzung der Prüfungs- und Hinweispflicht nicht dazu, dass von einem Mangel des Werks auszugehen wäre. Grundsätzlich lässt sich ein Mangel nicht allein aus der Verletzung der Prüfungs- und Hinweispflicht herleiten. Die Verletzung der Prüfungs- und Hinweispflicht ist kein Tatbestand, der die Mängelhaftung begründen kann; vielmehr befreit die Erfüllung der Prüfungs- und Hinweispflicht den Unternehmer (ausnahmsweise) von der verschuldensunabhängigen Mangelhaftung (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 08.11.2007, VII ZR 183/05, Rn. 23, juris). Hier ist – wie oben dargelegt – schon kein Mangel feststellbar. Im Übrigen musste sich der Klägerin hier ein – unterstellter – Planungsfehler nicht derart aufdrängen, dass sie verpflichtet gewesen wäre, auf das Kontergefälle hinzuweisen.
d)
Der Höhe nach entspricht der ausgeurteilte Werklohnanspruch dem in der Rechnung zutreffend ausgewiesenen Betrag. Bei einem Einheitspreisvertrag hat der Unternehmer den Vergütungsanspruch nach den vertraglichen Einheitspreisen abzurechnen, d.h. diese mit den für sie anzunehmenden Mengen zu multiplizieren und auf dieser Basis die sich aus den einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses ergebenden Ansprüche zu errechnen (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.1995, VII ZR 198/94, Rn. 13, juris). Die Schlussrechnung besteht hier lediglich aus einer einzigen Position, nämlich der Angabe der Fläche unter Zugrundelegung eines Einheitspreises von 65 €/qm. Zusätzlich ist das Aufmaß in der Rechnung angegeben. Das pauschale Bestreiten der Beklagten der Richtigkeit der abgerechneten Flächen ist ohne Substanz und damit unbeachtlich. Da die Klägerin ein Aufmaß bereits mit der Rechnung vorgelegt hat, kann die Beklagte die Richtigkeit der abgerechneten Flächen nicht pauschal bestreiten, zumal die abgerechnete Fläche etwa ein Drittel unter dem im Angebot angenommenen Flächenmaß bleibt. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Beklagte die fraglichen Bereiche des öffentlich zugänglichen Gehwegs vor dem Tätigwerden der Klägerin fotografisch dokumentiert hatte und ihr als Fachunternehmerin ein substantiiertes Bestreiten ohne weiteres möglich wäre.
2.
Die Klägerin kann Zinsen in Höhe der beantragten 8 % gemäß §§ 288 Abs. 2, 286 Abs. 3 BGB ab dem 22.08.2022 verlangen. Mangels vorheriger Abnahme oder Abnahmefiktion waren weder die von der Klägerin gestellten Rechnungen noch die Mahnung verzugsbegründend. Erst mit der endgültigen Ablehnung der Abnahme durch die Beklagte am 22.07.2022 wurde der Werklohn fällig, so dass gemäß § 286 Abs. 3 BGB Verzug erst 30 Tage später, d.h. am 22.08.2022 eintrat.
3.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Kosten für die vorgerichtliche Beauftragung des Anwalts. Denn diese erfolgte spätestens am 30.06.2022, d.h. als sich die Beklagte noch nicht in Verzug befand. Die Anwaltskosten können daher nicht unter Verzugsgesichtspunkten verlangt werden.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Auftraggeber kann Personalaufstockung verlangen!

Auftraggeber kann Personalaufstockung verlangen!

OLG Naumburg, Urteil vom 04.03.2025 – 2 U 53/24:

Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 VOB/B eine Kündigung aus wichtigem Grund auch in Betracht, wenn der Auftragnehmer zwar keine sog. Vertragsfrist versäumt hat, aber einem wirksamen Abhilfeverlangen i.S.v. § 5 Abs. 3 VOB/B nicht nachgekommen und für den Auftraggeber das Setzen einer Nachfrist nach § 5 Abs. 4 VOB/B ausnahmsweise entbehrlich geworden ist.

Grundsätzlich ist der Auftraggeber zwar nach § 4 Abs. 1 Satz 3 VOB/B nur befugt, unter Wahrung der dem Auftragnehmer zustehenden eigenverantwortlichen Ausführung der Vertragsleistungen Anordnungen zu treffen, die zu deren vertragsgemäßer Erfüllung notwendig sind. Diese allgemeinen Befugnisse des Auftraggebers werden aber bei einer notleidenden Bauausführung durch § 5 Abs. 3 VOB/B ausdrücklich dahin erweitert, dass der Auftraggeber vom Auftragnehmer eine Änderung des bisherigen personellen und sachlichen Einsatzes im Sinne einer Aufstockung verlangen darf.
Der Umstand, dass der Auftraggeber wegen unterlassener Abhilfemaßnahmen zunächst eine – hinsichtlich des Umfangs der hiervon betroffenen Teilleistungen intransparente – Teilkündigung erklärt und hieran festgehalten hat, berechtigt den Auftragnehmer nach einem erneuten Abhilfeverlangen unter ausdrücklicher Aufführung der von der Teilkündigung nicht erfassten Teilleistungen nicht zur (Fortsetzung einer) totalen Leistungsverweigerung.

Schwimmbecken im Garten ist genehmigungspflichtig!

Schwimmbecken im Garten ist genehmigungspflichtig!

OVG Thüringen, Beschluss vom 06.02.2025 – 1 ZKO 534/22:

Die Errichtung eines Schwimmbeckens in einem Garten im Außenbereich ist sowohl nach der ThürBO 2014 (BauO TH 2014) als auch nach der ThürBO 2024 (BauO TH 2014) genehmigungspflichtig.

Ein Schwimmbecken i. S. v. § 60 Abs. 1 Nr. 10 lit. a) ThürBO 2014 (BauO TH 2014) (§ 63 Abs. 1 Nr. 10 lit. a) ThürBO 2024 (BauO TH 2024)) ist kein Wasserbehälter i.S.v. § 60 Abs. 1 Nr. 6 lit. f) ThürBO 2014 (BauO TH 2014) (§ 63 Abs. 1 Nr. 6 lit. f) ThürBO 2024 (BauO TH 2014)).
Der Gesetzgeber stellt insoweit auf den Zweck des Beckens ab. Die Vorschrift des § 60 Abs. 1 Nr. 10 lit. a) ThürBO 2014 (BauO TH 2014) (§ 63 Abs. 1 Nr. 10 lit. a) ThürBO 2024 (BauO TH 2024)) ist für Schwimmbecken lex specialis.

Nachbar kann sich nicht auf unzureichende Entwässerung berufen!

Nachbar kann sich nicht auf unzureichende Entwässerung berufen!

Die Befürchtung des Nachbarn, dass vom Vorhabengrundstück Niederschlagswasser auf sein Grundstück fließen wird und das vorhandene Abwassernetz sowie die Drainage auf dem Vorhabengrundstück nicht ausreichend seien, begründet grundsätzlich keinen Verstoß gegen Rücksichtnahmegebot.
VG Köln, Beschluss vom 16.04.2025 – 23 L 605/25:

Die erteilten Baugenehmigungen verstoßen nicht gegen Rechtsvorschriften, die auch dem Schutz der Rechte des Antragstellers zu dienen bestimmt sind. Ein Nachbar kann nur dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn diese gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verstößt und eine Befreiung von diesen Vorschriften nicht vorliegt oder unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist insoweit grundsätzlich der Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 2023 – 10 A 2094/20 –
Der Antragsteller trägt vor, dass die Baugenehmigungen keine hinreichenden Maßnahmen zur Vermeidung von Überflutungen und Hochwasser hinsichtlich der Regenwasserentwässerung enthalten würden und er befürchtet eine allgemeine Verschlechterung der Entwässerungssituation, da das vorhandene Abwassernetz und die Drainage nicht ausreichend seien und der Boden des Vorhabengrundstückes nur geringe Versickerungsfähigkeit besitze. Diese Erkenntnisse entnimmt der Antragsteller unter anderem aus der Tatsache, dass es in den Jahren 1985, 1994, 1995, 2017, 2020 und 2021 zu Überflutungen im Bereich der Straße “P.-straße” gekommen sei sowie aus diversen Presseartikeln, der Einsicht in Verwaltungsakten und Erkenntnissen aus Ratssitzungen.
Ein Verstoß der Baugenehmigungen gegen dem Schutz des Antragstellers dienende Vorschriften scheitert jedoch bereits daran, dass die konkrete Ausgestaltung der Entwässerung weder Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigungen noch zwingend Bestandteil der Baugenehmigungen ist.
Inhalt und Umfang der Baugenehmigung werden durch die Bauvorlagen konkretisiert.
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 2025 – 3 S 1632/23 –
Weder die textlichen Bestimmungen in der Baugenehmigung vom 23. Januar 2025 noch die mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen enthalten Regelungen für die Entwässerung. Im grün gestempelten Bauantrag vom 10. Dezember 2024 ist vielmehr angegeben, dass die Entwässerungsplanung nachgereicht wird. Das vom Antragsteller übersandte Leistungsverzeichnis vom 14. August 2024, das die Anlegung einer Versickerungsmulde enthält, ist hingegen nicht Bestandteil der Baugenehmigungen.
Auch die Teilbaugenehmigung vom 16. Dezember 2024 enthält keine konkreten Angaben zur Ausgestaltung der Entwässerung. Zwar sind Gegenstand der Teilbaugenehmigung “Erdarbeiten, Fundamentierungsarbeiten und Entwässerungsarbeiten”. Hiermit ist jedoch nicht die konkrete Ausgestaltung der Regenwasserentwässerung gemeint, sondern die Teilbaugenehmigung wurde für die Gründung erteilt.
Die im vorliegenden Baugenehmigungsverfahren nach § 65 Nr. 2 BauO NRW auch zu prüfenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen nach §§ 3 und 13 BauO NRW sind vorliegend nicht verletzt. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz1 BauO NRW sind Anlagen so zu errichten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. § 13 Satz 1 BauO NRW präzisiert diese Pflichten und bestimmt, dass bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein müssen, dass durch Wasser, Schnee, Eis, Feuchtigkeit, pflanzliche und tierische Schädlinge sowie andere chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. Nicht jede durch ein Vorhaben verursachte Veränderung der Ableitung des Niederschlagswassers begründet dabei zugleich eine unzumutbare Beeinträchtigung im Sinne dieser Vorschrift; gewisse Veränderungen der Wasserverhältnisse muss der Nachbar grundsätzlich hinnehmen. Eine die Erheblichkeitsschwelle überschreitende Verschlechterung der Situation liegt nur dann vor, wenn das Niederschlagswasser konkret auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und dort zu Überschwemmungen führt.
Vgl. VG Cottbus, Urteil vom 12. September 2019 – 3 K 1477/14 –
Eine unmittelbare Ableitung des Niederschlagswassers auf das Grundstück des Antragstellers ist jedoch weder geplant noch konkret vorgetragen. Die vom Antragsteller befürchtete allgemeine Verschlechterung der Entwässerungssituation fällt nicht in den Anwendungsbereich der §§ 3 und 13 BauO NRW. Denn die Funktionsfähigkeit der “öffentlichen Einrichtung Abwasserbeseitigung” und auch der Hochwasserschutz sind nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens für ein einzelnes Bauvorhaben,
vgl. Urteil der Kammer vom 17. Juli 2024 – 23 K 4896/22 -.
Die bauplanungsrechtlich erforderliche Erschließung, zu der auch die Entwässerung gehört, muss auch nicht schon bei Baubeginn gegeben sein. Zwar ist nach § 30 Abs. 1 BauGB ein Vorhaben nur dann zulässig, wenn auch die Erschließung gesichert ist. Hierzu gehört auch eine ordnungsgemäße Niederschlagswasserbeseitigung. Es wird jedoch nicht verlangt, dass die Erschließung bereits zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung vorliegt, sondern dass nach objektiven Kriterien erwartet werden kann, dass zum Zeitpunkt der Benutzbarkeit der baulichen Anlage die notwendige Erschließung tatsächlich vorhanden und nutzbar ist.
Vgl. Charlier in: Rixner/Biedermann/Charlier, Systematischer Praxiskommentar BauGB/BauNVO, 4. Aufl., 2022, § 30 BauGB Rn. 36.
Die vom Antragsteller vorgetragene Befürchtung, dass die Antragsgegnerin nicht in der Lage sei, eine technisch einwandfreie Entwässerungslösung zu finden, teilt das Gericht nicht. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die vom Generalunternehmer vorzunehmende Prüfung der Möglichkeiten zur Entwässerung nicht ordnungsgemäß vorgenommen wird. Der Umstand, dass die Planung den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst wurde bzw. neue Lösungen erarbeitet werden, zeigt vielmehr, dass die Entwässerungsproblematik ernst genommen wird und eine detaillierte Prüfung stattfindet. Dementsprechend befindet sich im Verwaltungsvorgang eine Mitteilung des Ingenieurbüros Q. vom 17. März 2025, nach der das Ingenieurbüro in Abstimmung mit der Unteren Wasserbehörde eine Versickerung des anfallenden Niederschlagswassers vor Ort plant unter Benennung der konkreten Ausgestaltung. Weiter ist ausgeführt, dass die Bemessung der Versickerungsanlage aufgrund der Nähe zur Ronne für ein 100-jährliches Regenereignis erfolgt.
Vorliegend ist es auch unerheblich, ob – wie der Antragsteller meint – für das Bauvorhaben zusätzlich eine wasserrechtliche Genehmigung notwendig oder gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 LWG NRW eine solche entbehrlich ist. Denn selbst bei Fehlen einer solchen wasserrechtlichen Genehmigung wäre die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigungen nicht berührt.
Im Übrigen verstoßen die streitgegenständlichen Baugenehmigungen auch nicht zu Lasten des Antragstellers gegen das grundsätzlich zu berücksichtigende Gebot der Rücksichtnahme.
Ob ein Vorhaben das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Eine erfolgreiche Berufung auf das Drittschutz vermittelnde Rücksichtnahmegebot setzt voraus, dass das Bauvorhaben bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Gewicht der mit ihm verfolgten Interessen auf der einen Seite und der Empfindlichkeit und Schutzwürdigkeit der Belange des Nachbarn auf der anderen Seite für diesen die Schwelle der Zumutbarkeit ersichtlich überschreitet. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Umgekehrt braucht derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es danach wesentlich auf eine Abwägung an zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dementsprechend ist das Rücksichtnahmegebot verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird.
Vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 23. 08. 1996 – 4 C 13.94 – und vom 25. 02. 1977 – IV C 22.75 -; OVG NRW, Urteile vom 30. 05. 2017 – 2 A 130/16 -, und vom 15. 05. 2013 – 2 A 3010/11 -.
Soweit der Kläger befürchtet, dass auf sein Grundstück Niederschlagswasser fließen wird und das vorhandene Abwassernetz sowie die Drainage auf dem Vorhabengrundstück nicht ausreichend seien, so kann dieser Vortrag einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht begründen.
Die Anforderungen an eine gesicherte Erschließung und damit auch die Entwässerung bestehen grundsätzlich nur im öffentlichen Interesse und dienen nicht auch dem Nachbarschutz. Etwas anderes kann – unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots – ausnahmsweise dann gelten, wenn durch die unzureichende Erschließung unmittelbar Nachbargrundstücke betroffen sind, etwa wenn das Niederschlagswasser gezielt auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und diese damit zur Abwehr von Schäden am eigenen Grundstück missbraucht würden oder Schäden in außergewöhnlichem Ausmaß zu befürchten wären, denen auch mit Selbsthilfemaßnahmen nicht begegnet werden könnte.
Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 29. November 2006 – 1 CS 06.2717 -; VG Arnsberg, Urteil vom 23. April 2010 – 12 K 2660/07 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2024 – 28 K 7716/21 –
Eine gezielte Ableitung des Regenwassers auf das Grundstück des Antragstellers ist jedoch – wie schon ausgeführt – nicht beabsichtigt.
Der Antragsteller kann sich auch nicht auf die Regelungen des § 78 Abs. 4 WHG, wonach die Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten untersagt ist, berufen. Denn das Grundstück der Antragsgegnerin liegt unstreitig weder in einem festgesetzten noch in einem vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet.
Da die erteilten Baugenehmigungen nicht gegen Rechtsvorschriften verstoßen, die auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind, bleibt auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Erfolg.

Bauwerksschäden nach Hangrutsch: Welcher Planer haftet in welcher Höhe?

Bauwerksschäden nach Hangrutsch: Welcher Planer haftet in welcher Höhe?

Haben im Rahmen eines Bauvorhabens zur Sanierung eines Einfamilienhauses mit Lage an einem bewaldeten Hang sowohl der Objektplaner als auch der Tragwerksplaner als auch der mit der Baugrunduntersuchung beauftragte Planer jeweils fahrlässig eine Pflichtverletzung begangen, welche mitursächlich für die Beschädigung des Objekts nach einem Hangabrutsch war, ist auch bei subjektiver Klagehäufung in jedem Vertrags- und Prozessrechtsverhältnis gesondert zu beurteilen, ob dem Bauherren ein Mitverschulden Dritter zuzurechnen ist.
Im Verhältnis zwischen Bauherr und Objektplaner sind dem Bauherrn die Pflichtverletzungen des Statikers und des Baugrundgutachters nicht zuzurechnen, weil sie keine Erfüllungsgehilfen des Bauherrn gegenüber seinem Objektplaner sind.
Im Verhältnis zwischen Bauherr und Statiker bzw. Baugrundgutachter muss sich der Bauherr grundsätzlich ein Verschulden des Objektplaners zurechnen lassen, was durch die Bildung einer Haftungsquote zu berücksichtigen ist.
Im Rahmen der Schadensermittlung muss sich der Bauherr diejenigen Kosten der endgültigen Hangsicherung als Sowieso-Kosten anrechnen lassen, welche fiktiv bei rechtzeitiger und zutreffender Beratung über die Notwendigkeit einer dauerhaften Sicherung der oberen Hangböschung im Rahmen des Bauvorhabens angefallen wären.
OLG Naumburg, Urteil vom 10.03.2022 – 2 U 35/21

OLG Frankfurt zu der Frage dass und wann das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB auch für Architektenverträge gilt

OLG Frankfurt zu der Frage dass und wann das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB auch für Architektenverträge gilt

vorgestellt von Thomas Ax

Der Architektenvertrag ist zwar kein Verbraucherbauvertrag und die Vorschriften über den Widerruf dieses Vertragstyps sind auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. § 650q Abs. 1 BGB; vgl. auch EuGH, Urteil vom 14.5.2020 – Rs. C-208/19 = ZfBR 2020, 749, beck-online; ferner Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, Teil 11: Recht der Architekten und Ingenieure Rn. 140 m.w.N., beck-online; siehe jüngst etwa auch OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online). Jedoch gelten die Vorschriften über das allgemeine Widerrufsrecht für Verbraucherverträge: Wurde ein Architekten- oder Ingenieurvertrag außerhalb von Geschäftsräumen des Architekten/Ingenieurs abgeschlossen, dann ist der Widerruf durch den Bauherrn bei Vorliegen der Voraussetzungen möglich (§§ 312g, 355 BGB). Denn das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB gilt auch für Architektenverträge (etwa OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online; OLG Köln Hinweisbeschluss vom 23.3.2017 – 16 U 153/16 = NJOZ 2018, 943, beck-online; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., beck-online).

Eine Ausnahme vom entsprechenden Grundsatz ist anzunehmen, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB).
Das Erfordernis eines solchermaßen zu verstehenden Fernabsatzsystems hat in erster Linie den Zweck, Geschäfte, die nur zufällig unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts auszuklammern (BT-Drs. 14/2658, 30, dazu BeckOGK/Busch, Std. 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online). Solches trifft auch auf Unternehmer zu, die Angebote regelmäßig erst nach einem vorhergehenden Ortstermin abgeben; hier fehlt es häufig an einem auf den Fernabsatz ausgerichteten Geschäftsbetrieb (BeckOGK/Busch, 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online; OLG Schleswig Urteil vom 15.10.2021 – 1 U 122/20 = NJW-RR 2022, 341, beck-online; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.11.2020 – IX ZR 133/19 = NJW 2021, 304, beck-online).
Etwa das Oberlandesgericht Schleswig (a.a.O.) führt beitrittswürdig aus:
“Ist der Vertrag ausschließlich über Fernkommunikationsmittel geschlossen worden, so wird zulasten des Unternehmers widerleglich vermutet, dass sein Vertriebs- und Dienstleistungssystem auf den Fernabsatz ausgerichtet ist. Die Darlegungs- und Beweislast, dass ein ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln zustande gekommener Vertrag nicht im Rahmen eines hierauf gerichteten Vertriebs- und Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist, liegt mithin bei ihm (BT-Drs. 17/12637, 50; BT-Drs. 14/2658, 31; BGH NJW 2021, 304 (305) Rn. 12). Der Sachverhalt ist hier jedoch unstreitig. Auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts steht fest, dass der Bekl. seinen Betrieb nicht in solcher Weise organisiert hat.
Der Bekl. hält eine Webseite vor, in der er über sein Leistungsangebot informiert und über die er durch ein eingebundenes Nachrichtentool kontaktiert werden kann. Ein unmittelbares Leistungsangebot findet sich dort nicht. Er hat zwar keine Geschäftsräume, in denen er aufgesucht werden könnte. Dies liegt seinem Vortrag zufolge aber nicht daran, dass er sich für den Kundenkontakt auf Fernkommunikation eingestellt hat, sondern daran, dass er seine Kunden ohnehin immer aufsuchen muss. Dieser Vortrag ist unstreitig und nachvollziehbar. Das Angebot zu garten- und landschaftsgestalterischen Arbeiten setzt zwangsläufig voraus, dass sich der Dienstleister zuvor ein Bild vor Ort gemacht hat. Wie es sodann zum Vertragsschluss kommt, ist offen. Er kann mündlich erfolgen, ausschließlich über Fernkommunikationsmittel oder durch Unterbreitung eines vor Ort noch einmal besprochenen Angebots. Der Geschäftsbetrieb des Bekl. ist jedenfalls gerade nicht darauf ausgelegt, Verträge über die angebotenen Dienstleistungen ausschließlich im Wege der Fernkommunikation zu schließen. Der Bekl. hat seinen Vertrieb vielmehr so organisiert, dass stets im Laufe der Vertragsanbahnung oder des Vertragsschlusses persönlicher Kontakt vorgesehen ist.”
Entsprechend vergleichbar liegen die Dinge, wenn der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ersichtlich der Zufälligkeit einer Ortsabwesenheit der Klägerin geschuldet war.
OLG Frankfurt, Urteil vom 17.02.2025 – 29 U 42/24

Gründe

I.

Die Parteien streiten in der Berufung weiter um die Rückzahlung geleisteter Architektenvergütung aufgrund eines verbraucherschützenden Widerrufs.

Im Jahr 2022 waren die Klägerin und ihr Partner auf der Suche nach einer baulichen Begleitung für die Renovierung und Sanierung des von ihnen erworbenen Anwesens ###. Zu diesem Zweck traten sie an den Beklagten, einen Architekten, heran, der ihnen nach ausführlichem E-Mailverkehr und per Fernkommunikation mittels des Onlineportals “Zoom” geführten Gesprächen (April bis August 2022) sodann am 17.8.2022 ein Angebot über die Erstellung von Bestandsplänen und eines ersten Entwurfs zum Preis von 4.460 Euro netto unterbreitete. Dieses Angebot nahm die Klägerin an. Dabei erfolgten sowohl die gesamte vorvertragliche Kommunikation als auch der Vertragsschluss selbst ausschließlich per E-Mail, Telefon und Videokonferenz, weil die Klägerin im fraglichen Zeitraum in ### weilte; im Juni 2022 hatte die Klägerin eine Honorarvereinbarung angefragt. Nichtsdestotrotz wurde dem Beklagten bereits vor Vertragsschluss Zugang zur Immobilie der Klägerin gewährt, indem vor Ort ein Schlüssel deponiert wurde, sodass der Beklagte im Juli / August 2022 das Objekt in Augenschein nehmen konnte. Diesen Ortsterminen wohnte die ortsabwesende Klägerin allerdings nicht bei. Der Beklagte beharrte nicht auf einer gemeinsamen Inaugenscheinnahme vor Vertragsschluss. Der erste gemeinsame Ortstermin bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit beider Parteien erfolgte vielmehr erst nach Vertragsschluss am 5.9.2022, in dessen Rahmen die Bestandspläne und zwei Entwurfsvarianten von den Parteien besprochen wurden. Nachdem die Pläne der Klägerin auch per E-Mail übermittelt worden waren, beglich sie den in Rechnung gestellten Bruttobetrag von 5.307,40 Euro. In der Folge arbeiteten die Parteien weiter rege am gemeinsamen Projekt, wobei der Beklagte mehrfach konkrete Vorstellungen der Klägerin hinsichtlich des geplanten Umbaus wie auch zahlreiche Änderungswünsche einarbeitete, ohne dass für diese Leistungen nochmals eine separate Vergütungsvereinbarung getroffen wurde. Auch kontaktierte der Beklagte weitere Handwerker, den Statiker und den Energieberater für weitere Besprechungen, ohne hierfür eine Rechnung zu stellen, die Klägerin bestätigte die Leistungen des Beklagten zunächst und stellte anhand von Plänen / Zeichnungen weitere Rückfragen an den Beklagten (siehe etwa E-Mail-Verkehr zwischen 5.9.2022 und 12.10.2022 – Bl. 128 ff. d. A.). Als der Beklagte die weitere Zusammenarbeit für die kommenden Leistungen (bzw. Leistungsphasen) am Projekt vom Abschluss einer Honorarvereinbarung nach der HOAI abhängig machte, rügte die Klägerin eine Fehlerhaftigkeit der ursprünglich erstellten Pläne. Schlussendlich widerrief sie mit E-Mail vom 28.10.2022 den Vertrag über die Erstellung der Bestandspläne und eines ersten Entwurfs und forderte den Beklagten zur Rückzahlung des geleisteten Betrags in Höhe von 5.307,40 Euro auf. Schriftliche oder mündliche Informationen zu einem Widerrufsrecht hinsichtlich des Vertrags waren der Klägerin seitens des Beklagten zu keinem Zeitpunkt vor Vertragsschluss im August 2022 erteilt worden.

