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VergMan ® Tiefbaurecht und Hochbaurecht: Entschädigung für den Vorhalt von Arbeitskräften während des Annahmeverzugs

VergMan ® Tiefbaurecht und Hochbaurecht: Entschädigung für den Vorhalt von Arbeitskräften während des Annahmeverzugs

Ein Urteil des KG spricht dem Werkunternehmer eine Entschädigung für den Vorhalt von Arbeitskräften während des Annahmeverzugs des Bestellers zu. Kann ein Werkunternehmer während des Annahmeverzugs des Bestellers die Vergütung aus dem gestörten Werkvertrag nicht wie vorgesehen erwirtschaften, steht ihm für diesen Umsatznachteil zwar keine Entschädigung aus § 642 BGB zu. Begehrt ein Werkunternehmer Entschädigung für den Vorhalt von Arbeitskräften während dieses Annahmeverzugs, steht ihm dem Grunde nach ein Anspruch zu, er hat aber darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er die Arbeitskräfte im fraglichen Zeitraum nicht anderweitig einsetzen konnte. Zeigt der Besteller dem Unternehmer die Umstände an, die seinen Annahmeverzug begründen, so liegt in einer solchen Verzugsmitteilung in aller Regel eine Leistungsänderung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B, sodass dem Unternehmer ein Mehrvergütungsanspruch nach dieser Vorschrift zustehen kann. In diesem Fall besteht der Mehrvergütungsanspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B neben demjenigen aus § 642 BGB. Im Unterschied zu § 642 BGB gewährt er auch eine Mehrvergütung für annahmeverzugsbedingte Kostensteigerungen.
KG, Urteil vom 29.01.2019 – 21 U 122/18

A.
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einem Bauvertrag über Trockenbauarbeiten in Anspruch, nachdem sie ihre Leistungen nicht innerhalb der vertraglich vereinbarten Ausführungsfristen abschließen konnte.

Der Beklagte, vertreten durch das Bezirksamt N…, schrieb für das Bauvorhaben “Erweiterungsbauten für die Gemeinschaftsschule auf dem Campus R…-…” im Jahr 2016 Trockenbauarbeiten aus. Die Trockenbauarbeiten waren in drei unterschiedlichen Gebäuden zu erbringen, nämlich dem “WAT-Gebäude” (im Folgenden auch “WAT”), dem “Elternzentrum” (im Folgenden auch “ELZ”) und der “Schulerweiterung” (im Folgenden auch “SCH”). Bei der Ausschreibung nahm der Beklagte Bezug auf die VOB/B und auf Besondere Vertragsbedingungen. Diese regeln in Ziff. 1 “Ausführungsfristen (§ 5 VOB/B)”, in Ziff. 10 sehen sie ergänzend zu Ziff. 1.2 für die Trockenbauarbeiten die folgenden “Einzelfristen” vor:

“1. Schulerweiterunga. Wände 1. Seite 21.11.2016 bis 13.01.2017b. Wände schließen 19.12.2016 bis 17.02.2017c. Decken 30.01.2017 bis 07.04.20172. Elternzentruma. Wände 1. Seite 04.07.2016 bis 29.07.2016b. Wände schließen 22.08.2016 bis 16.09.2016c. Decken 05.09.2016 bis 30.09.20163. WAT-Gebäudea. Wände 1. Seite 20.06.2016 bis 01.07.2016b. Wände schließen 15.08.2016 bis 02.09.2016c. Decken 29.08.2016 bis 16.09.2016”
Mit Schreiben vom 7. April 2016 gab die Klägerin ein Angebot zu einer Vergütung von 334.215,86 € zuzüglich 63.501,01 € Mehrwertsteuer = 397.716,87 € brutto ab. Von dieser Vergütung entfallen auf das Gebäude WAT 33.932,38 €, auf das Gebäude ELZ 71.673,06 € und auf das Gebäude SCH 228.610,42 € (Beträge jeweils netto). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlagen K 1 und 2 verwiesen.

Auf Bitten des Beklagten verlängerte die Klägerin zweimal die Bindefrist für ihr Angebot, zuletzt bis zum 5. August 2016. Mit Schreiben vom 2. August 2018 beauftragte das Bezirksamt N… die Klägerin gemäß ihrem Angebot (Anlage K 3). In diesem Schreiben hatte das Bezirksamt den folgenden Textbaustein angekreuzt:

”Ich fordere Sie auf, mit der Ausführung der Bauleistung gemäß Ziff. 1.1 der Besonderen Vertragsbedingungen zu beginnen.”
Am 22. August 2016 fand eine Baubesprechung statt, an der unter anderem Vertreter der Klägerin und die Bauleitung des Beklagten teilnahmen. Dort gab die Bauleitung der Klägerin für ihre Arbeiten im Gebäude WAT einen Baubeginn am 5. September 2016 vor. Hinsichtlich des Gebäudes ELZ teilte sie der Klägerin – möglicherweise bei anderer Gelegenheit – mit, sie solle am 19. September 2016 mit den Arbeiten beginnen. In beiden Bereichen begann die Klägerin fristgerecht mit ihren Arbeiten, konnte sie aber erst im Februar bzw. März 2017 abschließen.

Im Gebäude SCH konnte die Klägerin erst am 2. Mai 2017 mit den Arbeiten beginnen und hatte sie am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch nicht abgeschlossen.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe sich bei allen drei Gebäuden gemäß § 642 BGB im Annahmeverzug befunden, weil er ihr das Baugrundstück nicht so überlassen habe, dass sie die Trockenbauarbeiten innerhalb der Fristen ausführen konnte, wie sie in Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen vorgegeben waren. Aus diesem Grund sei der Beklagte verpflichtet, sie für den Umsatz zu entschädigen, der ihr dadurch entgangen sei, dass sie nicht innerhalb der Vertragsfristen die vertraglichen Leistungen ausführen und die hierfür vorgesehene Vergütung erwirtschaften konnte. Auch wenn sie diese Leistungen zeitlich verschoben nachholen konnte und musste, ändere dies nichts daran, dass ihr die Möglichkeit endgültig genommen sei, innerhalb der vertraglich vorgesehenen Zeitfenster die vereinbarte Vergütung zu erwirtschaften und dass ihr in der Zeit des Nachholens wegen der Bindung ihrer Produktionsmittel an den Vertrag mit der Beklagten die Möglichkeit genommen war, Umsatz aus anderen Aufträgen zu erzielen. Die Höhe ihres Anspruchs ermittelt die Klägerin in der Form, dass sie von ihrer Vergütung, soweit sie auf die drei Gebäude entfällt und nicht innerhalb der jeweils vorgesehenen Fristen erwirtschaftet werden konnte, sich die durch die Nichtleistung ersparten Material- und Gerätekosten abziehen lässt. Auf diese Weise hat sie eine auf § 642 BGB gestützte Entschädigungsforderung von zunächst 235.290,18 € (einschließlich Mehrwertsteuer) ermittelt.

Wegen dieser Forderung hat die Klägerin Klage gegen den Beklagten erhoben und ihre Forderung vor dem Landgericht auf zuletzt 216.836,94 € (einschließlich Mehrwertsteuer) ermäßigt. Mit Urteil vom 10. Juli 2018 hat das Landgericht die Klage gemäß dem Antrag des Beklagten abgewiesen. Diese Abweisung hat es vorrangig darauf gestützt, dass der Beklagte sich nicht im Annahmeverzug befunden habe. Dass die Klägerin ihre Leistungen in den drei Gebäuden unstreitig nicht zu den in Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen vorgesehenen Fristen habe erbringen können, sei unerheblich, denn aufgrund der verspäteten Auftragserteilung nach Bindefristverlängerung seien die (Teil-) Fristen 2.a (Gebäude ELZ) und 3.a (Gebäude WAT) schon bei Auftragserteilung vollständig verstrichen gewesen. Damit seien die Vertragsfristen insgesamt hinfällig geworden und könnten somit nicht den Mitwirkungsverzug des Beklagten begründen. Im Übrigen habe die Klägerin ihre Leistungen auch nicht gemäß §§ 293 ff BGB angeboten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und der Begründung des Landgerichts wird auf diese Entscheidung verwiesen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung, zu deren Begründung sie ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft und die Forderung um rund 9.000,- € (einschließlich Mehrwertsteuer) aufgrund der Anrechnung von anderweitigem Erwerb reduziert.

Die Klägerin beantragt nunmehr sinngemäß,

das Urteil des Landgerichts dahin abzuändern, dass die Beklagte verurteilt wird, an sie 207.286,30 € nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Ferner behauptet sie, die Klägerin habe ihre für den streitgegenständlichen Vertrag eingeplanten Arbeitskräfte jeweils an anderer Stelle des Bauvorhabens bzw. auf näher bezeichneten anderen Baustellen einsetzen können, sodass sie diese nicht aufgrund eines etwaigen Mitwirkungsverzugs des Beklagten vergeblich vorgehalten habe.

B.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

I. Anwendbares Recht
Auf den Vertrag zwischen den Parteien ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung anzuwenden, Art. 229 § 39 EGBGB.

II. Kein Anspruch aus § 642 BGB
Der Klageanspruch ergibt sich nicht – auch nicht teilweise – aus § 642 BGB.
Nach § 642 hat der Unternehmer einen Entschädigungsanspruch gegen den Besteller, wenn dieser bei der Durchführung des Werkvertrags in Annahme- bzw. Mitwirkungsverzug geraten ist (beide Begriffe sind gleichbedeutend, vgl. Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 2) und dem Unternehmer dadurch ein nach dieser Norm ersatzfähiger Nachteil entstanden ist.

1. Entstehung eines Nachteils ist Anspruchsvoraussetzung
§ 642 BGB regelt einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch des Unternehmers, wenn der Besteller eine ihm obliegende Mitwirkungshandlung unterlässt, die bei der Herstellung des Werks erforderlich ist, und der Besteller hierdurch in Annahmeverzug gerät (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 19; Urteil vom 24. Januar 2008, VII ZR 280/05, BGHZ 175, 118). Der Anspruch aus § 642 BGB ist kein Schadensersatzanspruch, sondern er ist vergütungsähnlich (BGH, Urteil vom 24. Januar 1008, VII ZR 280/05, BGHZ 175, 118, Rz. 11). Diese Vergütungsähnlichkeit zeigt sich darin, dass der Unternehmer nach § 642 BGB ein Entgelt für eine Leistung erhält, nämlich das vergebliche Bereithalten seiner Produktionsfaktoren während des Annahmeverzugs des Bestellers (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17; Urteil vom 24. Januar 2008, VII ZR 280/05, BGHZ 175, 118), dass die Höhe der Entschädigung nach der vereinbarten Vergütung zu bestimmen ist (§ 642 Abs. 2 BGB, vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 45; Urteil vom 24. Januar 2008, VII ZR 280/05, BGHZ 175, 118; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16, Rz. 93) und dass sie der Umsatzsteuer unterfällt (BGH, Urteil vom 24. Januar 2088, VII ZR 280/05, BGHZ 175, 118).

Trotz dieser Vergütungsähnlichkeit kann einem Unternehmer aber nur dann ein Anspruch aus § 642 BGB zustehen, wenn ihm durch den Mitwirkungsverzug des Bestellers ein Nachteil entstanden ist. Hierin liegt kein Widerspruch. Das Erfordernis einer Nachteilsentstehung ist eine zwingende Folge des Umstands, dass der Anspruch aus § 642 BGB von den Parteien bei Vertragsschluss in der Regel nicht beziffert worden ist (Ausnahme: Eventualpositionen im Leistungsverzeichnis, vgl. Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 108). Aus diesem Grund ist für die Bestimmung der Anspruchshöhe eine Bemessungsgrundlage erforderlich, sonst ist der Anspruch konturenlos (KG, Urteil vom 16. Februar 2018, 21 U 66/16; Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16; Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 3 und 38 ff). Der durch den Annahmeverzug bedingte Nachteil ist genau diese Bemessungsgrundlage, die sodann einvernehmlich durch die Parteien oder einen Dritten, etwa ein Gericht, zu bewerten ist. Beim Mehrvergütungsanspruch des Unternehmers aus § 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B – zweifelsfrei ein Vergütungsanspruch -, verhält es sich genauso. Ändert der Besteller die Leistung des Unternehmers nach § 1 Abs. 3 oder 4 VOB/B, ist die geänderte Leistung typischerweise nicht bereits durch den ursprünglichen Vertrag bepreist, sodass sich die Frage der Ermittlung des Mehr- oder Mindervergütungsanspruchs stellt. Auch zu seiner Ermittlung, die einvernehmlich durch die Parteien oder im Streitfall durch einen Dritten – etwa ein Gericht – vorzunehmen ist, bedarf es einer Bemessungsgrundlage. Diese Bemessungsgrundlage sind die durch die Leistungsänderung bedingten Mehr- oder Minderkosten (vgl. § 2 Abs. 5, § 2 Abs. 6 Nr. 2 und § 2 Abs. 7 Nr. 1 VOB/B). Diese Mehr- oder Minderkosten beim Anspruch aus § 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B entsprechen dem Nachteil beim Anspruch aus § 642 BGB. In beiden Fällen bilden sie die Bemessungsgrundlage für einen bei Vertragsschluss nicht einvernehmlich bezifferten Anspruch, ohne dass dieser dadurch die Rechtsnatur eines Schadensersatzanspruchs annimmt.

Nicht richtig wäre es, im Rahmen von § 642 BGB anstelle von “annahmeverzugsbedingtem Nachteil” in Anlehnung an § 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B von “annahmeverzugsbedingten Mehrkosten” zu sprechen. Denn in einer solchen Terminologie läge bereits die Vorentscheidung, dass nach § 642 BGB nur Kostennachteile (erhöhte Kosten beim Unternehmer in Folge des Annahmeverzugs) ersatzfähig sind, nicht aber auch Umsatznachteile (dem Unternehmer entgangener Umsatz in Folge des Annahmeverzugs), was gerade im vorliegenden Fall zwischen den Parteien umstritten ist. Zwar kann nach Auffassung des Senats ein Anspruch aus § 642 BGB tatsächlich nur auf Kostennachteile gestützt werden, dieses Ergebnis muss aber erst noch begründet werden (hierzu unten II. 3.a) bb) (1)) und darf nicht durch die Terminologie vorweggenommen werden. Der vom Senat verwendete Begriff des Nachteils ist somit Ausdruck einer terminologischen Ergebnisoffenheit für die von der Klägerin vertretene Ansicht der Entschädigungsfähigkeit von Umsatznachteilen.

Die Anspruchsvoraussetzung eines Nachteils im Rahmen von § 642 BGB ist insbesondere auch durch die Rechtsprechung des BGH vorgegeben. Danach ist gerade nicht jeder annahmeverzugsbedingte Nachteil entschädigungsfähig: Vorhaltekosten sind es, Kostensteigerungen sind es nicht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17). Diese Aussage des BGH verlangt, dass ersatzfähige Positionen – Vorhaltekosten – von nicht ersatzfähigen Positionen – Kostensteigerungen – unterschieden werden können. Eine solche Unterscheidung setzt aber voraus, dass, wenn sich ein Besteller im Mitwirkungsverzug befindet, zuallererst hierdurch bedingte Nachteile identifiziert werden, wie es der Senat fordert. Erst dann können in einem zweiten Schritt die nach Vorgabe des BGH nicht ersatzfähigen Positionen ausgesondert werden.

Es ist unerheblich, dass das Entstehen eines annahmeverzugsbedingten Nachteils nicht explizit in § 642 BGB erwähnt wird. Der Begriff des Nachteils erfüllt allein die Funktion, die durch § 642 BGB aufgeworfenen Rechtsfragen strukturiert abarbeiten zu können und dient somit der Gesetzesanwendung. Dies wird im Folgenden (vgl. II.3.a) bb)) ausgeführt.

2. Kein Anspruch der Klägerin aus § 642 BGB hinsichtlich der Gebäude WAT und ELZ
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, sie habe ihre Bauleistungen im WAT-Zentrum und im Elternzentrum nicht in den vertraglich vorgesehen Fristen erbringen können, hat sie einen Anspruch aus § 642 BGB nicht dargelegt.

a) Fehlende Baufreiheit vor dem 5. bzw. 19. September 2016
Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe in den Gebäuden WAT und ELZ nicht vor dem 5. (WAT) bzw. 19. September 2016 (ELZ) und somit nicht zu Beginn der in Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen vorgesehenen Fristen bzw. nicht zu Vertragsbeginn mit ihren Arbeiten beginnen können, fehlt es bereits an einem Mitwirkungsverzug des Beklagten.

aa) Baufreiheit
Zwar gerät der Besteller grundsätzlich in Mitwirkungsverzug, wenn ein Bauvertrag Ausführungsfristen regelt und der Besteller dem Unternehmer das Baugrundstück zu Beginn der Frist nicht so zur Leistungserbringung bereit überlässt, wie es nach dem Vertrag hätte geschehen müssen (“baufrei”). Denn wenn ein Unternehmer durch eine vertragliche Ausführungsfrist gebunden ist, ist er zugleich berechtigt, diese Frist auszuschöpfen. Dazu ist er aber nur in der Lage, wenn ihm der Besteller das Grundstück bei Fristbeginn baufrei überlässt, was dem Besteller folglich als Mitwirkung im eigenen Interesse obliegt. Wann das Grundstück als ”baufrei” anzusehen ist, d.h. welche Behinderungen der Unternehmer ggf. hinzunehmen hat und welche nicht, richtet sich danach, wie die Kooperation der Vertragsparteien im konkreten Einzelfall durch den Bauvertrag ausgestaltet ist (BGH, Urteil vom 20. April 2017, VII ZR 194/13, BGHZ 214, 340, Rz. 18), das heißt, wie die Mitwirkungsschnittstelle (vgl. Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 19 ff) zwischen den Vertragsparteien durch den Vertrag definiert ist.

bb) Modifizierte Fristen für WAT und ELZ
Im vorliegenden Fall oblag es dem Beklagten nicht, der Klägerin die Gebäude WAT und ELZ vor dem 5. bzw. 19. September 2016 baufrei zu überlassen. Die Parteien haben in dem streitgegenständlichen Bauvertrag keine Ausführungsfristen für die Gebäude WAT und ERZ wirksam vereinbart. Zwar regelt Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen unter “2. Elternzentrum” und “3. WAT-Gebäude” solche Fristen, diese begannen aber im Fall von WAT am 20. Juni 2016 und im Fall von ERZ am 4. Juli 2016. Diese Regelung ist nicht Vertragsbestandteil geworden. Denn der Beklagte hat der Klägerin erst am 2. August 2016 den Auftrag erteilt, als der Fristbeginn schon seit mehreren Wochen verstrichen war. Der Vertrag ist deshalb so auszulegen, dass die Parteien ihn ohne die offenkundig nicht mehr einzuhaltenden Fristen für WAT und ERZ schlossen und er also insoweit eine Regelungslücke enthält, die entweder durch eine gesonderte Vereinbarung der Parteien, hilfsweise im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu füllen ist (BGH, Urteil vom 26. April 2018, VII ZR 81/17, Rz. 16; Urteil vom 10. September 2009, VII ZR 152/08, Rz 24 f).

Danach haben sich die Parteien im vorliegenden Fall auf den 5. bzw. den 19. September 2016 als neuen Beginntermin für die Gebäude WAT und ELZ geeinigt. Die erste Baubesprechung nach Auftragserteilung fand am 22. August 2018 statt. Davor hat die Klägerin dem Beklagten ihre Leistungen nicht angeboten. Auf der Besprechung hat der Bauleiter des Beklagten, der hierfür im Zweifel bevollmächtigt war, der Klägerin zunächst den 5. September 2016 als Baubeginn für das Gebäude WAT mitgeteilt, später dann den 19. September 2016 als Baubeginn für das Gebäude ELZ. Da die Klägerin dem nicht widersprach, in beiden Gebäuden sodann an diesen Tagen mit der Arbeit begann und die Parteien keine abweichende Vereinbarungen vorgetragen haben, sind im Zweifel diese beiden Tage einvernehmlich als neue Beginntermine festgelegt.
Wenn der Vertreter des Bezirksamts N… im Auftragsschreiben vom 2. August 2016 die Klägerin durch das Ankreuzen eines Textbausteins zum Arbeitsbeginn “gemäß Ziff. 1.1 der Besonderen Vertragsbedingungen” aufforderte, kommt dem vor dem Hintergrund, dass die Beginntermine für WAT und ELZ bereits deutlich überschritten und damit erkennbar hinfällig geworden waren und sie außerdem auch nicht in Ziff. 1.1 der Besonderen Vertragsbedingungen geregelt waren, keine entscheidende Bedeutung zu.

b) Verlangsamte Bautätigkeit nach dem 5. bzw. 19. September 2016
Der Klägerin steht auch deshalb kein Anspruch aus § 642 BGB zu, weil sich der Beklagte nach dem Baubeginn in den Gebäuden WAT bzw. ELZ am 5. bzw. 19. September 2016 dort in Mitwirkungsverzug befunden hätte. Zwar deutet Einiges auf diese Möglichkeit hin. Denn nach den in Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen ursprünglich vorgesehenen Fristen war für die Leistungen der Klägerin in diesen Gebäuden ein Zeitfenster von jeweils insgesamt 13 Kalenderwochen vorgesehen (WAT: vom 20. Juni bis zum 16. September 2016, ELZ: vom 4. Juli bis zum 30. September 2016 – jeweils ohne Berücksichtigung der Unterbrechungen). Ab dem neu vereinbarten Baubeginn am 5. bzw. 19. September 2016 war die Klägerin in beiden Gebäuden aber deutlich länger als 13 Kalenderwochen gebunden, nämlich bis zum Februar bzw. März des Jahres 2017.
Unerheblich ist insoweit, dass die Bautätigkeit der Klägerin in Gebäuden WAT und ELZ nach ihrem Beginn nicht zwangsläufig zu einem nicht geplanten vorübergehenden Stillstand gekommen sein muss, sondern möglicherweise nur langsamer voranschritt als vorgesehen. Denn auch wenn der Mitwirkungsverzug des Bestellers nicht zum Stillstand, sondern nur zur Verlangsamung der Arbeiten des Unternehmers führt, steht dem Unternehmer eine Entschädigung nach § 642 BGB zu, sofern er aufgrund dieser Verlangsamung seine Produktionsmittel länger vorhalten muss (KG, Urteil vom 16. Februar 2018, 21 U 24/18; Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 49f, 63 ff).

Soweit von Althaus hiergegen vorgebracht wird, es sei “sehr zweifelhaft, ob eine eingeschränkte Baufreiheit, die lediglich ein Ausweichen in andere Baubereiche erfordert, einen Annahmeverzug begründen” könne (NZBau 2018, 646), geht dies am entscheidenden Punkt vorbei. Wenn ein Prozess verlangsamt ist, der Unternehmer aber “in andere Baubereiche” – also auf einen anderen Arbeitsprozess – ausweichen kann, liegt natürlich kein Annahmeverzug vor. Unter dem Schlagwort “Verlangsamung des Bauablaufs durch Mitwirkungsverzug” geht es aber um die Verlangsamung terminkritischer Abläufe, von denen der Unternehmer gerade nicht terminneutral “in andere Bereiche” überwechseln kann, sodass er seine Leistungsgeschwindigkeit notgedrungen drosseln muss. Weil damit die Leistungszeit zwangsläufig länger wird und der Unternehmer deshalb gezwungen sein kann (nicht: muss), seine Produktionsmittel länger vorzuhalten, ist er für solche Nachteile, sofern sie ihm aufgrund des verlangsamenden Mitwirkungsverzugs des Bestellers entstehen, von diesem zu entschädigen (vgl. Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 82 ff). Richtig ist, dass solch ein annahmeverzugsbedingter Nachteil erst nach Ablauf der hypothetischen Dauer des gestörten Prozesses entsteht, allerdings irrt Althaus ebenfalls, wenn er meint, dass der Nachteil damit nicht während des Annahmeverzugs entstanden sei und deshalb aufgrund der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17) nicht entschädigt werden könne (NZBau 2018, 646). Tatsächlich dauert der Annahmeverzug so lange, wie der Besteller dem Unternehmer das Grundstück nicht in der Weise baufrei überlässt, wie es der Unternehmer nach dem Vertrag erwarten darf. Wenn der Unternehmer die verlangsamende Störung nicht einplanen musste, besteht der Verzug deshalb für die gesamte Dauer dieser Störung (also den gesamten verlangsamten ”Ist-Ablauf”), sodass grundsätzlich sämtliche Nachteile erstattungsfähig sind, die dem Unternehmer während des gestörten Prozesses entstehen.
Im vorliegenden Fall scheitert ein auf die Verlangsamung des Baugeschehens in den Gebäuden WAT und ELZ nach dem 5. bzw. 19. September 2016 gestützter Anspruch der Klägerin aber daran, dass sie weder dargelegt hat, welche konkreten Störungen aus der Mitwirkungssphäre des Beklagten es nach dem Baubeginn gegeben haben soll, noch dass die hiervon betroffenen Prozesse terminkritisch waren, für die Klägerin also keine Möglichkeit bestand, terminneutral auf die Abarbeitung eines ungestörten Prozesses auszuweichen. Nur dann kann die verlangsamende Störung beim Unternehmer zu erhöhten Vorhaltekosten geführt haben, das Faktum eines verlangsamten Bauablaufs allein genügt hierfür nicht.

3. Kein Anspruch der Klägerin aus § 642 BGB hinsichtlich des Gebäudes SCH
Auch wegen des Gebäudes SCH steht der Klägerin kein Anspruch aus § 642 BGB gegen den Beklagten zu.

a) Kein Baubeginn vor dem 2. Mai 2017
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten, weil sie mit den beauftragten Arbeiten im Gebäude SCH erst am 2. Mai 2017 beginnen konnte.

aa) Mitwirkungsverzug insoweit gegeben
Allerdings befand sich der Beklagte insoweit vom 21. November 2016 bis mindestens zum 2. Mai 2017 in Mitwirkungsverzug. Insoweit beurteilt der Senat den Rechtsstreit anders als das Landgericht.

(1) Fortgeltung der Fristen für das Gebäude SCH
Es oblag dem Beklagten, der Klägerin das Gebäude SCH zum Beginn der vertraglichen Ausführungsfrist am 21. November 2016 baufrei zu überlassen (vgl. oben II.2.a) aa)). Dieser Termin sowie die sonstigen Einzelfristen unter Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen (aufgeführt unter “1. Schulerweiterung”) haben für den streitgegenständlichen Vertrag Gültigkeit. Anders als bei den Fristen für die Gebäude WAT und ELZ war bei denjenigen für das Gebäude SCH bei Auftragserteilung am 2. August 2018 noch nicht der Beginntermin überschritten, vielmehr stand dieser erst mehr als drei Monate später an. Da der Fristenplan für SCH trotz der verzögerten Vergabe somit nominell noch einhaltbar war, ist er nicht ohne Weiteres obsolet geworden. Natürlich ist es möglich, dass der Fristenplan für SCH von denjenigen für die Gebäude WAT und ELZ in der Form abhängig ist, dass mit den Arbeiten in SCH zwangsläufig erst 9 bzw. 7 Wochen nach dem Ende von WAT bzw. ELZ begonnen werden kann (entsprechend dem zeitlichen Abstand zwischen dem 16. September bzw. 30. September und dem 21. November 2016, vgl. Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen, Zeilen 1.a, 2.c und 3.c). Das bedeutete, dass der zeitliche Abstand zwischen WAT und ELZ einerseits und SCH andererseits terminkritisch wäre, also keine “Zeitpuffer” enthielte. Genau dies behauptet auch der Beklagte (vgl. z.B. Schriftsatz vom 7. Mai 2018, S. 6) und ist vom Landgericht der erstinstanzlichen Entscheidung zugrundegelegt worden. Allerdings bestreitet die Klägerin die Abhängigkeit der Fristen für SCH von denjenigen für WAT und ELZ (vgl. z.B. Berufungsbegründung S. 13). Da diese Abhängigkeit jedenfalls nicht zwingend ist, ist im Zweifel davon auszugehen, dass die nicht durch die Vergabeverzögerung überholten Fristen für SCH fortgalten und von der Klägerin beachtet werden mussten, um nicht in Verzug geraten, woraus im Gegenzug wiederum der Mitwirkungsverzug des Beklagten folgt, wenn er der Klägerin keine Baufreiheit zum Fristenbeginn ermöglicht.

Auf seine vom Landgericht abweichende rechtliche Bewertung musste der Senat den Beklagten aber nicht hinweisen, weil der Anspruch der Klägerin aus einem anderen Grund scheitert (dazu unten bb)).

(2) Mitwirkungsverzug des Beklagten
Der Beklagte befand sich somit vom 21. November 2016 bis (mindestens) zum 2. Mai 2017 in Mitwirkungsverzug, weil er der Klägerin das Gebäude SCH innerhalb der fortgeltenden vertraglichen Fristen (vgl. Ziff. 10 der Besonderen Vertragsbedingungen) und auch danach nicht baufrei überließ, vermutlich deshalb, weil die Vorgewerke nicht ausreichend vorangeschritten waren. Dies war für den Beklagten auch offenkundig (vgl. § 6 Abs. 1 VOB/B).

bb) Der Klägerin ist kein Nachteil entstanden
Gleichwohl steht der Klägerin kein Anspruch aus § 642 BGB gegen den Beklagten zu. Aus ihrem Vortrag ergibt sich nicht, dass ihr durch den Mitwirkungsverzug des Beklagten ein zu entschädigender Nachteil entstanden ist.

(1) Zeitbezogener Umsatzverlust aus dem Bauvertrag als Nachteil?
Die Klägerin beruft sich zur Begründung ihres Anspruchs aus § 642 BGB primär darauf, dass es ihr infolge des Mitwirkungsverzugs des Beklagten betreffend das Gebäude SCH nicht möglich gewesen sei, den hierauf entfallenden Anteil der vereinbarten Vergütung (rund 228.000,- € netto). innerhalb des vorgesehenen Zeitraums vom 21. November 2016 bis zum 7. April 2017 zu erwirtschaften. Somit belaufe sich ihr annahmeverzugsbedingter Nachteil auf den Umsatz, den sie andernfalls aus dem Vertrag im Zeitraum des Annahmeverzugs erwirtschaftet hätte, abzüglich der Aufwendungen, die sie dadurch erspart hat, dass sie ihre Leistungen tatsächlich nicht ausführen konnte. Diese Einsparungen beziffert die Klägerin mit rund 86.000,- € für nicht verwendetes Material und nicht verwendete Geräte, sodass sich eine Entschädigung von rund 142.000,- € errechnet. Davon zieht sie sodann anderweitigen Erwerb ab, der sich angeblich auf rund 8.000,- € belaufen soll (vgl. Klageschrift vom 18. Dezember 2017, S. 10 f sowie Berufungsbegründung vom 20. September 2018, S. 18).

Auf diese Weise lässt sich kein Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB begründen. Denn auch wenn der Mitwirkungsverzug des Bestellers dazu führt, dass während seiner Dauer der Unternehmer die vertraglich vereinbarte Vergütung nicht oder nicht in der vorgesehenen Höhe erwirtschaften kann, ist dieser zeitbezogene Umsatzverlust kein nach § 642 BGB ersatzfähiger Nachteil.

(aa) Berechnung des zeitbezogenen Umsatzausfalls
Allerdings lässt sich die Entschädigungsfähigkeit des zeitbezogenen Umsatzausfalls nicht schon mit dem Argument ablehnen, der Unternehmer habe aufgrund des Mitwirkungsverzugs die Vergütung aus dem gestörten Vertrag nicht endgültig verloren, sondern erziele sie nur zeitlich verzögert.

Beispiel 1: Der Besteller B 1 beauftragt den Unternehmer U mit Bauleistungen zu einer Vergütung von 120.000,- € (im Folgenden auch kurz: 120 t €). Dieser Auftrag A 1 soll nach dem vertraglichen Terminplan während der Monate M 1 bis M 3 ausgeführt werden. Aufgrund des Mitwirkungsverzugs von B 1, kann U den Vertrag erst in den Monaten M 5 bis M 7 ausführen. U nimmt B 1 nun dafür aus § 642 BGB in Anspruch, dass er die vertragliche Vergütung nicht in den Monaten M 1 bis M 3 habe erwirtschaften können.

Dieses Beispiel zeigt: Dem Unternehmer ist der Umsatz aus A 1 nicht endgültig entgangen, er konnte ihn in den Monaten M 5 bis M 7 realisieren, dies war lediglich zeitversetzt. Allerdings ist dem Unternehmer endgültig die Möglichkeit genommen, die Vergütung im Zeitraum M 1 bis M 3 zu erwirtschaften. Die Nachholung des Umsatzes in M 5 bis M 7, ist aufgrund der begrenzten Produktionskapazitäten eines Unternehmers kein vollwertiger Ersatz, denn sie bindet diese Kräfte und nimmt ihm zugleich die Möglichkeit in M 5 bis M 7 Umsatz aus eventuellen anderen Aufträgen zu erzielen. Wenn ein Mitwirkungsverzug bezogen auf einen bestimmten Zeitraum (M 1 bis M 3) zu einer Umsatzeinbuße beim Unternehmer führt, dann spricht Vieles dafür, dass diese Einbuße in der Folgezeit zumindest nicht mehr vollständig ausgeglichen wird und im Vermögen des Unternehmers fortwirkt. Da dem Unternehmer zugleich im Zeitraum M 1 bis M 3 Kosten entstanden sind (wenngleich sie geringer waren, als wenn er den Auftrag A 1 in dieser Zeit ausgeführt hätte), spricht dies durchaus für die Entschädigungsfähigkeit des zeitbezogenen Umsatzausfalls nach § 642 BGB, wobei die ersparten Aufwendungen in Abzug zu bringen wären:

Beispiel 2: Im Beispiel 1 lässt sich die Vergütung von U wie folgt aufschlüsseln:
Arbeitskräfte:40 t €Material:40 t €Geräteeinsatz:20 t €Kosten gesamt:100 t €Zuschlag für allgemeine Geschäftskosten: 10 t €Gewinn:10 t €Vergütung gesamt:120 t €
Da der Unternehmer in M 1 bis M 3 nicht für den Auftrag gearbeitet und folglich kein Material verbraucht hat, müsste er sich die Materialkosten in Höhe von 40 t € abziehen lassen. Im Übrigen hätte er aber im Zweifel nichts erspart, sofern er seine Arbeiter und Geräte durchgängig in seinem Unternehmen vorhält und sie somit bezogen auf die Monate M 1 bis M 3 nicht variabilisiert sind (was allerdings der Fall wäre bei ad hoc angeworbenen Leiharbeitern oder Mietgeräten). Somit beliefe sich im Beispiel 2 die Entschädigung gemäß § 642 BGB für U auf 120 t € – 40 t € = 80 t €, wobei etwaiger anderweitiger Erwerb von U noch nicht berücksichtigt ist. Da U sodann im Zeitraum M 5 bis M 7 die Vergütung von 120 t € “regulär” als Gegenleistung für die beauftragten Leistungen erwirtschaftet hat, stünden ihm gegen B 1 aus dem Vertrag A 1 insgesamt Ansprüche in Höhe von 80 t € + 120 t € = 200 t € zu. Genau nach diesem Muster hat die Klägerin vorliegend ihre auf § 642 BGB gestützte Klageforderung berechnet, wobei sie sich zusätzlich noch geringe Gerätekosten und einen geringen anderweitigen Erwerb abziehen lässt.

(bb) Aber: Keine Entschädigungsfähigkeit
Trotz dieser Überlegungen ergibt aber eine genauere Betrachtung, dass ein Unternehmer aus § 642 BGB keine Entschädigung für einen zeitbezogenen Umsatzausfall beanspruchen kann, der ihm aufgrund des Mitwirkungsverzugs des Bestellers entstanden ist (vgl. hierzu auch Sienz, BauR 2014, 398).

(aaa) Rechtsprechung des BGH
Dies lässt sich nach der Auffassung des Senats bereits aus der Rechtsprechung des BGH, nämlich dem Urteil vom 26. Oktober 2017 (VII ZR 16/17) ableiten. Nach dieser Entscheidung gewährt § 642 BGB dem Unternehmer eine angemessene Entschädigung dafür, dass er seine Produktionsmittel zur Herstellung der Werkleistung während der Dauer des Annahmeverzugs des Bestellers bereithält. Der zeitbezogene Umsatzausfall würde zwar das zeitliche Begrenzungskriterium dieser Entscheidung einhalten, denn es handelt sich um einen Nachteil, der dem Unternehmer ebenfalls “während der Dauer des Annahmeverzugs” entstanden ist. Allerdings ist dieser Entscheidung noch ein zweites inhaltliches Begrenzungskriterium zu entnehmen, wonach der Unternehmer nach § 642 BGB nur für Nachteile zu entschädigen ist, die ihm durch den vergeblichen Vorhalt von Produktionsfaktoren während des Mitwirkungsverzugs des Bestellers entstehen. Dies spricht dafür, dass gemäß § 642 BGB nur Nachteile auszugleichen sind, die in der Erhöhung seiner Kosten liegen, nicht aber ausgebliebene Umsatzerlöse. Die Beschränkung des Anspruchs aus § 642 BGB ausschließlich auf Vorhaltekosten ergibt sich nach der Einschätzung des Senats schon daraus, dass der BGH sogar die Entschädigungsfähigkeit von Kostennachteilen verneint, die keine Vorhaltekosten sind, sondern Kostensteigerungen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17). Damit muss die Entschädigungsfähigkeit von Umsatznachteilen erst recht ausgeschlossen sein. Hierfür spricht ferner die Bemerkung des BGH in dieser Entscheidung, wonach der “entgangene Gewinn” des Unternehmers nicht vom Anspruch aus § 642 BGB umfasst sei (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017,VII ZR 16/17, Rz. 45 e.E.), wobei aber auf der anderen Seite zu bemerken ist, dass sich entgangener Umsatz nicht in entgangenem Gewinn erschöpft: Entgeht dem Unternehmer die Vergütung aus dem Bauvertrag im Beispiel 2, so beläuft sich sein entgangener Umsatz auf 120 t €, sein entgangener Gewinn hingegen nur auf 10 t €.

(bbb) Interessengerechtigkeit
Die Ansicht, wonach der Ersatz von zeitbezogenen Umsatzausfällen nicht nach § 642 BGB zu entschädigen ist, ist auch interessengerecht.
Dies zeigt ein Vergleich des Werkvertrags mit dem Dienstvertrag. Bei beiden Vertragsformen will ein Leistungserbringer (einerseits Werkunternehmer, andererseits Dienstverpflichteter, z.B. Arbeitnehmer) durch den Einsatz von Produktionsfaktoren eine Vergütung erzielen. Beim Dienstvertrag sind die Produktionsfaktoren des Dienstverpflichteten – im Wesentlichen seine Arbeitskraft – typischerweise eng an den Vertrag gebunden, insbesondere wenn er sie zu vorgegebenen Zeiten bereithalten und einsetzen muss. Gerät der Leistungsempfänger zur Dienstzeit in Annahmeverzug (zum Beispiel: Werkschließung an drei Tagen aufgrund ausbleibender Zulieferungen) ist es deshalb gerechtfertigt, dass der sich bereithaltende Dienstverpflichtete die Vergütung weiter gezahlt bekommt, obgleich er wegen des Annahmeverzugs des Dienstberechtigten keine Dienste erbracht hat. Dieses Ergebnis leistet die Regelung des § 615 BGB, die nach der Systematik des BGB keine Anspruchsgrundlage ist, sondern “einwendungsvernichtende” Wirkung hat (vgl. Weidenkaff in: Palandt, BGB, 78. Auflage, 2019, § 615 BGB, Rz. 3 m.w.N.): Während sich der Dienstberechtigte gegenüber dem Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten für die drei Ausfalltage (§ 611 BGB) wegen des synallagmatischen Charakters des Dienstvertrags zunächst auf den Grundsatz “Kein Lohn ohne Arbeit” berufen kann (Einwendung), kann der Dienstverpflichtete wiederum § 615 BGB ins Feld führen, wonach ihm seine Vergütung für die Dauer des Annahmeverzugs des Dienstberechtigten erhalten bleibt, wenn er die Dienste aus diesem Grund nicht erbringen konnte. Dieses Ergebnis ist interessengerecht, wenn und soweit der Dienstverpflichtete aufgrund der vertragstypischen Pflicht, seine Arbeitskraft zu bestimmten Dienstzeiten bereitzuhalten, typischerweise keine Möglichkeit hat, mit diesem Produktionsfaktor anderweitig Umsatz zu erzielen, wenn der Vertragspartner in Annahmeverzug gerät.