Der Beklagte selbst betreute während seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt in den letzten 22 Jahren ca. 250 Bauvorhaben und schloss im hiesigen Einzelfall erstmals einen entsprechenden Planungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ab. Vielmehr fanden stets vor der Angebotsabgabe bzw. dem finalen Vertragsabschluss Ortstermine zwischen dem Beklagten und den Auftraggebern (Bauherren) an der jeweiligen Baustelle statt (Bl. 239 Rückseite ff. der Akte).

Die Klägerin hat vor dem Landgericht insbesondere behauptet, sie habe den Rechnungsbetrag nicht überwiesen, um ihre Bestätigung des Vertrags oder des Arbeitsergebnisses des Beklagten auszudrücken, sondern um ihn zur Behebung von Fehlern in den Plänen zu motivieren. Zudem ist sie der Ansicht, dass die Einarbeitung ihrer konkreten Vorstellungen hinsichtlich des geplanten Umbaus wie auch der zahlreichen Änderungswünsche durch den ursprünglich abgeschlossenen Vertrag gedeckt gewesen sei.

Die Klägerin hat vor dem Landgericht beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie – die Klägerin – einen Betrag von 5.307,40 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.11.2022 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist einem Widerrufsrecht entgegengetreten und hat insbesondere behauptet, dass die ursprünglich übermittelten Pläne ordnungsgemäß erstellt worden seien. Bemaßte Pläne seien bei einer Aktualisierung von Bestandsplänen nebst bloßer Entwurfsplanung nicht geschuldet gewesen. Im Übrigen ginge die Einarbeitung der zahlreichen Änderungswünsche und konkreten Vorstellungen der Klägerin in Detailfragen weit über das Stadium einer bloßen Entwurfsplanung hinaus. Was die Klägerin verlangt habe, hätte den Charakter einer (nicht geschuldeten) Werkplanung; er habe weitaus mehr Leistungen erbracht als eigentlich geschuldet gewesen seien. Weiterhin ist er bereits vor dem Landgericht der Ansicht gewesen, dass die Berufung der Klägerin auf ihr Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich sei. Als Anwältin und damit von Berufs wegen mit dem Recht befasste Person sei sie schon gar nicht über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu belehren gewesen. Damit sei die Widerrufsfrist bereits abgelaufen. Darüber hinaus verstoße die Vorgehensweise der Klägerin, die mit den gelieferten Arbeitsergebnissen zunächst – insoweit unstreitig – voll zufrieden gewesen sei und ihre Ansichten hinsichtlich der Qualität der Leistungen des Beklagten erst dann geändert habe, als dieser die weitere Zusammenarbeit auf eine verbindliche vertragliche Grundlage habe stellen wollen, gegen Treu und Glauben. Auf seine monatelangen, umfangreichen und teilweise überobligatorischen Anstrengungen entgegne die Klägerin mit einer formalen Rechtsposition in Form des Widerrufsrechts; dies sei grob rechtsmissbräuchlich gewesen.

Das Landgericht hat die Klage in vollem Umfang zuerkannt. Zur Begründung hat es zusammengefasst ausgeführt, dass der Klägerin das begehrte verbraucherschützende Widerrufsrecht infolge eines Fernabsatzvertrags zustehe, wobei Vortrag zu einer Ausnahme hiervon – insbesondere in Gestalt einer nicht auf den Fernabsatz ausgerichteten Vertriebsorganisation – seitens des Beklagten nicht gehalten worden sei. Auch eine Treuwidrigkeit der Ausübung des Widerrufsrechts sei vorliegend nicht anzunehmen. Zu den tatsächlichen Feststellungen, den gestellten Anträgen und der Begründung im Einzelnen wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen (§ 540 ZPO).

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung, zu deren Begründung er zusammengefasst ins Feld führt, dass vorliegend mit Blick auf die eigene Vertriebsorganisation eine Ausnahme von den Regeln des widerruflichen Fernabsatzvertrags gegeben sein müsse. Bis auf den hiesigen Fall habe er in seiner beruflichen Praxis die Verträge mit Kunden stets (erst) aufgrund persönlichen Kontakts und eines gemeinsamen Ortstermins geschlossen; der Ortsabwesenheit der Klägerin und damit bloßen Zufälligkeiten sei es vorliegend geschuldet gewesen, dass dies vorliegend anders gewesen sei. Im Übrigen habe das Landgericht zu Unrecht auch eine Treuwidrigkeit der Klägerin verneint – wie sich aufgrund von Recherchen mittlerweile herausgestellt habe, sei die Klägerin auch gegenüber anderen Beteiligten des Bauvorhabens auf ähnliche Weise verfahren und habe entsprechende Verträge (gleichsam im Wege planvollen Vorgehens) nach anfänglichen Leistungen widerrufen. Zu den Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 26.6.2024 (Bl. 238 ff. der Akte) wie auch die weiteren Schriftsätze (Bl. 276 ff., 293 ff. der Akte) verwiesen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2.4.2024 – Az. 2-31 O 78/23 – abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, hilfsweise das Urteil einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache an das Landgericht Frankfurt am Main zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die landgerichtliche Entscheidung, wobei zu den Einzelheiten insbesondere auf die Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 18.8.2024 (Bl. 261 ff. der Akte) nebst dem weiteren Schriftsatz vom 25.10.2024 verwiesen werden kann.

Zu den Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auch im Übrigen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II.

Das Rechtsmittel ist unbedenklich zulässig. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig im Sinne der Zulässigkeit ausreichend begründet worden, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO. Der Beklagte ist durch seine Verurteilung zureichend beschwert.

Die Berufung hat Erfolg.

Im Einzelnen:

(1) Die Regeln des verbraucherschützenden Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrags sind mit den Ausführungen des Landgerichts grundsätzlich einschlägig – von der Berufung wird dies letztlich auch nicht angegriffen.

Der Architektenvertrag ist zwar kein Verbraucherbauvertrag und die Vorschriften über den Widerruf dieses Vertragstyps sind auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. § 650q Abs. 1 BGB; vgl. auch EuGH, Urteil vom 14.5.2020 – Rs. C-208/19 = ZfBR 2020, 749, beck-online; ferner Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, Teil 11: Recht der Architekten und Ingenieure Rn. 140 m.w.N., beck-online; siehe jüngst etwa auch OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online). Jedoch gelten die Vorschriften über das allgemeine Widerrufsrecht für Verbraucherverträge: Wurde ein Architekten- oder Ingenieurvertrag außerhalb von Geschäftsräumen des Architekten/Ingenieurs abgeschlossen, dann ist der Widerruf durch den Bauherrn bei Vorliegen der Voraussetzungen möglich (§§ 312g, 355 BGB). Denn das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312g Abs. 1 BGB gilt auch für Architektenverträge (etwa OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 30.1.2024 – 21 U 49/23 = NZBau 2024, 485, beck-online; OLG Köln Hinweisbeschluss vom 23.3.2017 – 16 U 153/16 = NJOZ 2018, 943, beck-online; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., beck-online).

Zu Recht weist jedoch der Beklagte als Berufungsführer zuletzt in allen Einzelheiten (Bl. 239 Rückseite ff., 294 Rückseite ff. der Akte) darauf hin, dass im vorliegenden Einzelfall eine Ausnahme vom entsprechenden Grundsatz anzunehmen ist, weil der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB).

Das Erfordernis eines solchermaßen zu verstehenden Fernabsatzsystems hat in erster Linie den Zweck, Geschäfte, die nur zufällig unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts auszuklammern (BT-Drs. 14/2658, 30, dazu BeckOGK/Busch, Std. 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online). Solches trifft auch auf Unternehmer zu, die Angebote regelmäßig erst nach einem vorhergehenden Ortstermin abgeben; hier fehlt es häufig an einem auf den Fernabsatz ausgerichteten Geschäftsbetrieb (BeckOGK/Busch, 1.7.2023, BGB § 312c Rn. 26, beck-online; OLG Schleswig Urteil vom 15.10.2021 – 1 U 122/20 = NJW-RR 2022, 341, beck-online; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.11.2020 – IX ZR 133/19 = NJW 2021, 304, beck-online).

Etwa das Oberlandesgericht Schleswig (a.a.O.) führt beitrittswürdig aus:

“Ist der Vertrag ausschließlich über Fernkommunikationsmittel geschlossen worden, so wird zulasten des Unternehmers widerleglich vermutet, dass sein Vertriebs- und Dienstleistungssystem auf den Fernabsatz ausgerichtet ist. Die Darlegungs- und Beweislast, dass ein ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln zustande gekommener Vertrag nicht im Rahmen eines hierauf gerichteten Vertriebs- und Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist, liegt mithin bei ihm (BT-Drs. 17/12637, 50; BT-Drs. 14/2658, 31; BGH NJW 2021, 304 (305) Rn. 12). Der Sachverhalt ist hier jedoch unstreitig. Auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts steht fest, dass der Bekl. seinen Betrieb nicht in solcher Weise organisiert hat.

Der Bekl. hält eine Webseite vor, in der er über sein Leistungsangebot informiert und über die er durch ein eingebundenes Nachrichtentool kontaktiert werden kann. Ein unmittelbares Leistungsangebot findet sich dort nicht. Er hat zwar keine Geschäftsräume, in denen er aufgesucht werden könnte. Dies liegt seinem Vortrag zufolge aber nicht daran, dass er sich für den Kundenkontakt auf Fernkommunikation eingestellt hat, sondern daran, dass er seine Kunden ohnehin immer aufsuchen muss. Dieser Vortrag ist unstreitig und nachvollziehbar. Das Angebot zu garten- und landschaftsgestalterischen Arbeiten setzt zwangsläufig voraus, dass sich der Dienstleister zuvor ein Bild vor Ort gemacht hat. Wie es sodann zum Vertragsschluss kommt, ist offen. Er kann mündlich erfolgen, ausschließlich über Fernkommunikationsmittel oder durch Unterbreitung eines vor Ort noch einmal besprochenen Angebots. Der Geschäftsbetrieb des Bekl. ist jedenfalls gerade nicht darauf ausgelegt, Verträge über die angebotenen Dienstleistungen ausschließlich im Wege der Fernkommunikation zu schließen. Der Bekl. hat seinen Vertrieb vielmehr so organisiert, dass stets im Laufe der Vertragsanbahnung oder des Vertragsschlusses persönlicher Kontakt vorgesehen ist.”

Entsprechend vergleichbar liegen die Dinge im vorliegenden Einzelfall, zumal ausweislich des vorgelegten außergerichtlichen Schriftverkehrs der Beklagte selbst offenbar ursprünglich auf einen gemeinsamen Ortstermin zur Angebotsbesprechung hingewirkt hatte (vgl. etwa Bl. 17, 24 der Akte; E-Mail des Beklagten vom 4.4.2022) und der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ersichtlich der Zufälligkeit einer Ortsabwesenheit der Klägerin geschuldet war – wenn nicht mit dem Beklagtenvortrag sogar einem treuwidrig-planvollen Verhalten, wozu der Senat sich allerdings abschließend nicht verhalten muss. So hat der Beklagte zuletzt vorgetragen, dass er selbst während seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt in den letzten 22 Jahren ca. 250 Bauvorhaben betreut und im hiesigen Einzelfall erstmals einen entsprechenden Planungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmittel geschlossen habe. Im Übrigen hätten stets vor der Angebotsabgabe bzw. dem finalen Vertragsabschluss Ortstermine zwischen dem Beklagten und den Auftraggebern (Bauherren) an der jeweiligen Baustelle stattgefunden (Bl. 239 Rückseite ff. der Akte). All dies ist mit Blick auf die typischen Gepflogenheiten des Berufsbildes ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar und im Übrigen von der Klägerseite so auch nicht (mehr) konkret bestritten worden.

Die hiergegen gerichteten Ausführungen der Klägerin erschöpfen sich vielmehr in einer Verspätungsrüge bzw. dem sinngemäßen Einwand der Unerheblichkeit. Solches bleibt unbehelflich. Insbesondere besteht – (selbst) ohne die Annahme eines verfahrensfehlerhaften Vorgehens des Landgerichts infolge unterbliebener Hinweise – keine Veranlassung, das in den maßgeblichen Gesichtspunkten unstreitige oder zumindest zwanglos festzustellende Vorbringen in zweiter Instanz nicht zuzulassen. Es dürfen an die Informationslasten der Partei im Rahmen des Verspätungsrechts keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 18.10.2005 – VI ZR 270/04 = BGHZ 164, 330-336 = NJW 2006, 152).

(2) Es kann sich die Klägerin hier im Ergebnis auch nicht auf ein einschlägiges gesetzliches Rücktrittsrecht bzw. die ins Feld geführten “Gewährleistungsrechte” berufen. Denn weder sind hierfür hinreichend konkretisierte Mängelrügen nebst angemessener Nachfristsetzung (näher) dargelegt oder etwa ein Rücktrittsbegehren auch nur konkret geäußert, noch erklärt die Klägerin den Umstand ihrer vorbehaltlosen Zahlung plausibel. Letzterer ist vielmehr hier im Sinne eines “Zeugnisses gegen sich selbst” zu werten, demgegenüber (über den eigentlich ins Feld geführten Widerruf hinausgehende) Rückforderungstatbestände so nicht hinreichend ersichtlich sind.

Denn der Rücktritt erfordert eine entsprechende Nachfristsetzung. Das in der vorgeschriebenen Nachfristsetzung liegende Leistungsverlangen muss dabei bestimmt sein und konkret die Unzulänglichkeit der Leistung bezeichnen (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 281 Rn. 42). Die Nachfrist muss sodann fruchtlos abgelaufen sein, um die betreffenden Gewährleistungsrechte erst entstehen zu lassen (vgl. MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 281 Rn. 55). An die Erfüllung der vorgenannten Voraussetzungen sind strenge Anforderungen zu stellen (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 281 Rn. 47 sowie § 323 Rn. 70).

Alldem hat die Klägerin nicht entsprochen.

Weder war die vorgeschriebene Nachfristsetzung jedoch unzumutbar (§ 323 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 BGB), noch wäre sie etwa infolge einer – hierfür gelten hohe Anforderungen – endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung entbehrlich gewesen. Für die Fertigstellung der Antragsunterlagen selbst waren in der vertraglichen Übereinkunft der Parteien weder Frist noch konkreter Zeitpunkt vereinbart; hierauf beruft sich die Klägerin auch nicht. Es mag dabei sein, dass sich ein besonderes Interesse an termingerechter Leistung nicht unbedingt aus den Vertragsregelungen ergeben muss, sondern im Einzelfall auch aus den vertragsbegleitenden Umständen abgeleitet werden kann (vgl. BeckOK BGB/Schmidt, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 323 Rn. 36 m.w.N.). An die Annahme eines Interessewegfalls sind allerdings sehr hohe Anforderungen stellen, um der naheliegenden Gefahr einer bequemen Umgehung der Regelvoraussetzungen für eine Vertragsliquidierung zu begegnen (BGH, Urteil vom 17.12.1996 – X ZR 74/95 = NJW-RR 1997, 622, beck-online; MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 323 Rn. 133 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, zumal es auch zu bedenken gilt, dass dem Nachfristerfordernis auch eine – hier nicht gewahrte – Warnfunktion zukommt. Zu alldem trägt die Klägerin nicht näher vor.

Auch im Übrigen bleiben die Einwendungen einer Mangelhaftigkeit der Planungsleistungen jedoch so lediglich pauschal und sind nicht greifbar, soweit die Klägerin etwa anführt, es hätten in den Bestandsplänen Stufen, Kellerfenster und Bemaßungen gefehlt (Bl. 262 Rückseite f. der Akte). Es trifft hier wie auch allgemein mit Blick auf die Mangelhaftigkeit der Leistung den Auftraggeber die volle Darlegungs- bzw. Erklärungslast. Erst sodann muss der Auftragnehmer u.U. Einzelheiten zu den von ihm getätigten Leistungshandlungen vortragen (Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 11 Recht der Architekten und Ingenieure Rn. 387, beck-online; OLG Oldenburg, NJW-RR 2013, 463, beck-online). Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass er ausweislich der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung lediglich die Aktualisierung der vorhandenen Bestandspläne als Basis für die sodann erstellten ersten Umgestaltungsentwürfe als maßgeblichen Vertragszweck schuldete. Eine tiefergehende Planung war (zunächst) nicht vereinbart, insbesondere nicht in Gestalt einer Detail- und Ausführungsplanung (s. etwa zuletzt Bl. 299 Rückseite der Akte).

Dies spiegelt sich letztlich auch plausibel in dem Umstand wider, dass die Klägerin den streitgegenständlichen Betrag auf die (vertragsgemäße) Übersendung der Pläne infolge der Inrechnungstellung durch den Beklagten unverzüglich an diesen beglich, ohne sich etwa Mängelrechte vorzubehalten oder überhaupt nur Mängelrügen anzukündigen. Hiermit kann die Leistung des Beklagten zwanglos als abgenommen gelten. Bis heute sind Mängelrechte seitens der Klägerin nicht konkret erklärt (vgl. bereits den ausdrücklichen Beklagtenvortrag Bl. 299 Rückseite der Akte). Darüber hinaus stellt zwar die Bezahlung einer Rechnung nicht ohne weiteres ein rechtsgeschäftliches Anerkenntnis dar und auch ein Rückforderungsanspruch wird dadurch nicht per se ausgeschlossen. Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Erklärungen des Schuldners, mit denen dieser die Forderung des Gläubigers bestätigt, selbst dann Rechtswirkungen äußern können, wenn sie nicht rechtsgeschäftlich sind. Gibt der Schuldner seine Erfüllungsbereitschaft durch Erklärungen oder Verhalten zum Ausdruck, so kann solches zu einer Beweiserleichterung für den Gläubiger führen. Ein solches Verhalten enthält zwar keine materiell-rechtliche Regelung für das Schuldverhältnis, bewirkt aber als “Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst” im Prozess in der Regel eine Umkehrung der Beweislast (vgl. etwa Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., Teil 4 Der Werklohnanspruch des Auftragnehmers, Rn. 80 m.w.N., beck-online). Soweit die Klägerin hier ihre vorbehaltlose Zahlung damit zu erklären sucht, sie habe den Beklagten hierdurch zur Weiterarbeit motivieren wollen (etwa Bl. 86 der Akte), ist dies nicht plausibel. Im Gegenteil spricht alles dafür, dass sie selbst in Ansehung der erstellten Pläne von der bis hierhin vertragsgerechten Leistungserbringung durch den Beklagten ausging.

Auch Minderungsrechte stehen der Klägerin nicht zur Seite.

Zwar kann der Honoraranspruch ganz oder teilweise dann entfallen, wenn der Tatbestand einer Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts des BGB oder des werkvertraglichen Gewährleistungsrechts erfüllt ist, die den Verlust oder die Minderung der Honorarforderung als Rechtsfolge vorsieht (BGH, NJW 2004, 2588 = NZBau 2004, 509 = BauR 2004, 1640; BGH, NJW-RR 2005, 318 = NZBau 2005, 158 = BauR 2005, 400; BGH, NZBau 2005, 163 = BauR 2005, 588 = NJW-RR 2005, 672 Ls.). Weder ist vorliegend nach den vorstehenden Ausführungen jedoch von einer Mangelhaftigkeit auszugehen, noch hätte die Klägerin überhaupt eine Minderung erklärt oder dargelegt. Im Gegenteil weist schon der Gegner zurecht darauf hin, dass sich die Klägerin bis zuletzt gerade nicht hinsichtlich etwaiger von ihr ausgeübter Mängelgewährleistungsrechte erklärt hat (Bl. 299 Rückseite der Akte).

Und auch unter dem Gesichtspunkt einer etwa freien Kündigung – welche sie als rechtskundige Rechtsanwältin allerdings schon gar nicht geltend macht – stünden der Klägerin hier so keine Rückforderungsansprüche zu. Zwar kann eine Beendigungserklärung (Rücktritt oder Widerruf) im Einzelfall durch den Tatrichter auch als freie Kündigung im Sinne von § 648 BGB auszulegen bzw. umzudeuten sein. So ist anerkannt, dass die Verkehrsauffassung etwa dem Ausdruck “Rücktritt” nicht die gesetzestechnische Bedeutung beimisst, sondern hieraus zunächst einmal lediglich schließt, dass der Gläubiger auf die geschuldete Leistung keinen Wert mehr legt; dies gilt auch dann, wenn ein Rechtsanwalt das Schreiben verfasst hat (so BGH, Urteil vom 10.2.1982 – VIII ZR 27/81 = NJW 1982, 1279, beck-online m.w.N.; BGH, Urteil vom 14.12.1966 – VIII ZR 231/64 – beck-online; RGZ 126, 65, 69; zum Bauvertrag s. Etwa BGH, Versäumnisurteil vom 24.7.2003 – VII ZR 218/02 = NJW 2003, 3474, beck-online; BeckOGK/Kessen, 1.10.2023, BGB § 648 Rn. 27 m.w.N.; a.A. offenbar OLG Celle, Urteil vom 3.11.2021 – 14 U 73/21 = BeckRS 2021, 33640, beck-online). Zum einen spricht vorliegend jedoch eingedenk der Zahlung der Klägerin an den Beklagten auf die Aushändigung der streitgegenständlichen Werkplanung hin nach den vorstehend beschriebenen Grundsätzen alles für eine die freie Kündigung ausschließende Vollendung des Werks (§ 648 S. 1 BGB) – nichts Anderes ist hier tragfähig aufgezeigt. Und zum anderen ist auch nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass die stattgehabten Leistungen des Beklagten mit dem streitgegenständlichen Betrag etwa unangemessen abgebildet wären. Jedenfalls ergäbe sich wertungsgemäß im hiesigen Einzelfall – zumindest im Sinne der letztlich einvernehmlichen Vertragsbeendigung (dazu Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, I. Teil. N. Unwirksamkeit und vorzeitige Beendigung von Bau- und Planerverträgen, 4. Auflage 2022, Rn. 59, beck-online) – ein Abrechnungsverhältnis (zu den Fallgruppen instruktiv Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Teil 4: Der Werklohnanspruch des Auftragnehmers, 5. Aufl. 2020, Rn. 489 ff. m.w.N., beck-online). Der Senat verkennt insoweit nicht, dass grundsätzlich nach freier Kündigung durch den Auftragnehmer differenziert schlusszurechnen ist (BeckOK BauVertrR/Kiedrowski, 23. Ed. 1.11.2023, BGB § 648 Rn. 72). Insbesondere jedoch, wenn nach Sachlage davon auszugehen ist, dass der Auftraggeber die (pauschal) abgerechneten Kosten zu tragen hat, muss dem Auftragnehmer nicht notwendigerweise abverlangt werden, eine detaillierte(re) Darstellung der Vertragspreise vorzunehmen (Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, a.a.O., Rn. 65 ff. m.w.N., beck-online). Denn das Gericht darf seine Feststellungen hier nach freier Überzeugung treffen; § 287 Abs. 1 ZPO (BGH NZBau 2005, 335; KG NZBau 2018, 533; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher Kompendium BauR/Kniffka, a.a.O., Rn. 67 m.w.N.; BeckOK BauVertrR/Kiedrowski, 23. Ed. 1.11.2023, BGB § 648 Rn. 72). Selbst bei Annahme einer – so allerdings schon nicht geltend gemachten und auch nicht gangbaren – freien Kündigung bliebe hier auf den unwidersprochen gebliebenen Beklagtenvortrag (Bl. 299, 180, 109, 75, 19 der Akte) hinzuweisen, dass im Falle einer Abrechnung der Entwurfsplanung nach der HOAI noch von deutlich höheren Kosten auszugehen sein würde. Mit Blick auf das ersichtlich unter dem Eindruck einer Aquiseerwartung abgegebene Angebot erscheint all dies zumal nicht unplausibel.

Der gestellte Hilfsantrag kommt nicht zum Tragen.

(3) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91 ff. ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

(4) Die Revision ist nicht zuzulassen. Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Sie wirft keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf. Es handelt sich vielmehr um eine von den tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalls geprägte Sache. Die Zulassung der Revision ist im Streitfall auch nicht zur “Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung” (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Dieser Zulassungsgrund ist insbesondere dann gegeben, wenn das Berufungsgericht von einer Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, namentlich des Bundesgerichtshofes, abweicht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt dann vor, wenn das Berufungsgericht ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit dem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten Rechtssatz nicht deckt (vgl. BGH, Beschluss vom 04.07.2002 – V ZR 75/02 = NJW 2002, 2295; Beschluss vom 27.3.2003 – V ZR 291/02 = NJW 2003, 1943, 1945; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 31.10.2013 – 15 U 127/13 -). Eine so verstandene Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes findet im Streitfall nicht statt.

LSG NW zu der Frage der Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit – Nachunternehmer oder abhängig Beschäftigter?

LSG NW zu der Frage der Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit - Nachunternehmer oder abhängig Beschäftigter?

vorgestellt von Thomas Ax

Das Vorliegen einer Beschäftigung beurteilt sich nach § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn in Bindungswirkung erwachsene Feststellungen zum sozialversicherungsrechtlichen Status fehlen. Hiernach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur “funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess” verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (st. Rspr., vgl. etwa BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 14; Urt. v. 14.03.2018 – B 12 R 3/17 R – juris Rn. 12; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG Beschl. v. 20.05.1996 -1 BvR 21/96 – juris Rn. 6 ff.). Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 15; Senatsurt. v. 15.12.2021 – L 8 R 13/15 – juris Rn. 154; Senatsurt. v. 23.11.2020 – L 8 BA 155/19 – juris Rn. 58). Für die zeitliche Weisungsgebundenheit genügt es, wenn der Auftragnehmer von den organisatorischen Vorgaben des Betriebes abhängig ist und die Arbeit nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt abgebrochen werden kann, sondern die zugewiesenen Aufgaben erledigt werden müssen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 31; Senatsurt. v. 24.04.2024 – L 8 BA 109/19 – juris Rn. 71).

LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.02.2025 – L 8 BA 182/19

Gründe

I.

Streitig ist im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) eine Nachforderung von Beiträgen und Umlagen zur Sozialversicherung im Hinblick auf verschiedene Leistungen, die der Beigeladene zu 3) für den Kläger auf Baustellen erbracht hat.

Der Kläger betreibt ein Bauunternehmen als Einzelfirma, mit dem er seinen Kunden nach eigenen Angaben einen “Rundumservice” anbietet. Der Beigeladene zu 3) (im Folgenden: R.), der am 30.11.2010 bei der Stadt C. ein Gewerbe als “Fliesenlegerbetrieb und Trockenbau” angemeldet hatte, wurde für den Kläger u.a. in der Zeit vom 01.02.2013 bis 31.10.2015 mit Unterbrechungen tätig. Hierfür stellte R. Abbruch-, Fliesen-, Laminat-, Renovierungs- und Tapezierarbeiten in Rechnung. Die Rechnungen wurden auf dem PC des Klägers von dessen Ehefrau gefertigt, da R., der ungarischer Staatsbürger ist, über keine Deutschkenntnisse verfügte. Im Streitzeitraum wohnte R. als Untermieter des Bruders des Klägers, der in dessen Betrieb angestellt war, in einer Wohnung in dem Mehrfamilienhaus, in dem sich auch der Wohnsitz des Klägers befindet.

Am 23.06.2016 führte die Beklagte beim Kläger eine Betriebsprüfung durch. R. gab im Fragebogen zur sozialrechtlichen Feststellung, den die für ihn und den Kläger tätige Steuerberaterin übersandte, u.a. an, keine eigenen Geschäfts- bzw. Betriebsräume zu unterhalten und keine Arbeitnehmer zu beschäftigen. Die vertraglichen Grundlagen der Zusammenarbeit beruhten auf mündlichen Festlegungen. Arbeitszeit und -ort könne er frei gestalten. Arbeitsmittel (Werkzeug) seien ihm kostenlos zur Verfügung gestellt worden und er nicht verpflichtet, eigenes Kapital einzusetzen. Ein konkretes Kalkulationsangebot gebe er gegenüber dem Kläger nicht ab. Die Vergütung werde jeweils pauschal vereinbart. Aus Gewinnermittlungen des R. für die Jahre 2012 bis 2015 gehen – weitgehend in der Tätigkeit beim Kläger erzielte – Jahresumsätze zwischen 7.930,00 und 13.609,00 Euro hervor.

Auf die Schlussbesprechung der Betriebsprüfung sowie die Anhörung der Beklagten vom 08.09.2016 zur beabsichtigten Festsetzung einer Beitragsnachforderung vertrat der Kläger die Auffassung, dass R. als selbstständiger Fliesenleger/Trockenbauer tätig geworden sei, dies als Subunternehmer für verschiedene Auftraggeber. Weder sei R. in seinen Betrieb eingegliedert gewesen noch habe er, der Kläger, ein Weisungsrecht gehabt. Dass Bauleistungen regelmäßig an einem bestimmten Ort zu verrichten seien, ändere nichts daran, dass der Ort der Leistung im Hinblick auf die Möglichkeit, Bauvorarbeiten im Rahmen von Montagearbeiten an einem anderen Ort auszuführen, frei gewählt werden könne. R. habe die Gewerke eigenständig in Abstimmung mit den anderen Gewerken sowie im Hinblick auf den Zeitplan des jeweiligen Auftrags geplant. Urlaub sei von ihm frei wählbar gewesen. Da bei Mängeln Nachbesserungen zu erfolgen hätten und eine Verminderung der Auftragssumme wegen Schlechtleistung in Betracht komme, unterliege R. auch einem unternehmerischen Risiko. Wenngleich es zutreffe, dass dieser die Arbeiten aufgrund des geringen Auftragsvolumens selbst ausgeführt habe, sei er jedoch berechtigt gewesen, Hilfskräfte einzusetzen. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass R. für mehrere Auftraggeber tätig geworden sei. Als Kleinunternehmer stünden ihm keine Mittel für aufwändige Werbemaßnahmen zur Verfügung. Separate Betriebs- und Geschäftsräume benötige R. nicht, da Kundentermine vor Ort stattfänden. Dem Schreiben fügte der Kläger eine Aufstellung der Erlöse des R. sowie einen vom 30.08.2013 datierten “Werkvertrag” zu Trockenbau- und Fliesenarbeiten in einem Objekt X.-straße N01, C., bei.

Mit Bescheid vom 15.11.2016 setzte die Beklagte eine Nachforderung von Beiträgen zu sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung und Umlagen für die Zeiträume vom 01.02.2013 bis 31.12.2013, 01.03.2014 bis 31.12.2014 und 01.03.2015 bis 31.10.2015 in Höhe von insgesamt 12.960,00 Euro fest. Die für eine versicherungspflichtige Beschäftigung sprechenden Gesichtspunkte überwögen. R. sei in den Betrieb des Klägers eingegliedert und unterliege dem klägerischen Weisungsrecht. Entgegen seinen Angaben im Fragebogen ergebe sich aus der Natur der Sache, dass dieser Arbeitsort und -zeit nicht habe wählen können, sondern die Leistungen als Fliesenleger und Trockenbauer in den Räumen der Kunden nach Maßgabe des Auftraggebers an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit erbringen müsse. R. setze ausschließlich die eigene Arbeitskraft ein und sei funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig. An einem unternehmerischen Risiko oder einem Kapitaleinsatz als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit fehle es. Ein Arbeitsmitteleinsatz, der über das übliche Maß hinausgehe, liege nicht vor. Im Zeitraum vom 01.01.2013 bis 30.09.2015 sei R. zudem ausschließlich für den Kläger tätig geworden. Der Prüfer habe unter der im Werkvertrag angegebenen Adresse kein Klingelschild o.ä. vorgefunden. Augenscheinlich würden also keine eigenen Büro- oder Lagerräume von R. unterhalten. Dieser bewege sich nicht am Markt, besitze keinen eigenen Kundenstamm, betreibe keine Werbung oder Kundenakquise.

Den gegen den Bescheid am 24.11.2016 erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger insbesondere herausstellte, dass den Beauftragungen jeweils Werkverträge (Bauverträge) mit der Vergütung einer Pauschalsumme nach der VOB/B zugrunde lägen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2017 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 23.03.2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben. Er hat den Bescheid vom 15.11.2016 bereits als formell rechtswidrig erachtet, da das Schreiben der Beklagten vom 08.09.2016 keine ordnungsgemäße Anhörung darstelle. R. habe zudem vernommen und als Beteiligter hinzugezogen werden müssen. Im Übrigen sei der Bescheid aber auch materiell rechtswidrig, da eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht vorliege. R. sei – wie er, der Kläger, bereits dargelegt habe – weder in seine Arbeitsorganisation eingegliedert noch weisungsgebunden gewesen. Eine Eingliederung erfolge bei Bauverträgen wie hier gerade nicht. Der Generalunternehmer vergebe vielmehr einzelne Gewerke an Werkunternehmer, so dass sich die Rechtsbeziehungen aus dem Werkvertragsrecht ergäben. Bereits der Umstand, dass ein Fliesenleger- und Trockenbaubetrieb über ein überragendes Fachwissen in seinem Bereich verfüge, mache zudem deutlich, dass diesem faktisch keine Weisungen erteilt werden könnten. Bei R. handele es sich um einen selbstständigen Unternehmer, der vom Kläger als Besteller beauftragt werde und Aufträge für den von ihm angemeldeten Gewerbebetrieb erhalte. Über die von ihm erbrachten Leistungen erteile R. unter einer Steuernummer Rechnungen. Dessen unternehmerisches Risiko werde dadurch geprägt, mangels geeigneter Aufträge, fehlerhafter Kalkulation und mangelnder Leistungsfähigkeit des Auftraggebers das betriebliche Ergebnis nicht erreichen zu können. Darüber hinaus sei der Erlass eines Summenbescheides unverhältnismäßig und die Schätzungen der Beklagten nicht nachvollziehbar. Während es im Bescheid noch heiße, R. sei im Zeitraum vom 01.01.2013 bis 30.09.2015 abhängig beschäftigt gewesen, so würden in der Anlage zur Beitragsberechnung (nur) die Zeiträume 01.02.2013 bis 31.12.2013, 01.03.2014 bis 31.12.2014 und 01.03.2015 bis 31.10.2015 erfasst.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 15.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2017 aufzuheben.

Die Beklagte, die ihre Bescheide als zutreffend angesehen hat, hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das SG hat am 14.12.2018 einen Erörterungstermin durchgeführt und den Kläger und R. zum Sach- und Streitstand angehört. Anschließend ist die Klage mit Urteil vom 26.06.2019 – im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung – abgewiesen worden. Diese sei zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids beschwere den Kläger nicht. Dieser sei formell rechtmäßig. Soweit der Kläger die Ansicht vertrete, dass er nicht ausreichend angehört worden sei, gelte ein solcher, etwaiger Fehler jedenfalls unterdessen gem. § 41 Abs. 1 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als geheilt. Eine fehlende Beteiligung des R. beschwere den Kläger nicht (selbst). Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Bescheides bestünden nicht.

Die streitgegenständlichen Bescheide seien auch materiell rechtmäßig. R. sei beim Kläger im streitigen Zeitraum versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Dabei gehe die Kammer zunächst davon aus, dass es auf den Ort und die gewählte Arbeitszeit nicht entscheidend ankomme. Insbesondere der Ort sei bei Bauleistungen der vorliegenden Art, namentlich dem Fliesenlegen und Trockenbauarbeiten, naturgemäß vorgegeben. Auch der Zeit, in der die Arbeiten tatsächlich ausgeführt worden seien, komme nur untergeordnete Bedeutung zu. Unabhängig davon, ob Bauleistungen im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung oder eines (Subunternehmer-)Werkvertrages erbracht würden, dürfe in der Regel davon auszugehen sein, dass ein Zeitplan insgesamt für die Bauleistungen, die der Arbeitgeber bzw. der Hauptunternehmer auszuführen habe, vorgegeben und insoweit der Spielraum nur eingeschränkt sei. Es bestehe jedoch kein Unternehmerrisiko. Selbst wenn R. ausschließlich eigenes Werkzeug eingesetzt habe, so handele es sich um überschaubare Aufwendungen. Zudem könnten die Werkzeuge für jede Baustelle wiederverwendet werden. Darüber hinaus habe er nur seine Arbeitskraft eingesetzt. Dass R. nicht durchgehend gleichbleibende Einkünfte gehabt habe, spreche nicht für eine selbstständige Tätigkeit, sondern sei auch Kennzeichen eines unständig abhängig Beschäftigten.

Das vom Kläger angeführte Risiko, keine weiteren Aufträge zu erhalten, begründe nach der Rechtsprechung kein Unternehmerrisiko. R. sei in die Arbeitsorganisation des Klägers eingebunden gewesen, wenngleich dieses nachweisende Tatsachen nur für einen Teil der Arbeiten vorlägen. So habe er geschildert, zur Hälfte und teilweise auch in Zusammenarbeit mit dem Kläger mit Rigipsarbeiten beschäftigt gewesen zu sein. Dies habe der Kläger bestätigt und dargelegt, dass er R. um Hilfe gebeten habe, wenn Arbeiten nicht von ihm und seinen Mitarbeitern hätten bewältigt werden können. Unabhängig davon, ob dies auch für die Fliesenarbeiten gegolten habe – was vom Kläger zunächst geschildert und dann als unzutreffend zurückgenommen worden sei – könne aus dessen Vortrag jedenfalls eine Zusammenarbeit und auch eine Besprechung der Ausführung der Tätigkeit entnommen werden. Dies spreche erheblich für eine Eingliederung in den klägerischen Betrieb. Damit sei auch dessen Behauptung widerlegt, dass R. stets in allen seinen Arbeiten vollständig frei gewesen sei. Soweit sich der Kläger weiterhin darauf berufe, obläge es ihm, die für ihn günstigen Tatsachen nachzuweisen. Aus den vorliegenden Unterlagen und Erklärungen sei nicht zu entnehmen, wann Absprachen und Zusammenarbeit stattgefunden hätten und wann nicht. Diese Umstände lägen in der klägerischen Sphäre und könnten nur durch ihn vorgetragen und belegt werden. Soweit er auf eine konkrete Aufzeichnung verzichtet habe und ihm anders gestützter Vortrag nicht möglich sei, müsse er sich daran festhalten lassen, dass aus den nachgewiesenen Umständen auf die Gesamtheit der Arbeit geschlussfolgert werde. Schriftliche Verträge seien bis auf eine Ausnahme nicht geschlossen worden. Auch fehlten konkrete Angaben, welches genaue Werk R. auf der jeweiligen Baustelle zu erstellen gehabt habe. Den Rechnungen des R. komme wegen seiner mangelnden Deutschkenntnisse und des Umstandes, dass er sie nicht selbst verfasst habe, kein Nachweiswert zu. Ohnehin seien sie global und ohne jedwede Angaben von Art und Umfang der vereinbarten Leistungen. Aus den Rechnungen des Klägers an seine Kunden ließen sich Arbeiten ersehen, die über die von R. erbrachten Tätigkeiten hinausgingen. Wann eine Zusammenarbeit bzw. eine Absprache stattgefunden habe, könne hieraus aber nicht abgeleitet werden. Auf dieser Grundlage sei der Schluss zulässig, dass die Tätigkeit des R. insgesamt als eingegliedert in die Organisation des Klägers stattgefunden habe. Der Frage, ob Weisungen im Einzelnen erteilt worden seien, komme nur untergeordnete Bedeutung zu. Der ebenfalls auf der Baustelle anwesende Kläger habe den Fortschritt der Arbeiten kontinuierlich beobachten können. Die Besprechung der Ausführung von Arbeiten, wie sie der Kläger jedenfalls teilweise eingeräumt habe, spreche für eine fehlende Notwendigkeit, Weisungen im Einzelfall zu erteilen. Bei dieser Arbeitspraxis sei es nachvollziehbar nicht zu dem Fall gekommen, dass das Arbeitsergebnis nicht den Vorstellungen des Klägers entsprochen habe. Vor diesem Hintergrund könne der allein für eine Baustelle bei Überschreiten des Fertigstellungstermins eingeräumten Vertragsstrafe bzw. Mängelhaftungsvorschriften keine Bedeutung beigemessen werden. Ob R. weitere Auftraggeber gehabt habe, bleibe dahingestellt. Die Kammer gehe jedenfalls davon aus, dass die Vertragsbeziehung zum Kläger sich als abhängige Beschäftigung darstelle. Die Voraussetzungen für den Erlass eines nicht personenbezogenen Summenbeitragsbescheids seien erfüllt.

Soweit sich der Kläger auf die Zulässigkeit von Pauschalpreisvereinbarungen nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) berufe und seiner Auffassung nach genaue Angaben über die vereinbarten Leistungen nicht gemacht werden müssten, finde sich für die behauptete Vereinbarung der VOB/B kein Hinweis. Dies stelle sich vielmehr als Schutzbehauptung dar. Schriftlich vereinbart worden sei nur ein einziger Auftrag. Auf die Bestimmungen der VOB/B werde dort nicht Bezug genommen. Zudem seien offenbar auch die übrigen (pflichtigen) Vorgaben der VOB/B nicht eingehalten worden, wie z.B. die notwendige Niederschrift über die förmliche Abnahme (§ 12 Abs. 4 VOB/B) und die schriftliche Fertigstellungsmitteilung (§ 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B).

Der Einwand, dass die Zeiten, für die Beiträge erhoben worden seien, nicht mit dem Prüfzeitraum vollständig übereinstimmten, treffe zu, führe aber zu keiner anderen Beurteilung. Die Beklagte habe zulässigerweise nur die Monate, für die der Kläger Zahlungen geleistet habe, der Beitragsrechnung zugrunde gelegt.

Gegen das ihm am 05.07.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26.07.2019 Berufung eingelegt und insbesondere die Auffassung vertreten, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer unrichtigen Würdigung des Beweisergebnisses beruhe. Entgegen der Auffassung des SG stehe R. bei ihm, dem Kläger, nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Es habe die spezifischen Anforderungen an die vertragsgemäße Erfüllungshandlung eines Werkunternehmers verkannt. Gegen die Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung spreche, dass es sich bei R. um einen ungarischen Unternehmer handele, der zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit im Inland seine selbstständige Tätigkeit hauptsächlich in Ungarn ausgeübt habe. Diese Tätigkeit in Ungarn müsse bei der Statusbeurteilung berücksichtigt werden. R. mache von der ihm europarechtlich gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit Gebrauch. Die Rechtsauffassung der Beklagten stelle sich als direkte Verletzung dieser Grundfreiheit und im Übrigen auch des Grundrechts aus Art. 14 Grundgesetz (GG) in der Ausprägung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. R. sei keinen Weisungen des Klägers unterworfen gewesen. Im Rahmen einer arbeitsteiligen Tätigkeit auf Baustellen erfolge eine ständige Koordinierung der Gewerke. Der Kläger habe R. zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, wie dieser seine Arbeiten als Fliesenleger auszuführen habe. Zugewiesen seien lediglich, wie sich aus der Natur der Sache ergebe, der Arbeitsort, der Umfang des Gewerkes und der Zeitpunkt der Fertigstellung. Dies seien jedoch zwingende Bestandteile des Werkvertrags. Die Auffassung, dass eine Zusammenarbeit an Gewerken für eine Eingliederung spreche, widerspreche der zivilrechtlichen Rechtsprechung zu Bauverträgen und deren arbeitsteiligen Ausführung. Auf jeder Baustelle arbeiteten naturgemäß verschiedene Werkunternehmer zusammen. Diese seien nicht abhängig Beschäftigte des Generalunternehmers. Die Unterstützung des R. durch die Ehefrau des Klägers bei der Rechnungsstellung habe nichts mit einer betrieblichen Organisation zu tun, sondern damit, dass R. der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sei. Sofern der Senat hieraus sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen ableiten sollte, liege hierin eine Diskriminierung eines ausländischen Werkunternehmers. Die weiteren Einwände gegen die Rechnungen seien zurückzuweisen. Diese müssten nicht für den Senat, sondern für den Auftraggeber prüfbar sein.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 26.06.2019 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 15.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat am 30.03.2022, 30.01.2023 und 13.09.2023 Erörterungstermine durchgeführt, in deren Rahmen der Kläger ergänzend zum Sach- und Streitstand angehört worden ist. Weiterhin hat der Senat durch Anhörung des Klägers und Befragung des Zeugen A. (vergeblich) versucht, den aktuellen Aufenthaltsort des R. zu ermitteln, nachdem R. verzogen war, ohne seine neue Anschrift mitzuteilen und eine ladungsfähige Anschrift auch nicht über das behördliche Meldeportal ermittelt werden konnte.

Die Beteiligten sind mit gerichtlichem Schreiben vom 25.09.2024 darauf hingewiesen worden, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg biete und beabsichtigt sei, diese gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Die Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung ist R. öffentlich zugestellt worden (Beschluss vom 09.10.2024). Der Kläger hat eine mündliche Verhandlung für zwingend erforderlich gehalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers wird durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 S. 1 SGG zurückgewiesen. Zur Möglichkeit einer solchen Entscheidung sind die Beteiligten mit Schreiben vom 25.09.2024 angehört worden. Der Senat hat den Kläger mit Schreiben vom 10.12.2024 darauf hingewiesen, dass er auch unter Berücksichtigung dessen Vorbringens im Schriftsatz vom 21.10.2024 an der beabsichtigten Entscheidung im Beschlusswege festhält. Der Senat konnte das Schreiben vom 25.09.2024 an R. gem. § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 185 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) öffentlich zustellen. Die öffentliche Zustellung, die wegen des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht vorschnell angenommen werden darf, ist zulässig, wenn sämtliche geeigneten und zumutbaren Möglichkeiten zur Ermittlung des Aufenthalts des Zustellungsadressaten ausgeschöpft worden sind (vgl. BSG Beschl. v. 14.12.2023 – B 4 AS 72/23 B – juris Rn. 7). Dies ist hier der Fall. Nach fruchtloser Prüfung einer aktuellen Adresse im behördlichen Meldeportal hat der Senat mehrfach versucht, die ladungsfähige Anschrift des R. über den Kläger in Erfahrung zu bringen und zusätzlich hierzu auch noch den Zeugen A. im Rahmen des Erörterungstermins am 13.09.2023 befragt. Beide haben angegeben, nicht mehr in Kontakt zu R. zu stehen und noch nicht einmal sagen zu können, ob dieser sich in Deutschland oder in Ungarn aufhalte.

Gem. § 153 Abs. 4 S. 1 SGG kann der Senat die Berufung außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 S. 1 SGG durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Dies gilt auch bei einer Entscheidung des SG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (vgl. BSG Beschl. v. 06.08.2019 – B 13 R 233/18 B – juris Rn. 11; Senatsbeschl. v. 10.04.2024 – L 8 BA 126/23 – juris Rn. 29).

Diese Voraussetzungen der Zurückweisung gem. § 153 Abs. 4 SGG sind erfüllt. Im Klageverfahren hat das SG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden. Die Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet. Eine mündliche Verhandlung wird nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nicht für erforderlich gehalten. Der Sachverhalt ist umfassend ermittelt, eine ergänzende Sachverhaltsaufklärung nicht mehr erforderlich. Dem anwaltlich vertretenen Kläger ist im Rahmen von drei Erörterungsterminen umfassend rechtliches Gehör gewährt worden. Von der ihm eingeräumten Möglichkeit, sich zum rechtlichen Hinweis vom 25.09.2024 zu äußern, hat er Gebrauch gemacht. Das erstmalige Vorbringen noch nicht vorgetragener Tatsachen oder rechtlicher Gesichtspunkte in einem Verhandlungstermin ist daher nicht zu erwarten. Andere Aspekte, die nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig erscheinen lassen, sind nicht erkennbar.

Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Duisburg vom 26.06.2019 ist nicht begründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Beitragsbescheid der Beklagten vom 15.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2017 (§ 95 SGG), mit dem sie Beiträge und Umlagen in Höhe von 12.960,00 Euro aufgrund Beschäftigung des R. nachgefordert hat.

Das SG hat die als isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGG) statthafte (vgl. Senatsurt. v. 25.10.2023 – L 8 BA 194/21 – juris Rn. 27) und auch im Übrigen zulässige Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 28p Abs. 1 S. 1 und 5 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Im Rahmen der Prüfung werden Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern erlassen (Satz 5). § 10 Aufwendungsausgleichsgesetz – AAG – stellt die Umlagen zum Ausgleichsverfahren (U1 und U2) insoweit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung gleich (vgl. BSG Urt. v. 10.12.2019 – B 12 R 9/18 R – juris Rn. 12). Entsprechendes gilt für die Insolvenzgeldumlage (UI) gem. § 359 Abs. 2 S. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – SGB III (vgl. Scheer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 28p SGB IV, Stand 03.01.2025, Rn. 148 m.w.N.). Im Rahmen dieser Ermächtigung hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid formell (hierzu unter 1.) und materiell (hierzu unter 2.) rechtmäßig erlassen.

Entgegen der Auffassung des Klägers und des SG stellt der angefochtene Bescheid keinen sog. Summenbescheid im Sinne des § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV dar. Vielmehr wird die Beitragsnachforderung personenbezogen bestimmt. So nennt der Bescheid R. namentlich und weist in den beigefügten Anlagen “Berechnung der Beiträge” und “Nachweis der Beiträge” auf ihn bezogene Beiträge und Umlagen aus (vgl. BSG Urt. v. 04.09.2018 – B 12 R 4/17 R – juris Rn. 11 m.w.N.). Der Umstand, dass für R. keine Versicherungsnummer ermittelt werden konnte und keine letzte Krankenkasse bekannt ist, war von der Beklagten (allein) bei der Bestimmung der zuständigen Einzugsstelle zu berücksichtigen. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid personenbezogen zu erfolgen hat, wird hierdurch nicht begründet.