Dieses Ergebnis würde auch im Rahmen des Werkvertrags gelten, wenn der zeitbezogene Umsatz als Nachteil im Rahmen des § 642 BGB ersatzfähig wäre. Beim Werkvertrag kann der Leistungserbringer (Unternehmer) seine Produktionsfaktoren (die Arbeitskraft des Unternehmers bzw. seiner Angestellten sowie Material und Geräte) aber in der Regel flexibler einsetzen als der Arbeitnehmer als typischer Leistungserbringer beim Dienstvertrag. Denn anders als im Regelfall ein Arbeitnehmer schuldet der Werkunternehmer dem Besteller nicht zwangsläufig den vollen Einsatz aller seiner Produktionsmittel zu bestimmten Dienstzeiten. Selbst wenn der Werkunternehmer sein Werk zu einem bestimmten Zeitpunkt fertigzustellen hat, ist er in der Regel nicht verpflichtet, sein Unternehmen durchgängig ausschließlich für einen Auftrag bereitzuhalten. Aus diesem Grund kann er – anders als ein durch Dienstzeiten gebundener Dienstverpflichteter – mehrere Werkverträge schließen, die er sodann nach Maßgabe des Einzelfalls zeitlich parallel abarbeiten kann.
Beispiel 3: Wie das obige Beispiel 1. B 1 befindet sich in M 1 bis M 3 durchgängig in Mitwirkungsverzug. Allerdings sind U in diesem Zeitraum von den weiteren Bestellern B 2 bis B 10 weitere Aufträge – A 2 bis A 10 – erteilt.

Dieser Fall belegt die unterschiedliche Situation von Werkunternehmer und Arbeitnehmer: Der Annahmeverzug von B 1 kann, muss aber nicht dazu führen, dass U während M 1 bis M 3 keinen Umsatz mit seinen Produktionsfaktoren erzielt. Vielmehr kann U, sobald er mit dem Annahmeverzug konfrontiert ist, auf die Abarbeitung eines anderen Auftrags aus seinem Bestand (A 2 bis A 10) überwechseln. Durch den Prozess des Überwechselns entsteht ein Zeitverlust, der länger oder kürzer sein kann: Ist U ein Schreiner, der an einem Möbelstück nicht weiterarbeiten kann, weil der Besteller notwendige Entscheidungen über die Gestaltung nicht trifft, geht es um die Zeit, die verstreicht, bis er das Möbelstück in der Werkstatt zur Seite geräumt und die Arbeit an einem anderen Auftrag aufgenommen hat. Ist U ein Bauunternehmer, geht es um die Zeit, die verstreicht, bis er nach Absprache mit einem seiner anderen Auftraggeber (B 2 bis B 10) auf einer der anderen Baustellen arbeiten kann. Die Produktionsfaktoren von U sind hier also nicht für den gesamten Annahmeverzug, sondern nur für die Dauer der Umschaltphase unproduktiv.

Die Umschaltphase kann im Einzelfall durchaus länger sein.

Beispiel 4: Wie Beispiel 3, allerdings hatte U Anlass, einen Teil seiner Produktionsfaktoren in den Monaten M 1 bis M 3 ausschließlich für A 1 einzuplanen. Aus diesem Grund hatte U für sämtliche anderen Aufträge seines Bestands (A 2 bis A 10) von vornherein und unwiderruflich Zeitfenster nach M 1 bis M 3 vereinbart. Als B 1 in Mitwirkungsverzug gerät, gelingt es U deshalb nicht, die für A 1 vorgesehenen Produktionsfaktoren innerhalb von M 1 bis M 3 auf einen anderen Auftrag umzusetzen.
Hier hat U keine Möglichkeit, mit seinen für A 1 bereitgehaltenen Produktionsmitteln innerhalb von M 1 bis M 3 anderweitigen Umsatz zu erzielen. Aufgrund der engen Bindung der Produktionsfaktoren an A 1 im Beispiel 4 ist der vollständige Umsatzverlust aus A 1 nun also doch eine Folge des Mitwirkungsverzugs von B 1.

Nach Einschätzung des Senats ist eine solche enge Bindung der Produktionsfaktoren anders als beim Dienstvertrag für den Werkvertrag aber nicht charakteristisch. Natürlich müssen Bauunternehmer häufig Fertigstellungstermine einhalten. Diese Termine können aber durchaus auch so angesetzt sein, dass der Unternehmer nicht alle für den Vertrag erforderlichen Produktionsmittel durchgängig auf der Baustelle einsetzen muss. Außerdem gibt es regelmäßig auch Werkverträge ohne strenge terminliche Bindung, die ebenfalls die Möglichkeit eröffnen, Leistungen vorzuziehen oder für kurze Zeit zu unterbrechen. Gerade auch im vorliegenden Fall hat sich im Verlauf des Rechtsstreits herausgestellt, dass die Klägerin durchaus die Möglichkeit hatte, während des Annahmeverzugs des Beklagten bei dem Gebäude SCH mit ihren Arbeitnehmern auf andere Verträge überzuwechseln (vgl. unten II.3.a) bb) (5) (c)).
Bei Werkverträgen, die keine Bauverträge sind, ist die Bindung der Produktionsmittel des Unternehmers an einen bestimmten Vertrag typischerweise noch weniger eng. Ein Bauvertrag zeichnet sich dadurch aus, dass der Unternehmer seine Leistungen primär oder sogar vollständig, auf einem fremden Grundstück erbringen muss und deshalb verstärkt von der Terminplanung des Bestellers und anderer Gewerke abhängig ist. Anders verhält es sich bei einem Unternehmer, der in seiner Werkstatt oder seinem Büro arbeiten kann, wie etwa ein Schneider, Schreiner, Schuster, ein Softwareentwickler oder ein planender Architekt. Einem solchen Unternehmer ist das Umschalten seiner Leistungen von einem gestörten Vertrag auf einen anderen Vertrag noch leichter möglich als einem Bauunternehmer. Dieser Aspekt ist deshalb bedeutsam, weil § 642 BGB, um dessen Auslegung es hier geht, keine spezifisch bauvertragliche Regelung ist, sondern zum allgemeinen Werkvertragsrecht gehört, das vom Gesetzgeber des BGB nicht mit Fokus auf das Bauvertragsrecht geschaffen worden ist.
Wenn es auch nicht der vollständige zeitbezogene Umsatz ist, entstehen einem Werkunternehmer durch den Annahmeverzug des Bestellers zweifellos Nachteile, weil er seine für den Vertrag benötigten Produktionsfaktoren wie bereits erwähnt zumindest für die Phase des Umschaltens der Leistungserbringung auf einen anderen Auftrag vergeblich vorhält. Für eben diese Vorhaltekosten erhält er aber auch eine Entschädigung nach § 642 BGB. Es ist lediglich nicht gerechtfertigt, dem Unternehmer unabhängig von der Darlegung konkreter Vorhaltekosten die zu seinen Gunsten stärker pauschalierte und somit in aller Regel deutlich höhere Entschädigung für Umsatznachteile zuzusprechen.

(ccc) Wortlaut von § 642 BGB
Die fehlende Entschädigungsfähigkeit des zeitbezogenen Umsatzausfalls ist auch mit dem Wortlaut von § 642 Abs. 2 BGB vereinbar.
Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass die Entschädigungsfähigkeit des zeitbezogenen Umsatzausfalls zu einer Ermittlung der Anspruchshöhe wie bei der großen Kündigungsvergütung (nach §§ 649 bzw. 648a Abs. 5 S. 2 BGB a.F., zu dieser Terminologie vgl. KG, Urteil vom 15, Juni 2018, 21 U 140/17; Urteil vom 16. Februar 2018, 21 U 66/16) führt, mit der Besonderheit, dass nur die im Zeitraum des Annahmeverzugs bei Störungsfreiheit zu erwirtschaftende Vergütung betrachtet wird. Im obigen Beispiel 2 ermittelte sich so eine Entschädigung von 80 t €.

Ebenfalls zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass der Wortlaut von § 642 Abs. 2 BGB mit der Annahme einer solchen “zeitbezogenen großen Kündigungsvergütung” durchaus vereinbar ist. Eine solche Auslegung ist nach Meinung des Senats aber nicht zwingend. Gerade wegen der Verwendung der Wörter “einerseits… andererseits” kann § 642 Abs. 2 BGB auch so verstanden werden, dass hier lediglich die Parameter aufgezeigt werden, nach denen die Entschädigung des Unternehmers für vergeblich vorgehaltene Produktionsmittel zu bemessen ist. Zudem richtet sich auch die nach Auffassung des Senats mit § 642 Abs. 2 BGB angesprochene Entschädigung für Vorhaltekosten nach der “vereinbarten Vergütung” mit der Konsequenz, dass der Unternehmer Zuschläge auf seine Vorhaltekosten erhält, wenn diese vor dem Hintergrund der vereinbarten Vergütungshöhe darstellbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 45; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16). Schließlich sind “Dauer des Annahmeverzugs”, “ersparte Aufwendungen” und “anderweitiger Erwerb des Unternehmers” auch für die Ermittlung annahmeverzugsbedingter Vorhaltekosten relevant (vgl. dazu unten II.3.a) bb) (5)).

(ddd) Zusammenfassung
Diese Überlegungen führen den Senat zu folgendem Ergebnis:
Der Annahmeverzugs des Werkbestellers führt beim Unternehmer im Regelfall nicht zwangsläufig zu einem Umsatzverlust, sondern nur zur Vorhaltekosten. Wegen des beträchtlichen Umfangs, den eine Entschädigung für einen zeitbezogenen Umsatzausfall erreichte – sie beliefe sich auf die zeitbezogene große Kündigungsvergütung – wäre es deshalb nicht interessengerecht, den Unternehmer nach § 642 BGB pauschalierend für einen Nachteil zu entschädigen, der ihm in dieser Form möglicherweise gar nicht entstanden ist. Vielmehr ist es ausreichend, wenn er nur für die Kosten entschädigt wird, die ihm für tatsächlich vergeblich vorgehaltene Produktionsfaktoren entstanden sind.
Somit kann die Klage keinen Erfolg haben, soweit die Klägerin mit ihr die Entschädigung für zeitbezogene Umsatznachteile geltend macht.

(2) Endgültiger Umsatzverlust aus dem gestörten Vertrag
Im Einzelfall kann es auch dazu kommen, dass einem Unternehmer aufgrund des Mitwirkungsverzugs des Bestellers der Umsatz aus dem gestörten Vertrag zumindest teilweise nicht nur vorübergehend, sondern endgültig entgeht, nämlich wenn er sich zu einer Vertragsbeendigung nach § 643 BGB mit der Vergütungsfolge des § 645 Abs. 1 BGB veranlasst sieht. Auch dann ist dieser Nachteil aber aus den Erwägungen unter (1) – möglicherweise auch aus weiteren Gesichtspunkten – ebenfalls nicht nach § 642 BGB ersatzfähig.

(3) Umsatzverlust aus einem anderen Vertrag
Beispiel 5: Wie Beispiel 1. U hätte in den Monaten M 5 bis M 7 den Auftrag A 2 annehmen und so einen Umsatz von 80 t € erwirtschaften können. Er musste aber A 2 ablehnen, weil er in M 5 bis M 7 die verschobenen Leistungen aus dem Vertrag A 1 nachholen musste.
In diesem Fall steht im Raum, dass U seine Entschädigung aus § 642 BGB mit dem endgültig und nicht nur zeitbezogen entgangenem Umsatz aus A 2 begründet. Dies kann aber schon deshalb keinen Erfolg haben, weil dieser Nachteil nach Wegfall des Annahmeverzugs entstanden und somit nicht nach § 642 BGB entschädigungsfähig ist (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17).
Die Klägerin hat ihre Klageforderung auch hilfsweise nicht mit einer solchen Begründung versehen.

(4) Zeitbezogene “AGK-Unterdeckung” bzw. Vorhalt des Gesamtunternehmens als Nachteil
Der Klägerin ist auch nicht in der Form ein Nachteil entstanden, dass sie während des Annahmeverzugs des Beklagten nicht die in der vereinbarten Vergütung enthaltenen Deckungsbeiträge für ihre allgemeinen Geschäftskosten (im Folgenden: AGK-Deckungsbeitrag) erwirtschaften konnte, obgleich sie sich für die Leistungserbringung bereit gehalten hat.

Beispiel 6: Der Besteller befindet sich während des gesamten Zeitraums der geplanten Vertragsdurchführung von M 1 bis M 3 in Annahmeverzug. Die Vergütung von U lässt sich wie folgt aufschlüsseln:
Arbeitskräfte:40 t €Material:40 t €Geräteeinsatz:20 t €Kosten gesamt:100 t €Zuschlag für allgemeine Geschäftskosten: 10 t €Gewinn:10 t €Vergütung gesamt:120 t €

U ist es in diesem Fall nicht möglich, während M 1 bis M 3 den AGK-Deckungsbeitrag von 10 t €, der in der Vergütung enthalten ist, zu erwirtschaften. Die Ersatzfähigkeit dieses Nachteils kann auf zwei Weisen begründet werden, nämlich indem man ihn entweder als Umsatz- oder als Kostenposition begreift.

(a) AGK-Deckungsbeitrag als Umsatzposition
Wird der AGK-Deckungsanteil als Umsatzposition angesehen, wäre er entschädigungsfähig, wenn der Umstand, dass der Unternehmer diesen Deckungsbeitrag während des Störungszeitraums M 1 bis M 3 nicht erwirtschaften konnte, einen entschädigungsfähigen Nachteil darstellt. Derartige zeitbezogene Umsatzausfälle sind aber aus den oben dargelegten Gründen (vgl. II.3.a) bb) (1)) nach Auffassung des Senats nicht nach § 642 BGB zu ersetzen. Dies gilt auch, wenn nicht der gesamte entgangene Umsatz, sondern nur ein Teilbetrag in Rede steht.

(b) AGK-Deckungsbeitrag als Kostenposition
Daneben erscheint es denkbar, den AGK-Deckungsbeitrag als Kostenposition aufzufassen: Der Unternehmer hat nach § 642 BGB Anspruch auf Entschädigung für die Kosten, die ihm durch den vergeblichen Vorhalt seiner Produktionsmittel im Annahmeverzug des Bestellers entstehen. Der AGK-Deckungsbeitrag könnte nun als Bewertung derjenigen Produktionsmittel des Unternehmers aufgefasst werden, die er in seinem allgemeinen Geschäftsbetrieb für den gestörten Vertrag vorgehalten hat und die ihm folglich zu entschädigen sind.

Auch diese Überlegung ist aber aus zwei Gründen nicht richtig: Nach Auffassung des Senats lässt sich nur bei Produktionsmitteln, deren Einsatz zu direkten Kosten der Bauleistung führt (also Einzelkosten der Teilleistungen und Baustellengemeinkosten) sinnvoll davon sprechen, dass sie für ein Bauvorhaben vorgehalten werden. Denn ein Produktionsmittel ist nur dann für einen Vertrag “vorgehalten”, wenn der Unternehmer es in einem bestimmten Zeitraum ausschließlich hierfür bereithält, sodass es nicht für andere Verträge eingesetzt werden kann. Hingegen hält ein Unternehmer seinen darüber hinausgehenden allgemeinen Geschäftsbetrieb niemals nur für ein Projekt vor, selbst wenn er in einem Zeitraum – im Beispiel 6: M 1 bis M 3 – nur auf einen einzigen Vertrag Leistungen erbringen sollte. Wenn nicht ohnehin zeitlich parallele Verträge abgearbeitet werden, dient der allgemeine Geschäftsbetrieb eines Unternehmers immer auch dazu, dass frühere Aufträge abgerechnet und neue akquiriert werden und somit die Fortsetzung des Unternehmens sichergestellt ist. Damit fehlt es an einem Vorhalten des allgemeinen Geschäftsbetriebs in Bezug auf einen konkreten gestörten Vertrag.

Daneben spricht gegen die Entschädigungsfähigkeit des AGK-Deckungsbeitrags als Kostenposition, dass an seiner Höhe nicht abgelesen, also insbesondere nicht durch den Besteller überprüft werden kann, in welchem Umfang der Unternehmer Produktionsmittel seines allgemeinen Geschäftsbetriebs im Annahmeverzug des Bestellers vorgehalten hat. Da er zu dem Teil der Vergütung gehört, der nicht zur Deckung der direkten Kosten des Bauvorhabens benötigt wird, hängt seine Höhe keinesfalls nur von der Kostenstruktur des Unternehmers, sondern auch von der Verhandlungssituation bei Vertragsschluss ab, also davon, inwieweit es dem Unternehmer gelungen ist, eine Vergütung auszuhandeln, die den zur Deckung seiner tatsächlichen direkten Kosten benötigten Betrag übersteigt (vgl. Sienz, BauR 2014, 399).

Damit ist der zeitbezogene AGK-Deckungsbeitrag aus der Gesamtvergütung des Unternehmers kein nach § 642 BGB erstattungsfähiger Nachteil. Dies ist von dem Umstand zu unterscheiden, dass, wenn ein Unternehmer Produktionsmittel aufgrund des Annahmeverzugs des Bestellers vergeblich vorhält, bei der Ermittlung seiner Entschädigung nach § 642 BGB ein Zuschlag für Allgemeine Geschäftskosten und Gewinn vorzunehmen ist, sofern ein solcher in der vereinbarten Vergütung darstellbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 45; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16).
Beispiel 7: Im obigen Beispiel 6 belaufen sich die direkten Kosten des Unternehmers auf 100 t €, die Vergütung auf 120 t €, sodass sich bezogen auf die Kosten ein Zuschlagsfaktor von 1,2 ergibt (vgl. hierzu KG, Urteil vom 10. Juli 2018, 21 U 30/17). Im Annahmeverzug von B hält U vergeblich diverse Maschinen auf der Baustelle vor, wodurch ihm Vorhaltekosten von 5 t € entstehen.

Wegen des Vorhalts der Maschinen steht U eine Entschädigung nach § 642 BGB zu. Diese beläuft sich auf 5 t € x 1,2 = 6 t € BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 45; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16). Der Unternehmer erhält also auf seine Vorhaltekosten einen Zuschlag von absolut 1.000,- €. Da sich der Unternehmerzuschlag im Beispiel je zur Hälfte auf Gewinn und AGK-Deckung aufteilt, wäre er also in Höhe von 500,- €, als AGK-Deckungsbeitrag “deklariert”. Dieser AGK-Deckungsbeitrag resultiert aber nur aus dem Umstand, dass sich die Entschädigung des Unternehmers für vergeblich vorgehaltene Produktionsmittel nach der Höhe der vereinbarten Vergütung richtet und darin enthaltene Zuschläge folglich fortzuschreiben sind (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 45; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16). Dies ist eine Folge der Vergütungsähnlichkeit des Anspruchs aus § 642 BGB. Der AGK-Zuschlag ist im Anspruch aus § 642 BGB nur “akzessorisch” als Zuschlag auf einen entschädigungsfähigen Nachteil enthalten. Demgegenüber ist der vergeblich vorgehaltene allgemeine Geschäftsbetrieb insgesamt bzw. ein Umsatzanteil in Höhe des vollen zeitbezogenen AGK-Deckungsbeitrags nicht selbst als Nachteil entschädigungsfähig.