Auch eine – vom Kläger gerügte – Schätzung der Arbeitsentgelte nach § 28f Abs. 2 S. 3 SGB IV ist von der Beklagten nicht vorgenommen worden. Vielmehr hat sie die Beiträge ausweislich der Bescheidanlagen konkret unter Zugrundelegung der von R. aktenkundig beim Kläger erzielten Vergütung berechnet.

1. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Dabei kann es – worauf bereits das SG zu Recht hingewiesen hat – dahinstehen, ob das Schreiben der Beklagten vom 08.09.2016 die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Anhörung gem. § 24 Abs. 1 SGB X erfüllt. Ein etwaiger Anhörungsmangel ist nach Maßgabe des § 41 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 SGB X im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Eine solche Heilung tritt ein, wenn der Kläger dort hinreichende Gelegenheit hat, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (vgl. z.B. BSG Urt. v. 13.02.2019 – B 6 KA 56/17 R – juris Rn. 15 m.w.N.; Senatsurt. v. 25.10.2023 – L 8 BA 194/21 – juris Rn. 33). Dies war hier der Fall. So ist vom anwaltlich vertretenen Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ausführlich Stellung genommen worden. Mit den von ihm vorgetragenen Einwänden hat sich die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid (auch) auseinandergesetzt.

Der Einwand des Klägers, R. sei im Verwaltungsverfahren nicht nach Maßgabe des § 12 Abs. 2 SGB X hinzugezogen worden, stellt keinen durch ihn selbst rügefähigen Verfahrensfehler dar. Zutreffend hat das SG hierzu entschieden, dass im Falle einer fehlenden Beteiligung allein R., nicht jedoch der Kläger in eigenen Rechten verletzt ist. Einer an R. gerichteten Anfrage durch den Senat, ob er die Wiederholung des Verwaltungsverfahrens wegen unterbliebener Benachrichtigung von seiner Einleitung oder unterbliebener Hinzuziehung begehre, bedurfte es nicht. Ein solches Erfordernis besteht dann nicht, wenn der Beigeladene – wie hier – keinen Antrag gestellt, mithin von der ihm gegebenen Möglichkeit, selbstständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen (vgl. § 75 Abs. 4 S. 1 SGG), keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. BSG Urt. v. 09.08.2006 – B 12 KR 3/06 R – juris Rn. 14; Roller in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 12 Rn. 21).

2. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. R. unterlag im streitbefangenen Zeitraum der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (hierzu unter a.). Tatbestände, die zu einer Versicherungsfreiheit in den genannten Sozialversicherungszweigen führen, liegen nicht vor (hierzu unter b.). Fehler bei der Berechnung der nachgeforderten Beiträge und Umlagen sind nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich (hierzu unter c.).

a. Der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, der sozialen Pflege- und der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – SGB XI, § 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI, § 25 Abs. 1 S. 1 SGB III).

R. erhielt vom Kläger für seine Tätigkeit in dessen Unternehmen ein Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV).

Er war auch beim Kläger beschäftigt und nicht selbstständig tätig.

Das Vorliegen einer Beschäftigung beurteilt sich nach § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn – wie im vorliegenden Fall – in Bindungswirkung erwachsene Feststellungen zum sozialversicherungsrechtlichen Status fehlen. Hiernach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur “funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess” verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (st. Rspr., vgl. etwa BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 14; Urt. v. 14.03.2018 – B 12 R 3/17 R – juris Rn. 12; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG Beschl. v. 20.05.1996 -1 BvR 21/96 – juris Rn. 6 ff.).

Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 15; Senatsurt. v. 15.12.2021 – L 8 R 13/15 – juris Rn. 154; Senatsurt. v. 23.11.2020 – L 8 BA 155/19 – juris Rn. 58).

Ausgehend von der mündlich vereinbarten vertraglichen Grundlage eines Dienstvertrags (vgl. § 611 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) im Sinne eines Dauerschuldverhältnisses (dazu unter aa.) ist R. in seiner Tätigkeit des Fliesenlegens und sonstiger Bauleistungen gegenüber dem Kläger weisungsgebunden (hierzu unter bb.) und in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert (hierzu unter cc.) tätig geworden. Wesentliche Indizien, die für eine Selbstständigkeit sprechen, liegen hingegen nicht vor (hierzu unter dd.). In der Gesamtschau überwiegen die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Gesichtspunkte deutlich (hierzu unter ee.). Das so gewonnene Ergebnis verletzt weder Europarecht noch das Grundgesetz (hierzu unter ff.).

aa. Zur Überzeugung des Senats haben die Beteiligten mündlich ein Dauerschuldverhältnis über von R. zu erbringende Dienstleistungen geschlossen.

Soweit der Kläger geltend macht, es sei für die an R. herangetragenen Aufgaben (mündlich) ein jeweils neuer (gleichlautender) (Werk-)Vertrag geschlossen worden, sieht der Senat dies als wirklichkeitsfremdes juristisches Konstrukt an. Für eine solche Ausgestaltung jeweilig neuer Rechtsgeschäfte findet sich weder ein tatsächlicher objektiver Anhaltspunkt in den Schilderungen zur vertraglichen Praxis noch stützen sonstige Umstände eine derartige Auslegung.

Für die Vereinbarung eines Dauerschuldverhältnisses spricht, dass R. mindestens seit dem Jahr 2012 bis einschließlich Oktober 2015 regelmäßig für den Kläger tätig geworden ist und jegliche überzeugenden Anhaltspunkte für den Abschluss von Einzelverträgen fehlen. So konnten anlässlich der Betriebsprüfung keinerlei Unterlagen aufgefunden werden, die vom Kläger behauptete einzelne, separate Aufträge valide belegen. Entsprechende beweiskräftige Dokumente sind von ihm (trotz zunächst entsprechender Behauptung) im gesamten Verfahren nicht vorgelegt worden. Das Fehlen von – üblicherweise zu erwartenden – Kostenvoranschlägen für konkretisierte, genaue Aufträge mit einer detaillierten Werksbeschreibung und der Kalkulation des Werklohns sowie schriftlichen Auftragserteilungen lässt gerade nicht den Schluss auf die vom Kläger behaupteten jeweiligen einzelnen Werkverträge zu, sondern weist vielmehr auf ein tatsächlich praktiziertes Dauerschuldverhältnis hin (vgl. Senatsbeschl. v. 12.11.2020 – L 8 BA 117/20 B ER – juris Rn. 16).

Soweit der Kläger allein eine (einzige) als “Werkvertrag” betitelte Vereinbarung mit der Datumsangabe 30.08.2013 zu den Akten gereicht hat, vermag diese zur Überzeugung des Senats weder einen belastbaren Hinweis auf den Abschluss von Einzelverträgen zu bieten noch inhaltlich die tatsächlich zwischen den Vertragspartnern getroffenen Vereinbarungen widerzuspiegeln. In der Gesamtschau der Umstände diente das vorgelegte Vertragspapier zur Überzeugung des Senats ersichtlich nicht zur realen Dokumentation der wechselseitig tatsächlich vereinbarten Verpflichtungen des Klägers und des R..

Bereits grundsätzlich fehlt es an der Plausibilität, weshalb der Kläger und R. in vier Jahren der Zusammenarbeit lediglich einmal im Jahr 2013, also bereits weit nach Beginn der Tätigkeit des R. einen (einzigen) schriftlichen (Werk-)Vertrag geschlossen haben wollen. Dies gilt umso mehr, als dieser Vertrag auch nur ein solitäres konkretes Projekt (X.-straße N01, C.) beinhaltet und nicht etwa als Rahmenvertrag für eine Vielzahl von Projekten konzipiert ist. R. selbst hat im Fragebogen der Beklagten vom 05.06.2016 eine schriftliche Vereinbarung zudem überhaupt nicht erwähnt, sondern angekreuzt, dass die vertraglichen Grundlagen der Zusammenarbeit auf mündlichen Vereinbarungen beruhten.

Gegen die Ernsthaftigkeit der Vereinbarung spricht ferner, dass der Vertragstext ausschließlich in Deutsch aufgesetzt ist, obwohl R. der deutschen Sprache – worauf sich der Kläger an anderer Stelle selbst zu seinen Gunsten berufen will – nicht mächtig ist und beide ausschließlich auf Ungarisch kommunizierten.

Auch inhaltlich vermögen die niedergelegten Vertragsklauseln keinen hinreichenden Beleg für vermeintlich vereinbarte Werkleistungen zu bieten. So ist eine ausreichend genaue Beschreibung des zu erbringenden Werks nicht erkennbar. Beispielsweise fehlen nähere Angaben, in welchen konkreten Räumen wie viele Quadratmeter Laminat zu verlegen sind, ob ggf. Fußbodenvorarbeiten geleistet werden müssen oder eine Trittschalldämmung zu berücksichtigen ist. Umgekehrt enthält der vorgelegte Werkvertrag, den der Kläger im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Senat am 30.03.2022 selbst als “Mustervertrag” bezeichnet hat, verschiedene Klauseln (z.B. § 4 Abs. 2 zur Tragung von Schreibgebühren und Vervielfältigungskosten) ohne erkennbaren Bezug zu den von R. ausgeführten Tätigkeiten.

Im Übrigen fehlt es auch an sonstigen Umständen, die den Abschluss einzelner Werkverträge überhaupt ansatzweise plausibel machen. Im Gegenteil spiegelt sich in den im Verfahren vorgelegten Rechnungen des R. eine fortlaufende Dienstverpflichtung wieder. Die Rechnungen belegen eine sehr konstante Leistungserbringung, bei der weitestgehend keinerlei Konkretisierung der Arbeitsleistung erkennbar ist, dies insbesondere nicht im Sinne eines hinreichend abgegrenzten Werks. Eine überhaupt nur ansatzweise Zuordnung zu vermeintlich vereinbarten, voneinander abgrenzbaren Einzel(werk)aufträgen ergibt sich nicht. Vielmehr enthalten die Rechnungen regelmäßig bloße Tätigkeitsbeschreibungen (“Fliesenarbeiten”, “Abbrucharbeiten”, “Renovierungsarbeiten” etc.), somit Dienstleistungen. Die von R. behauptete Abrechnung seiner Fliesenlegerarbeiten nach Quadratmetern geht aus den Abrechnungen ebenfalls nicht hervor. Vielfach sind noch nicht einmal Angaben enthalten, bei welchem Auftraggeber des Klägers bzw. welchem Objekt R. die entsprechenden Leistungen erbracht hat. Der Einwand des Klägers, dass es insoweit auf die Prüfbarkeit durch ihn und nicht durch das Gericht ankomme, führt dabei zu keiner anderen Beurteilung. Es ist fernliegend, dass sich der Auftraggeber eines Werkvertrags auf entsprechende Abrechnungen, denen die Prüffähigkeit regelmäßig vollständig fehlt, einlassen würde. Die Prüfbarkeit der Rechnung ist kein Selbstzweck. Das Erfordernis der Prüffähigkeit soll den Auftraggeber in die Lage versetzen, die Rechnung zu prüfen und die Richtigkeit der einzelnen Ansätze zu beurteilen (vgl. hierzu z.B. BGH Urt. v. 18.06.1998 – VII ZR 189/97 – juris Rn. 7). Dazu ist ein Werkbesteller aber regelmäßig nicht (zuverlässig) in der Lage, wenn verschiedene Tätigkeiten ohne Nennung von Einzelpositionen zusammengefasst sind, dies hier zum Teil sogar (vgl. z.B. die Rechnung v. 11.08.2015) in einer für mehrere Monate erstellten Abrechnung. Dementsprechend drängt sich im Falle einer pauschalen Benennung durchgeführter Tätigkeiten der Eindruck auf, dass vertraglich nicht ein Werkerfolg, sondern eben Dienstleistungen geschuldet waren (vgl. Senatsbeschl. v. 12.11.2020 – L 8 BA 117/20 B ER – juris Rn. 17). Diese Annahme wird vorliegend durch den Umstand verstärkt, dass die Abrechnungen nicht werkvertragstypisch nach Abnahme (§ 641 BGB), sondern dienstvertragstypisch (vgl. § 614 BGB) nach (monatlichen) Zeitabschnitten (“Ausführungszeitraum”) erstellt worden sind.

Gegen den Abschluss (einzelner) mündlicher Werkverträge spricht schließlich, dass zu erledigende Arbeiten vielfach vom Kläger, seinen angestellten Mitarbeitern und R. gemeinsam ausgeführt worden sind. Damit aber fehlt es insoweit an einem allein R. zurechenbaren Werkerfolg. Differenzierungen zwischen gemeinsamer Zusammenarbeit einerseits und – behaupteten – alleinig von R. erbrachten Tätigkeiten finden sich in den Rechnungen wiederum nicht, so dass von einer grundsätzlich dauerhaft identischen Vereinbarung und Handhabung dessen Arbeitseinsatzes auszugehen ist.

bb. R. unterlag bei der Durchführung der von ihm verrichteten Dienstleistungen – entgegen den anderslautenden Behauptungen des Klägers – dessen Weisungsrecht hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Arbeit.

(1) Für die zeitliche Weisungsgebundenheit genügt es, wenn der Auftragnehmer von den organisatorischen Vorgaben des Betriebes abhängig ist und die Arbeit nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt abgebrochen werden kann, sondern die zugewiesenen Aufgaben erledigt werden müssen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 31; Senatsurt. v. 24.04.2024 – L 8 BA 109/19 – juris Rn. 71). Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats vorliegend gegeben. So zog der Kläger nach seinen eigenen Angaben R. immer dann hinzu, wenn seine Mitarbeiter und er die zu erledigenden Aufgaben “nicht schafften”. Dies indiziert, dass er auf die Mitwirkung des R. zur Einhaltung der mit seinen Kunden vereinbarten Herstellungstermine angewiesen war. Hinzu kommt, dass Aufgaben – wie bereits dargelegt – vielfach gemeinsam erledigt wurden. So fuhr R. nach dessen Angaben zumindest teilweise gemeinsam mit dem Kläger zu den Baustellen und führte (jedenfalls) Rigipsarbeiten regelmäßig zusammen mit ihm aus. Damit übereinstimmend hat der Kläger (im Erörterungstermin des SG am 14.12.2018) angegeben, dass seine Mitarbeiter und R. die zu verrichtenden Arbeiten jedenfalls, wenn es sich um eine “große Arbeit” im Bereich des Fliesenlegens oder bei Trockenbauarbeiten gehandelt habe, zusammen übernommen hätten. Soweit der Kläger diese zunächst eingeräumte Zusammenarbeit beim Fliesenlegen im Nachhinein pauschal bestritten hat, wird seine vorige andere Äußerung von ihm nicht schlüssig erläutert. Bei dieser Sachlage hatte R. insbesondere, wenn Zeitdruck herrschte, nicht die Möglichkeit, sich die zu erledigenden Arbeiten nach eigenem Gutdünken einzuteilen, sondern war an die zeitlichen Vorgaben des Klägers gebunden.

(2) Örtlich war R. an die Baustellen der Kunden des Klägers gebunden. Dass diese örtliche Gebundenheit in der “Natur der Sache” liegt, ändert – entgegen der Auffassung des Klägers – dabei nichts daran, dass es sich hierbei um ein bei der Statusbeurteilung zu berücksichtigendes Indiz handelt. Auch Umstände, die typisch bzw. einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent sind oder “in der Natur der Sache” liegen, sind zu berücksichtigen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 25; Urt. v. 19.10.2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 25; Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 87).

(3) Ebenfalls unterlag R. hinsichtlich der Art und Weise der Ausführung der ihm zugetragenen Arbeiten einem Weisungsrecht des Klägers.

Da – wie bereits dargelegt – von einem Dauerschuldverhältnis und nicht von (kleinteiligen) einzelnen Vertragsschlüssen auszugehen ist, fehlte bei Tätigkeitsaufnahme des R. und im gesamten streitigen Zeitraum jegliche genauere inhaltliche Bestimmung der im konkreten Fall gewünschten Leistung. Ein inhaltliches Weisungsrecht des Auftraggebers liegt schon (zwangsläufig) dann vor, wenn über den Vertrag hinaus offenkundig noch weitere einseitige Einflussnahmen notwendig sind (vgl. Senatsbeschl. v. 14.06.2019 – L 8 BA 12/18 B ER – juris Rn. 22). Fehlt es an einer genaueren vertraglichen Fixierung bzw. inhaltlichen Bestimmung der im konkreten Fall gewünschten Leistung, da das Tätigkeitsfeld nur allgemein und beispielhaft umschrieben ist, so bedarf es weiterer Konkretisierungen und damit Weisungen (vgl. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 85; Urt. v. 12.07.2023 – L 8 R 541/17 – juris Rn. 47 f.; Urt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 98/20 – juris Rn. 56), um den Auftragnehmer darüber in Kenntnis zu setzen, welche Arbeitsleistung wo, wann und mit welchen Details gewünscht wird. So liegt der Fall hier. Schriftliche Verträge, in denen die von R. zu erbringenden Leistungen hinreichend konkretisiert aufgeführt sind, liegen – wie bereits dargelegt – nicht vor. Dem entsprechend hat der auf den jeweiligen Baustellen anwesende Kläger die Ausführung der Tätigkeit des R. mit diesem dort – wie von ihm im Erörterungstermin des SG am 14.12.2018 selbst dargelegt – besprochen. Seine Einflussnahme (und damit die Ausübung des fachlichen Weisungsrechts) erreichte dabei ein derartiges Maß, dass die Arbeit des R. – wiederum nach seinen eigenen Angaben – am Ende immer seinen, den klägerischen, Anforderungen entsprach. Schließlich waren die Arbeiten mit den vom Kläger angeschafften Baumaterialien auszuführen, so dass ins Gewicht fallende Freiheiten des R. hinsichtlich der Art und Weise der Ausführung der Arbeiten auch insoweit nicht erkennbar sind.

Soweit R., dem der Kläger “ein überragendes Fachwissen” im Bereich des Fliesenlegens bescheinigt hat, (tatsächliche) Freiheiten in der Art und Weise der Ausführung der zu erbringenden Leistungen zugekommen sind, schließt dies eine Weisungsbindung nicht aus. Eine allein (partielle) Gestaltungsbefugnis in der Art und Weise der Verrichtung führt regelmäßig nicht zur Selbstständigkeit im Sinne einer unternehmerischen Tätigkeit. Eine eigenständige Arbeitsweise ist kein Synonym für eine zur Versicherungsfreiheit führende Selbstständigkeit (vgl. Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 80; Urt. v. 30.11.2022 – L 8 R 597/17 – juris Rn. 98 m.w.N.; Urt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 98/20 – juris Rn. 59) und darf mit dieser nicht verwechselt werden (vgl. Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 80; Urt. v. 14.12.2022 – L 8 BA 159/19 – juris Rn. 80 m.w.N.). Eigenverantwortlichkeit und inhaltliche Freiheiten bei der Aufgabenerfüllung sind daher erst dann ein aussagekräftiges Indiz für Selbstständigkeit, wenn sie nicht mehr innerhalb des Rahmens dienender Teilhabe am Arbeitsleben zu verorten sind und insbesondere eigennützig durch den Auftragnehmer zur Steigerung seiner Verdienstchancen eingesetzt werden können (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 31 m.w.N.; Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 81; Urt. v. 14.12.2022 – L 8 BA 159/19 – juris Rn. 81). Hieran fehlte es vorliegend.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Tätigkeit des R. sogar bei einem weitgehenden Fehlen fachlicher Weisungen fremdbestimmt sein kann. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers bei Dienstleistungen höherer Art, die ihr Gepräge von der Ordnung eines fremden Betriebes erhalten, verfeinert sich “zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess” und kann – insbesondere bei Hochqualifizierten oder Spezialisten – aufs Stärkste eingeschränkt sein. Auch in typischen Arbeitsverhältnissen werden Arbeitnehmern immer mehr Freiheiten zur zeitlichen, örtlichen und teilweise auch inhaltlichen Gestaltung ihrer Arbeit eingeräumt. Werden insoweit lediglich Rahmenvorgaben vereinbart, spricht dies erst dann für Selbstständigkeit, wenn die Tätigkeit durch typische unternehmerische Freiheiten geprägt ist, die dem Betroffenen eigenes unternehmerisches Handeln mit entsprechenden Chancen und Risiken erlauben. Eine selbstständige Tätigkeit ist erst dann anzunehmen, wenn bei ihrer Verrichtung eine Weisungsfreiheit vorhanden ist, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet (vgl. BSG Urt. v. 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – juris Rn. 18; Urt. v. 19.10.2021 – B 12 R 10/20 R – juris Rn. 29; Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 29; Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 89).

Ebenfalls ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die streitige Tätigkeit des R. darüber hinaus auch ungeachtet des Umfangs seiner Weisungsgebundenheit als Beschäftigung zu beurteilen ist. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV genannten Anhaltspunkte der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung weder in einem Rangverhältnis zueinander stehen noch stets kumulativ vorliegen müssen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 10/21 R – juris Rn. 17; Urt. v. 13.12.2022 – B 12 KR 16/20 R – juris Rn. 21; Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 29). Die jüngere Rechtsprechung des BSG hat sich in diesem Rahmen von einer auf das Direktionsrecht gerichteten Betrachtungsweise gelöst und nimmt vor allem den Eingliederungsaspekt in den Blick (vgl. zuletzt: BSG Urt. v. 12.06.2024 – B 12 BA 8/22 R – juris Rn. 18 ff.). Dies entspricht den Entwicklungen in der Arbeitswelt, die das “klassische” Weisungsrecht im Sinne von tatsächlichen und laufenden Anordnungen zunehmend in den Hintergrund treten lassen (vgl. Bergner in: Meßling/Voelzke, Die Zukunft des Rechts- und Sozialstaates – Festschrift für Schlegel, 2024, S. 367, 372; Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl. 2021, § 7 Abs. 1 Rn. 84 f.). Im Rahmen der Eingliederung sind grundsätzlich auch Rahmenvereinbarungen, regulatorische Rahmenbedingungen oder “in der Natur der Sache” liegende Umstände zu berücksichtigen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 25 m.w.N.; Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 76, 88; Senatsurt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 51 ff.). Dabei kommt es weniger darauf an, woraus Abhängigkeiten und Bindungen resultieren, sondern vielmehr auf die Beurteilung, ob und inwieweit im Einzelfall noch Raum für unternehmerische Freiheit zur Gestaltung der Tätigkeit mit entsprechenden Chancen und Risiken verbleibt (vgl. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 25 m.w.N.).

Entsprechend genügt es (auch), wenn die Tätigkeit – wie hier (dazu unter (cc.)) – eingegliedert in den Betrieb des Auftraggebers erfolgt.

cc. R. war – wie bereits das SG zu Recht ausgeführt hat – in die fremde Arbeitsorganisation des Klägers umfassend eingegliedert.

Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers setzt regelmäßig voraus, dass die Tätigkeit innerhalb von Organisationsabläufen erbracht wird, die der Weisungsgeber vorhält, dass also dessen Einrichtungen/Betriebsmittel genutzt werden und arbeitsteilig mit vorhandenem Personal in vorgegebenen Abläufen bzw. Strukturen zusammengearbeitet wird (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 10/21 R – juris Rn. 20; Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 12/21 R – juris Rn. 22; Urt. v. 27.04.2021 – B 12 R 8/20 R – juris Rn. 24; Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 32). Eine dienende Teilhabe am Arbeitsprozess in diesem Sinne liegt in der Regel aber auch schon vor, wenn das Arbeitsziel und der betriebliche Rahmen vom Auftraggeber gestellt oder auf seine Rechnung organisiert werden. Sie kann selbst dann noch gegeben sein, wenn lediglich der Geschäfts- oder Betriebszweck vorgegeben und es dem Beschäftigten überlassen wird, welche Mittel er zur Erreichung der Ziele einsetzt (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 90 m.w.N.; Urt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 81; Urt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 59).

Diese Voraussetzungen liegen vor.

Zwar stellt ein Abstimmungsbedarf, wie er auf Baustellen notwendig ist, allein noch kein ausreichendes Indiz für eine Eingliederung dar, dies insbesondere dann nicht, wenn der Abstimmungsbedarf auf (technischen) Sachzwängen beruht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 29.05.2024 – L 9 BA 20/21 – juris Rn. 38). Jedoch dienten sämtliche der von R. im streitigen Zeitraum übernommenen Aufgaben hier dem Betriebszweck des Unternehmens des Klägers. Gegenüber den Kunden des Klägers kam R. keinen eigenen vertraglichen Verpflichtungen nach, da er mit diesen keine Verträge geschlossen hat. Vielmehr wurde er “lediglich” als Erfüllungsgehilfe des Klägers tätig (vgl. BSG Urt. v. 14.03.2018 – B 12 KR 12/17 R – juris Rn. 33) und war insofern Teil des klägerischen Personaltableaus (vgl. z.B. Senatsurt. v. 14.12.2022 – L 8 BA 159/19 – juris Rn. 86; Urt. v. 30.08.2017 – L 8 R 962/15 – juris Rn. 70). Sozialversicherungsrechtlich relevante Unterschiede zu sonstigem vom Kläger zur Sozialversicherung angemeldeten Personal sind im Übrigen weder vorgetragen noch erkennbar. Nach Beendigung der Tätigkeit des R. sind dessen Aufgaben auch durch einen – ebenfalls – angestellten Mitarbeiter des Klägers wahrgenommen worden.

R. erbrachte die von ihm durchgeführten Bauleistungen auch allein in dem vom Kläger “von A bis Z”, d.h. von der Akquise bis zur Zahlung, organisierten Rahmen. Seine Tätigkeit beschränkte sich vollumfänglich auf die Bearbeitung von Aufträgen Dritter, um die sich der Kläger bemüht hatte und die entsprechend diesem und nicht unmittelbar R. erteilt worden sind. Es war auch der Kläger allein, der für die reibungslose Durchführung der Aufträge einschließlich der Aufteilung der Arbeiten und deren Kontrolle sorgte. Schließlich nahm auch nur er die Abrechnung der Arbeiten gegenüber den Kunden vor. Eine derartige Vergütung auf den jeweiligen Ebenen stellt ebenfalls ein Indiz für eine Eingliederung dar (vgl. BSG Urt. v. 19.10.2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 24; Urt. v 19.10.2021 – B 12 R 1/21 R – juris Rn. 23; Senatsurt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 55).

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger gegenüber seinen eigenen Kunden einen “Rundumservice” an Arbeitsleistungen angeboten hat. Stellt sich die statusrechtlich streitige Tätigkeit (wie hier die des R.) nur als Wahrnehmung einer Teilaufgabe des gesamten “Ganzen” dar, d.h. ist er in einer solchen Konstellation – je nach dem Umfang seines Teilbereichs – (allein) “ein Rädchen bzw. Rad” innerhalb des von seinem Auftraggeber organisierten und einem Dritten angebotenen gesamten Ganzen, geht dies regelmäßig zwangsläufig mit einer Einbindung in die (engmaschige) Organisationsstruktur des Auftraggebers einher, die keinen Raum für eine wesentlich eigenständige Arbeitsorganisation lässt (vgl. Senatsurt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 62 m.w.N.; vgl. auch Senatsurt. v. 30.11.2022 – L 8 R 597/17 – juris Rn. 106 m.w.N.).

Als weiteres Merkmal der Eingliederung ist der Umstand zu werten, dass R. weitestgehend vom Kläger organisierte und bezahlte Betriebsmittel nutzte. Eine kostenfreie Überlassung von Betriebsmitteln durch den Kläger stellt ein Kriterium der Eingliederung dar (vgl. z.B. BSG Urt. v. 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – juris Rn. 21; Urt. v 19.10.2021 – B 12 R 1/21 R – juris Rn. 23; Urt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 100 m.w.N.; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 92; Beschl. v. 22.01.2024 – L 8 R 335/17 – juris Rn. 27). Nach seinen eigenen Angaben stellte der Kläger R. das für die Ausführung der Arbeiten notwendige Baumaterial vollumfänglich zur Verfügung. Jedenfalls teilweise nahm er R. zu den Baustellen in seinem Fahrzeug mit. Auch Werkzeug überließ er diesem mindestens (so seine Einlassung vor dem Senat) gelegentlich. R. selbst gab in dem der Beklagten übersandten Fragebogen zur sozialrechtlichen Feststellung sogar eine vollständige Inanspruchnahme von Werkzeugen des Klägers an und kreuzte ergänzend an, dass er nicht verpflichtet gewesen sei, in seiner hier streitigen Tätigkeit eigenes Kapital einzusetzen. Dass R. den Fragebogen hier – wie der Kläger meint – mangels hinreichender Deutschkenntnisse falsch ausgefüllt haben könnte, sieht der Senat schon vor dem Hintergrund, dass der Fragebogen vom Steuerberaterbüro übersandt worden ist, als Schutzbehauptung an.

Die erfolgte Eingliederung zeigt sich weiter daran, dass R. seine Tätigkeit jedenfalls teilweise gemeinsam mit dem Kläger und auch dessen sonstigen Mitarbeitern erbrachte. So gab der Kläger selbst an, dass er, seine Mitarbeiter und R. größere Arbeiten zusammen ausgeführt hätten. Insbesondere bei Rigipsarbeiten habe er dem Kläger “geholfen”, weil diese “für einen allein einfach zu schwer” seien. Zum Ausdruck kommt die Zusammenarbeit auch in der der Rechnung vom 15.12.2013 beigefügten Anlage, wonach R. dem Kläger beim Abbruch einer Wand “Hilfe” bei der Entsorgung geleistet hat. In welchem (genauen) Umfang R. letztlich gemeinschaftlich und in welchem Umfang allein an einem Gewerk gearbeitet hat, kann dahingestellt bleiben. Für eine Eingliederung genügt es (bereits), dass die Frage des Einsatzes (allein oder mit anderen) offenkundig vollständig der Disposition des Klägers unterlag.

Ein deutliches Indiz für eine Eingliederung (und zusätzlich für den Versuch, diese zu verschleiern), ist weiter darin zu sehen, dass R. die im Verfahren vorgelegten Rechnungen nicht selbst geschrieben hat, sondern dies durch die Ehefrau des Klägers an dessen Computer erfolgt ist. Soweit R. mangels Deutschkenntnissen (auch) nicht in der Lage war, Rechnungen in deutscher Sprache aufzusetzen, ist die für die entsprechende Handhabung genannte Motivation nicht geeignet, dem Umstand eine andere sozialversicherungsrechtliche Beurteilung beizumessen. Aus welchen Gründen eine Tätigkeit nach Weisungen bzw. unter Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation ausgeübt wird, spielt insoweit keine Rolle (vgl. z.B. BSG Urt. v. 27.04.2021 – B 12 R 16/19 R – juris Rn. 16; Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 81; Senatsbeschl. v. 22.01.2024 – L 8 R 335/17 – juris Rn. 30; Beschl. v. 16.03.2023 – L 8 R 997/17 – juris Rn. 47; Urt. v. 15.03.2023 – L 8 BA 132/19 – juris Rn. 62).

dd. Gesichtspunkte, die eine Selbstständigkeit des R. nahelegen, sind im Wesentlichen nicht vorhanden.

Über eine eigene Betriebsstätte verfügte R. nicht. Unabhängig davon, dass er offenkundig keinerlei – im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den Kläger stehenden – Büroarbeiten vorgenommen hat, stellt ein eventueller Arbeitsplatz in der von ihm gemeinsam mit dem Bruder des Klägers gemieteten Wohnung keine bei der Statusbeurteilung zu berücksichtigende Betriebsstätte dar (vgl. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 103 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 15.05.2023 – L 8 BA 32/23 B ER – juris Rn. 13; BFH Beschl. v. 09.05.2017 – X B 23/17 – juris Rn. 16).

Zudem trug R. – wie das SG zu Recht festgestellt hat – kein (ins Gewicht fallendes) unternehmerisches Risiko. Maßgebendes Kriterium ist nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 31.03.2017 – B 12 KR 16/14 R – juris Rn. 33 m.w.N.), denen sich der Senat in seiner ständigen Rechtsprechung angeschlossen hat (vgl. z.B. Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 97; Urt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 51/20 – juris Rn. 38; Urt. v. 29.01.2020 – L 8 BA 153/19 – juris Rn. 64 m.w.N.), ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt werden, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen und persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 31.03.2017 – B 12 KR 16/14 R – juris Rn. 33; Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 36; Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 104; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 98). Diese Voraussetzungen liegen bereits deshalb nicht vor, weil sämtliche wesentlichen, kostenintensiven Arbeitsmaterialien vom Kläger zur Verfügung gestellt worden sind und den ggf. in geringem Umfang von R. eingesetzten eigenen Werkzeugen demgegenüber jedenfalls nur eine weit untergeordnete Bedeutung zukommt.

Seine Tätigkeit hat R. zudem – arbeitnehmertypisch (vgl. z.B. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 27; Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 33 m.w.N.; Senatsurt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 67; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 101) – stets höchstpersönlich ausgeführt. Er verfügte nicht über eigene Beschäftigte und damit auch nicht über eine betriebliche Infrastruktur und ein entsprechendes Unternehmerrisiko in personeller Hinsicht (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 111; Urt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 67; Urt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 101). Dass die ihm gewährte Vergütung im Falle einer Schlechtleistung vermindert worden wäre, wie dies der Kläger behauptet hat, findet in der Aktenlage keine Stütze.

Eine Selbstständigkeit wird auch nicht durch die behauptete Tätigkeit des R. für mehrere Auftraggeber begründet. Vielmehr erhält dieses Kriterium erst in der Zusammenschau mit weiteren typischen Merkmalen einer selbstständigen Tätigkeit, wie z.B. einem werbenden Auftreten am Markt für die angebotene Leistung, an Gewicht (vgl. z.B. BSG Urt. v. 07.06.2019 – B 12 R 6/18 R – juris Rn. 33; Senatsurt. v. 22.06.2020 – L 8 BA 78/18 – juris Rn. 63 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 12.02.2020 – L 8 BA 157/19 B ER – juris Rn. 19 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass R. werbend am Markt aufgetreten ist, bestehen nicht. Eine werbende Tätigkeit am Markt in Deutschland würde zudem erwarten lassen, dass der Unternehmer entweder selbst der deutschen Sprache hinreichend mächtig ist bzw. über Angestellte verfügt, die entsprechende Kenntnisse aufweisen (vgl. Senatsbeschl. v. 01.02.2021 – L 8 BA 5/20 B ER – juris Rn. 56) oder jedenfalls relevante Werbeaktivitäten bei Unternehmen entfaltet, mit denen er sprachlich hinreichend kommunizieren kann. Nichts davon ist hier der Fall. Aussagekräftige Belege dafür, dass R. im Streitzeitraum – wie vom Kläger behauptet – parallel in Ungarn in einem (ins Gewicht fallenden) Umfang unternehmerisch tätig gewesen ist, sind zu keinem Zeitpunkt vorgelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich.

Die Gewerbeanmeldung des R. spricht gleichfalls nicht für eine selbstständige Tätigkeit, da der sozialversicherungsrechtliche Status eines Betriebsinhabers seitens der Gewerbeaufsicht nicht geprüft wird (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 120; Urt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 76).

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, für eine Selbstständigkeit des R. spreche dessen Berechtigung, für die von ihm geschuldeten Tätigkeiten Hilfskräfte einzusetzen, ist dies unzutreffend. Sofern man der Behauptung einer solchen Berechtigung überhaupt Glauben schenkt, vermag allein die Befugnis zur Delegation allenfalls dann ein Indiz für Selbstständigkeit darzustellen, wenn von dieser realistischerweise Gebrauch gemacht werden könnte (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 34 m.w.N.). Dies ist nicht ersichtlich, wenn dem Auftragnehmer – wie hier – grundsätzlich keine eigenen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter mit entsprechender Qualifikation zur Verfügung stehen (vgl. Senatsurt. Urt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 114).

ee. Angesichts des Umstandes, dass sich die § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV gesetzlich ausdrücklich hervorgehobenen (“insbesondere”) Kriterien für eine abhängige Beschäftigung – Weisungsgebundenheit und Eingliederung – feststellen lassen und R. weder über eine eigene Betriebsstätte verfügt noch im Auftragsverhältnis ein unternehmerisches Risiko getragen hat, sprechen alle wesentlichen Abgrenzungskriterien für eine abhängige Beschäftigung.

Eine Selbstständigkeit des R. lässt sich demzufolge auch nicht dadurch begründen, dass dies (jedenfalls) vom Kläger so gewünscht war. Überwiegen nach dem Gesamtbild die Indizien für eine abhängige Beschäftigung, kommt dem von diesem Ergebnis abweichenden Willen der Vertragsparteien keine ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.06.2024 – B 12 BA 8/22 R – juris Rn. 24). Die wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit kann nicht mit bindender Wirkung für die Sozialversicherung durch die Vertragsparteien vorgegeben werden, indem sie z.B. vereinbaren, eine selbstständige Tätigkeit zu wollen. Denn der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließt es aus, dass über die rechtliche Einordnung einer Person – als selbstständig oder beschäftigt – allein die Vertragsschließenden entscheiden. Über zwingende Normen kann nicht im Wege der Privatautonomie verfügt werden (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.06.2024 – B 12 BA 5/23 R – juris Rn. 15; Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 15; Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 10/21 R – juris Rn. 18; Senatsurt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 98; Urt. v. 12.07.2023 – L 8 R 541/17 – juris Rn. 38; Urt. v. 14.06.2023 – L 8 BA 208/18 – juris Rn. 43). Vielmehr kommt es entscheidend auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung der Vertragsverhältnisse an (vgl. z.B. BSG Urt. v. 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – juris Rn. 12 m.w.N.; Senatsurt. v. 26.01.2022 – L 8 BA 51/20 – juris Rn. 30 m.w.N.). Aus diesen ergibt sich – wie dargelegt – gerade nicht die (zumindest vom Kläger) beabsichtigte Selbstständigkeit des R..

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass zwar die konkrete Ausgestaltung der Vertragsbeziehung zwischen zwei Vertragspartnern grundsätzlich weitgehend ihrer Disposition unterliegt. Entsprechend steht es ihnen frei, dem Auftragnehmer einen derart großen Umfang an Weisungsfreiheit zuzugestehen, dass dies sozialversicherungsrechtlich als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit zu würdigen ist. Verfügt dieser dann noch über eine eigene Betriebsstätte, die er im konkreten Auftragsverhältnis auch nutzt und trägt er hier ein Unternehmerrisiko, steht einer (von den Vertragspartnern gewünschten) sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung als selbstständiger Tätigkeit regelmäßig nichts im Wege. Davon abzugrenzen sind jedoch Fallkonstellationen, in denen nicht die vertraglichen Umstände tatsächlich so ausgestaltet werden, dass sie einer selbstständigen Tätigkeit entsprechen, sondern in denen vielmehr allein bei der Darstellung einer – den tatsächlichen Umständen nach – abhängigen Beschäftigung nach außen bewusst der falsche Anschein einer selbstständigen Tätigkeit erweckt werden soll. Zu unterscheiden ist entsprechend eine Vertragsgestaltung, bei der die Vertragsparteien eine selbstständige Tätigkeit den Umständen nach tatsächlich ernsthaft begründen gegenüber einer Gestaltung, bei der tatsächliche Umstände einer dem Grunde nach abhängigen Beschäftigung lediglich zur Vermeidung der sozialversicherungsrechtlichen Abgabepflicht verdeckt werden sollen (vgl. z.B. Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 123 f.; Urt. v. 30.11.2022 – L 8 R 597/17 – juris Rn. 121). Im vorliegenden Fall sieht der Senat letzteres als offenkundig an. Der deutlich zutage tretende Wunsch des Klägers, die Tätigkeit des R. für die (Außen-)Beurteilung als selbstständig darzustellen, um der sozialversicherungsrechtlichen Abgabepflicht zu entgehen, zieht sich durch die gesamte Verfahrensführung.

ff. Ein – den Kläger berührender – Verstoß gegen europarechtliche Vorschriften oder das Grundgesetz ist von ihm nicht substantiiert dargelegt worden bzw. auch im Übrigen nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, R. “mache von der ihm europarechtlich gewährten Dienstleistungsfreiheit Gebrauch” bzw. die Rechtsauffassung der Beklagten stelle sich als “direkte Verletzung dieser Grundfreiheit” dar, ist eine Verletzung dieser durch Europarecht gewährten Freiheit bereits nicht ersichtlich. Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) steht der Anwendung (nur solcher) nationalen Regelungen entgegen, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen allein innerhalb eines Mitgliedstaats erschwert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt Art. 56 AEUV (lediglich) die Aufhebung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die darauf beruhen, dass der Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen ist, in dem die Leistung erbracht wird (vgl. z.B. EuGH Urt. v. 07.09.2023 – C-461/21 – juris Rn. 62). Inwiefern die deutschen statusrechtlichen Vorschriften und deren Auslegung durch die Behörden und Gerichte die Tätigkeiten des R. als (vermeintlich) Dienstleistendem, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen sollen (vgl. hierzu EuGH Urt. v. 17.12. 2015 – C-342/14 – juris Rn. 48), ist nicht erkennbar.

Darüber hinaus hat der Kläger in keiner Weise dargelegt, welches – eigene (klägerische) – Recht konkret verletzt sein soll. Soweit er in seiner Argumentation (allein) auf Rechte des R. abstellt, fehlt es bereits an einem Bezug zu der vermeintlichen eigenen Betroffenheit. Eine solche ist auch nicht ersichtlich.

Gleiches gilt für seine (bloße) Behauptung, die Auffassung der Beklagten verletze seine Grundrechte und die des Beigeladenen aus Art. 14 GG in der Ausprägung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Unabhängig davon, dass umstritten ist, ob das “Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb” überhaupt die konstituierenden Merkmale des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs aufweist (vgl. z.B. Epping/Hillgruber in: BeckOK Grundgesetz, 59. Ed., Stand 15.06.2024 – Rn. 52 m.w.N.), liegt ein Verstoß gegen Art. 14 GG nicht vor. Vielmehr ergibt sich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsabgaben aus dem öffentlichen Interesse an der Funktionsfähigkeit des Sozialversicherungssystems als Belang der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit und an einer sozialen Ausgestaltung des Wirtschaftsprozesses, die eine freie und zugleich sozialverträgliche Unternehmensführung gewährleistet (vgl. ausführlich BSG Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98 R – juris Rn. 154 ff.).

b. Die Voraussetzungen von Versicherungsfreiheitstatbeständen sind nicht erfüllt. Hinweise auf das Vorliegen einer geringfügigen Beschäftigung (§ 8 Abs. 1 SGB IV) oder das Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), die zum Ausschluss der Versicherungspflicht führen könnten, sind weder erkennbar noch geltend gemacht. Eine (anderweitige) hauptberufliche selbstständige Tätigkeit des R., die ggf. gem. § 5 Abs. 5 SGB V zur Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung führen könnte, ist nicht belegt. Versicherungsfreiheit im Recht der Arbeitsförderung wegen der Ausübung einer unständigen Beschäftigung nach § 27 Abs. 3 Nr. 1 SGB III (vgl. BSG Urt. v. 14.03.2018 – B 12 KR 17/16 R – juris Rn. 20) besteht nicht.

c. Die Höhe der Beitragsforderung und Umlagen für die Zeiträume vom 01.02.2013 bis 31.12.2013, 01.03.2013 bis 31.12.2014 und 01.03.2015 bis 31.10.2015 begegnet keinen Bedenken. Einwände hat der Kläger insoweit auch nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind weder erstattungsfähig noch sind diese mit Kosten zu belasten, da sie von einer Antragstellung abgesehen haben (vgl. § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1 S. 1, 52 Abs. 3, 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Gerichtskostengesetz.

BGH zu der Frage, dass der öffentliche Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung auszuhebenden und zu entfernenden Bodens nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben hat

BGH zu der Frage, dass der öffentliche Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung auszuhebenden und zu entfernenden Bodens nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben hat

vorgestellt von Thomas Ax

Der öffentliche Auftraggeber hat in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung auszuhebenden und zu entfernenden Bodens nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben. Sind erforderliche Angaben zu Bodenkontaminationen nicht vorhanden, kann der Bieter daraus den Schluss ziehen, dass ein schadstofffreier Boden auszuheben und zu entfernen ist (Anschluss an BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172).
BGH, Urteil vom 21. 3. 2013 – VII ZR 122/11; OLG Dresden (lexetius.com/2013,1129)
[1] Tatbestand: Die Klägerin verlangt von den Beklagten, einem Landkreis, einem Abwasserzweckverband und einer Gemeinde, zusätzliche Vergütung für Tiefbauarbeiten mit der Begründung, sie habe beim Ausbau einer Kreisstraße im Bereich einer Ortsdurchfahrt kontaminiertes Aushubmaterial angetroffen, das nicht ausgeschrieben gewesen sei.
[2] Die Klägerin wurde von den Beklagten im Jahr 2006 mit Tiefbauarbeiten für den Ausbau einer Kreisstraße beauftragt. Die Leistung war in mehrere Lose aufgeteilt, für die teils der Beklagte zu 1, teils der Beklagte zu 2 und teils die Beklagte zu 3 als Auftraggeber fungierten.
[3] In der Baubeschreibung heißt es unter Ziff. 2. 7 (Baugrund) unter anderem wie folgt:
“Die Baugrunduntersuchung wurde von W. G. B. durchgeführt. Die Untersuchung erfolgte mittels 4 Rammkernsondierungen. Dabei wurde eine lediglich ca. 4 cm dicke Asphaltdeckschicht aufgeschlossen, deren Teergehalt untersucht wurde. Dieser liegt noch unterhalb der Grenze für Wiedereinbau des Aufbruchgutes im Heißeinbau, so dass eine Wiederverwertung vollständig möglich ist …”
[4] Das Leistungsverzeichnis für die gesamten Arbeiten sieht in verschiedenen Positionen vor, dass Boden zu lösen, in das Eigentum des Auftragnehmers zu übernehmen und von der Baustelle zu entfernen ist. Bei den Losen 2, 3 und 5 sind gesonderte Zulagen für die Bodenklassen 2, 6 und 7 vorgesehen.
[5] Die Klägerin hat vorgetragen, das Aushubmaterial sei insbesondere wegen Chloridbelastung erheblich kontaminiert gewesen. Das Aushubmaterial habe nicht zum Wiedereinbau verwendet werden können und erhöhten Entsorgungsaufwand erfordert. Die Klägerin verlangt wegen Kontamination des Aushubmaterials zusätzliche Vergütung in Höhe von insgesamt 180.954,34 € nebst Zinsen.
[6] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte zu 3 zur Zahlung von 1.094,82 € wegen einer anderen, in der Revision nicht mehr interessierenden Leistung verurteilt und im Übrigen die Klageabweisung bestätigt.
[7] Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche auf zusätzliche Vergütung wegen Kontamination des Aushubmaterials weiter, nicht dagegen einen Restvergütungsanspruch in Höhe von 7.518,28 € für Rohranschlüsse.
[8] Entscheidungsgründe: Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 und 2 insgesamt und im Verhältnis zur Beklagten zu 3 hinsichtlich eines 7.518,28 € nebst Zinsen übersteigenden Betrags zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[9] I. Das Berufungsgericht führt aus, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Mehrvergütung der im Zusammenhang mit den behaupteten Kontaminationen entstandenen Kosten nicht zu.
[10] Der Klägerin sei gemäß den maßgeblichen Vertragsunterlagen und sonstigen Umständen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein außergewöhnliches Wagnis aufgebürdet worden. Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. K. habe zwar bei seiner Anhörung im Termin vom 23. Juni 2010 zunächst ausgeführt, dass ein Bieter mangels Feststellungen in der Baugrunduntersuchung zum Salzgehalt der Asphaltdeckschicht davon habe ausgehen dürfen, dass dieser Parameter auch ansonsten keine Rolle spiele. Auf Vorhalt der Einwände der Beklagten habe der Sachverständige sodann in seiner Stellungnahme vom 17. Januar 2011 allerdings klargestellt, dass sich mangels einer Untersuchung der Asphaltdeckschicht auf eine Chloridbelastung für einen verständigen Bieter gerade nicht der Schluss habe aufdrängen dürfen, eine solche Belastung komme in den darunter befindlichen, hier relevanten Bodenschichten überhaupt nicht vor. In seiner weiteren Anhörung am 9. März 2011 habe der Sachverständige schließlich ausgeführt, dass eine Untersuchung der Asphaltdecke auf Chloride ohnehin üblicherweise nicht stattfinde, so dass sich aus dem vorliegenden Befund (keine Hinweise auf eine Chloridbelastung dieser Schicht) für die als Fachunternehmen ausreichend verständige Klägerin keinesfalls der Schluss habe aufdrängen dürfen, die darunter liegende Schicht sei auf jeden Fall ohne Einschränkungen zu verwenden.
[11] Dies gelte hier umso mehr, als der fachkundigen Klägerin durchaus hätte bekannt sein können, dass der betreffende Streckenabschnitt angesichts seiner örtlichen Lage winterdienstlicher Behandlung ausgesetzt gewesen sein könnte, möge hieraus auch – zu Gunsten der Klägerin unterstellt – eine Salzbelastung nicht zwingend resultieren. Hinzu komme, dass nach den weiteren Erörterungen des Sachverständigen eine Salzbelastung in dieser Schicht ohnehin selten vorkomme, mithin eine diesbezügliche Untersuchung dieser Schicht auf eine solch seltene Belastung auch nicht naheliege. Umso weniger habe Anlass für einen durchschnittlichen Bieter bestanden, allein aus dem Fehlen weiterer Angaben zu einer vorhandenen Chloridbelastung der Deckschicht sicher zu schließen, dass eine solche auch in den darunter liegenden Schichten nicht auftreten würde.
[12] Zu keinem anderen Ergebnis führe auch der von der Klägerin angeführte Umstand, dass in vergleichbaren Fällen bei entsprechenden Anhaltspunkten stets auf eine Kontamination in den Ausschreibungsunterlagen hingewiesen worden sei. Hieraus ergebe sich weder ausdrücklich noch konkludent eine Übernahme des Risikos etwaiger Kontaminationen durch den Bauherrn.
[13] II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[14] 1. In der Revision ist davon auszugehen, dass die von der Klägerin behaupteten Kontaminationen des Aushubmaterials vorliegen.
[15] 2. Die Auslegung, welche Leistung von der Vergütungsabrede in einem Bauvertrag erfasst wird, obliegt dem Tatrichter. Eine revisionsrechtliche Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 12; Urteil vom 22. Juli 2010 – VII ZR 213/08, BGHZ 186, 295 Rn. 13 m. w. N.). Das Berufungsgericht hat gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze verstoßen.
[16] a) Ein Bieter darf die Leistungsbeschreibung einer öffentlichen Ausschreibung nach der VOB/A im Zweifelsfall so verstehen, dass der Auftraggeber den Anforderungen der VOB/A an die Ausschreibung entsprechen will (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 15; Urteil vom 11. März 1999 – VII ZR 179/98, BauR 1999, 897, 898 = ZfBR 1999, 256; Urteil vom 9. Januar 1997 – VII ZR 259/95, BGHZ 134, 245, 248; Urteil vom 11. November 1993 – VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64, 68). Danach sind die für die Ausführung der Leistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, wie z. B. Bodenverhältnisse, so zu beschreiben, dass der Bewerber ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. Die “Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung” in Abschnitt 0 der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen, DIN 18299 ff., sind zu beachten, § 9 Nr. 1 bis 3 VOB/A a. F. (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 15). Sowohl nach DIN 18299 [Ausgabe 2000] Abschnitt 0. 1. 18 (ebenso DIN 18299 [Ausgabe 2006] Abschnitt 0. 1. 20) als auch nach DIN 18300 [Ausgabe 2000 und Ausgabe 2006] Abschnitt 0. 2. 3 ist in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung nach den Erfordernissen des Einzelfalls anzugeben (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 22). Die ausdrückliche Angabe einer Bodenkontamination ist allerdings nicht in jedem Fall zwingend; sie kann unterbleiben, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass eine derartige Kontamination vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 22). Denn in solchen Fällen ist den in § 9 VOB/A a. F. zum Schutz des Bieters enthaltenen Ausschreibungsgrundsätzen Genüge getan, weil dieser auch ohne Angaben in der Ausschreibung eine ausreichende Kalkulationsgrundlage hat.
[17] b) Diese Auslegungsgrundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Der Senat kann die fehlerhafte Auslegung des Berufungsgerichts durch eine eigene Auslegung der mit den Beklagten geschlossenen Verträge ersetzen, da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind.
[18] Danach haben die Beklagten die betreffenden Bodenschichten schadstofffrei ausgeschrieben. Dabei kann dahinstehen, ob sich das bereits daraus ergibt, dass – wie die Klägerin behauptet – in vergleichbaren Fällen in den Ausschreibungsunterlagen stets auf eine Schadstoffbelastung hingewiesen worden ist, weshalb die Klägerin wegen dieses Ausschreibungsverhaltens habe annehmen dürfen, dass der Boden nicht kontaminiert sei. Der Boden ist schon deshalb als unbelastet ausgeschrieben, weil die Beklagten in ihrer Ausschreibung keine Angaben zu einer möglichen Chlorid- oder sonstigen Schadstoffbelastung gemacht haben. Die Beklagten waren gemäß DIN 18300 Abschnitt 0. 2. 3 gehalten, nach den Erfordernissen des Einzelfalls Angaben zur Schadstoffbelastung nach Art und Umfang zu machen. Es liegen keine Umstände vor, wonach die Beklagten von Angaben zu relevanten Schadstoffbelastungen hätten absehen können.
[19] Sie machen nicht geltend, dass ihnen eine Untersuchung des Bodens vor der Ausschreibung auf eine Belastung der unterhalb der Tragschicht gelegenen Bodenschicht unzumutbar gewesen wäre. Es kann deshalb dahinstehen, wie eine Ausschreibung ohne Angaben zu Kontaminationen im Einzelfall zu verstehen ist, wenn der Auftraggeber auf eine Bodenuntersuchung verzichtet, weil diese einen unzumutbaren Aufwand erfordert.
[20] Allein der Umstand, dass die Bieter – auch wegen eventueller Kenntnisse vom Winterdienst auf der betreffenden Straße – mit dem Vorliegen einer Chloridkontamination rechnen mussten, rechtfertigte es nicht, von Angaben dazu in der Ausschreibung abzusehen. Angaben zu Kontaminationen sind entbehrlich, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass der auszuhebende Boden kontaminiert ist. Ein derartiger Fall liegt hier angesichts der vom Berufungsgericht übernommenen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. K., wonach eine Salzbelastung in derartigen Bodenschichten selten vorkommt (vgl. Protokoll des Termins vom 9. März 2011, Seite 3), nicht vor.
[21] Ergibt sich eine Schadstoffbelastung aus den gesamten Vertragsumständen nicht klar, sind Angaben dazu nach Art und Umfang grundsätzlich erforderlich.
[22] DIN 18300 Abschnitt 0. 2. 3 dient gerade dazu, die bestehende Ungewissheit zu beseitigen und dem Bieter eine ausreichende Kalkulationsgrundlage zu verschaffen.
[23] Die Klägerin durfte davon ausgehen, dass sich die Beklagten an die Ausschreibungsregeln halten. Sie durfte deshalb aus dem Umstand, dass eine Schadstoffbelastung des Bodens nach Art und Umfang nicht angegeben war, den Schluss ziehen, dass die Beklagten den Aushub schadstofffreien Bodens ausgeschrieben hatten. Genauso war das Angebot der Klägerin zu verstehen, das die Beklagten angenommen haben. Die Parteien haben danach den Aushub schadstofffreien Bodens vereinbart.
[24] III. 1. Das Berufungsurteil kann nach alledem, soweit im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 und 2 insgesamt und im Verhältnis zur Beklagten zu 3 hinsichtlich eines 7.518,28 € nebst Zinsen übersteigenden Betrags zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, mit der gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben. Es ist in diesem Umfang aufzuheben. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
[25] 2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
[26] a) Das Berufungsgericht wird Feststellungen zu den von der Klägerin behaupteten Kontaminationen des Aushubmaterials zu treffen haben. Dabei wird zu beachten sein, dass die Klägerin nicht nur Chloridkontaminationen, sondern auch Arsenkontaminationen behauptet hat (vgl. insbesondere Schriftsatz vom 2. Juni 2009, Seite 7).
[27] b) Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die von der Klägerin behaupteten Kontaminationen vorliegen, wird es sich mit den geltend gemachten Mehrvergütungsansprüchen zu befassen haben.