Das Beispiel 7 zeigt die Auswirkung dieser Unterscheidung: Wäre der AGK-Deckungsbeitrag als solcher entschädigungsfähig, so ist die Bemessungsgrundlage zu seiner Berechnung die im Störungszeitraum insgesamt nicht erwirtschaftete Vergütung bzw. die hypothetisch insgesamt angefallenen Kosten. Im Beispiel 6 (Störungszeitraum M 1 bis M 3) ergäbe sich so eine “AGK-Entschädigung” von 10.000,- €. Ist der AGK-Deckungsbeitrag hingegen nur im Zuge der Preisfortschreibung als Teil des Zuschlags auf die zu entschädigenden Vorhaltekosten anzusetzen, sind nur diese Vorhaltekosten, also ein geringerer Betrag die Bemessungsgrundlage. Im Beispiel 7 ermittelt sich deshalb nur eine “AGK-Entschädigung” von 500,- €.

Ein Nebeneffekt dieses Befundes ist, dass sowohl bei der Preisfortschreibung nach § 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B (hierzu vgl. KG, Urteil vom 10. Juli 2018, 21 U 30/17) als auch bei der Ermittlung der Entschädigung nach § 642 BGB zwischen AGK-Deckungsbeitrag und Gewinn generell nicht unterschieden werden muss. Zur Ermittlung des in der Vergütung enthaltenen Zuschlags müssen lediglich diejenigen Preisbestandteile isoliert werden, die zur Deckung der tatsächlichen direkten Kosten des Vertrages erforderlich sind. Der Rest ist Zuschlag (in den Beispielen 6 und 7 in Höhe von 20 t €). Inwieweit dieser Zuschlag als AGK-Deckungsbeitrag und / oder Gewinn bezeichnet wird, ist unerheblich.

(5) Vorhalt von Arbeitskräften als Nachteil
Der Klageanspruch kann nicht – auch nicht teilweise – darauf gestützt werden, dass die Klägerin während des Annahmeverzugs des Beklagten vergeblich Arbeitskräfte vorgehalten hätte. Zwar macht die Klägerin dies hilfsweise mit ihrer Klage geltend, aus ihrem Vortrag ergibt sich aber nicht, dass ihr ein solcher Nachteil tatsächlich entstanden ist.

(a) Wann sind Arbeitskräfte vorgehalten?
Hält ein Unternehmer im Annahmeverzug des Bestellers vergeblich Produktionsmittel vor, so steht ihm für diesen Nachteil eine Entschädigung nach § 642 BGB zu (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17 m.w.N.). Allerdings sind Produktionsmittel nur dann für einen Vertrag vorgehalten, wenn der Unternehmer sie in einem bestimmten Zeitraum ausschließlich für diesen bereithält, sodass sie in Folge des Annahmeverzugs brachliegen. Kann der Unternehmer hingegen die Produktionsmittel, die er für einen Auftrag A 1 benötigt, bei dem der Besteller in Mitwirkungsverzug gerät, für einen anderen Auftrag A 2 einsetzen, sind sie grundsätzlich nicht für A 1 vorgehalten (vgl. zum Vorhalt des allgemeinen Geschäftsbetriebs des Unternehmers insgesamt oben II.3.a) bb)(4)(b)).

Es kann durchaus dazu kommen, dass ein Unternehmer seine Arbeitskräfte im Mitwirkungsverzug des Bestellers für diesen vorhält. Allerdings ist der Vorhalt von Arbeitskräften naturgemäß schwieriger darzulegen als der Vorhalt von Geräten oder der Baustelleneinrichtung. Wenn Geräte oder die Baustelleneinrichtung im Annahmeverzug nutzlos vorgehalten werden, dann ist das typischerweise auf der Baustelle offen zu erkennen, indem sie dort ungenutzt vorhanden sind. Arbeitskräfte sind demgegenüber mobiler als zum Beispiel eine aufwändig errichtete Baustelleneinrichtung, ein Gerüst oder ein Kran und können vom Unternehmer deshalb auch leichter von einer Baustelle abgezogen werden. Kann der Unternehmer sie nicht anderweitig einsetzen, sind sie weiter für den Besteller vorgehalten. Kann der Unternehmer sie aber auf einer anderen Baustelle einsetzen, endet aber der Vorhalt und somit der zu entschädigende Nachteil, ohne dass dies für den Besteller erkennbar wäre.

Die Problematik des annahmeverzugsbedingten Vorhalts von Arbeitskräften lässt sich durch die folgenden typisierenden Beispielsfälle näher erläutern:
Beispiel 8: B 1 hat den Unternehmer U mit dem Vertrag A 1 mit Bauleistungen beauftragt. U soll ab dem 1. Juni mit den Arbeiten beginnen. Parallel ist U von den Bestellern B 2 bis B 10 mit den weiteren Aufträgen A 2 bis A 10 beauftragt, deren Abarbeitung U aber erst im Anschluss an A 1 eingetaktet hat. Als U am 1. Juni mit seinen Mitarbeitern auf der Baustelle A 1 erscheint, teilt B 1 ihm mit, er könne heute wegen des Verzugs eines Vorgewerks noch nicht anfangen, solle sich aber bereithalten und am Folgetag mit den Arbeiten beginnen. U erscheint sodann am 2. Juni wieder mit seinen Arbeitskräften. B vertröstet ihn erneut auf den Folgetag. So geht es jeden Arbeitstag bis zum 1. Juli, dann kann U mit den Arbeiten beginnen.

Hier befindet sich B 1 den gesamten Juni hindurch in Annahmeverzug. Da U gezwungen war, sich währenddessen durchgängig bereit zu halten, hat er seine für A 1 benötigten Arbeitskräfte im Zweifel durchgängig für B 1 bereitgehalten, sodass dieser ihn hierfür gemäß § 642 BGB entschädigen muss.
Beispiel 9: Wie Beispiel 8. Allerdings teilt B 1 dem U bereits am 1. Juni mit, dass er wegen des Verzugs des Vorgewerks erst in einem Monat mit den Arbeiten beginnen könne. U und seine Arbeiter verlassen die Baustelle. U gelingt es nicht, durch Absprache mit den B 2 bis B 10 seine Leistungen für die Verträge A 2 bis A 10 in den Juni vorzuziehen. U kann seine Mitarbeiter im Juni deshalb nicht anderweitig einsetzen.

In diesem Fall verhält es sich genauso wie im Beispiel 8. Zwar hat B 1 den U nicht von Tag zu Tag hingehalten, sondern zu Beginn des Annahmeverzugs dessen Dauer klar mitgeteilt. Da U die Taktung seiner Aufträge aber nicht mehr anpassen konnte, war er dennoch gezwungen, seine für A 1 benötigten Arbeitskräfte im Juni durchgängig für B 1 vorzuhalten, was dieser nach § 642 BGB zu entschädigen hat.

Beispiel 10: Wie Beispiel 8. B 1 verschiebt Us Einsatz bereits am 1. Juni auf den Folgemonat. Allerdings gelingt es U, nach Absprache mit B 2 ab dem 4. Juni mit den Arbeiten aus dem Vertrag A 2 zu beginnen. U kann seine Arbeiter deshalb vom 4. bis zum 30. Juni auf der Baustelle von A 2 einsetzen.
Hier ist es anders: Von dem Tag an, an dem U seine für A 1 benötigten Mitarbeiter für A 2 einsetzen kann, hält er sie nicht mehr für A 1 vor. Vergeblich vorgehalten waren sie nur in der Umschaltphase also bis einschließlich zum 3. Juni. U kann von B 1 deshalb nur für diese drei Tage eine Entschädigung beanspruchen.

Beispiel 11: Wie Beispiel 8. U hat insgesamt zwölf Arbeitskräfte. Er hatte von vornherein geplant, im Juni die Aufträge A 1 und A 2 parallel abzuarbeiten und hatte dort jeweils sechs Arbeitskräfte eingeplant. Nachdem B 1 in Mitwirkungsverzug gerät, setzt U die für A 1 eingeplanten sechs Arbeitskräfte im Juni ebenfalls für A 2 ein, sodass diese Baustelle nun durchgängig mit zwölf Personen besetzt ist. Da die Baustelle von A 2 nicht ausreichend groß ist, ist die Produktivität einer einzelnen Arbeitskraft dort jetzt geringer, als wenn die 12 Personen nebeneinander auf A 1 und A 2 eingesetzt wären.
Der Senat meint, dass dieser Fall wie das Beispiel 10 zu lösen ist. Ein Produktionsmittel ist nur dann im Sinne von § 642 BGB bzw. der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17) “vorgehalten”, wenn der Unternehmer es ausschließlich für einen bestimmten Auftrag bereithält, sodass er anderweitige Umsatzmöglichkeiten verliert. Das ist im Beispiel 11 von dem Tag an nicht mehr der Fall, in dem U die für A 1 benötigten Arbeitskräfte für A 2 einsetzt. Die geringere Produktivität im Einsatz für A 2 aufgrund der dort nun zu hohen Mitarbeiterzahl ändert nichts daran, dass die “Vorhaltebeziehung” der sechs Arbeitskräfte zu A 1 gelöst ist. Natürlich ist es einem Unternehmer zuzubilligen, dass er den Mitwirkungsverzug eines Bestellers dazu nutzt, auf einer anderen Baustelle die Leistungsgeschwindigkeit zu erhöhen, aber dies geschieht eben um den Preis der Entschädigung für den Vorhalt der umgesetzten Arbeitnehmer. Diese beiden Effekte muss der Unternehmer miteinander abwägen. Würde im Beispiel 11 die Baustelle A 2 nur noch zwei zusätzliche Arbeitskräfte ohne Produktivitätsabfall vertragen, während es für weitere zusätzliche Kräfte “nicht mehr genug zu tun gibt”, dann sollte der Unternehmer nur zwei von A 1 umsetzen und die restlichen vier weiter für B 1 vorhalten, um – wie im Beispiel 9 – hierfür entschädigt werden zu können.

(b) Unternehmer muss das Fehlen von anderweitigem Erwerb darlegen und beweisen

Diese Beispiele zeigen:
Der Mitwirkungsverzug des Bestellers führt nicht automatisch dazu, dass der Unternehmer seine Arbeitskräfte in der gesamten Dauer dieses Verzugs vergeblich vorhält. Dies kann so sein (Beispiele 8 und 9), stattdessen ist es aber auch möglich, dass der Unternehmer die Arbeitskräfte nur für die Dauer der notwendigen Umschaltphase bereithält oder dass er nur einige seiner Arbeitskräfte vorhalten muss, während andere umgesetzt werden können. Da es der Unternehmer ist, der eine Entschädigung aus § 642 BGB beansprucht, hat er im Einzelnen darzulegen und zu beweisen, in welchem Umfang er in Folge des Mitwirkungsverzugs des Bestellers seine Arbeitskräfte vergeblich vorgehalten hat. Da eine Arbeitskraft nur dann für einen Auftrag vorgehalten ist, wenn der Unternehmer nicht durch anderweitigen Einsatz mit ihr Umsatz erzielt, gehört zur Darlegung des Vorhalts einer Arbeitskraft, dass der Unternehmer im fraglichen Zeitraum mit ihr keinen anderweitigen Erwerb erzielen konnte. Während der anderweitige Erwerb bei den Ansprüchen eines Leistungserbringers aus § 611, 615 oder aus § 649 BGB a.F. nicht zur Anspruchsbegründung gehört, sondern eine Einwendung des Leistungsempfängers darstellt (mit der prozessualen Erleichterung des § 138 Abs. 4 ZPO), ist sein Fehlen im Rahmen von § 642 BGB also eine anspruchsbegründende Voraussetzung. Dies ergibt sich aus der dargelegten Systematik und der Bedeutung des zentralen Begriffs der Vorhaltekosten. Im Übrigen ist diese Ansicht auch keineswegs unbillig, denn es ist der Unternehmer, der am besten in der Lage ist, zu dem anderweitigen Erwerb für seine Produktionsmittel vorzutragen.

Eine besonders aufwändige Darlegung ist dazu nicht erforderlich. Vielmehr genügt eine tabellarische Aufstellung über die einzelnen Mitarbeiter des Unternehmers und die Zeiträume, in denen es aufgrund des Mitwirkungsverzugs des Bestellers für sie keine Einsatzmöglichkeit gab (wobei ein Unternehmer bei einem längeren Mitwirkungsverzug keinen Anlass zum zeitlich unbegrenzten Vorhalt seiner Produktionsmittel hat, vgl. KG, Urteil vom 16. Februar 2018, 21 U 66/16, Rz. 131 f).

Diese Sichtweise deckt sich mit den Ausführungen des Senats im Urteil vom 10. Januar 2017 (21 U 14/16, Rz. 86). Dort hat der Senat ausgeführt, dass für die Begründung eines Anspruchs aus § 642 BGB nicht immer eine “bauablaufbezogene Darstellung” erforderlich ist. Entscheidend ist vielmehr, auf was für einen entschädigungsfähigen Nachteil der Unternehmer seinen Anspruch aus § 642 BGB stützt, dadurch werden die Anforderungen an die Darlegung des Anspruchs vorgegeben. Wenn der Nachteil im vergeblichen Vorhalt von Arbeitskräften liegen soll, dann muss der Unternehmer also diesen vergeblichen Vorhalt darlegen. Dazu gehört, dass er die betroffenen Arbeitskräfte nicht anderweitig einsetzen konnte, weil sie nur dann für den in seinem Ablauf gestörten Vertrag bereit gehalten sind.

(c) Keine Darlegung des Vorhalts von Arbeitskräften durch die Klägerin
Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich nicht, ob und in welchem Umfang sie infolge des Mitwirkungsverzugs des Beklagten beim Gebäude SCH zum vergeblichen Vorhalt von Arbeitskräften gezwungen war. Der Senat muss den Schriftsatz der Klägerin vom 20. Dezember 2018 hierbei eigentlich nicht berücksichtigen, denn er hatte sie bereits mit Schreiben vom 4. Oktober 2018, also zwei Monate vor dem Termin darauf hingewiesen, dass ihr die Darlegungs- und Beweislast für die fehlende alternative Einsatzmöglichkeit ihrer Produktionsmittel zufallen und sie bislang keinen ausreichenden Vortrag geliefert haben könnte. Nachdem dies auch im Termin noch nicht geschehen war, musste der Klägerin kein weiterer Schriftsatznachlass gewährt werden, um nochmals zu dieser Thematik vortragen zu können.

Allerdings kann dies letztlich dahinstehen. Denn auch dem Schriftsatz der Klägerin vom 20. Dezember 2018 kann nicht klar entnommen werden, welche ihrer Arbeitskräfte sie im Zeitraum zwischen dem 21. November 2016 und dem 2. Mai 2017 vergeblich für das Bauvorhaben des Beklagten vorgehalten haben will. Dazu müsste sie mitteilen, welche Arbeitskräfte sie in der vorgesehenen Zeit ab dem 21. November 2016 auf der Baustelle für das Gebäude SCH eingeplant hätte und welche sie infolge der fehlenden Baufreiheit sodann nicht anderweitig einsetzen konnte und also vergeblich bereitgehalten hat.
Das ist nicht geschehen. Vielmehr behauptet die Klägerin nur abstrakt, ihre Arbeitskräfte für den Beklagten vorgehalten zu haben (vgl. z.B. Schriftsatz vom 21. Juni 2018, S. 6), es fehlt aber an einer Darlegung, aus der Einsatz und Beschäftigungslosigkeit ihrer Mitarbeiter im betreffenden Zeitraum hervorgeht.
Vielmehr ergibt sich umgekehrt bereits aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin, dass ihre Behauptung eines durchgängigen Vorhalts ihrer Arbeitskräfte während der Ausführungsfristen für das Gebäude SCH unzutreffend ist. Sie trägt selbst vor, ihre hierfür bestimmten Arbeitskräfte während des Annahmeverzugs des Beklagten, in folgender Weise anderweitig beschäftigt zu haben:

Im Gebäude ELZ (vgl. Klageschrift S. 4, Berufungsbegründung S. 3 f), bei dem die im streitgegenständlichen Vertragsformular vorgesehenen Ausführungsfristen hinfällig geworden waren (vgl. oben II.2.a)bb)),

auf dem Bauvorhaben M… Straße 7 (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 20. Dezember 2018, S. 7 und 9),

auf dem Bauvorhaben L… straße 44 (Schriftsatz der Klägerin vom 20. Dezember 2018, S. 8) sowie

auf dem Bauvorhaben B… Straße 3 (Schriftsatz der Klägerin vom 20. Dezember 2018, S. 11).
Dass es neben diesen anderweitigen Einsatzmöglichkeiten auch “Leerlauf” für die Arbeitskräfte der Klägerin gegeben haben dürfte, ist als abstrakter Befund unerheblich. Die Klägerin muss den konkreten Umfang dieses “Leerlaufs” bzw. des fehlenden anderweitigen Erwerbs bezogen auf die jeweiligen Arbeitskräfte vorzutragen, denn exakt darin liegt der Vorhalt von Produktionsmitteln, für den sie Entschädigung begehrt. Die Ungewissheit über den genauen Umfang muss sich folglich zu Lasten der Klägerin auswirken. Auf den Vortrag des Beklagten, wonach die Klägerin ihre Arbeitskräfte neben den genannten Baustellen auch noch auf weiteren eingesetzt haben soll (Schriftsatz des Beklagten vom 30. November 2018), kommt es deshalb nicht mehr an. Ebensowenig kommt eine Beweisaufnahme in Betracht, wobei allerdings das von der Klägerin angebotene Sachverständigengutachten (Schriftsatz vom 20. Dezember 2018, S. 5) kein geeignetes Beweismittel wäre. Wenn die Klägerin ihre Arbeitskräfte vergeblich vorgehalten haben will, diese also aufgrund einer Störung keine Beschäftigung hatten, dann müssen hierfür Zeugen benannt werden, die diese Beschäftigungslosigkeit bestätigen können, wofür insbesondere die betroffenen Mitarbeiter selbst in Betracht kommen.

b) Verlangsamte Bautätigkeit im Gebäude SCH nach dem 2. Mai 2017
Auch insoweit steht der Klägerin kein Anspruch gegen den Beklagten aus § 642 BGB zu. Zwar war die Bautätigkeit der Klägerin in diesem Bereich offensichtlich verlangsamt, da ihre Arbeiten zum Zeitpunkt des Termins vor dem Senat noch nicht abgeschlossen waren und also bereits jetzt deutlich länger dauerten als mit den vertraglichen Ausführungsfristen vorgesehen. Die Klägerin hat mit ihrer Klage aber keine Störungen aus dem Zeitraum nach dem 2. Mai 2017 geltend gemacht und weder dargelegt, inwieweit diese Verlangsamung auf den Mitwirkungsverzug des Beklagten zurückgeht noch wie ihr dadurch entschädigungsfähige Nachteile entstanden sein könnten.

II. Kein Anspruch aus § 304 BGB
Der Klageanspruch ergibt sich hinsichtlich aller drei Gebäude auch nicht aus § 304 BGB.
Gerät eine Vertragspartei in Annahmeverzug kann die Gegenseite nach dieser Norm Ersatz der Mehraufwendungen verlangen, die sie für das erfolglose Angebot der Leistung und für Aufbewahrung und Erhaltung des geschuldeten Gegenstands machen musste. Diese Vorschrift hat allerdings einen recht engen Anwendungsbereich (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 31, Retzlaff in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 642 BGB, Rz. 152) und regelt im Wesentlichen den Ersatz für Lager- und Sicherungskosten, nicht aber die im vorliegenden Fall in Rede stehenden Vorhaltekosten, geschweige denn, dass sich aus ihr ein Ersatz für annahmeverzugsbedingte Umsatzverluste herleiten ließe.

III. Kein Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B
Der Klageanspruch ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 5 VOB/B

1. Leistungsänderung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B
Allerdings hat der Beklagte die Leistung der Klägerin im Sinne von § 2 Abs. 5 VOB/B geändert.

a) Vereinbarung der VOB/B
Die Parteien haben die Geltung der VOB/B für den streitgegenständlichen Bauvertrag vereinbart.

b) Verzugsmitteilung des Beklagten
Es kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass der Beklagte ihr mitgeteilt hat, sie könne die Arbeiten im Gebäude SCH nicht innerhalb der vereinbarten Vertragsfrist ab dem 21. November 2016, sondern erst später ausführen. Selbst wenn sich eine solche “Verzugsmitteilung” nicht eindeutig aus dem Parteivorbringen ergeben sollte, ist diese Annahme jedenfalls naheliegend.

c) Verzugsmitteilung ist in der Regel Leistungsänderung
Teilt der Besteller eines VOB/B-Vertrags dem Unternehmer mit, er könne nicht wie vorgesehen, sondern erst zu einer späteren Zeit auf der Baustelle arbeiten, liegt in dieser Verzugsmitteilung, mit der der Besteller dem Unternehmer seinen Mitwirkungsverzug anzeigt, in aller Regel eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B.

Soweit dem Senat bekannt hat sich der BGH zu dieser Rechtsfrage noch nicht klar positioniert. Zuletzt hat er angemerkt, allein die Störung des Vertrags wegen der Verzögerung der Bauausführung könne nicht als Anordnung einer Leistungsänderung gemäß § 2 Abs. 5 oder Abs. 6 VOB/B gewertet werden (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 40). Dies mag als Andeutung verstanden werden, dass der BGH auch die Verzugsmitteilung nicht als Leistungsänderung verstanden wissen will. Andererseits hat auch der BGH einem Unternehmer bei einer verzögerten Vergabeentscheidung einen Mehrvergütungsanspruch in entsprechender Anwendung von § 2 Abs. 5 VOB/B zugesprochen, was wiederum belegt, dass nach seiner Rechtsprechung verzögerungsbedingte Nachteile des Unternehmers jedenfalls im Grundsatz nach § 2 Abs. 5 VOB/B vergütungsfähig sind.

Im Übrigen ist in Rechtsprechung und Literatur allerdings anerkannt, dass die Verzugsmitteilung eines Bestellers an den Unternehmer eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B sein kann (vgl. KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16; OLG München, Urteil vom 27. April 2016, 28 U 4738/13; OLG Dresden, Urteil vom 9. Januar 2013, 1 U 1554/09; OLG Hamm, Urteil vom 12. April 2011, 24 U 29/09; OLG Celle, Urteil vom 22. Juli 2009, 14 U 166/08; Kniffka/Koeble, Kompendium, 5. Teil Rn. 112; Keldungs in: Ingenstau/Korbion, VOB, §1 Abs. 3 VOB/B, Rdn. 7; a.A. z.B. Markus in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 6. Auflage, § 6 VOB/B, Rz. 59).

Diese Ansicht ist auch überzeugend. Zwar ist ein Bauvertrag kein Fixgeschäft, das Interesse des Bestellers an einer Bauleistung steht und fällt also nicht mit dem Zeitpunkt der Bauleistung, auch wenn der Faktor Zeit für beide Parteien eines Bauvertrags von großer Bedeutung ist. Dieser Umstand spricht dafür, “Leistungsänderungen” des Bauvertrags nur auf das inhaltliche Bausoll zu beziehen, also auf die vom Unternehmer zu erbringenden Leistungen, nicht hingegen den Zeitpunkt der Leistung. Auf der anderen Seite sind inhaltliche und zeitliche Anordnungen im Baugeschehen häufig nicht klar zu unterscheiden. So kann etwa die Änderung einer vorgesehenen Herstellungsweise den am Ende geschuldeten Werkerfolg unberührt lassen und sich im Wesentlichen auf die Wirkung beschränken, dass der Unternehmer arbeitsintensiver vorgehen muss, also mehr Zeit aufwenden muss. Auch der Wortlaut von § 2 Abs. 5 VOB/B lässt Raum, Störungsmitteilungen als Leistungsänderung zu verstehen, denn er erwähnt neben der “Änderung des Bauentwurfs” explizit auch “andere Anordnungen” des Auftraggebers, die solche Modifikationen, die über das inhaltliche Bausoll hinausgehen, ohne Weiteres erfassen können.

aa) Verzugsmitteilung als Leistungsänderung erweitert die Rechte des Unternehmers
Insbesondere ist zu beachten: Wenn eine Störungsmitteilung des Bestellers an den Unternehmer zugleich eine Leistungsänderung des Bestellers ist, dann führt dieser Befund nicht zu einer Ausweitung der Befugnisse des Bestellers, sondern umgekehrt zu einer Ausweitung der Rechte des Unternehmers. Dass der Unternehmer nicht wie vorgesehen bauen kann, steht aufgrund des Mitwirkungsverzugs des Bestellers ohnehin schon fest, die verbindliche Anordnungswirkung einer Leistungsänderung ist insoweit ohne Bedeutung. Sie hat aber die Konsequenz, dass der Unternehmer nun auch den Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B geltend machen kann, der über denjenigen aus § 642 BGB hinausgeht (vgl. dazu unten III.1. d)).

bb) Auch konkludente Leistungsänderung ist möglich
Unerheblich ist, dass der Besteller seiner Anzeige des Mitwirkungsverzugs gegenüber dem Unternehmer möglicherweise nicht die Wirkung einer rechtsverbindlichen Anordnung beimessen möchte. Denn ob eine Anordnung vorliegt oder nicht, richtet sich danach, ob der Unternehmer das ihm abverlangte Tun oder Unterlassen nach dem Bauvertrag in die vereinbarte Vergütung einkalkulieren musste (vgl. z.B. Keldungs in: Ingenstau/Korbion, VOB, 20. Auflage, 2017, § 2 Abs. 5 VOB/B, Rz. 21 m.w.N.). Beim Mitwirkungsverzug des Bestellers ist dies gerade nicht der Fall, deshalb kann die Mitteilung des Bestellers hierüber eine Leistungsänderung sein. Auf die genaue Wortwahl des Bestellers kommt es für das Vorliegen einer Anordnung hingegen nicht an. Eine Anordnung kann auch lediglich konkludent getroffen werden, wenn der Besteller vom Unternehmer eine Leistung oder eben einen Aufschub verlangt, den dieser nicht einkalkulieren musste. Andernfalls hätte es der Besteller in der Hand, durch Wortklauberei und taktisches Formulieren bestimmte Rechtsfolgen zu verhindern. Maßgeblich muss deshalb eine objektive Auslegung sein: Teilt der Besteller dem Unternehmer ein Erschwernis mit, dass dieser nicht einpreisen musste nun aber – mangels Baufreiheit – zwangsläufig hinnehmen muss, dann stellt sich diese Störungsmitteilung als Leistungsänderung dar.
Offenbleiben kann an dieser Stelle, ob die Verzugsmitteilung des Bestellers an den Unternehmer als “Änderung des Bauentwurfs” im Sinne von § 1 Abs. 3 und § 2 Abs. 5 VOB/B oder als “andere Anordnung” gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B anzusehen ist. Der Senat neigt eher dazu, die Verzugsmitteilung als “andere Anordnung” anzusehen, entscheidend ist aber allein, dass die Voraussetzung für einen Mehrvergütungsanspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B erfüllt ist. Das ist in jedem der beiden Fälle gegeben.

Zur Vermeidung von Missverständnissen wird ferner angemerkt: Aus der Ansicht, wonach die Verzugsmitteilung des Bestellers eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B ist, folgt keineswegs, dass der Besteller aus § 1 Abs. 3 oder § 2 Abs. 5 VOB/B auch berechtigt wäre, gegenüber dem Unternehmer Beschleunigungsmaßnahmen anzuordnen. Eine solche Anordnung hat ein größeres eigenständiges Gewicht als die Mitteilung einer vom Unternehmer ohnehin zu duldenden Störung. Mit ihr verlangt der Besteller vom Unternehmer darüber hinaus das Ergreifen zusätzlicher Maßnahmen. Ob der Besteller dazu berechtigt ist, muss im vorliegenden Fall nicht geklärt werden.

d) Gilt insbesondere, wenn VOB/B vom Besteller gestellt
Nach Auffassung des Senats liegt in der Verzugsmitteilung des Bestellers an den Unternehmer jedenfalls dann eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B, wenn die VOB/B aufgrund einer vom Besteller vorformulierten Klausel in den Vertrag einbezogen sind. In diesem Fall sind die VOB/B vom Besteller gestellte allgemeine Geschäftsbedingungen, sodass Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Bestellers zu lösen sind (§ 305c Abs. 2 BGB). Nach dem Wortlaut von § 310 Abs. 1 S. 3 BGB gilt dies auch dann, wenn die VOB/B ohne Modifikation insgesamt in den Vertrag einbezogen sind.
Unter dieser Voraussetzung, die im vorliegenden Fall erfüllt ist, gilt weiter:

Es ist zumindest möglich, § 2 Abs. 5 VOB/B dahin auszulegen, dass auch eine Verzugsmitteilung des Bestellers an den Unternehmer eine Leistungsänderung im Sinne dieser Norm ist. Dafür sprechen die soeben ausgeführten Argumente und der Umstand, dass zahlreiche Stimmen in Rechtsprechung und Literatur genau diese Auffassung vertreten (vgl. III.1.c) m.w.N.). Für den Unternehmer ist diese Auffassung vorteilhaft gegenüber der Ansicht, nach der eine Verzugsmitteilung keinen Fall von § 2 Abs. 5 VOB/B darstellt. Ist eine Verzugsmitteilung eine Leistungsänderung, so folgt daraus, dass dem Unternehmer beim Mitwirkungsverzug des Bestellers nicht nur der Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB zusteht, sondern auch der Mehrvergütungsanspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B. Beide Anspruchsgrundlagen kommen zum selben Ergebnis, soweit der Unternehmer annahmeverzugsbedingte Vorhaltekosten geltend macht. Hier steht ihm sowohl nach § 642 BGB als auch nach § 2 Abs. 5 VOB/B ein Anspruch zu, dessen Höhe nach Auffassung des Senats auf dieselbe Weise zu ermitteln ist (nämlich Preisfortschreibung anhand tatsächlicher Mehrkosten, vgl. zu § 642 BGB: KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 10/16; Urteil vom 16. Februar 2018, 21 U 66/16; zu § 2 Abs. 5 VOB/B: KG, Urteil vom 10. Juli 2018, 21 U 30/17). Ebenso ist die Rechtslage nach beiden Anspruchsgrundlagen dieselbe, soweit sich der Unternehmer auf verzugsbedingte Umsatzverluste beruft. Diese sind nach § 642 BGB nicht entschädigungsfähig (vgl. oben II. 3.a) bb) (1)), nach § 2 Abs. 5 VOB/B aber ebensowenig, denn in einem Umsatzverlust liegen keine “Mehrkosten” im Sinne dieser Norm.

Die spezifische Differenz zwischen beiden Anspruchsgrundlagen liegt aber in der Behandlung von annahmeverzugsbedingten Mehrkosten, die keine Vorhaltekosten sind, sondern zum Beispiel Kostensteigerungen:

Beispiel 12: Der Besteller B hat den Unternehmer U mit Ausbauleistungen in einem zu errichtenden Gebäude beauftragt. Wegen der Insolvenz des Rohbauers ist die Baustelle nicht zur vertraglich vorgesehenen Ausführungsfrist baufrei, sondern erst 20 Monate später. Durch die verzögerte Ausführung der Leistung entstehen U Mehrkosten, da die Löhne seiner Mitarbeiter und die Preise des von ihm zu beschaffenden und einzubauenden Materials mittlerweile höher sind.
Diese Mehrkosten sind nicht nach § 642 BGB entschädigungsfähig (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17), durchaus aber nach § 2 Abs. 5 VOB/B (vgl. BGH, Urteil vom 10. September 2009, VII ZR 152/08, Rz. 42). Denn anders als § 642 BGB lässt sich § 2 Abs. 5 VOB/B keine Beschränkung auf die Vergütungsfähigkeit von Vorhaltekosten entnehmen. Da die Mehrkosten im Beispiel 12 dem Unternehmer aufgrund des Mitwirkungsverzugs bzw. seiner vom Unternehmer zu befolgenden Verzugsmitteilung entstanden sind, muss dem Unternehmer folglich eine entsprechende Mehrvergütung aus § 2 Abs. 5 VOB/B zustehen.

Auf der anderen Seite entstehen dem Unternehmer keine Nachteile durch die Auffassung, eine Verzugsmitteilung sei eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B. Insbesondere folgt aus dieser Ansicht nicht, dass der Besteller dann gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B auch zu Beschleunigungsanordnungen berechtigt sein muss (vgl. oben III.1.c)bb)), was in der Tat nachteilig für einen Unternehmer sein könnte (nicht: muss).

Aus dem Gesagten folgt:
Eine Verzugsmitteilung muss gemäß § 305c Abs. 2 BGB insbesondere dann eine Leistungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B sein, wenn die VOB/B dem Unternehmer vom Besteller als allgemeine Geschäftsbedingungen gestellt worden sind.

e) Leistungsänderung ist hier gegeben
Der Beklagte hat also die Leistung der Klägerin gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B geändert, indem er ihr – vom Senat als naheliegend zugunsten der Klägerin unterstellt – mitgeteilt hat, die beauftragten Arbeiten im Gebäude SCH erst am 2. Mai 2017 beginnen zu können und nicht, wie vertraglich vorgesehen, bereits am 21. November 2016.

f) Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B steht neben demjenigen aus § 642 BGB
Es stellt keinen Widerspruch dar, wenn der Senat trotz dieses Befundes einen Anspruch der Klägerin aus § 642 BGB geprüft hat (oben II.). Befindet sich der Besteller aufgrund einer Störung des Bauablaufs in Mitwirkungsverzug und teilt er dem Unternehmer zugleich mit, nur nach Maßgabe dieser Störung seine Leistung erbringen zu können, dann bestehen beim Unternehmer der Anspruch aus § 642 BGB und der Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B nebeneinander, sofern deren sonstige Voraussetzungen erfüllt sind. Dies folgt aus dem zivilrechtlichen Grundsatz der Anspruchskonkurrenz. Der Umstand, dass der Besteller durch seine Verzugsmitteilung an den Unternehmer dessen Leistung geändert hat, führt nicht dazu, dass der Mitwirkungsverzug des Bestellers entfiele.
Sieht ein Bauvertrag ein Recht des Bestellers zur einseitigen Leistungsänderung vor, dann ist dies kein Recht zur einseitigen Vertragsänderung. Ein Leistungsänderungsrecht wirkt nur punktuell: Der Besteller wird lediglich ermächtigt, die im Vertrag ursprünglich vorgesehene Leistung des Unternehmers in bestimmten Grenzen zu ändern, nicht aber darüber hinaus auch die sonstigen Regelungen des Vertrages. Der Besteller kann also anordnen, dass der Unternehmer statt der Leistung A die Leistung B zu erbringen hat. Er ist aber nicht befugt, einseitig den Preis der Leistung A abzuändern, einseitig einen Preis für die Leistung B vorzugeben oder sonst die Parameter der Preisermittlung zu ändern. Vielmehr bleiben die Vereinbarungen der Parteien über die Vergütung unverändert. Nur so kann die Vergütung für die neue Leistung auf Grundlage des geschlossenen Vertrages fortgeschrieben werden. Auch sonstige vertragliche Regelungen kann der Besteller aufgrund seines Leistungsänderungsrechts nicht mit rechtsverbindlicher Wirkung einseitig ändern. So kann er beispielsweise nicht einseitig eine vereinbarte Mängelhaftungszeit von 4 Jahren in 5 Jahre abändern, die Ausführungsfristen verkürzen oder die Regelung einer Vertragsstrafe nachträglich modifizieren. Wenn sich bei einem Pauschalvertrag ergibt, dass eine bestimmte vom Besteller verlangte Leistung nicht von der Leistungsbeschreibung erfasst ist, sodass der Unternehmer zu einem Nachtrag berechtigt ist, dann kann der Besteller den Vertrag nicht einseitig in der Form ändern, dass die betreffende Leistung nunmehr doch vom Leistungssoll erfasst ist und der Unternehmer sie also ohne Anspruch auf Mehrvergütung ausführen kann. Wenn und soweit der Besteller die Planungsverantwortung trägt, sodass er auch eine eventuelle Nachtragsleistung zu planen hat, kann er diese Aufteilung der Planungsverantwortung nicht durch eine Leistungsänderung einseitig zu Lasten des Unternehmers ändern. Und wenn ein Architektenvertrag über die Leistungsphasen 1 bis 8 ein Leistungsänderungsrecht für den Besteller vorsieht (etwa gemäß §§ 650q Abs. 1, 650b Abs. 2 BGB n.F.)., kann der Besteller nicht nachträglich die Leistung dahin ändern, dass der Architekt zusätzlich auch die Leistungsphase 9 zu erbringen hat.
Dies zeigt: Mit einem Leistungsänderungsrecht kann nur die Leistung des Unternehmers geändert werden, deren Preis sodann auf Grundlage des im Übrigen ungeänderten Vertrags zu bestimmen ist. Die sonstigen vertraglichen Regelungen werden durch ein Leistungsänderungsrecht nicht für den Besteller disponibel.

Daraus folgt: Begründet die Störung der Bauarbeiten den Mitwirkungsverzug des Bestellers (weil der Unternehmer die Störung nicht einkalkulieren musste), dann kann der Besteller diesen Mitwirkungsverzug und seine finanziellen Folgen nicht dadurch beseitigen, dass er gegenüber dem Unternehmer die Anordnung trifft, nach Maßgabe dieser Störung arbeiten zu müssen. Vielmehr gilt: Die Mitwirkungsschnittstelle zwischen den Parteien eines Bauvertrags wird durch eine Leistungsänderung nicht geändert. Deshalb bleibt bei einer Leistungsänderung in Form einer Verzugsmitteilung des Bestellers der Mitwirkungsverzug als solcher bestehen, allerdings tritt neben den Anspruch aus § 642 BGB ein weiterer aus § 2 Abs. 5 VOB/B in Anspruchskonkurrenz. Ob und inwieweit dem Unternehmer im Ergebnis tatsächlich diese Ansprüche zustehen hängt davon ab, ob deren übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.

2. Keine vergütungsfähigen Mehrkosten der Klägerin
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin allerdings keinen Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B gegen den Beklagten.
Die von ihr primär als Folge des Mitwirkungsverzugs geltend gemachten Umsatzverluste stellen keine Mehrkosten im Sinne von § 2 Abs. 5 VOB/B dar, sodass dieser Nachteil ebensowenig nach dieser Norm vergütungsfähig ist, wie er nach § 642 BGB entschädigungsfähig ist.
Vorhaltekosten, die ihr durch den Annahmeverzug des Beklagten entstanden sind, sind als änderungsbedingte Mehrkosten durchaus nach § 2 Abs. 5 VOB/B zu vergüten, allerdings gilt auch hier, dass die Klägerin nicht dargelegt hat, Produktionsmittel – insbesondere ihre Mitarbeiter – im Annahmeverzug des Beklagten vorgehalten zu haben. Es gelten hier die Ausführungen zu § 642 BGB entsprechend (vgl. oben II.3.a)bb)(5)).
Kostensteigerungsnachteile, die nicht nach § 642 BGB, wohl aber nach § 2 Abs. 5 VOB/B ersatzfähig sind, macht die Klägerin im vorliegenden Fall nicht geltend.

IV. Kein Anspruch aus § 6 Abs. 6 VOB/B
Der Klageanspruch ergibt sich nicht, auch nicht teilweise, aus § 6 Abs. 6 VOB/B.
Macht der Unternehmer eines Bauvertrags wegen einer Störung des Bauablaufs auf dieser Rechtsgrundlage Schadensersatz geltend, setzt dies voraus, dass die Störung der Vertragsdurchführung auf eine Pflichtverletzung des Bestellers zurückzuführen ist.

1. Pflichtverletzung trotz Leistungsänderung
Dieser Anspruch entfällt nicht schon deshalb, weil die zugunsten der Klägerin unterstellte Verzugsmitteilung des Beklagten dazu führte, dass die Störung aufgrund ihrer Mitteilung ihren Charakter als Pflichtverletzung verloren hätte. Zwar stellt eine Verzugsmitteilung grundsätzlich eine Leistungsänderung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B dar, dadurch werden aber nicht die sonstigen Regelungen des Vertrages geändert (vgl. oben III.1.f)).