Kurz belichtet: Bodenkontamination klar erkennbar: Kein ausdrücklicher Hinweis erforderlich

Kurz belichtet: Bodenkontamination klar erkennbar: Kein ausdrücklicher Hinweis erforderlich

OLG Naumburg, Urteil vom 27.06.2019 – 2 U 11/18

1. Die ausdrückliche Angabe einer Bodenkontamination in den Vergabeunterlagen ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass eine derartige Belastung vorliegt.

2. Ein 58 Seiten umfassender geotechnischer Bericht kann nicht dadurch wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen werden, dass in der allgemeinen Baubeschreibung ein Hinweis auf ihn und darauf erfolgt, dass Bieter die Möglichkeit einer Einsichtnahme erhalten.

3. Ein Bieter darf bei einem erkennbar lückenhaften Leistungsverzeichnis nicht einfach von einer ihm günstigen Preisermittlungsgrundlage ausgehen, sondern muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebots zu klären versuchen.

OLG Köln zu der Frage der Durchführung von Erkundigungsmaßnahmen, wenn sich beim Baugrund Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung ergeben und zu der Frage, dass die Leistungsbeschreibung grundsätzlich eine Bestätigung enthalten muss, aus der sich ergibt, dass die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen zu Erkundigungs- und Räumungspflichten erfüllt wurden

OLG Köln zu der Frage der Durchführung von Erkundigungsmaßnahmen, wenn sich beim Baugrund Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung ergeben und zu der Frage, dass die Leistungsbeschreibung grundsätzlich eine Bestätigung enthalten muss, aus der sich ergibt, dass die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen zu Erkundigungs- und Räumungspflichten erfüllt wurden

vorgestellt von Thomas Ax

1. Zu den Anforderungen an eine durch den Auftraggeber erklärte Kündigung aus wichtigem Grund, wenn der mit der Gestaltung von Außenanlagen beauftragte Auftragnehmer unter Berufung auf eine ungeklärte Kampfmittelfreiheit der Baustelle die Ausführung der Arbeiten verweigert.
2. Für den (hier: öffentlichen) Auftraggeber bestehen hohe Anforderungen hinsichtlich der Durchführung von Erkundigungsmaßnahmen, wenn sich beim Baugrund Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung ergeben. Verdachtsflächen sind auf Kampfmittelbelastung zu untersuchen, zu bewerten und gegebenenfalls zu räumen. Auf entsprechende Maßnahmen kann verzichtet werden, wenn in dem betroffenen Bereich der Luftkrieg stattgefunden hat und die geschuldeten Arbeiten in einem Bereich bis 0,8 m unterhalb der Geländeoberkante 1945 oder in nach dem Krieg erfolgten Aufschüttungen stattfinden und erschütterungsarm durchgeführt werden sollen.
3. Der Auftraggeber, der das Vergaberecht zu beachten hat, muss schon bei der Ausschreibung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A 2019 die wesentlichen Bodenverhältnisse beschreiben. Aus § 8a Abs. 3 Satz 1 VOB/A 2019, ATV DIN 18299 Abschnitt 0.1.17 folgt, dass die Leistungsbeschreibung grundsätzlich eine Bestätigung enthalten muss, aus der sich ergibt, dass die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen zu Erkundigungs- und Räumungspflichten erfüllt wurden. Das Fehlen dieser Bestätigung berechtigt den Auftragnehmer nicht schlechthin zur Leistungsverweigerung, soweit die Kampfmittelfreiheit durch andere Umstände hinreichend nachgewiesen wird.
4. In Nordrhein-Westfalen steht der zuständigen Ordnungsbehörde die maßgebliche Entscheidungskompetenz zu, ob und welche Untersuchungsmaßnahmen im Einzelfall erfolgen.
5. Wenn ein Auftraggeber seiner Pflicht zur Klärung der Kampfmittelfreiheit des Baugeländes nahezu vollständig nachgekommen ist (hier: mindestens 85 % des zu bearbeitenden Bereichs), verletzt der Auftragnehmer seine bauvertragliche Kooperationspflicht, wenn er seine Leistung vollständig verweigert, obwohl ihm Arbeiten in wesentlichen Teilbereichen gefahrlos möglich wären.
OLG Köln, Urteil vom 25.10.2023 – 16 U 130/22
vorhergehend:
LG Bonn, 13.07.2022 – 13 O 207/21
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem infolge unterschiedlicher Ansichten zur Kampfmittelsituation des Baugrunds gekündigten Bauvertrag.
Unter der Vergabenummer ### betrieb die Beklagte im Jahr 2019 eine öffentliche Ausschreibung bezüglich der Erstellung der Außen-/Freianlagen rund um die bereits errichtete Dreifachturnhalle des Schul- und Sportparks ### in ###, gelegen an der E-straße zwischen der sich im Norden befindenden ### und dem südöstlich gelegenen Theater ###. Inhalt der ausgeschriebenen Baumaßnahme war die Anlage von Wegen, Stellplätzen und Anpflanzungen sowie eine Geländeaufschüttung auf der nordöstlichen Seite zum Haupteingang und die Errichtung einer Treppenanlage auf der Südseite. Die Ausschreibung umfasste u.a. die Aushebung von 19 Baum-Pflanzgruben mit einer Tiefe von 100 bis 140 cm (LV-Pos. 04.00.0004).
Kanalarbeiten waren nicht Gegenstand der Ausschreibung, vielmehr hatte die Fa. ### die für die Errichtung des Regenwasserkanals bis zu einer Tiefe von 4 Metern erforderlichen Ausgrabungen bereits durchgeführt und dabei an den vorgesehenen Stellen Ableitungen des Kanals bis ca. 1 Meter unterhalb der Geländeoberfläche geführt und diese mit Anschlussstutzen versehen. Zu der Erstellung der Außen-/Freianlagen gehörte aber die Entwässerung etwa der herzustellenden Pflasterflächen, wofür die Aushebung von Rohrleitungsgräben mit einer durchschnittlichen Tiefe von 80 bis 125 cm (LV-Pos. 04.00.007) ausgeschrieben und die entsprechenden Entwässerungsleitungen an den seitens der Fa. ### errichteten Regenwasserkanal anzuschließen waren.
Zu den Ausschreibungsunterlagen gehörte ein “1. Bericht zum Baugrund” der ### GmbH – verfasst von deren Geschäftsführer Dipl.-Geol. ### – vom 07.03.2017, in dem es auf Seite 27 (LG-173) u.a. heißt: “Beim Landesbetrieb Kampfmittel in ### ist über das Ordnungsamt der Stadt ### eine Anfrage bezüglich des Kampfmittelverdachts und des weiteren Vorgehens bei Aushub/Baugrubensicherung gestellt worden. [Die betroffene Stadt] war im II. Weltkrieg als Verkehrsknotenpunkt wiederholt Ziel von Luftangriffen, die sich auf den Bahnhofsbereich konzentrierten. Nach der Besprechung im Februar 2017 ist ein Blindgängerverdacht vorhanden. Ggf. empfiehlt sich eine Beräumung im Zuge der Kanalbauarbeiten vorzunehmen, da evtl. eine Verbau erforderlich wird. Die Erkundung des Blindgängers ist in Abstimmung mit einer Fachfirma für Kampfmittelräumung (z. B. Fa.###, die auch beim Neubau Mensa gearbeitet hatte) vorzunehmen.”

Der in dem Bericht genannte Blindgängerverdacht beruhte auf einer Luftbildauswertung, wurde im Rahmen der Kanalarbeiten der Fa. ### seitens der Beklagten überprüft und dabei der Verdacht ausgeräumt.
Die Klägerin gab mit Schreiben vom 12.04.2019 ein Angebot mit der Auftragssumme 674.650,74 Euro ab (LG-32 ff.). Mit Schreiben vom 28.05.2019 erteilte die Beklagte der Klägerin unter Einbeziehung der VOB/B den Auftrag, wobei der Baubeginn am 08.07.2019 und die Fertigstellung bis zum 31.10.2019 erfolgen sollte.

Nach dem Vertragsschluss kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien über den Umfang der notwendigen Aufklärung über die aus dem II. Weltkrieg resultierende Kampfmittelbelastung der von der Klägerin zu bearbeitenden Flächen und der dazu abgegebenen Erklärungen der Beklagten. Dabei besteht indes ein grundsätzliches Einvernehmen der Parteien dahingehend, dass bei Arbeiten bis zu einer Tiefe von 0,8 m GOK 1945 (= zum Kriegsende 1945 bestehende Geländeoberkante) die Kampfmittelbelastung keine Rolle spielt, wenn die Erdarbeiten nicht mit erheblichen mechanischen Belastungen verbunden sind.

Im Einzelnen ergaben sich insbesondere folgende Ereignisse:
27.06.2019: In einer Baubesprechung vor Ort bestätigt Herr ### vom Bauamt der Beklagten der Klägerin, es bestehe eine Kampfmittelfreiheit (s. das Besprechungsprotokoll vom 01.07.2019, LG-62).
15.07.2019: Die Klägerin richtet die Baustelle ein.
16.07.2019: Herr ### erklärt in einer Baubesprechung vor Ort, in Korrektur der Erklärung vom 27.06.2019 könne eine Kampfmittelfreiheit nicht bescheinigt werden, der Bauherr sei aber in Rücksprache mit den zuständigen Ordnungsbehörden seiner erforderlichen Sorgfaltspflicht nachgekommen (s. das Besprechungsprotokoll vom 17.07.2019, LG-65).
18.07.2019: Die Klägerin übersendet der Beklagten eine Behinderungsanzeige, da keine Kampfmittelfreiheit bestehe (LG-69 f.) und stellt die Arbeiten vollständig ein. Die Beklagte weist die Behinderung mit Schreiben vom gleichen Tag zurück, zum Thema Kampfmittel habe man die unternommenen Schritte mehrfach erläutert (LG-71 f.).
19.07.2019: Die Klägerin weist die Beklagte schriftlich darauf hin, dass ihre Behinderungsanzeige aufrecht erhalten bleibt (LG-74).
22.07.2019: Die Beklagte fordert die Klägerin schriftlich zur Aufnahme der Arbeiten zum 23.07.2019 sowie zur fristgerechten Fertigstellung der Arbeiten auf (LG-76). Die Klägerin wiederholt schriftlich ihre Behinderungsanzeige wg. “Fehlende(r) Bestätigung der Kampfmittelfreiheit” (LG-77 f.) und erklärt der Beklagten in einem weiteren Schreiben, dass diese in Verzug gesetzt werde (LG-79 f.).
23.07.2019: Die Beklagte schreibt der Klägerin u.a. (LG-81):
“Im Protokoll vom 16.07.2019 wurde festgehalten, dass eine Kampfmittelfreiheit nicht bestätigt werden kann. Dieses bezieht sich aber gemäß der fortgeführten Erläuterung in dem Protokoll und der Klarstellung im Schreiben vom 18.07.2019 auf die Luftbildauswertung. Die Luftbildauswertung kann in der Tat keine Aussagen über die Bestandteile der nachweislich, nach Abschluss der Kriegshandlungen erfolgten Aufschüttungen machen. Gemäß geltender Erlasslage, einschlägigen Hinweisen zur Verfahrensweise wurden Recherchen zu der Zeit der Aufschüttung getätigt. Damit ist auch der Bereich des Aufbaues der bereits bebauten Flächen (Aufschüttung und Bodenbelagsaufbau) als “kampfmittelfrei” zu bewerten. Bereits mit Schreiben vom 18.07.2019 haben wir Ihnen dies mitgeteilt und erläutert, dass alle notwendigen Schritte im Sinne der “Kampfmittelfreiheit” in Rücksprache mit den für die “Kampfmittelfreiheit” zuständigen Fachbehörden erfolgt sind und das Baufeld für die vorgesehenen, planerisch dokumentierten Arbeiten als “kampfmittelfrei” – nach Stand der Technik und der einschlägigen Richtlinien – zu bewerten ist. Dies gilt umso mehr, da sich die Eindringtiefe im Ostbereich der Halle – aufgrund des guten Untergrundes – nunmehr verringern wird. Hierzu werden Sie noch gesonderte Informationen durch unsere Bauleitung erhalten.”
24.07.2019: Schreiben der Beklagten an die Klägerin (LG-1381), u.a. mit folgendem Inhalt:
“entsprechend unserer heutigen Besprechung führen Sie noch einige oberflächennahe Arbeiten aus, zudem sind Sie … morgen zum Zwecke der Erstellung von Probeschürfungen um ca. 07:00 Uhr auf der Baustelle. Nach diesen Arbeiten wird die Ausführung bis zur Vorlage der erforderlichen Deklarationen bis einschließlich Montag, den 29.07.2019 ruhen. Im Zeitraum von Dienstag-Freitag von 07:30 bis 16:30 steht für die Arbeiten begleitend ein Fachkundiger nach § 20 Sprengstoffgesetz (Befähigungsschein) zur Verfügung. Den entsprechenden Anweisungen des Sachkundigen muss, mit begleitender Information der Bauleitung, Folge geleistet werden.”
31.07.2019: In einem Schreiben der Bezirksregierung ### (OLG-209) an das Ordnungsamt der Beklagten nimmt die Bezirksregierung auf ein Schreiben des Ordnungsamtes vom 24.07.2019 Bezug und empfiehlt diesem, wegen Luftbilder-Hinweisen auf vermehrte Bombenabwürfe (s. insoweit den Plan der Bezirksregierung, LG-1259) einen Antrag auf Kampfmitteluntersuchung zu stellen.
05.08. bis ###: Briefwechsel der vorprozessual für die Klägerin tätigen Rechtsanwälte
08.08.2019: ### (verfasst von dem nunmehr für die Prozessbevollmächtigten der Klägerin tätigen Rechtsanwalt ###) mit dem für die Beklagte bereits vorprozessual beauftragten Rechtsanwalt ###.
14.08.2019###Im Anschluss an eine Baubesprechung übersendet der Beklagten-Vertreter dem Kläger-Vertreter gemäß E-Mail vom selben Tag (LG-128) insbesondere folgende Unterlagen [s. auch den Tatbestandsberichtigungsbeschluss des Landgerichts vom 27.07.2022 (LG-1590) iVm S. 14 der Klageerwiderung (LG-380)]:
– Schreiben der ### GmbH vom 15.07.2019, verfasst von Dipl.-Geol. ### (LG-396 f.),
– Merkblatt für Baugrundeingriffe (LG-391-395),
– Lageplan mit Angabe der Auffüllhöhen [dabei handelt es sich um den Plan “Kampfmitteluntersuchung” (= Anlage B8, LG-1297), s. die Zuordnung in der Klageschrift (LG-16 f.) und in der Klageerwiderung (LG-373)]
– Bestätigung der ### GmbH vom 01.08.2019 über das Ergebnis der Störkörpersuche (LG-403 f.),
– Farbig markiertes Luftbild der Störkörpersondierung (LG-405),
– Schreiben des Ordnungsamtes vom 14.08.2019 an den “Stadtbetrieb Zentrales Immobilienmanagement ZIM Im Hause” (LG-398 f.),
– Schema zur Lage der GOK 1945 und Auffüllungen (LG-437)
15.08.2019: Unter Bezugnahme auf die übermittelten Unterlagen verweigert die Klägerin gemäß Schreiben der Rechtsanwälte M. weiterhin die Fortsetzung der Arbeiten (LG 442-445).
16.08.2019: Der Beklagten-Vertreter erklärt wegen Verletzung der Kooperationspflichten eine Teilkündigung des Vertrags (LG 446-449).
04.09.2019: Herr ### (Bauamt der Beklagten) wendet sich per E-Mail mit Unterlagen an das Ordnungsamt der Beklagten und bittet u.a. um eine Handlungsempfehlung für die weiteren Maßnahmen im nachkriegsaufgeschütteten Bereich (OLG-205 f.)
09.09.2019: Das Ordnungsamt der Beklagten stellt einen “Antrag auf Kampfmitteluntersuchung” an die Bezirksregierung für eine Fläche “gem. LBA 8.100 m². Arbeitsbereiche – nur im aufgeschüttetem Bereich ca. 1200 m²” (OLG-200 f.) mit einer Begleit-Mail “mdB um eine konkrete Handlungsempfehlung” (OLG-208) sowie einem Plan (Anlage B25 = LG-453) mit Angaben zur Luftbildauswertung und Arbeitsbereichen im nachkriegsaufgeschütteten Bereich. In der E-Mail-Antwort der Bezirksregierung vom gleichen Tag (OLG-207) heißt es:
“In den übersendeten Unterlagen werden Aufschüttungen von bis zu 4 Metern bekannt gegeben. Ohne die Entfernung dieser Aufschüttungen ist eine Kampfmittelräumung ab der Oberfläche (GOK 1945) nicht möglich. Im Zuge der Arbeitssicherheit ist es mir nicht mehr möglich Ihnen eine Handlungsempfehlung zu geben, somit obliegt dieses Ihnen oder dem Bauherren.”
02.10.2019: Mit anwaltlichem Schreiben teilt die Beklagte der Klägerin die Ergebnisse weiterer interner Prüfungen mit und fordert diese bis zum 18.10.2019 zur Wiederaufnahme der (nach Teilkündigung noch geschuldeten) Arbeiten auf und kündigt die Entziehung des Gesamtauftrags an (LG-1397 ff.).
04.10.2019: Das Ordnungsamt teilt dem “Stadtbetrieb Zentrales Immobilienmanagement ZIM Im Hause” u.a. schriftlich mit (OLG-636), die beabsichtigten Bauarbeiten in nach 1945 erfolgten Aufschüttungen könnten unter Beachtung der üblichen Vorkehrungen ohne weitere Kampfmittelüberprüfungen durchgeführt werden.
25.10.2019: Die Beklagte kündigt den Bauvertrag wegen fruchtlosen Fristablaufs (LG-459).
Allein auf diese Kündigung vom 25.10.2019 hat die Klägerin ihre Zahlungsklage gestützt. Sie hat für bereits erbrachte Leistungen und “Stillstandsvergütung” einen auf Basis ihrer von der Beklagten teilweise gekürzten Rechnung vom 28.12.2019 (LG-176 ff.) im Einzelnen berechneten Restvergütungsanspruch iHv 340.019,66 Euro brutto (vgl. LG-25 f.) und als “Kündigungsvergütung” einen weiteren, gemäß Schreiben vom 31.12.2019 (LG-245 ff.) berechneten Zahlungsanspruch iHv 295.703,39 Euro netto geltend gemacht sowie Privatgutachterkosten iHv insgesamt 2.562,83 Euro brutto (Berechnung s. LG-28 f.) sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten iHv 5.514,50 Euro netto (Berechnung s. LG-30) begehrt. Vorprozessual hat die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 06.03.2020 die Beklagte bezüglich der beiden Rechnungen sowie der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zum Zahlungsausgleich bis zum 31.03.2020 aufgefordert (LG- 334 f.).
Die Beklagte hat gegenüber einem unstreitigen Vergütungsanspruch der Klägerin in Höhe von 10.672,81 Euro die Aufrechnung mit anwaltlichen Gebühren in Höhe von 6.736,35 Euro, Maßnahmen zur Störkörperdetektion in Höhe von 3.748,50 Euro und Architektenkosten in Höhe von 5.337 Euro erklärt.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, es liege eine freie Kündigung der Beklagten vor, denn diese habe keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Bauvertrages gehabt. Ihr – der Klägerin – habe ein Recht zur Leistungsverweigerung zugestanden, weil die Beklagte zu der Frage der Kampfmittelbelastung des Baugeländes nur unzureichende Auskünfte erteilt habe und sie deshalb nicht verpflichtet gewesen sei, auf Basis der von der Beklagten übersandten Informationen die Arbeiten fortzuführen. Insbesondere seien die Bereiche des Baufeldes ohne Luftbildauswertung insgesamt mehr als 100 qm groß (LG-652).
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie
1.) 340.019,66 Euro,
2.) 295.703,39 Euro und
3.) 2.562 83 Euro,
dies jeweils nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 sowie
4.) 5.514,50 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung gewesen, ihre Kündigung sei als außerordentliche Kündigung aus wichtigen Grund gemäß §§ 8 Ziff. 3 Abs. 1, 5 Nr. 4 VOB/B wirksam, da die zuständigen Behörden nach entsprechender Überprüfung die Kampfmittelgefahr verneint hätten und die Klägerin keine weitergehenden Informationen habe verlangen können, als diejenigen, welche sie erhalten habe.
Die Beklagte hat behauptet, sie habe der Klägerin zugestanden, die Entwässerungsleitungen dort, wo im westlichen Bereich keine Luftbildauswertung vorgelegen habe, oberhalb des frostfreien Bereiches von 0,8 m – und damit objektiv mangelhaft – anzulegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils in der Fassung des Tatbestandsberichtigungs-Beschluss vom 27.07.2022 (LG-1590 ff.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage nur iHv 15.023,75 Euro nebst Zinsen teilweise stattgegeben und sie im Übrigen in weit überschießender Höhe abgewiesen.
Im Hinblick auf die Klagezusprechung seien ein gemäß § 631 BGB berechtigter Vergütungsanspruch der Klägerin für erbrachte Leistungen iHv 10.672,81 Euro brutto als unstreitig sowie die Einwände der Beklagten gegen die Berechtigung der Position 09.0 iHv 4.350,94 Euro brutto als unsubstantiiert und damit unbeachtlich anzusehen. Verzug sei erst durch die Fristsetzung im Schreiben vom [zutreffend:] 06.03.2020 zum 01.04.2020 eingetreten.
Darüber hinausgehende Zahlungsansprüche stünden der Klägerin indes nicht zu, da die Gesamtkündigung der Beklagten vom 25.10.2019 gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 iVm § 5 Abs. 4 VOB/B wirksam erfolgt sei. Es habe ein Grund zur außerordentlichen Kündigung vorgelegen, da der Klägerin im Hinblick auf die streitgegenständliche Kampfmittelgefahr jedenfalls kein Leistungsverweigerungsrecht in einem Umfang zugestanden habe, der die vollständige Einstellung und Nichtwiederaufnahme der Arbeiten hätte rechtfertigten können.