2. Keine Pflichtverletzung des Beklagten
Allerdings ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht, dass ihr die mit der Klage geltend gemachten Vermögensnachteile – seien es Vorhaltekosten oder der (zeitbezogene) Umsatzverlust – aufgrund einer Pflichtverletzung des Beklagten entstanden sind.

a) Pflichtverletzung wegen fehlender Baufreiheit im Gebäude SCH?
Es begründet keine Pflichtverletzung des Beklagten, dass er der Klägerin das Gebäude SCH nicht innerhalb der vertraglich vereinbarten Ausführungsfrist vom 21. November 2016 bis zum 7. April 2017 baufrei überließ.

Zwar sah der streitgegenständliche Vertrag für das Gebäude SCH noch diesen Zeitraum als verbindliche Ausführungsfrist vor. Vereinbaren die Parteien eines Bauvertrags verbindliche Ausführungsfristen, so ist diese Regelung im Zweifel aber so auszulegen, dass sie nur für den Unternehmer Vertragspflichten begründet, nicht hingegen für den Besteller (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999, VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32, Rz 22; KG, Urteil vom 10. Januar 2017, 21 U 14/16).

Das heißt: Eine solche Regelung ist so zu verstehen, dass der Unternehmer grundsätzlich seine Vertragspflichten verletzt, wenn er die Frist nicht einhält. Für den Besteller hingegen ist die fristgemäße Kooperation nur eine Obliegenheit.
Unterbleibt sie – etwa weil der Besteller dem Unternehmer zu Beginn der Ausführungsfrist das Grundstück nicht baufrei überlässt – führt dies zu den folgenden Rechtsfolgen zugunsten des Unternehmers:

Die rechtsverteidigende Wirkung für den Unternehmer besteht darin, dass sich eine ihn bindende Vertragsfrist nach hinten verschiebt oder im Einzelfall bei einer schwerwiegenden Störung auch vollständig hinfällig werden kann.
Die anspruchsbegründende Wirkung besteht darin, dass dem Unternehmer wie dargelegt ein Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB oder bei einer Verzugsmitteilung außerdem ein Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B gegen den Besteller zustehen kann.
Allerdings hat der Unternehmer wegen einer solchen Störung aus der Sphäre des Bestellers grundsätzlich keinen Schadensersatzanspruch aus § 6 Abs. 6 VOB/B gegen diesen. Dies gilt erst recht, wenn ein Bauvertrag überhaupt keine Vertragsfristen vorsieht. Dann besteht erst recht keine Vertragspflicht des Bestellers, dem Unternehmer ein baufreies Grundstück zu überlassen, sondern lediglich eine dahingehende Mitwirkungsobliegenheit im Sinne von § 642 BGB.
Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte vorgetragen, die dafür sprechen, dass die für das Gebäude SCH vereinbarten Ausführungsfristen – insbesondere die jeweiligen Fristanfänge – auch für den Beklagten eine Vertragspflicht begründen könnten.

b) Pflichtverletzung wegen fehlender Verschaffung der Ausführungsplanung?
Ebensowenig begründet es eine Pflichtverletzung des Beklagten, dass er der Klägerin während der Ausführungsfrist ihrer Arbeiten im Gebäude SCH vom 21. November 2016 bis zum 7. April 2017 keine Ausführungsplanung für ihre Leistung übergab.

aa) Keine Ausführungsplanung des Beklagten
Es kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass ihr der Beklagte nach dem Vertrag eine Ausführungsplanung zu verschaffen hatte und dass dies hinsichtlich des Gebäudes SCH bis zum 7. April 2017 nicht geschehen war. So hat es die Klägerin im Termin vor dem Senat unwidersprochen vorgetragen.

bb) Keine diesbezügliche Vertragspflicht des Beklagten
Ist ein Bauvertrag gemäß dem soeben erläuterten Grundsatz (oben IV.2.a)) dahin auszulegen, dass keine Pflicht des Bestellers besteht, dem Unternehmer ein baufreies Grundstück zu überlassen, dann kann es zumindest in aller Regel auch keine anderen Mitwirkungspflichten des Bestellers gegenüber dem Unternehmer geben, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 6 VOB/B begründen könnte. Vielmehr ist dann die gesamte Mitwirkung des Bestellers nicht als Pflicht, sondern nur als Obliegenheit ausgestaltet (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 27. November 2008, VII ZR 206/06, BGHZ 179, 55, Rn. 34 f; vgl. hierzu Leupertz, BauR 2010, 1999 ff und BauR 2014, 381 ff)

Zwar wird durchaus auch die Rechtsauffassung vertreten, dass der Besteller, wenn er nach dem Vertrag die Ausführungsplanung zu erstellen hat, hierzu gegenüber dem Unternehmer in Form einer Nebenpflicht gebunden sein soll (vgl. z.B. Markus in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 6. Auflage, § 6 VOB/B, Rz. 55 ff m.w.N., der allerdings die abweichende Auffassung des BGH im Urteil vom 27. November 2008, VII ZR 206/06, BGHZ 179,55, Rz. 34 ff nicht erwähnt). Träfe dies zu, wäre im vorliegenden Fall ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten aus § 6 Abs. 6 VOB/B zumindest dem Grunde nach gegeben. Denn die Klägerin hätte ihre Leistungen im Gebäude SCH ab dem 21. November 2016 erbringen müssen. Der Beklagte hätte ihr deshalb die Ausführungsplanung im Zweifel spätestens an diesem Tag übergeben müssen. Da dies nicht geschehen ist, wäre der Beklagte mit der Übergabe der Ausführungsplanung seit diesem Datum in Verzug und hätte damit möglicherweise der Klägerin Schadensersatz in noch zu klärender Höhe zu leiste (wobei der Ausschluss des entgangenen Gewinns in § 6 Abs. 6 VOB/B zu beachten wäre).

(1) Entscheidend ist die rechtliche Qualifikation des Mitwirkungserfolgs
Allerdings steht die Annahme solcher Mitwirkungspflichten des Bestellers in Widerspruch zu der Aussage des BGH, wonach der Besteller grundsätzlich nicht verpflichtet ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt die Baufreiheit für den Unternehmer sicherzustellen (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999, VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32, Rz 22), sondern ihn nur eine entsprechende Obliegenheit trifft. Die vollständig fehlende Baufreiheit stellt in zeitlicher Hinsicht die stärkste denkbare Behinderung des Unternehmers bei der Leistungserbringung dar. Sie führt dazu, dass er – hier in Bezug auf das Gebäude SCH – überhaupt keine Leistungen erbringen kann. Fehlende Ausführungspläne können zwar auch dazu führen, dass der Unternehmer nicht bauen kann, das muss aber nicht so sein. Insbesondere wenn die Pläne nur unvollständig sind, kann der Unternehmer durchaus in der Lage sein, seine Leistungen zumindest teilweise schon auszuführen.

Wenn aber die vollständige Störung der Leistungserbringung keine Pflichtverletzung ist, warum sollte dann eine Teilstörung, die jedenfalls keine weitergehenden Folgen hat, so eingestuft werden? Warum sollte im vorliegenden Fall eine Pflichtverletzung des Beklagten darin liegen, dass er der Klägerin bis zum 7. April 2017 keine Ausführungspläne für das Gebäude SCH übergeben hat, wo es doch keine Pflichtverletzung darstellt, dass er der Klägerin nicht einmal die Möglichkeit eingeräumt hat, in dem Gebäude auch nur irgendeine Leistungen auszuführen?

Nach Meinung des Senats ist es deshalb nicht sinnvoll, die Frage, ob die Mitwirkung des Bestellers beim Werkvertrag als Pflicht oder Obliegenheit zu qualifizieren ist, nach der Art der Mitwirkungshandlung zu entscheiden (Beispiele für Arten von Mitwirkungshandlungen: Übergabe von Plänen, Taugliche Leistung des Vorgewerks, Treffen von Auswahlentscheidungen, Beschaffen von Genehmigungen etc.). Vielmehr muss es entscheidend auf den Mitwirkungserfolg ankommen. Denn für einen Bauunternehmer ist es von entscheidender Bedeutung ob bzw. in welchem Umfang er seine Leistungen ausführen kann. Ist er bei der Ausführung gestört und entstehen ihm dadurch zusätzliche Kosten, ist es für ihn – wenn überhaupt – von sekundärer Bedeutung, aus welchem konkreten Grund es dazu gekommen ist.

Daraus folgt weiter: Wenn der BGH die Grundentscheidung getroffen hat, dass sogar das vollständige Fehlen von Baufreiheit auf dem Baugrundstück zu Beginn einer Ausführungsfrist keine Pflichtverletzung darstellt (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999, VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32, Rz 22), dann muss das auch für andere Mitwirkungsversäumnisse des Bestellers gelten, die keine weiter gehenden Folgen haben, sondern ebenfalls höchstens dazu führen, dass der Unternehmer vorübergehend keinerlei Leistungen ausführen kann. Von daher ist die entsprechende Aussage im Urteil des BGH vom 27. November 2008 (VII ZR 206/06, BGHZ 179, 55, Rn. 34 f) folgerichtig.

Der Senat verkennt nicht, dass es für den Unternehmer eine starke Beeinträchtigung bedeuten kann, wenn der Besteller nicht so mitwirkt, wie es nach dem Vertrag vorgesehen ist. Es kann auch durchaus eine adäquate Antwort der Rechtsordnung darstellen, die Mitwirkung des Bestellers bei der Vertragsdurchführung deshalb als Pflicht anzusehen, was bei Störungen dann zu Ansprüchen des Unternehmers aus Verzug nach § 286 BGB oder § 6 Abs. 6 VOB/B führen kann. Wenn dies erwünscht ist, muss aber zu allererst durch den BGH die Grundentscheidung anders getroffen werden, wonach die Gewährleistung von Baufreiheit durch den Besteller zu einem bestimmten vertraglich vorgesehenen Zeitpunkt im Zweifel keine Vertragspflicht ist.

(2) §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 S. 2 VOB/B sind kein Gegenargument
§§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 S. 2 VOB/B zwingen nicht zu der Annahme, dass das dort behandelte Verschaffen von Plänen und Genehmigungen eine Pflicht des Bestellers sei. Vielmehr können diese Normen auch so verstanden werden, dass sie lediglich die Mitwirkungsschnittstelle zwischen den Vertragsparteien für den Regelfall definieren und also bloße Bestellerobliegenheiten formulieren.

(3) Das Haftungsmodell der Planer-Unternehmer-Gesamtschuld ist kein Gegenargument
Ebensowenig folgen entsprechende Bestellerpflichten aus dem Haftungsrecht.
Beispiel 14: Der Besteller B übergibt die Ausführungsplanung seines Architekten A an den Unternehmer U, der danach baut, ohne Bedenken anzumelden. Die Planung war mangelhaft, deshalb ist dies auch Us Bauleistung. Die Beseitigung der Mängel kostet 100 t €.
In diesem Fall haftet nur A auf Schadensersatz in Höhe von 100 t €, während sich U auf die Mitverursachung des Baumangels durch A als den Erfüllungsgehilfen des Bestellers gemäß §§ 254, 278 BGB berufen kann, sodass sich seine Haftung bereits im Außenverhältnis gegenüber B im Zweifel auf 50 % reduziert (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2008, VII ZR 206/06, BGHZ 179,55, Rz. 29 f m.w.N.). Diese Rechtsfigur des bauvertraglichen Haftungsrechts ist nicht von der Voraussetzung abhängig, dass der Besteller dem Unternehmer die Ausführungsplanung aufgrund einer entsprechenden vertraglichen Pflicht schuldet. Vielmehr hat der BGH ausdrücklich klargestellt, dass bereits die Mitverursachung des Mangels durch die mangelhafte Planung die Haftungsminderung gemäß §§ 254, 278 BGB zugunsten des Unternehmers rechtfertigt und dass im Regelfall von einer bloßen Obliegenheit des Bestellers zur Übergabe einer (mangelfreien) Planung an den Unternehmer auszugehen ist (BGH, Urteil vom 27. November 2008, VII ZR 206/06, BGHZ 179,55, Rz 34 ff).

(4) Schutzpflichten des Bestellers gibt es
Aus der hier vertretenen Auffassung folgt nicht, dass es keine Schutzpflichten des Bestellers gäbe.
Beispiel 15: Der Besteller B übergibt dem Unternehmer U ein Planungsdetail seines Architekten A, wie ein Baugerüst an einer Stahlfassade zu befestigen ist. U baut das Gerüst nach dieser Vorgabe auf. Die Planung war mangelhaft, weil die Befestigung nicht ausreichend und das Gerüst deshalb nicht standfest ist. Es stürzt ein und verletzt zwei Mitarbeiter von U.

In diesem Fall kommt durchaus ein Schadensersatzanspruch von U gegen B in Betracht, wobei eine eventuelle Mitverursachung durch U gemäß § 254 BGB zu berücksichtigen wäre. Haftungsbegründend für die Haftung von B wäre jedenfalls seine allgemeine Schutzpflicht, auf die Rechtsgüter seines Vertragspartners U und dessen Mitarbeiter Rücksicht zu nehmen. B darf deshalb keine Arbeitsanweisungen treffen, die er oder sein Erfüllungsgehilfe A (§ 278 BGB) als gefährlich erkennen können. Aufgrund dieser allgemeinen Schutzpflicht wird aber nur ein Einzelaspekt der Planverschaffung von B an U zur Pflichtverletzung, nämlich das Plandetail, das die unzureichende Gerüstverankerung vorsah. Hingegen folgt aus der Annahme eines solchen Schadensersatzanspruchs nicht, dass die Planverschaffung insgesamt als Mitwirkungspflicht des Bestellers angesehen werden müsste.

(5) Weitere Schlussfolgerungen
Soweit der BGH angemerkt hat, dem Unternehmer könnte wegen einer Störung des Bauablaufs ein Schadensersatzanspruch gegen den Besteller zustehen, wenn dieser eine “selbständige Nebenpflicht” verletzt habe (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2017, VII ZR 16/17, Rz. 34), so folgt aus den vorstehenden Ausführungen, dass dies nur in dem Ausnahmefall denkbar erscheint, wo eine vertragliche Ausführungsfrist entgegen der Grundregel doch eine Mitwirkungspflicht des Bestellers begründet (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999, VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32, Rz. 22).
Im Übrigen hat sich gezeigt, dass der Sprachgebrauch von der Kooperationspflicht der Parteien des Bauvertrags etwas ungenau ist. Tatsächlich ist die Kooperation des Bestellers im Verlauf der Vertragsdurchführung weitgehend gerade nicht als Pflicht, sondern nur als Obliegenheit ausgestaltet.

V. Kein Anspruch aus §§ 280, 286 BGB
Aus den Ausführungen unter IV. folgt, dass der Klageanspruch mangels einer Pflichtverletzung des Beklagten nicht – auch nicht teilweise – auf §§ 280, 286 BGB gestützt werden kann.

VI. Nebenentscheidungen
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

VII. Zulassung der Revision
Die Revision wird zugelassen.

VertragsMan ® Bau: Entscheidungen im Volltext

VertragsMan ® Bau: Entscheidungen im Volltext

Anforderungen an die Abrechnung von Stundenlohnarbeiten

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der Unternehmer muss zur schlüssigen Begründung eines nach Zeitaufwand zu bemessenden Vergütungsanspruchs im Ausgangspunkt nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, wie viele Stunden für die Erbringung der Vertragsleistungen mit welchen Stundensätzen angefallen sind.

2. Die schlüssige Abrechnung eines Stundenlohnvertrags setzt grundsätzlich keine Differenzierung in der Art voraus, dass die abgerechneten Arbeitsstunden einzelnen Tätigkeiten zugeordnet und/oder nach zeitlichen Abschnitten aufgeschlüsselt werden. Sie muss vom Unternehmer nur in den Fällen vorgenommen werden, in denen die Vertragsparteien eine dementsprechend detaillierte Abrechnung vertraglich vereinbart haben.

3. Es ist Sache des Bestellers, eine Begrenzung der Stundenlohnvergütung dadurch zu bewirken, dass er Tatsachen vorträgt, aus denen sich die Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung des Unternehmers ergibt. Auch soweit in Frage steht, ob es sich bei den abgerechneten Stunden um Nachbesserungsarbeiten handelt, obliegt es dem Besteller, diese Umstände darzulegen.

4. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist danach unter anderem verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft – in den Gründen zu bescheiden.

5. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht.

6. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt daher vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben.

BGH, Beschluss vom 01.02.2023 – VII ZR 882/21

Gründe:

I.

Die Klägerin macht Vergütungsansprüche in Höhe von 28.114,77 Euro für Malerarbeiten im Rahmen eines Bauvorhabens geltend, das aus 15 Reihenhäusern bestand.

Die Klägerin hat über ihre Leistungen mehrere Rechnungen erstellt, die sie in einer Schlussrechnung vom 12. Oktober 2016 zusammengefasst hat. In der Schlussrechnung listet sie die Stunden auf, die sie für die einzelnen Arbeiten an unterschiedlichen Häusern behauptet aufgewendet zu haben. Der abgerechnete Stundensatz beträgt jeweils 38 Euro netto. Auf dieser Grundlage gelangt die Klägerin zu einer Schlussrechnungssumme von 40.899,11 Euro, von der sie 12.784,34 Euro abzieht, die die Beklagte auf die erste Rechnung vom 12. Juni 2016 bezahlte.

Die Klägerin trägt vor, die Auftragserteilungen seien teilweise durch den Geschäftsführer der Beklagten und teilweise durch deren Bauleiter, den als Zeugen benannten Herrn N., erfolgt. Die in Rechnung gestellten Arbeiten seien geleistet, die Stundensätze seien vereinbart worden, hilfsweise üblich und angemessen. Die Abnahme der Leistungen sei konkludent durch Bezug der Häuser erfolgt.

Das Landgericht hat ohne Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 18. November 2021 nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie ihren Klageantrag weiterverfolgt.

II.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Eine Auftragserteilung über die von der Beklagtenseite ursprünglich unstreitig beauftragten Leistungen hinaus, die Gegenstand der Rechnung vom 12. Juni 2016 sind, habe die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt. Die Klägerin hätte konkretisieren müssen, welche der in Rechnungen gestellten Aufträge der Geschäftsführer der Beklagten direkt beauftragt habe und welche Leistungen der Bauleiter N. beauftragt haben solle. Das sei nicht erfolgt. Eine Duldungsvollmacht des Bauleiters N. sei von der Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt worden.

Unabhängig davon, ob die Auftragserteilung durch den Bauleiter oder durch den Geschäftsführer der Klägerin wirksam erfolgt sei, habe die Klägerin trotz gerichtlicher Hinweise nicht nachvollziehbar und substantiiert die von ihr geleisteten Arbeiten dargelegt. Zwar sei es ohne Vorlage von Regiezetteln grundsätzlich möglich, im Gerichtsverfahren unter Zeugenbeweis die Ausführungen von Arbeiten darzulegen und nachzuweisen. In diesem Fall sei es aber erforderlich, genau darzulegen, wer welche Arbeiten und wann ausgeführt habe. Die Klägerin lege jedoch lediglich eine pauschale Aufstellung der behaupteten ausgeführten Leistungen vor. Sie nenne nicht den Namen der jeweiligen Person, die die Arbeiten konkret ausgeführt habe, sondern verweise in ihrem schriftsätzlichen Vortrag lediglich darauf, dass zwei Personen auch unter Mitwirkung der Klägerin als dritter Person anwesend gewesen seien. Dies reiche schon nicht als Vortrag, geschweige denn als Nachweis für die Ausführung der Arbeiten aus. Sowohl die Einholung eines Sachverständigengutachtens als auch die Erhebung eines Zeugenbeweises würde vor diesem Hintergrund einen Ausforschungsbeweis darstellen. Soweit die Klägerin in zweiter Instanz erstmals eine Aufstellung der beiden Mitarbeiter vorgelegt habe, die die Malerarbeiten ausgeführt haben sollen, sei dieses Angriffsmittel nicht zuzulassen. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, weshalb sie diese Unterlage in erster Instanz nicht habe vorlegen können.

2. Mit diesen Begründungen einerseits zum Anspruchsgrund und andererseits zur Anspruchshöhe verletzt das Berufungsgericht – wie die Klägerin zu Recht rügt – in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe eine Auftragserteilung für sämtliche von ihr durchgeführten Malerarbeiten nicht hinreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt, verkennt den wesentlichen Kern des Vorbringens der Klägerin.

aa) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist danach unter anderem verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft – in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2020 – VII ZR 111/19 Rn. 17, BauR 2020, 1679 = NZBau 2020, 573).

bb) Nach diesen Maßstäben ist der Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts gehörswidrig ergangen.

Die Klägerin hat bereits erstinstanzlich vorgetragen, den ersten, mit der Rechnung vom 12. Juni 2016 abgerechneten Auftrag, im Mai 2016 erhalten zu haben. Ab dem 13. Mai 2016 seien dann zusätzliche Malerarbeiten je nach Baufortschritt beauftragt worden. Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2020 hat die Klägerin wörtlich vorgetragen:

“Es waren entweder der Bauleiter oder der Geschäftsführer oder beide Personen gleichzeitig auf der Baustelle anwesend und haben der Klägerin eine Vielzahl kleinerer Arbeiten mündlich aufgetragen.

Der Geschäftsführer der L. GmbH als Bauherr hat, was der Zeuge N. bestätigen kann, Kenntnis genommen von den Arbeiten, die die Klägerin durchführte. Er ist unter anderem auch allein mit der Klägerin auf der Baustelle umhergewandert und hat ihr weitere Aufträge erteilt, insbesondere zu Ausbesserungsarbeiten usw.”

Diesen Vortrag erster Instanz hat die Klägerin durch Zeugnis des Bauleiters N. unter Beweis gestellt. Sie hat zudem durch das Zeugnis des Herrn N. unter Beweis gestellt, dass die Beklagte laufend Kenntnis von den Vorgängen auf der Baustelle gehabt habe.

Dieser Vortrag der Klägerin ist in seinem Kern dahingehend zu verstehen, worauf die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht hinweist, dass der Bauleiter N. der Beklagten bevollmächtigt gewesen ist, sämtliche Arbeiten an der Baustelle nach jeweiligem Baufortschritt zu beauftragen. Des Weiteren liegt in dem Vortrag, der Geschäftsführer der Beklagten sei über alle Maßnahmen zeitnah unterrichtet worden, die Behauptung einer (konkludenten) Genehmigung eines gegebenenfalls vollmachtlosen Handelns des Bauleiters.

b) Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe der Vergütung beruhen ebenfalls auf der Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Berufungsgericht überspannte Substantiierungsanforderungen gestellt hat.

aa) Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt daher vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (BGH, Beschluss vom 10. August 2022 – VII ZR 243/19 Rn. 18, BauR 2022, 1812 = NZBau 2023, 17).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag bereits dann schlüssig, wenn der Anspruchssteller Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in seiner Person entstanden erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 10. August 2022 – VII ZR 243/19 Rn. 19, BauR 2022, 1812 = NZBau 2023, 17).

bb) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Substantiierungsanforderungen an den Vortrag zur Höhe für einen auf einer Stundenlohnvereinbarung beruhenden Vergütungsanspruch offenkundig überspannt und rechtsfehlerhaft die angebotenen Beweise nicht erhoben.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Unternehmer zur schlüssigen Begründung eines nach Zeitaufwand zu bemessenden Vergütungsanspruchs im Ausgangspunkt nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, wie viele Stunden für die Erbringung der Vertragsleistungen mit welchen Stundensätzen angefallen sind. Demgegenüber setzt die schlüssige Abrechnung eines Stundenlohnvertrags grundsätzlich keine Differenzierung in der Art voraus, dass die abgerechneten Arbeitsstunden einzelnen Tätigkeiten zugeordnet und/oder nach zeitlichen Abschnitten aufgeschlüsselt werden. Solch eine Zuordnung mag sinnvoll sein. Zur nachprüfbaren Darlegung des vergütungspflichtigen Zeitaufwands erforderlich ist sie nicht, weil seine Bemessung und damit die im Vergütungsprozess erstrebte Rechtsfolge nicht davon abhängt, wann der Unternehmer welche Tätigkeit ausgeführt hat. Sie muss deshalb vom Unternehmer nur in den Fällen vorgenommen werden, in denen die Vertragsparteien eine dementsprechend detaillierte Abrechnung rechtsgeschäftlich vereinbart haben (BGH, Urteil vom 17. April 2009 – VII ZR 164/07 Rn. 33 f., BGHZ 180, 235). Auf dieser Grundlage ist es Sache des Bestellers, eine Begrenzung der Stundenlohnvergütung dadurch zu bewirken, dass er Tatsachen vorträgt, aus denen sich die Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung des Unternehmers ergibt (BGH, Urteil vom 17. April 2009 – VII ZR 164/07 Rn. 36, BGHZ 180, 235).

Unter Anwendung dieses Maßstabs ist der Vortrag der Klägerin zur Anspruchshöhe schlüssig. Die Klägerin hat dargelegt, dass sie für insgesamt 15 Häuser Malerarbeiten ausgeführt hat, und zwar bei den Häusern Nr. 1-6 und Nr. 15 sowohl für den Innen- als auch für den Außenbereich, bei den Häusern 7-14 lediglich für den Außenbereich. Die Klägerin hat des Weiteren dargelegt, wie viele Stunden auf welche Gewerke angefallen sind. Soweit in Frage steht, ob es sich bei den abgerechneten Stunden um Nachbesserungsarbeiten handelt, obliegt es der Beklagten, diese Umstände darzulegen.

3. Auf den Verletzungen des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör beruht der angefochtene Beschluss. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei gebotener Berücksichtigung der aufgezeigten Gesichtspunkte zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

4. Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.

VergMan ® Spruchpraxis der Vergabekammern und Vergabesenate – Tiefbau

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VK Lüneburg: Bestimmte kritische Aufgaben – nicht aber der komplette Auftrag – können vom Bieter selbst ausgeführt werden müssen – der Begriff der “kritischen Aufgabe” ist grundsätzlich eng auszulegen

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Eignungskriterien sind in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen. Die früher angewandte Praxis, die Eignungskriterien erst in Vergabeunterlagen mitzuteilen, ist nicht mehr zulässig.

2. Die Eignungskriterien müssen in der Bekanntmachung eindeutig und abschließend beschrieben sein müssen. Ein Verweis genügt nicht. Der (potentielle) Bieter und Bewerber soll sich bereits aufgrund der Bekanntmachung überlegen können, ob er die festgelegten Eignungskriterien erfüllen kann.

3. Eine Mindestanforderung an die Eignung ist vorschriftsgemäß bekannt gemacht, wenn in der Bekanntmachung durch einen Link auf die Internetseite der Vergabestelle verwiesen wird und die interessierten Unternehmen durch bloßes Anklicken zum entsprechenden Formblatt gelangen können (Abschluss an OLG Düsseldorf, IBR 2012, 1336 – nur online).

4. Eine mangelnde Bekanntmachung hat zur Folge, dass der Auftraggeber die nicht ordnungsgemäß bekannt gemachten Eignungskriterien nicht im Rahmen der Eignungsprüfung berücksichtigen darf. Er ist vielmehr gehalten, die Eignungsprüfung allein anhand der bekannt gemachten Eignungskriterien und -nachweise durchzuführen.

5. Die Eignungsleihe ist vom “normalen” Nachunternehmereinsatz zu unterscheiden. Im Rahmen der Eignungsleihe bedient sich ein Bieter der Kapazitäten dritter Unternehmen, um seine für die Ausschreibung geforderte Eignung nachzuweisen. Unterauftragsvergabe bedeutet, dass ein Unternehmen ein drittes Unternehmen mit der Ausführung des gesamten Auftrags oder von Teilen davon betraut.

6. Der Bieter hat im Angebot ausdrücklich oder zumindest konkludent, aber jedenfalls unmissverständlich geltend zu machen, dass er sich zum Nachweis der Eignung einer Eignungsleihe bedienen will.

7. Der öffentliche Auftraggeber kann (ausnahmsweise) vorschreiben, dass bestimmte kritische Aufgaben – nicht aber der komplette Auftrag – direkt vom Bieter selbst oder im Fall einer Bietergemeinschaft von einem Teilnehmer der Bietergemeinschaft ausgeführt werden müssen. Der Begriff der “kritischen Aufgabe” ist grundsätzlich eng auszulegen.

8. Der öffentliche Auftraggeber hast die Gründe, warum eine bestimmte Aufgabe über das übliche Maß bei entsprechenden Aufgaben hinaus besonders kritisch ist, herauszuarbeiten und entsprechend zu dokumentieren.

VK Lüneburg, Beschluss vom 14.10.2022 – VgK-17/2022

Begründung:

I.

Der Antragsgegner hat mit EU-Auftragsbekanntmachung vom ….2022 das Bauvorhaben … die Vergabeeinheit 1 (VE 1 – Behelfsbauwerk, Tunnel, Verkehrsanlagen) im offenen Verfahren ausgeschrieben. Im Rahmen dieses Auftrages soll die Hochstraße über die … durch einen … m langen Tunnel in offener Bauweise ersetzt werden. Dazu ist vorab ein Behelfsbauwerk parallel zur Bestandstraße in Stahl-/Stahlverbundbauweise zu errichten. Das Gesamtbauwerk weist eine Länge von rd. … m auf. Vor Herstellung des Tunnels ist der Rückbau des Bestandsbauwerks über die … (Stahlbeton mit Hohlkastenquerschnitt) mit einer Länge von … m und weiterer kleinerer Bauwerke notwendig. Zudem ist der ca. … m lange Bestandstrog auf einer Länge von ca. … m an den neuen Straßenquerschnitt anzupassen. Zusätzlich sind Sanierungsmaßnahmen am Trog auf einer Streckenlänge von … m vorgesehen. Die städtischen Verkehrsanlagen sind innerhalb des Baubereiches wiederherzustellen.

Nach dem Vorblatt der Leistungsbeschreibung umfasst die Vergabeeinheit 1 (VE1) folgende Leistungseinheiten (LE) 0-5:

“LE 1 – Behelfsbauwerk,

LE 2 – Rückbau Bauwerke,

LE 3 – Tunnel,

LE 4 – Trog unter … Anlage,

LE 5 – Erd- und Straßenbau.”


Nach den in der Bekanntmachung genannten CPV-Codes umfasst die Leistung Ingenieur- und Hochbauarbeiten, den Bau von Straßenbrücken, Straßentunneln, Bauarbeiten für Fernstraßen und Straßen, Hochstraßen, Abbrucharbeiten, Erdbewegungsarbeiten und den Bau von Fernstraßen.

Nach Abschnitt II.2.5) der Auftragsbekanntmachung ist der Preis das einzige Zuschlagskriterium. Eine Losteilung ist nach Ziffer II.1.6) nicht vorgesehen. Varianten/Alternativangebote sind nach Ziffer II.2.10) nicht zulässig.

Für den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit gilt nach Ziffer III.1.2):

“- Nachweis der Eignung durch Angaben, die mit dem Angebot einzureichen sind: Angabe des Umsatzes des Unternehmens jeweils bezogen auf die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre, soweit er Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind unter Einschluss des Anteils bei gemeinsam mit anderen Unternehmen ausgeführten Aufträgen

– […] Näheres ist den Vergabeunterlagen zu entnehmen.

Möglicherweise geforderte Mindeststandards:

– Mindestjahresumsatz des Unternehmens jeweils bezogen auf die letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahre gemäß der Vergabeunterlagen.”


Für den Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit gilt nach Ziffer III.1.3):

“Nachweis der Eignung durch Angaben, die mit dem Angebot einzureichen sind:

– Angabe über die Ausführung von Leistungen, die im Wesentlichen in den letzten 10 Jahren erbracht worden und mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind.

– […] Folgende Nachweise, Angaben und Unterlagen sind – zusätzlich zu den in den Teilnahmebedingungen genannten – auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen:

– […] Näheres ist den Vergabeunterlagen zu entnehmen.

Möglicherweise geforderte Mindeststandards:

– Schriftliche Bestätigung des jeweiligen Auftraggebers über die auftragsgemäße Erbringung der in der Eigenerklärung genannten Referenzleistungen.”


Als zusätzliche Angabe wird unter Ziffer VI.3) unter anderem ausgeführt:

“… Folgende Nachweise, Angaben und Unterlagen sind – zusätzlich zu den in den Teilnahmebedingungen genannten – auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen:



– Verpflichtungserklärungen für Leistungen anderer Unternehmer

Die Nachweise sind auch für nicht präqualifizierte Nachunternehmer vorzulegen. […]”


Nähere Anforderungen werden in den Vergabeunterlagen dargestellt. Nach diesen wird in der Aufforderung zur Angebotsabgabe festgelegt:

“C) Anlagen, die, soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen sind:



– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung

– HVA B-StB Unterauftrag-/Nachunternehmerleistungen

– HVA B-StB Erklärung Bieter-/Arbeitsgemeinschaft

– HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit

– HVA B-StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Eignungsleihe …

D) Anlagen, die ausgefüllt auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen sind:

– HVA B-StB Verpflichtungserklärung

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung für alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung

– Anlage 2 zur Eigenerklärung Eignung_Formblatt Referenzen”


Unter Ziffer 3 der Aufforderung zur Angebotsabgabe wird zudem zu den Unterlagen, die mit dem Angebot einzureichen sind (3.1), auf den Vordruck HVA B-StB Vorzulegende Unterlagen (Abschnitt 1: “Mit dem Angebot vorzulegen”), und den Unterlagen, die auf gesondertes Verlangen vorzulegen sind (3.4), auf den Vordruck HVA B-StB Vorzulegende Unterlagen (Abschnitt 3: “Auf gesondertes Verlangen vorzulegen”) verwiesen.

Dort heißt es unter Abschnitt 1:

“Unterlagen, die mit dem Angebot abzugeben sind

Mit der Aufforderung bzw. EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe übersandte Vordrucke / Formblätter …

– HVA B-StB Unterauftrag-/ Nachunternehmerleistungen […]

– HVA B-StB Erklärung Bieter-/ Arbeitsgemeinschaft […]

Unternehmensbezogene Unterlagen

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung

– HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit

– HVA B-StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit”


Unter Abschnitt 3 Unterlagen, die auf Verlangen der Vergabestelle vorzulegen, sind heißt es:

“Mit der Aufforderung bzw. EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe übersandte Vordrucke / Formblätter

– HVA B-StB Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen (nur bei EU-Verfahren)

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung für alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung Unternehmensbezogene Unterlagen für Bieter und alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (Bestätigungen der Eigenerklärungen)

– Referenznachweise mit den im Formblatt Eigenerklärung zur Eignung genannten Angaben (Angabe zu Referenzen zur technischen Eignung gemäß Anlage 2 zur Eigenerklärung_Formular Referenzen)

– Erklärung zur Zahl der in den letzten 3 Jahren jahresdurchschnittlich beschäftigten Arbeitskräfte, gegliedert nach Lohngruppen, mit extra ausgewiesenem Leitungspersonal

[…]

Die Verpflichtungserklärung ist sowohl von verpflichteten Unternehmen, die ihre Kapazitäten im Rahmen der Eignungsleihe zur Verfügung stellen, als auch von Nachunternehmern beizubringen.”


Im Formblatt Eigenerklärung zur Eignung wird unter Ziffer 3. Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der geforderte Mindestjahresumsatz mit … Euro beziffert. Der geforderte Mindestjahresumsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrages beträgt demnach … Euro. Zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit wird in Ziffer 4. hinsichtlich der Leistungen, die als vergleichbar anerkannt werden, auf Anlage 1 zur Eigenerklärung verwiesen. Zu den Referenzen wird auf die Angaben in Anlage 2 zur Eigenerklärung (Formblatt Referenzen) verwiesen.

Nach Ziffer 1.1 der “Anlage 1 zur Eigenerklärung Eignung – Anforderungen zur Technischen Leistungsfähigkeit” hat der Bieter bzw. die Bietergemeinschaft die technische Leistungsfähigkeit durch die unter Ziffer 1.2 und 1.3 genannten Referenzen zu belegen. Die zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit beigebrachten Referenzprojekte müssen technisch mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sein. Die Bauleistungen, auf die sich die Referenzprojekte beziehen, müssen im Wesentlichen in den letzten 10 Jahren erbracht worden sein. […] Zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit sind die für die jeweilige Referenzkategorie unter den Ziffern 1.2 und 1.3 benannten Mindestangaben erforderlich. […] Im Rahmen der Prüfung der technischen Leistungsfähigkeit werden die vorgelegten technischen Referenzen im Hinblick auf Vollständigkeit der Mindestangaben und Erfüllung der Mindestanforderungen geprüft. Eine Wertung der vorgelegten Referenzen erfolgt nicht.

Referenzen, die die Mindestangaben nicht enthalten oder die Mindestanforderungen nicht erfüllen, sind ungültig und werden bei der Eignungsprüfung des Bieters bzw. der Bietergemeinschaft nicht berücksichtigt.

In der folgenden Tabelle ist die Mindestzahl der vom Bieter bzw. der Bietergemeinschaft vorzulegenden gültigen Referenzen benannt. Bei Vorlage von weniger gültigen Referenzen in einer Referenzkategorie kommt es zum Ausschluss des Bieters bzw. der Bietergemeinschaft. Eine Referenz kann mehrere Referenzkategorien abdecken.

Im Weiteren werden die Referenzkategorien benannt und die Mindestanzahl gültiger Referenzen zu den einzelnen Kategorien festgelegt. Zudem wird ausgeführt:

“Die Hauptleistungen aus den Losen 1 – Behelfsbauwerk (Stahlverbundbrücke inkl. Gründung) und 3 – Tunnel (Baugrubenverbau und Tunnelbau) sind zwingend durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft zu erbringen. Für alle weiteren Leistungen ist die Eignungsleihe gemäß Vorgaben aus der HVA-B zulässig (s.u.). Für Leistungen, die nicht durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft erbracht werden müssen, dürfen Referenzen von folgenden Beteiligten beigebracht werden […] Für Leistungen, die nicht durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft erbracht werden müssen, dürfen Referenzen von einem benannten Nachunternehmer oder einem verbundenen Unternehmen, die eine Verpflichtungserklärung abgegeben haben, beigebracht werden.”

Unter den Ziffern “1.2 Referenzprojekte Planung” und “1.3 Referenzprojekte Bau” werden die Mindestanforderungen an die Referenzprojekte zu den einzelnen Kategorien festgelegt.

Mit Informationsschreiben vom 08.08.2022 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass deren Angebot ausgeschlossen worden sei, da es nicht alle in den Vergabeunterlagen gestellten Bedingungen erfülle und begründete Zweifel an deren Eignung hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen sowie der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit gebe. Die Leistungsfähigkeit sei nicht im geforderten Umfang nachgewiesen worden. Ihre Eignung sei im Hinblick auf die gestellten Anforderungen nicht erfüllt. Zudem sei das Selbstausführungsgebot nicht berücksichtigt worden.

Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 09.08.2022 den Angebotsausschluss als unzulässig. Sämtliche Eignungsanforderungen, die als nicht erfüllt angesehen würden, hätten sich nicht aus der Bekanntmachung, sondern nur aus den Vergabeunterlagen ergeben und seien somit nicht wirksam gefordert worden.

Nachdem der Antragsgegner daraufhin mit Schreiben vom 16.08.2022 mitgeteilt hatte, dass er der Rüge nicht abhelfe, rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 26.08.2022 erneut ihre Nichtberücksichtigung und trägt ergänzend vor, dass die vorgelegten Referenzen der benannten Nachunternehmer bei der Überprüfung der Eignung zu berücksichtigen seien. Offensichtlich sei eine Eignungsleihe der von ihr benannten Nachunternehmer angestrebt. Aufgrund der intransparenten Gestaltung der Vergabeunterlagen wären nicht ausgefüllte Formulare nachzufordern gewesen. Zudem hätte der Antragsgegner der Antragstellerin die Gelegenheit geben müssen, fehlende Unterlagen nachzureichen.