Eine generell abzuklärende Kampfmittelgefahr habe von vornherein nur für die zwei Konstellationen bestanden, dass die Arbeiten (1.) unterhalb von 0,8 m GOK oder (2.) in den Aufschüttungen oberhalb der GOK 1945 und dies mit erheblichen mechanischen Belastungen erfolgen sollten. Die Klägerin unterliege einem entscheidenden Missverständnis sowie einer Fehlinterpretation der Schreiben des Ordnungsamtes und der Bezirksregierung, wenn sie meine, dass auch bei den Arbeiten, die ausschließlich im Bereich der nach 1945 erfolgten Aufschüttungen vorgenommen werden sollten, generell eine Luftbildauswertung bzw. weitergehende Sondierungsmaßnahmen erforderlich seien.

Die Beklagte habe ihre gegenüber der Klägerin bestehende Aufklärungspflicht spätestens mit den am 14.08.2019 übersandten Unterlagen und Erläuterungen hinreichend erfüllt. Sie habe dadurch hinreichend dargelegt, dass zumindest der überwiegende Teil der Arbeiten in Bereichen vorzunehmen sein würde, in welchen keine relevante Gefahr durch Kampfmittel bestehe. Die Verweigerung der Arbeiten auf dem gesamten Baugelände seitens der Klägerin sei nicht gerechtfertigt gewesen. Die damit verbundene Komplettverweigerung stelle eine erhebliche Pflichtverletzung der Klägerin dar, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten der umfangreichen Urteilsbegründung wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil richten sich die Berufung der Klägerin sowie die Anschlussberufung der Beklagten.
Mit ihrer Berufung begehrt die Klägerin weiterhin die Zusprechung der abgewiesenen Zahlungsanträge – mit Ausnahme der Privatgutachterkosten – sowie Verzugsbeginn bereits ab dem 01.02.2020.

Die Klägerin rügt im Einzelnen, das Landgericht habe den Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Weise fehlerhaft entschieden:
So habe das Landgericht ausser acht gelassen, dass die Beklagte ihr – der Klägerin – nicht alle notwendigen Informationen vorgelegt habe. Auch habe das Landgericht verkannt, dass die Beklagte als Bauherrin eine Erklärung zur Kampfmittelfreiheit des Baufeldes in Form einer Erklärung nach ATV DIN 18299, Abschnitt 0.1.17 der VOB/C schuldete, die nicht vorgelegt worden sei. Entgegen der Ansicht des Landgerichts reiche es nicht aus, dass der Bauherr nach Einschaltung der zuständigen Behörden dem Auftragnehmer lediglich Unterlagen zusendet und Argumente vorbringt, aus denen dieser ableiten soll, dass Kampfmittelfreiheit vorliegen könnte.
Das Landgericht habe zudem unberücksichtigt gelassen, dass die Bezirksregierung in der E-Mail vom 09.09.2019 darauf verwiesen habe, ihr sei ohne die Entfernung der festgestellten Aufschüttungen eine Kampfmittelräumung ab der Oberfläche (GOK 1945) nicht möglich. Die Beklagte habe bis heute keine Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ergebe, dass aufgrund ihres Antrages vom 09.09.2019 eine notwendige Kampfmitteluntersuchung durchgeführt worden sei. Es treffe zudem weder zu, dass nach 1945 entstandene Aufschüttungen nicht entfernt werden müssten, wenn nur in den Aufschüttungen Baumaßnahmen erfolgten, noch, dass Bereiche überbaut werden dürften, unter denen ungeklärte Kampfmittelverdachtsflächen liegen.
In Bezug auf die frostfrei zu verlegenden Rohrleitungen habe das Landgericht übersehen, dass wegen der Rohrdicke und des Bettungsmaterials eine Bearbeitungstiefe bis zu 130 cm unter GOK und im Hinblick auf das gebotene Gefälle sogar eine Tiefe von bis zu 200 cm unter GOK erforderlich gewesen wäre.

Weiterhin ist die Klägerin der Ansicht, die Beklagte habe zum Zeitpunkt der Kündigung gewusst, dass sie keine Erklärung zur Kampfmittelfreiheit gegenüber der Klägerin abgeben konnte, weil der größte Teil des Baugrunds weder von der Ordnungsbehörde der Beklagten, noch von der Bezirksregierung ### jemals auf Kampfmittelfreiheit überprüft worden sei. Insoweit vertieft die Klägerin ihr Vorbringen im Einzelnen um Erkenntnisse, die sie aufgrund von Akteneinsichten nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW bei der Bezirksregierung ### und auch bei der Beklagten erlangt hat. Dabei führt die Klägerin im Zusammenhang mit der Darstellung der von der Beklagten veranlassten Luftbildauswertungen u.a. auch aus, dass die Gesamtfläche des von ihr zu bearbeitenden Baugrundes sich auf [ca. 7.160 qm (s. OLG-156 f. unter Bezugnahme auf Anlage K47) bzw 8.100 qm (s. OLG-161, 163 unter Bezugnahme auf die Anlagen K49 f.) abzüglich ca. 3.000 qm für die Dreifachturnhalle (s. OLG-158 unter Bezugnahme auf Anlage K48) =] ca. 4.160 bis 5.100 qm belief. Schließlich trägt die Klägerin noch vor, ein von ihr bei der Luftdatenbank Dr. ### GmbH eingeholtes Auswertungsprotokoll vom 05.04.2023 habe ergeben, dass es zahlreiche Bombenabwürfe auf das Baufeld gegeben habe und fünf Blindgängerverdachtspunkte vorhanden seien (s. insoweit die Abbildung OLG-478), die von der Beklagten nicht untersucht worden seien.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des am 13.07.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Bonn – 13 O 207/21 – die Beklagte zu verurteilen, an sie
1.) einen weiteren Betrag iHv 324.995,91 Euro und
2.) einen Betrag iHv 295.703,39 Euro,
jeweils nebst Zinsen iHv 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 sowie
3.) einen Betrag iHv 5.514,50 Euro nebst Zinsen iHv 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und im Wege der Anschlussberufung,
das Urteil des Landgerichtes Bonn abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als die Beklagte über einen Betrag von Euro 3.935,98 zuzüglich Zinsen hinaus verpflichtet wurde.
Die Klägerin beantragt insoweit,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt zur Berufung im Einzelnen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zu den rechtlichen und tatsächlichen Hintergründen der Kampfmittelbelastung des Baugrundes vor und verteidigt insoweit das erstinstanzliche Urteil gegen die Rügen der Klägerin. Grundsätzlich meint die Beklagte, die Klägerin verkenne generell die Anforderungen an die Kampfmitteluntersuchung und gehe daher von einem tatsächlich nicht bestehenden Anspruch auf Abgabe einer Kampfmittelfreiheitsgarantie durch die Beklagte aus. Tiefbauarbeiten bis 0,8 m unter Geländeoberkante 1945 und in Aufschüttungen oberhalb der Geländeoberkante 1945 seien ohne weitere Kampfmittelabklärung zugelassen, soweit nicht mechanische Arbeiten mit erheblichem Erschütterungspotenzial ausgeführt würden. Auch seien Aufschüttungen oberhalb GOK 1945 nicht zwecks Sondierung der Kampfmittellage abzutragen, wenn bauliche Eingriffe in den Bereich unterhalb GOK 1945 gar nicht vorgesehen seien.
Mit ihrer Anschlussberufung moniert die Beklagte, das Landgericht habe den im Urteil erwähnten Hinweis auf die fehlende Substantiierung ihres Einwandes zur Position 09.0 tatsächlich nicht erteilt. Auf einen entsprechenden Hinweis hätte sie vorgetragen, dass die Abrechnung der Lieferung und Verarbeitung von 275 ³ Baumsubstrat je Euro 65,00 netto teilweise zu Unrecht erfolgt sei, da lediglich 225 ³ Baumsubstrat geliefert und dieses Material überhaupt nicht verarbeitet worden sei. Die fehlende Verarbeitung habe sie mit 25 % der Position in Abzug gebracht und den Vergütungsanspruch der Klägerin bei vollständig ausgeführter Leistung demzufolge mit 14.625,00 Euro sowie den nicht erbrachten Teil der Leistung mit 3.656,25 Euro ermittelt. Da sie ihre Aufrechnung nunmehr auf die ihr entstandenen anwaltlichen Gebühren in Höhe von 6.736,35 Euro beschränke, verbleibe eine Restvergütung der Klägerin von 3.935,98 Euro.
Die Klägerin erklärt sich zur Anschlussberufung bzgl der Position 09.0 ohne Anerkenntnis einer rechtlichen Verpflichtung mit einem Forderungsabzug iHv 2.000 Euro einverstanden. Die Aufrechnung der Beklagten mit eigenen Anwaltskosten scheitere daran, dass sie – die Klägerin – sich nicht in Verzug befunden habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsrechtszug wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
II.
Die Berufung der Klägerin hat keinen und die Anschlussberufung der Beklagten nur teilweise Erfolg.
A.
Berufung der Klägerin
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, denn der Klägerin stehen die mit der Berufung geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Im Einzelnen:
I.
Die mit den Anträgen zu 1. und 2. im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Vergütungsansprüche für aufgrund vorzeitiger Vertragsbeendigung nicht erbrachte Leistungen (abzüglich ersparter Aufwendungen) sind nicht berechtigt, denn die von der Beklagten am 25.10.2019 ausgesprochene Kündigung ist keine freie Kündigung, die der Klägerin gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B einen Vergütungsanspruch belässt. Die Kündigung seitens der Beklagten erfolgte vielmehr aus wichtigem Grund, so dass die Klägerin keine Vergütung für die von ihr noch nicht erbrachten Leistungen verlangen kann (vgl. BeckOK-Brüninghaus, VOB/B-Kommentar, Stand 31.07.2023, § 8 Abs. 3, Rz. 20).
1. Die außerordentliche Kündigung vom 25.10.2019 ist gemäß den §§ 8 Abs. 3 Nr. 1 iVm 5 Abs. 4 VOB/B aus wichtigem Grund erfolgt. Nach diesen Vorschriften kann der Auftraggeber den Auftrag kündigen (entziehen), wenn Arbeitskräfte, Geräte etc so unzureichend sind, dass Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden können, der Auftragnehmer einem Abhilfeverlangen des Auftraggebers nicht nachkommt und dieser dem Auftragnehmer fruchtlos eine Frist mit Androhung der Auftragsentziehung gesetzt hat. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, ist die Einstellung der Arbeiten der Extremfall der unzureichenden Ausstattung einer Baustelle mit Arbeitskräften im Sinn des § 5 Abs. 3 VOB/B (so auch OLG Stuttgart, Urt. v. 28.04.2020 – 10 U 294/19, NJW 2020, 3526, Rz. 70). Es stand auch fest, dass die vereinbarte Ausführungsfrist nicht eingehalten werden konnte, denn nach den vereinbarten Zeiten des Baubeginns (08.07.2019) und der Fertigstellung (31.10.2019) war ein Bauzeitraum von 3 Monaten und 3 Wochen vorgegeben, so dass im Zeitpunkt der seitens der Beklagten am 02.10.2019 erfolgten Fristsetzung eine Baufertigstellung bis zum 31.10.2019 ausgeschlossen war. Zudem hatte die Beklagte in ihrem Fristsetzungsschreiben vom 02.10.2019 auch im Sinne von § 5 Abs. 4 a.E. VOB/B die Entziehung des Gesamtauftrages angekündigt.
2. Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kann die Klägerin sich auch nicht im Hinblick auf eine ungeklärte Kampfmittelbelastung des Baugrundes auf ein der außerordentlichen Kündigung entgegenstehendes (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 27.09.2016 – 6 U 564/16; auch OLG Stuttgart, a.a.O., Rz. 70, 80) Leistungsverweigerungsrecht berufen. Denn während die Beklagte ihrer Pflicht zur Klärung der Kampfmittelbelastung des Baugrundes nahezu vollständig nachgekommen ist (dazu a.), hat die Klägerin durch ihre auf die teilweise ungeklärte Kampfmittelsituation gestützte vollständige Leistungsverweigerung ihre bauvertragliche Kooperationspflicht verletzt (dazu b.).
a. Die Beklagte war als Bauherrin grundsätzlich verpflichtet, der Klägerin zu bestätigen, dass die Anforderungen zu Erkundigungsmaßnahmen hinsichtlich Kampfmitteln erfüllt wurden [dazu (1)], dieser Verpflichtung ist sie nahezu vollständig nachgekommen [dazu (2)].
(1) Bei Bauvorhaben im Bundesgebiet besteht die generelle Problematik, dass Kampfmittel, insbesondere Bomben verschiedenster Art und Größe, auch nach dem Ende des II. Weltkrieges im Jahr 1945 immer noch im Zuge von Bauarbeiten aufgefunden werden, so dass im Vorfeld einer Baumaßnahme mit Erdbewegungen der Prävention ein großes Augenmerk zu widmen ist (s. das u.a. von der BG BAU Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (Gesetzliche Unfallversicherung) herausgegebene Merkblatt “Kampfmittelfrei bauen”, LG-84-119).
(a) Als öffentliche Auftraggeberin schuldete die Beklagte eine sach- und fachgerechte Kampfmittelerkundung (vgl. etwa Englert/di Pierro/Katzenbach in Beck`scher VOB- und Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2021, ATV 18299, Rz. 50; Englert, NZBau 2018, 641). Denn die Beklagte hat gemäß den §§ 97 ff. GWB zwingend das Vergaberecht zu beachten. Aus der damit verpflichtend einschlägigen VOB/A ergibt sich, dass die Beklagte gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A die für die Ausführung der Leistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, z.B. Boden- und Wasserverhältnisse, so zu beschreiben hat, dass das (Bau-)Unternehmen ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. Da gemäß § 8a Abs. 3 Satz 1 VOB/A die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (= ATV) grundsätzlich unverändert bleiben, ist die einschlägige ATV DIN 18299 anwendbar. Darin ist im Abschnitt 0.1.17 geregelt, dass in der Leistungsbeschreibung nach den Erfordernissen des Einzelfalls insbesondere die Bestätigung, dass die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen zu Erkundigungs- und gegebenenfalls Räumungsmaßnahmen hinsichtlich Kampfmitteln erfüllt wurden, anzugeben ist.
Das bereits erwähnte Merkblatt “Kampfmittelfrei bauen” enthält bezüglich der Bestätigung nach ATV DIN 18299 folgende Differenzierung (LG-106):
“Bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung, z. B. aufgrund der historischen Erkundung durch Rückfrage beim zuständigen Kampfmittelbeseitigungsdienst, … so genügt die schriftliche Bestätigung durch den öffentlichen Auftraggeber selbst. … Denn dann besteht für eine qualifizierte Bestätigung “im Einzelfall” kein Anlass. Bestehen hingegen Anhaltspunkte, … dann muss die Bestätigung der Kampfmittelsuche von einer zugelassenen Kampfmittelbeseitigungs-/räumfirma ausgestellt werden.”
(b) Da gemäß ATV DIN 18299 die im jeweiligen Bundesland geltenden Anforderungen maßgeblich sind, bestimmen sich Inhalt und Umfang der Kampfmittelerkundung im Streitfall nach dem in NRW einschlägigen öffentlichen Recht:
[1] Insoweit ist zunächst in den §§ 13 Satz 2, 52 BauO NW 2018 geregelt, dass Baugrundstücke für bauliche Anlagen geeignet sein müssen und der Bauherr für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften verantwortlich ist. Gemäß § 58 Abs. 1 und 2 BauO NW 2018 haben die Bauaufsichtsbehörden im Rahmen der Gefahrenabwehr darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden, und in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
[2] Die im Hinblick auf die Kampfmittelbelastung eines Baugrundstücks maßgeblichen Einzelheiten ergeben sich aus der “Richtlinie für die Zusammenarbeit zwischen den Bauaufsichtsbehörden und dem staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst” (Gemeinsamer Runderlass des Innenministeriums und des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 08.05.2006) [LG-387 ff.]. Darin heißt es u.a.:
“1 Allgemeines
Kampfmittelbeseitigung ist eine Aufgabe der Gefahrenabwehr und gemäß § 1 Abs. 1 Ordnungsbehördengesetz (OBG) Aufgabe der örtlichen Ordnungsbehörden. Zur Unterstützung der örtlichen Ordnungsbehörden unterhält das Land NRW einen Kampfmittelbeseitigungsdienst beim Dezernat 22 der Bezirksregierung Arnsberg (Bezirke: Arnsberg, Detmold und Münster) und Düsseldorf (Bezirke: Düsseldorf und Köln), der auf Anforderung der örtlichen Ordnungsbehörde Verdachtsflächen auf Kampfmittelbelastung untersucht, bewertet und räumt. … Auslöser für Flächenüberprüfungen sind in der Regel Bauvorhaben. …
2 Kampfmittelbelastung
Baugrundstücke müssen auch im Hinblick auf ihre Kampfmittelfreiheit für bauliche Anlagen geeignet sein. Dies ist insbesondere von Bedeutung bei Bauvorhaben auf Grundstücken, die in Bombenabwurfgebieten oder in ehemaligen Kampfgebieten des Zweiten Weltkriegs liegen und bei denen nicht unerhebliche Erdeingriffe vorgenommen werden. Den örtlichen Ordnungsbehörden ist in der Regel bekannt, wo Kriegshandlungen (Art und Ausmaß) stattgefunden haben und wo eine Kampfmittelbelastung existiert. …
3 Beteiligung des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes
Zum Schutz von Baumaßnahmen bei Bodeneingriffen werden die Grundstücke in kampfmittelbelasteten Bereichen gemäß § 16 Landesbauordnung (BauO NRW [Zusatz des Senats: in der damals gültigen Fassung]) nur dann überprüft, wenn die örtliche Ordnungsbehörde dies als erforderlich erachtet. …
Der KBD [Zusatz des Senats: = Kampfmittelbeseitigungsdienst] der Bezirksregierung ist die fachkundige Stelle, welche die von Kampfmitteln ausgehenden Gefahren ermittelt und bewertet und daraus abgeleitet das staatliche Handlungserfordernis festlegt. …
Die Aufgabenwahrnehmung durch die Bezirksregierung bei der Kampfmittelbeseitigung ist in der Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen … geregelt.
4 Entfall einer Beteiligung des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes
Um die Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Ordnungsbehörden und den Bezirksregierungen möglichst effektiv und effizient zu gestalten, sollten den Bezirksregierungen nur solche Anträge auf Überprüfung zugeleitet werden, bei denen es sich um Flächen mit Kriegsbeeinflussung handelt und bei denen Baugrundeingriffe anstehen. In denjenigen Fällen, in denen es zu keinen oder nur unerheblichen Baugrundeingriffen kommt, kann auf eine Beteiligung der Kampfmittelbeseitigungsdienste verzichtet werden.
Für die Entscheidung der örtlichen Ordnungsbehörde über die Einschaltung des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes (Antrag an die Bezirksregierung / KBD) kommt es darauf an, dass der jeweilige Antrag von der auslösenden Bauaufsichtsbehörde hinreichend aussagekräftig der örtlichen Ordnungsbehörde zugeleitet wird. ….
Die Anträge auf Flächenüberprüfung sind durch die örtliche Ordnungsbehörde (basierend auf § 1 Abs. 1 OBG) beim Kampfmittelbeseitigungsdienst vorzulegen.
In den folgenden Fällen kann auf die Vorlage der Anträge an den Kampfmittelbeseitigungsdienst verzichtet werden: …
• in Bereichen, in denen ausschließlich der Luftkrieg stattfand, kann beim Bau ebenerdiger Nebenanlagen (Bodeneingriff allenfalls bis 0,8 m Tiefe bei Fundamenten, wenn hierbei das “Merkblatt für Baugrundeingriffe auf Flächen mit Kampfmittelverdacht ohne konkrete Gefahr” angewendet wird) auf die Beteiligung verzichtet werden. …”
[3] Das vorstehend erwähnte “Merkblatt für Baugrundeingriffe auf Flächen mit Kampfmittelverdacht ohne konkrete Gefahr” ist die Anlage 1 zu der ebenfalls vorstehend unter Ziffer “3” genannten Technischen Verwaltungsvorschrift für die Kampfmittelbeseitigung im Land Nordrhein-Westfalen (s. LG 391-395). Diese hat u.a folgenden Inhalt:
“1. Thematik und Anwendungsbereich
Die örtliche Ordnungsbehörde ist für die Gefahrenabwehr und somit auch für den Schutz vor den von Kampfmitteln ausgehenden Gefahren zuständig. Zur Unterstützung der örtlichen Ordnungsbehörden unterhält das Land NRW bei den Bezirksregierungen Arnsberg und Düsseldorf einen staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst, der auf Anforderung der örtlichen Ordnungsbehörde Verdachtsflächen auf Kampfmittelbelastung untersucht, bewertet und räumt. Der Bedarfsträger (z.B. Bauherr, Architekt, Unternehmer usw.) wendet sich daher grundsätzlich an die örtliche Ordnungsbehörde.
Ermittelt der staatliche Kampfmittelbeseitigungsdienst anhand seiner Luftbilder, Räumdokumentation oder sonstigen Unterlagen einen hinreichenden Indikator für eine Kampfmittelbelastung, so überprüft er diesen Verdacht durch Erkundung, Detektion und feststellenden Bodeneingriff vor Ort. Wird hierdurch die Kampfmittelbelastung bestätigt, so leitet der Kampfmittelbeseitigungsdienst in Abstimmung mit der örtlichen Ordnungsbehörde die Räumung ein. …
Liegen dem Kampfmitteibeseitigungsdienst für die betreffende Fläche zwar keine hinreichenden Indikatoren für eine konkrete, jedoch für eine diffuse Kampfmittelbelastung vor, so teilt er dieses der örtlichen Ordnungsbehörde in seiner Stellungnahme mit; gegebenenfalls mit weiteren Empfehlungen. Die örtliche Ordnungsbehörde entscheidet dann darüber, ob und welche Sicherheitsmaßnahmen anzuwenden sind.
Für diesen Fall einer nicht verortbaren Kampfmittelbelastung ohne konkreten Indikator kann der Kampfmittelbeseitigungsdienst der örtlichen Ordnungsbehörde die Anwendung der im vorliegenden Merkblatt festgelegten Regeln und Maßnahmen empfehlen. Folgt die örtliche Ordnungsbehörde der Empfehlung, so ordnet sie deren Anwendung an. Zweck dieses Merkblatts ist es, den untersuchenden Stellen und Firmen eine relativ sichere, eigenverantwortliche Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu ermöglichen, ohne dabei von Beginn an den Kampfmittelbeseitigungsdienst beteiligen zu müssen. Es sollen sowohl der Verwaltungs- als auch der Organisationsaufwand begrenzt werden. …
2. Gefährdung
… Kampfmittel werden entweder oberflächennah ausgelegt, von erdgebundenen Waffen ausgebracht oder von Luftfahrzeugen abgeworfen. Bereits während des Krieges und hauptsächlich nach Kriegsende wurden Kampfmittel auch in Vertiefungen (Gräben, Krater, Gewässer usw.) verkippt. Oftmals sind sie auch in nicht geräumten Trümmerbereichen und Halden unerkannt verblieben. Die Endlage der Kampfmittel im Boden bestimmt sich daher aus ihrer Art, ihrer Form, ihrer Eindringgeschwindigkeit und der verzögernden Wirkung des Bodens. Da diese Parameter bei Fundmunition nicht bekannt sind, ist grundsätzlich bis zu einer Tiefe von 8m unterhalb der Geländeoberkante (GOK) mit Kampfmitteln zu rechnen (Gefährdungsband). Bezugsebene für die Bewertung der Kampfmittelbelastung ist die GOK zum Zeitpunkt des Kriegsendes (08.Mai 1945).
3. Grundsätze
Bei den nach Kriegsende vorgenommenen Geländeaufhöhungen (Aufschüttungen, Auffüllungen) ist deren Schichtdicke vorab zumindest abzuschätzen und mit den ersten Sondierungen zu ermitteln. Bei der Festlegung der Tiefe des Baugrundeingriffs ist diese Schichtdicke zu berücksichtigen. Das Gefährdungsband (8m) beginnt unterhalb der nach Kriegsende angelegten Aufhöhung. Liegt durchgängig anstehender Fels in einer Tiefe von weniger als 8m unter GOK, so endet das Gefährdungsband dort. … Alle Arbeiten des Baugrundeingriffs sind grundsätzlich ohne Gewaltanwendung und erschütterungsarm durchzuführen. …”
(c) Aus den unter den Ordnungspunkten (a) und (b) im Einzelnen zitierten Regelungen ergeben sich in der Gesamtschau folgende grundsätzlichen Anforderungen, die von der Beklagten als öffentliche Bauherrin bei der Klärung der Kampfmittelbelastung des Baugrundstücks zu beachten waren:
– Der öffentliche Bauherr hat die Kampfmittel-Lage bereits vor Baubeginn zu klären.
– Die Kampfmittelfreigabe des Baubereichs ist schriftlich zu dokumentieren, sie stellt aber keine Garantie dar.
– Da der Schutz vor den von Kampfmitteln ausgehenden Gefahren den örtlichen Ordnungsbehörden obliegt, sind diese sowohl der zuständige Ansprechpartner, als auch der maßgebliche Entscheidungsträger für die Fragen, ob und welche Untersuchungsmaßnahmen im Einzelnen erforderlich sind.
– Führt die historische Erkundung seitens der örtlichen Ordnungsbehörden, insb. anhand von Luftbildauswertungen, aber auch anhand sonstiger Archiv- oder allgemein erlangter Erkenntnisse, zu dem Ergebnis, dass kein Verdachtsfall vorliegt, sind keine weiteren Maßnahmen geboten. In diesem Fall kann die schriftliche Bestätigung durch den öffentlichen Auftraggeber selbst genügen.
– Können die vorstehend genannten Ermittlungen einen Kampfmittel-Verdacht nicht sicher ausschließen, wendet sich die örtliche Ordnungsbehörde grundsätzlich an die Bezirksregierung, die über einen staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst verfügt, der auf Anforderung der örtlichen Ordnungsbehörde Verdachtsflächen auf Kampfmittelbelastung untersucht, bewertet und ggfs. räumt.
– Die örtliche Ordnungsbehörde kann auf die Vorlage entsprechender Anträge an den Kampfmittelbeseitigungsdienst ausnahmsweise dann verzichten, wenn in Bereichen, in denen ausschließlich der Luftkrieg stattfand, Erdarbeiten allenfalls bis 0,8 m unterhalb der GOK 1945 und dies erschütterungsarm erfolgen sollen.
(2) Die Beklagte hat die genannten Anforderungen – bezogen auf die gesamte Baugrundstücks-Fläche – weitgehend dadurch erfüllt, dass sie der Klägerin am 14.08.2019 im Anschluss an eine Baubesprechung zur Kampfmittellage per E-Mail die im Tatbestand einzeln aufgeführten schriftlichen Unterlagen übersandt hat.
Der Senat folgt der Ansicht des Landgerichts, wonach sich aus diesen Schriftstücken für die Klägerin eindeutig ergab, dass zumindest der weit überwiegende Teil der Arbeiten in Bereichen vorzunehmen war, in welchen gemäß den unter dem vorstehenden Ordnungspunkt (c) festgehaltenen Leitlinien keine Kampfmittelgefahr bestand. Dies folgt daraus, dass nahezu für alle Bereiche des Baugebiets entweder Luftbildauswertungen vorlagen [s. nachfolgend (a)] und/oder Arbeiten in nachkriegsaufgeschütteten Erdschichten bis zu einer Tiefe von 0,8 m und ohne erhebliche mechanische Belastung vorgesehen waren [s. nachfolgend (b)]. Die von der Klägerin erhobenen grundsätzlichen Einwendungen stehen dieser Beurteilung nicht entgegen [s. nachfolgend (c)].
(a) Auf einer geschätzten Fläche von 50% des Baugrundes war die Kampfmittelbelastung durch Luftbildauswertungen geklärt.
Der Klägerin war mit E-Mail vom 14.08.2019 der Plan “Kampfmitteluntersuchung” (Anlage B8, LG-1297) übersandt worden, aus dem sich hinsichtlich der erfolgten Luftbildauswertung (dargestellt mittels einer durchgehenden Quer-Schraffierung) des Baugrundes (dargestellt mittels einer gestrichelten Linie, s. die Legende zu “Bearbeitungsgrenze Baugebiet”) für die Klägerin, die gegen die Richtigkeit der Planeintragungen keine Einwände erhebt, folgende – nach den Himmels-/Windrichtungen im Uhrzeigersinn geordnete – Erkenntnisse ergaben:
– Im nördlichen Bereich zur ### hin war insgesamt eine Luftbildauswertung bis hin zu dem östlich seitens der Fa. ### angelegten Regenwasserkanal (gekennzeichnet durch eine breite blaue Linie, s. die Legende zu “Kanal wird bauseitig erstellt (Fa. ###)”) erfolgt.
– Auch der Bereich östlich neben der Dreifachturnhalle bis zu dem genannten Regenwasserkanal war luftbildausgewertet.
– Das gleiche gilt für eine südöstlich von der Dreifachturnhalle zum Theater ### hin gekennzeichnete, teilweise über das Baugebiet hinausgehende Fläche.
– Ab dieser Fläche war der Bereich südlich der Dreifachturnhalle bis zu dem westlich der Dreifachturnhalle eingezeichneten zweiten Parkplatzbereich luftbildausgewertet.
– Der sich Richtung Norden anschließende Bereich an der Westseite der Dreifachturnhalle war bis etwa zur Hälfte der Dreifachturnhalle – mit Ausnahme des zweiten Parkplatzbereichs und der sich westlich daran anschließenden Freifläche – luftbildausgewertet.
– Ab der angesprochenen Hälfte der Dreifachturnhalle bis hin zur nördlich gelegenen ### war für ca. ein Drittel der Fläche eine Luftbildauswertung erfolgt.
Gemäß den obigen Angaben war somit die Kampfmittelbelastung insgesamt auf einer geschätzten Fläche von 50% des Baugrundes und dies auch durchaus in zusammenhängenden Teilstücken durch Luftbildauswertungen geklärt.
(b) Hinsichtlich der verbleibenden hälftigen Baugrundfläche war die Kampfmittelbelastungssituation bezüglich einer weiteren, auf mindestens 35% des Baugrundes zu schätzenden Fläche dadurch geklärt, dass der Baugrund in einem Bereich liegt, in dem im II. Weltkrieg ausschließlich der Luftkrieg stattgefunden hatte, weiter nach Kriegsende Erdaufschüttungen vorgenommen worden waren, und in diesen nachkriegsaufgeschütteten Erdschichten nunmehr Arbeiten bis zu einer Tiefe von 0,8 m und ohne erhebliche mechanische Belastung vorgesehen waren.
[1] Dass bei Arbeiten bis zu einer Tiefe von 0,8 m GOK 1945 (= die zum Kriegsende 1945 bestehende Geländeoberkante) die Kampfmittelbelastung bei fehlendem konkreten Verdacht keiner Aufklärung bedarf, wenn die Erdarbeiten nicht mit erheblichen mechanischen Belastungen verbunden sind, sieht grundsätzlich auch die Klägerin so. Dieser Grundsatz ergibt sich – mit der zusätzlichen Voraussetzung, dass das Bauvorhaben in einem Bereich liegt, in dem ausschließlich der Luftkrieg stattgefunden hatte – aus dem Zusammenspiel folgender Vorschriften: In Ziffer 4 der “Richtlinie für die Zusammenarbeit zwischen den Bauaufsichtsbehörden und dem staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienst” ist festgehalten, dass in Bereichen, in denen ausschließlich der Luftkrieg stattgefunden hatte, bei einem Bodeneingriff von allenfalls bis 0,8 m Tiefe, wenn hierbei das “Merkblatt für Baugrundeingriffe auf Flächen mit Kampfmittelverdacht ohne konkrete Gefahr” angewendet wird, auf die Einschaltung des Kampfmittelbeseitigungsdienstes verzichtet werden kann. Das zitierte Merkblatt sieht unter Ziffer 3. vor, dass alle Arbeiten des Baugrundeingriffs grundsätzlich ohne Gewaltanwendung und erschüterungsarm durchzuführen sind.
[2] Die vorstehenden Voraussetzungen sind in Bezug auf eine weitere Baufläche von mindestens ca. 35% des gesamten Baugrundstücks erfüllt:
– Das Gebiet des heutigen Baugrundes war im II. Weltkrieg ausschließlich von Luftkriegsaktionen betroffen. Auch nach dem von der Klägerin vorgelegten Luftbild-Auswertungsprotokoll vom 05.04.2023 liegen für das Projektareal keine Hinweise auf Bodenkampfhandlungen vor (OLG-488).
– Das der Klägerin am 14.08.2019 überlassene E-Mail-Schreiben des Bodengutachters Dipl.-Geol. ### vom 15.07.2019 (LG-396 f.) enthält maßgebliche Aussagen zu dem Thema der Erdaufschüttungen, die zusammen mit den Ergebnissen der bereits erörterten Luftbildauswertung zu nachfolgend dargestellten Endresultaten der erneut nach den Himmels-/Windrichtungen im Uhrzeigersinn geordneten Bauflächen führen:
Die Auffüllung des Geländes erfolgte weitgehend in den 70er Jahren, also nach Kriegsende.
Die Auffüllungsunterkanten im Nordbereich der Dreifachturnhalle liegen erheblich tiefer als die Bau-Planhöhen, so dass der gesamte Nordbereich des Baugrundstücks unproblematisch ist. Insoweit ist der Nordbereich zusätzlich auch durch die diesbezüglich vorliegende Luftbildauswertung abgedeckt.
Im Ostbereich sind die Auffüllungsunterkanten ebenfalls erheblich tiefer als die Bau-Planhöhen, auch der gesamte Ostbereich des Baugrundstücks ist unproblematisch. Insoweit werden also hier die bei der Luftbildauswertung verbliebenen Lücken vollständig geschlossen.
Bezüglich des Südbereichs besteht die Einschränkung, dass im Südwestbereich die Sohlen der Entwässerungsleitungen z.T. etwas tiefer als die Unterkante der Auffüllung liegen. Da zu diesem Südwestbereich auch keine Luftbildauswertung vorliegt, verbleibt insoweit eine ungeklärte Teil-Fläche.
Im übrigen Westbereich liegen ein Teil der Sohlen der Entwässerungsleitungen (0,8 m unter Planhöhen) sowie die Gruben für die Bäume nur wenig unterhalb der Auffüllungsunterkante, hier ergibt sich also eine weitere ungeklärte Teil-Fläche.
– Dass die in den Aufschüttungen vorzunehmenden Erdarbeiten nicht mit erheblichen mechanischen Belastungen verbunden gewesen wären, hat bereits das Landgericht auf den Seiten 10 f. des angegriffenen Urteils auf Basis eines als unsubstantiiert bewerteten Vorbringens der Klägerin festgestellt – was diese mit der Berufung nicht angreift. Gegen eine mit erheblichen mechanischen Belastungen verbundene Vorgehensweise spricht im Übrigen auch, dass in dem E-Mail-Schreiben des Bodengutachters Dipl.-Geol. B. vom 15.07.2019 mehrfach bezogen auf die Arbeiten davon die Rede ist, diese seien unproblematisch.
– Anhand des der Klägerin am 14.08.2019 vorliegenden Planes (Anlage B8, LG-1297) addieren sich die zusätzlich zu den Resultaten der Luftbildauswertung geklärten Flächen auf geschätzte weitere mindestens 35%, so dass im Hinblick auf den Südwest- und Westbereich als Endergebnis eine ungeklärte Baugrund-Fläche von 15% verblieb.
– Dafür, dass die vorstehende Schätzung jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin ausfällt, sprechen auch Aspekte des erst- und zweitinstanzlichen Vorbringens der Klägerin. Erstinstanzlich hat die Klägerin erklärt, die Bereiche des Baufeldes ohne Luftbildauswertung seien insgesamt mehr als 100 qm groß gewesen, im Berufungsverfahren hat sie – wie im Tatbestand näher dargelegt – die Größe des von ihr zu bearbeitenden Baugrundes mit ca. 4.160 bis 5.100 qm angegeben. Selbst bei großzügiger Interpretation der Bezeichnung “mehr als 100 qm” und Verdopplung dieser Flächenangabe auf 200 qm betrug der Anteil der unzureichenden Kampfmittelaufklärung an der zugunsten der Klägerin angenommenen geringeren Baugrundfläche von 4.160 qm lediglich gerundete 5 %.
(c) Die von der Klägerin auf Basis der Berufungsrügen und ihrer Stellungnahme zu den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 16.08.2023 grundsätzlich gegen die rechtliche Beurteilung des Landgerichts und des Senats vorgebrachten Einwendungen überzeugen insgesamt nicht:
[1] Soweit die Klägerin meint, es sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihr nicht alle notwendigen Informationen vorgelegt habe, trifft dieser Vorwurf gemäß den vorstehenden Ausführungen zu dem Umfang der geklärten Kampfmittellage des Baugrundstücks [s. Ordnungspunkt A. I. 2. a. (2)] bereits tatsächlich nicht zu.
[2] Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe eine Bestätigung zur Kampfmittelfreiheit des Baufeldes in Form der Erklärung nach ATV DIN 18299, Abschnitt 0.1.17 der VOB/C geschuldet, aber nicht vorgelegt, ist ebenfalls unbegründet. Soweit die Klägerin darauf abstellen will, dass das in dem Merkblatt “Kampfmittelfrei bauen” enthaltene Musterformular (LG-106 f.) nicht verwendet wurde, ist dieses bereits nach den Angaben in diesem Merkblatt lediglich eine unverbindliche Vorlage, wie sich aus der am oberen Rand befindlichen Angabe “Der Freigabe-Text kann lauten:” ergibt. Hinzu kommt, dass sich nach dem Wortlaut der ATV DIN 18299 die Aufnahme der einzelnen Angaben zur Leistungsbeschreibung insgesamt “nach den Erfordernissen des Einzelfalls” richtet (s. den 5. Absatz zum Gliederungspunkt “0 Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung”), was dann folgerichtig auch für Art und Inhalt der Erklärung selbst gilt.
[3] Die Klägerin vertritt auch zu Unrecht die Ansicht, es reiche generell nicht aus, dass der Bauherr nach Einschaltung der zuständigen Behörden dem Auftragnehmer lediglich Unterlagen zusendet und Argumente vorbringt, aus denen dieser ableiten soll, dass Kampfmittelfreiheit vorliegen könnte.
Insoweit ist zum einen erneut auf die in der ATV DIN 18299 angegebenen “Erfordernisse(n) des Einzelfalls” zu verweisen, die dem Bauherrn einen großen Spielraum zur Erfüllung seiner Pflichten lässt. In diese Richtung geht auch das Merkblatt “Kampfmittelfrei bauen”, wenn dort festgehalten ist, dass eine Bestätigung auch durch den öffentlichen Auftraggeber selbst erfolgen kann (LG-106).
Zum anderen ergibt sich auch aus der bauvertraglichen Kooperationspflicht, dass die Klägerin sich hinsichtlich der die Beklagte treffenden Kampfmittelaufklärung nicht auf eine formelle Rechtsposition zurückziehen durfte. Die Vertragsparteien eines VOB/B-Vertrags sind während der Vertragsdurchführung zur Kooperation verpflichtet (BGH, Urt. v. 28.10.1999 – VII ZR 393/98, NJW 2000, 807, 808; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher-Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 13. Teil Rz. 81). Aus dem Kooperationsverhältnis ergeben sich Obliegenheiten und Pflichten zur Mitwirkung und gegenseitigen Information (BGH, Urt. v. 23.05.1996 – VII ZR 245/94, BGHZ 133, 44, 47). Die Kooperationspflichten sollen unter anderem gewährleisten, dass in Fällen, in denen nach der Vorstellung einer oder beider Parteien die vertraglich vorgesehene Vertragsdurchführung oder der Inhalt des Vertrags an die geänderten tatsächlichen Umstände angepasst werden muss, Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte nach Möglichkeit einvernehmlich beigelegt werden (BGH, Urt. v. 28.10.1999, a.a.O.). Dementsprechend war die Klägerin gehalten, die in Form der am 14.08.2019 übersandten Unterlagen erfolgte Aufklärung über die Kampfmittellage als ausreichend entgegen zu nehmen. Dass dies eine Auswertung der überlassenen Unterlagen voraussetzte, war zwischen den Parteien so vereinbart, denn die Übersendung erfolgte dem Inhalt der E-Mail vom 14.08.2019 zufolge im Anschluss an eine Baubesprechung vom gleichen Tag gerade zwecks Stellungnahme seitens der Klägerin.
[4] Die Rügen der Klägerin, das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass die Bezirksregierung in der E-Mail vom 09.09.2019 darauf verwiesen habe, ihr sei ohne die Entfernung der festgestellten Aufschüttungen eine Kampfmittelräumung ab der Oberfläche (GOK 1945) nicht möglich, und weiterhin, dass die Beklagte bis heute keine Unterlagen vorgelegt habe, aus denen sich ergebe, dass aufgrund ihres Antrages vom 09.09.2019 eine notwendige Kampfmitteluntersuchung durchgeführt worden sei, verkennen insgesamt, dass weder die Beklagte noch die Bezirksregierung das genaue Vorgehen zur Kampfmittelermittlung bestimmen. Die maßgebliche Entscheidungskompetenz, ob und welche Untersuchungsmaßnahmen im Einzelnen erfolgen, steht allein dem Ordnungsamt zu [vgl. obige Ausführungen zu A. I. 2. a. (1) (c)].
Die Mitteilung der Bezirksregierung vom 09.09.2019 ist aber auch deshalb ohne Belang, weil diese die Entfernung der Aufschüttungen zur Räumung von Kampfmitteln anspricht, es aber im Verhältnis der Parteien zunächst einmal nur darum ging, ob überhaupt Anlass zu weiteren Kampfmittelerkundungen bestand. Aufgrund der zu Nachkriegs-Aufschüttungen bestehenden Regeln (s. die Ausführungen zu A. I. 2. a. (1) (d) [2] [a]) war im Streitfall aber gerade keine weitere Kampfmittelaufklärung bezüglich der von der Bezirksregierung angesprochenen Aufschüttungen erforderlich.
b. Auf Basis der seitens der Beklagten in einem Umfang von mindestens 85% des Baugrunds geklärten Kampfmittelbelastung hat die Klägerin durch ihre vollständige Leistungsverweigerung erneut ihre bauvertragliche Kooperationspflicht verletzt.
Wie dargelegt soll die Kooperationspflicht gerade gewährleisten, dass Meinungsverschiedenheiten der Bauvertragsparteien nach Möglichkeit einvernehmlich beigelegt werden. Dem steht aber die Haltung der Beklagten, trotz der für mindestens 85% des Baugrundes geklärten Kampfmittelsituation keinerlei Leistungen vorzunehmen, diametral entgegen. Arbeiten im Bereich der geklärten Bauflächen waren der Beklagten insbesondere auch deshalb zumutbar, weil es sich – jedenfalls in weitem Umfang – um zusammenhängende Flächen handelte. Bezüglich der sich im Norden, Osten und Süden befindlichen Baubereiche war die Kampfmittellage komplett geklärt. Die teilweise ungeklärten Flächen befanden sich allein im Westen der Dreifachturnhalle und hätten – jedenfalls zunächst – unbearbeitet gelassen werden können, zumal es unmittelbar entlang der Dreifachturnhalle einen weiteren zusammenhängend kampfmittelgeklärten und damit bearbeitbaren Baugrundstücksstreifen gab. Dass die komplette Einstellung der Arbeiten bei nur in Teilbereichen ungeklärter Kampfmittelsituation die bauvertraglichen Kooperationspflichten verletzt und deshalb kein Leistungsverweigerungsrecht besteht, hat auch das OLG Dresden (Urt. v. 27.09.2016 – 6 U 564/16) so entschieden.
II.
Wie das Landgericht bereits zutreffend – und von der Berufung nicht angegriffen – ausgeführt hat, kann die Klägerin ihre streitgegenständlichen Vergütungsansprüche schon deshalb nicht auf die seitens der Beklagten am 16.08.2019 ausgesprochene Teilkündigung stützen, weil insoweit substantiierter Vortrag fehlt.
III.
Soweit die Klägerin mit der Berufung die vom Landgericht erst ab dem 01.04.2020 zuerkannten Verzugszinsen angreift und insoweit den bereits erstinstanzlich beantragten Zinszeitpunkt 01.02.2020 begehrt, ist die Berufung ebenfalls unbegründet, da bezüglich des 01.02.2020 keine verzugsauslösenden Tatsachen vorgebracht worden sind.
IV.
Schließlich stehen der Klägerin auch die mit der Berufung weiter verfolgten vorprozessualen Anwaltskosten nicht zu. Insbesondere besteht kein Schadensersatzanspruch gemäß den §§ 631, 280 Abs. 1, 249 BGB unter dem Gesichtspunkt der Abwehr einer unberechtigten Kündigung, denn gemäß den Ausführungen zu Ziffer I. war die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 25.10.2019 berechtigt.
B.
Anschlussberufung der Beklagten
Die zulässige Anschlussberufung ist nur teilweise begründet.
Das Landgericht hat der Klägerin zu Unrecht einen über 10.672,81 Euro liegenden Zahlungsanspruch von insgesamt 15.023,75 Euro zugesprochen, in Höhe von 4.350,94 Euro hat die Klägerin keinen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte.
I.
Nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Parteien stand der Klägerin gemäß den Ausführungen auf Seite 5 des angegriffenen Urteils ein offener Vergütungsanspruch (§ 631 BGB) in Höhe von 10.672,81 Euro zu.
Der darüber hinaus vom Landgericht als berechtigt bewertete Vergütungsanspruch in Höhe von weiteren 4.350,94 Euro brutto für die Pos. 09.0 der Rechnung vom 28.12.2019 (LG-178 f.) steht der Klägerin jedoch nicht zu. Wie von der Beklagten ausgeführt, hatte die Klägerin entgegen der in der Pos. 09.0 erfolgten Abrechnung der Lieferung und Verarbeitung von 275 ³ Baumsubstrat je Euro 65,00 netto lediglich 225 ³ Baumsubstrat geliefert und dieses Material insgesamt nicht verarbeitet, so dass unter Berücksichtigung der geminderten Masse sowie eines Abzugs von 25% wegen der fehlenden Verarbeitung zurecht 4.350,94 Euro brutto von der geltend gemachten Vergütung abgezogen wurden.
Das erstmalig im Berufungsverfahren erfolgte vorstehend geschilderte Vorbringen der Beklagten ist unabhängig von den in § 531 Abs. 2 ZPO geregelten Zulassungsgründen zu berücksichtigen, denn der Vortrag ist unstreitig und damit nicht im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO neu, sondern stets zuzulassen (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2008 – GSZ 1/08, BGHZ 177, 212). Die Klägerin hat die dargestellten Umstände nicht bestritten, sondern lediglich einen geringeren Abzug iHv 2.000 Euro für angebracht gehalten. Insoweit hat sie aber keine tatsächlichen Einwände gegen die von der Beklagten vorgetragenen Berechnung erhoben, so dass auch diese als unstreitig zu behandeln ist.
II.
Die der Klägerin zustehende Vergütungsforderung von 10.672,81 Euro ist nicht durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung iHv 6.736,35 Euro nach § 389 BGB erloschen.
Der Beklagten steht keine Gegenforderung iHv 6.736,35 Euro gemäß den §§ 280 Abs. 2, 286, 249 BGB im Hinblick darauf zu, dass sich die Klägerin im Zeitpunkt der seitens der Beklagten am 06.08.2019 erfolgten Beauftragung des vorprozessual tätigen Rechtsanwalts im Verzug befand. Gemäß den Ausführungen unter Ziffer A. I. ist die seitens der Beklagten zu erbringende Bestätigung über die Kampfmittelsituation auf dem Baugrundstück erst am 14.08.2019 erfolgt, so dass die Klägerin bei der Anwaltsbeauftragung noch nicht mit ihrer Leistungserbringung in Verzug war.
C.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze des Klägervertreters vom 02.10.2023 und 04.10.2023 wurden berücksichtigt und geben keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der Verhandlung gemäß § 156 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern nicht eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat hat den Rechtsstreit auf der Grundlage der in NRW bestehenden Grundsätze zur Aufklärung des Kampfmittelrisikos bei Bauvorhaben alleine nach den tatsächlichen Besonderheiten des vorliegenden Sachverhalts entschieden.