Grundsätzlich sei auch die Vorgabe des Selbstausführungsgebotes unzulässig. Dies könne nur für “bestimmte kritische Aufgaben” und nicht für wesentliche Teile der Leistung vorgeschrieben werden. Ferner seien die besonders hohen Anforderungen an die wirtschaftliche, technische und berufliche Leistungsfähigkeit bzw. die berufliche Erfahrung unangemessen.

Auch diese Rüge wies der Antragsgegner mit Schreiben vom 30.08.2022 zurück. Eine Pflicht zur Nachforderung fehlender Unterlagen habe nicht bestanden, weil keine Unterlagen gefehlt hätten, diese unvollständig oder fehlerhaft gewesen seien. Aus den eingereichten Unterlagen habe sich eindeutig ergeben, dass weder eine Bietergemeinschaft gebildet worden sei, noch eine Eignungsleihe angestrebt wurde. Unklarheiten bzgl. des Umfangs der dem Selbstausführungsgebot unterliegenden Leistungen hätten während der Angebotsphase gerügt werden müssen. Gleiches gelte für die aus Sicht der Antragstellerin unangemessenen Eignungsanforderungen.

Daraufhin reichte die Antragstellerin am 31.08.2022 einen Nachprüfungsantrag ein. Der Antrag sei sowohl zulässig als auch begründet. Der Angebotsausschluss wegen Nichterfüllung der formellen Eignungsanforderungen sei unzulässig, weil diese Eignungsanforderungen nicht wirksam festgelegt worden seien. Die einzelnen Eignungskriterien und die Mittel zu deren Nachweis seien ausdrücklich zu bezeichnen und es genüge nicht, in der Bekanntmachung auf ein später in den Vergabeunterlagen zu findendes Formblatt hinzuweisen. Zudem fehle es an einer Verlinkung, über den das Formblatt mit den geforderten Eignungskriterien und Nachweisen direkt erreichbar sei. Es sei nicht ausreichend, wenn in der Bekanntmachung nur pauschal auf die Vergabeunterlagen verwiesen werde, denn so könnten potentielle Bieter gerade nicht auf einen Blick erkennen, ob sie als geeigneter Wettbewerbsteilnehmer in Betracht kommen würden. Damit habe der Antragsgegner im Ergebnis keine Eignungskriterien festgelegt.

Bei den in den Vergabeunterlagen befindlichen Angaben zu den Eignungskriterien handele es sich nicht um bloße Konkretisierungen, sondern vielmehr um unzulässige Abänderungen bzw. Verschärfungen der bekannt gemachten Vorgaben. Aufgrund des bloßen Verweises in der Bekanntmachung auf die “in der in der Eigenerklärung genannten Referenzleistungen” hätten die Bieter gerade nicht erkennen können, welche konkreten Eignungsanforderungen sie tatsächlich zu erfüllen hätten und welche Referenzen inhaltlich nachzuweisen wären. Die tatsächlichen Anforderungen an die Referenzen hätten sich allein aus Kapitel 1.1 und 1.2 der Anlage 1 zur Eigenerklärung zur Eignung ergeben. Ein Ausschluss der Antragstellerin aufgrund mangelnder Eignung wegen des Nichteinhaltens der in Anlage 1 angegebenen Mindestvorgaben hätte in der Bekanntmachung der Formulierung einer konkreten Schwelle bedurft, die Bieter überwinden müssen, um als geeignet zu gelten.

So sei nicht erkennbar gewesen, welche konkreten Eignungsanforderungen tatsächlich zu erfüllen und welche Referenzen inhaltlich nachzuweisen seien. Insbesondere sei nicht ersichtlich gewesen, dass der Antragsgegner in dieser Eigenerklärung noch weitere Mindestbedingungen an die Anzahl und den Inhalt der einzureichenden Referenzen stellen würde. Unklarheiten und Widersprüche würden zu Lasten des Auftraggebers gehen, so dass ein Ausschluss nicht auf die nur in den Vergabeunterlagen bezeichneten Anforderungen gestützt werden könne. Gleiches gelte für den Nachweis des Mindestjahresumsatzes.

Zudem seien zahlreiche Anforderungen unverhältnismäßig hoch und wettbewerbsbeschränkend. Die gelte für die Mindestjahresumsätze in Höhe von … Euro und … Euro, die anscheinend für jedes der letzten drei Geschäftsjahre gefordert würden. Gemäß § 6a EU Nr. 2 b VOB/A dürfe es nur einen geforderten Mindestumsatz geben, der nur einmal in den letzten drei Jahren erreicht werden müsse und nicht jedes Jahr.

Nicht zu rechtfertigen und wettbewerbsbeschränkend sei auch die Forderung von jeweils zwei anstatt nur einer Referenz für die Ausführungsplanung Brückenbau, den Neubau einer Stahlverbundbrücke, den Rückbau einer Spannbetonbrücke, den innerstädtischen Tunnelbau, den Erd- und Straßenbau sowie das Projektmanagement in innerstädtischer Lage.

Dazu gäbe es in den letzten 10 Jahren zu wenig fertiggestellte Projekte. Die abstrakten Längenvorgaben bei der Ausführungsplanung Brückenbau seien, ebenso wie Begrenzung der Brückenneubaureferenz auf den gleichen Brückentyp, unsachlich und unzulässig, da vergleichbare Spannbetonbrücken überwiegend nach dem 2. Weltkrieg gebaut worden und innerstädtische Lagen sowie deren Abriss selten seien.

Zudem sei es unsachlich, eine Fahrbahnsanierung bei Erd- und Straßenbau nicht als Umbau einer Straße zu werten. Es sei auch unverhältnismäßig, für das Projektmanagement Baudurchführung nur Projekte mit mehr als vier Jahren Ausführungszeit zu werten. Dies würden nur ÖPP-Projekte aufweisen, um die es hier nicht gehe. Unverhältnismäßig seien Anforderungen, wenn keine oder nur wenige der im Bieterfeld befindlichen Bietergemeinschaften mit ihren Referenzprojekten alle Anforderungen erfüllen. Ferner sei zu prüfen, ob anderen Bietern die Gelegenheit zur Nachreichung/Aufklärung geboten worden sei. Anhaltspunkt dafür sei, dass ohne Bieterfrage mit der Nachsendung vom 30.03.2022 in der “Anlage 1 zur Eigenerklärung Eignung Anforderungen zur Technischen Leistungsfähigkeit” die Mindestanforderung für die zwei Referenzen im Tunnelbau von “Straßentunnel” in “Tunnel im Bereich Verkehrsanlagestraße oder Schiene” abgesenkt worden seien.

Auch die Nichtberücksichtigung der benannten Nachunternehmer als Eignungsleiher und die unterlassene Aufklärung verletze die Antragstellerin in ihren Rechten. Ob der Angebotsausschluss auch auf einen Verstoß gegen das Selbstausführungsgebot gestützt werden solle, bleibe unklar. Unter Berücksichtigung des Transparenzgrundsatzes habe der Antragsgegner die Selbstausführung nicht wirksam gefordert. Die Vergabeunterlagen seien einfach zu halten und dürften nicht verwirren. Ein Selbstausführungsgebot sei nur in der “Anlage 1 zur Eigenerklärung Eignung” dargestellt, insofern die Hauptleistungen aus den Losen 1 Behelfsbauwerk (Stahlverbundbrücke inkl. Gründung) und 3 Tunnel (Baugrubenverbau und Tunnelbau) zwingend durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft zu erbringen seien. Die Antragstellerin habe sich davon nicht angesprochen gefühlt, da sie kein Angebot als Bietergemeinschaft unterbreiten wollte. Ansonsten habe der Antragsgegner immer zwischen Bieter und Bietergemeinschaft unterschieden. Auch diese Unklarheit würden zu Lasten des Antragsgegners gehen.

Zudem sei die Vorgabe eines Selbstausführungsgebots unzulässig und könne nur ausnahmsweise für “bestimmte kritische Aufgaben” bei einem durch den konkreten Einzelfall veranlassten berechtigten Interesse vorgeschrieben werden. Dies könne allerdings nicht pauschal für wesentliche Teile der Leistung, wie hier für die Hauptleistungen von Los 1 und Los 3, vorgeschrieben werden. Eine Beschränkung des Einsatzes von Nachunternehmen müsse tatsächlich erforderlich sein, um das damit verfolgte Ziel einer ordnungsgemäßen Ausführung des Auftrags zu erreichen. Dabei könne die Gesamtvergabe mehrerer Lose kein Argument sein, einzelne Lose nun als “bestimmte kritische Aufgaben” eines Gesamtauftrages anzusehen. Es sei nicht ersichtlich, warum diese Leistungen, die Standardbauverfahren verlangen, die aus vielen einzelnen Teilleistungen bestehen würden, alle als kritisch anzusehen seien. Da der Antragsgegner im Schreiben vom 16.08.2022 einen Verstoß gegen das Selbstausführungsgebot ohne Rechtsfolge anführe, sei zunächst davon auszugehen, dass darauf der Angebotsausschluss nicht gestützt werde. Vorsorglich verweist die Antragstellerin darauf, dass bei anderen Bietern anhand der Nachunternehmerverzeichnisse überprüft werden könne, ob diese als Bietergemeinschaftsmitglieder beabsichtigen, Teilleistungen unterzuvergeben. Dann würden aber auch diese Bieter auszuschließen sein, zumal sie alle Bietergemeinschaften seien.

Der Antragsgegner behaupte zu Unrecht, dass selbst wenn die Eignungskriterien und Mindestanforderungen von ihm nicht wirksam gefordert worden seien, die Antragstellerin ihre generelle Eignung nicht nachweisen könne. Die hilfsweise vorgenommene Eignungsprüfung sei ermessensfehlerhaft, denn der Antragsgegner gehe von einem falschen Sachverhalt aus und stelle unzulässig überhöhte Anforderungen. Es sei von der Antragstellerin nicht nur auf ihre PQ und die dort hinterlegten Referenzen verwiesen worden, sondern sie habe darüber hinaus auch umfänglich Referenzprojekte ihrer benannten Nachunternehmer beigefügt. Diese Referenzen seien bei der Überprüfung ihrer Eignung zur Leistungserbringung auch zu berücksichtigen, denn die Antragstellerin habe mit ihrem Angebot offensichtlich eine Eignungsleihe der von ihr benannten Nachunternehmer angestrebt. Der Antragsgegner habe in “Anlage 1 zur Eigenerklärung Eignung” die Begriffe “Eignungsleihe” und “benannte Nachuntemehmer” synonym verwendet, denn er lasse auf Seite 6 nur zu, dass Referenzen von einem “benannten Nachunternehmer, der eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat”, beigebracht werden. Nach ihrem jetzt an den Tag gelegten Verständnis hätte auch gesondert die Vorlage einer Referenz eines “Eignungsleihers, der eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat” erwähnt werden müssen. Auch wenn die Antragstellerin versehentlich die entsprechenden Formulare zur Eignungsleihe nicht ausgefüllt und eingereicht habe, sei ihr Angebot gleichwohl auslegungsfähig und danach eindeutig gewesen. Dies habe sich so auch aus den Verpflichtungserklärungen in Zusammenschau mit den PQ-Unterlagen für die X GmbH und die Y AG ergeben. Zudem sei der Name des Eignungsleihers einschließlich ggf. vorhandener PQ-Nummer erst auf gesondertes Verlangen vorzulegen gewesen. In Ziffer 6 der Teilnahmebedingungen würden die unterschiedlichen Formulare nicht erwähnt.

In den Vergabeunterlagen seien in “Anlage 1 zur Eigenerklärung” Mindestangaben zu finden gewesen, die eine Referenz haben und Mindestanforderungen, die eine vorgelegte Referenz erfüllen müsse. Auch Mindestzahlen an geforderten Referenzen seien dort zu finden. Sonst sei in den Vergabeunterlagen nichts zur Eignungsleihe zu finden. Das benannte Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau (HVA B-St) habe nicht beigelegen. Damit würden die Formulare zur Eignungsleihe quasi in der Luft hängen. Da die Vergabeunterlagen klar, genau und eindeutig formuliert sein müssten, trage der Antragsgegner nach der Rechtsprechung das Risiko von Unklarheiten. Verpflichtungserklärungen seien nicht mit Angebotsabgabe gefordert worden, sondern die Bieter hatten für von ihnen benannte Eignungsleiher und Unterauftragnehmer nur auf Anforderung des Auftraggebers Verpflichtungserklärungen nachzureichen. Zudem gebe es nur ein Formular “Verpflichtungserklärung”, welches auch die Haftungsübernahme mit abdecke. Dieses sei aber erst auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen.

Die Angaben der Antragstellerin seien zumindest derart widersprüchlich gewesen, dass dies vor einem Angebotsausschluss nach ständiger Rechtsprechung zu einer Aufklärung zur Eignung hätte führen müssen. Die Möglichkeit zur Nachforderung habe der Antragsgegner ausdrücklich und ohne Differenzierung in seinen Vergabeunterlagen vorgesehen (vgl. Ziff. 3.3 der Aufforderung zur Angebotsabgabe). Somit sei er auch daran gebunden. Dies sei auch nicht unzulässig, da sich aus der Bekanntmachung nicht ergeben würde, ob und wenn ja, welche auftragsspezifischen Einzelnachweise der Antragsgegner zusätzlich zur Eintragung ins PQ-Verzeichnis bezüglich der Referenzen fordere.

Zudem sei es für Bieter anhand der Bekanntmachung objektiv nicht erkennbar gewesen, dass “vergleichbare Leistungen” Ausführungsplanung, Neubau einer Stahlverbundbrücke inkl. Fangedämme, Abbruch einer Brücke aus Stahlbeton (Hoch straße), Tunnelbau in offener Bauweise mit Tunnelverbau (Schlitzwand, verankerte Unterwasserbetonsohle, Bohrpfahlwand, DS-Sohle), Umbau des Bestandstroges (insbesondere Herstellung Bohrpfähle, DSSohle und DS-Wand) und Umbau der Verkehrsanlage meine.

Außerdem seien im PQ-Verzeichnis höchstens die Referenzen der letzten fünf Jahre hinterlegt. Hier sollten jedoch Referenzen aus den letzten 10 Jahren angegeben werden. Damit hätten vor einem Ausschluss Referenzen aus 2012 – 2017 sowie aus den Jahren 2018 – 2022 nachgefordert werden müssen, die über drei hinausgehende Referenzen fehlen. Es würden offensichtlich auch sämtliche Rückbaureferenzen sowie für die … die Referenzen … sowie … für den Umbau von Bestandsstraßen/Verkehrsanlagen innerorts fehlen. Dabei handele sich nicht um eine unzulässige Nachbesserung unzureichender Referenzen, sondern um die zulässige und gebotene Nachforderung fehlender Referenzen. Wären die fehlenden Unterlagen/Referenzen vergaberechtskonform nachgefordert worden, hätte die Antragstellerin ihre Eignung zur Leistungserbringung nachweisen können und ihr Angebot wäre wertbar gewesen.

Zudem habe der Antragsgegner auch nicht berücksichtigt, dass er gemäß § 6b EU Abs. 3 VOB/A auf die Vorlage von Nachweisen verzichtet, wenn er im Besitz dieser Nachweise sei. Dies gelte beispielsweise für das 2013 im Auftrag des Antragsgegners durch die Antragstellerin und mit ihr verbundene Unternehmen fertiggestellte Bauvorhaben “Neubau der Brücke …”. Hier seien neben dem Bau sowohl die Ausführungsplanung als auch umfangreiche Abbruchleistungen vom Auftrag erfasst gewesen.

Ferner würden überzogene Eignungsanforderungen hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Leistungen gestellt, denn die besonders hohen Anforderungen an die wirtschaftliche, technische und berufliche Leistungsfähigkeit würden wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten, weil nur ein oder wenige Unternehmen diese Anforderungen erfüllen könnten. Insbesondere würden sie keinen tragfähigen Rückschluss auf die tatsächlich erforderliche Fachkunde und Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung zulassen.

Auch die Anforderungen zum Mindestumsatz seien intransparent. So erscheine ein Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von … Euro, das zudem Teil eines europaweit agierenden Konzerns sei, nicht von vornherein als wirtschaftlich ungeeignet. Für die Antragstellerin hätte der Umsatz für das Jahr 2021 nachgefordert werden müssen, da Angaben für die die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre verlangt waren. Der geschätzte Auftragswert in Höhe von … Euro solle planmäßig in 8 Jahren verbaut werden.

Das entspräche einem durchschnittlichen Jahresumsatz bei diesem Projekt von ca. … Euro, welchen die Antragstellerin allein im letzten Geschäftsjahr weit überschritten habe. Soweit die Anforderungen des Antragsgegners nicht überhöht seien, erfülle die Antragstellerin diese mit ihren Referenzen. Es sei daher ermessensfehlerhaft, der Antragstellerin ohne Aufklärung und Nachforderung die technische Leistungsfähigkeit abzusprechen.

Da in der Bekanntmachung keine Planungsleistungen als CPV-Codes genannt worden seien, sei auch nicht davon auszugehen gewesen, dass aus den letzten 10 Jahren auch Planungsleistungen anhand von Referenzen nachzuweisen seien. Die Forderung nach einer Referenz für die Ausführungsplanung zum Umbau eines Bestandstroges sei überzogen, da der Antragstellerin kein Umbau eines Bestandstroges bekannt sei.

Auch die Forderung nach Referenzen für Neubauten von Stahlverbundbrücken mit Fangedämmen als Komplettleistung und für den Abbruch einer Hoch straße über 16 Felder aus Spannbeton mit externer Vorspannung im innerstädtischen Raum seien überzogen. Solche Leistungen sein in den letzten 10 Jahren in Deutschland nur in sehr geringer Anzahl erbracht worden. Tunnel in der ausgeschriebenen Länge seien in dieser Bauweise in dem Zeitraum selten gewesen. Die Randbedingungen (Schlitzwand, verankerte Unterwasserbetonsohle, Bohrpfahlwand, DS-Sohle) gebe es allerdings bei vielen Bauwerken. Der Umbau eines Bestandstroges sei ebenfalls selten. Das “oder” im Schreiben vom 16.08.2022, Seite 6, würde dahin gehend verstanden, dass auch Referenzen für den Neubau einer DS-Sohle, DS-Wand und Bohrpfahlwand akzeptiert würden, was nicht beanstandet würde. Nur Ortsdurchfahrten und keine Ortsumgehungen als vergleichbare Leistungen zu akzeptieren, sei ebenfalls unsachlich. Diese seien in der Regel auch zu Beginn und am Ende einer Ortsumgehung zu errichten.

Die Antragstellerin sei unter Berücksichtigung ihrer als Eignungsleiher benannten Nachunternehmer und deren Umsätze und Referenzen bei ermessensfehlerfreier Prüfung zur Erbringung der hier ausgeschriebenen Leistungen geeignet. Die Verpflichtungserklärungen der Unternehmen Y AG und X GmbH seien mit dem Angebot vorgelegt worden und deshalb auch bei der Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen.

Mit Schriftsatz vom 26.09.2022 vertieft die Antragstellerin ihren Vortrag und führt ergänzend aus, dass die Vergabekammer ausnahmsweise auch nicht rechtzeitig gerügte Vergabeverstöße von Amts wegen aufgreifen dürfe, wenn diese schwerwiegend und offenkundig seien. Ferner liege kein Verstoß gegen den Geheimwettbewerb vor, da dieser im offenen Verfahren im Moment der Angebotsöffnung ende. Die Kenntnis des Submissionsergebnisses könne daher die Angebotsabgabe der Bieter nicht mehr beeinflussen, denn dieses werde erst nach Ablauf der Angebotsfrist bereitgestellt. Zudem hätten weder die Antragstellerin noch …, der hier weder Bieter noch Antragstellerin sei, der Presse oder sonstigen Dritten Informationen über die Angebotssummen mitgeteilt. Der Versuch der Verhinderung eines “gerichtlichen” Verfahrens im Wege der “außergerichtlichen” Streitbeilegung könne keine Einflussnahme darstellen.


Die Antragstellerin beantragt,

1.Dem Antragsgegner wird untersagt, bei dem Vergabeverfahren …, VE1 Behelfsbauwerk, Tunnel, Trog, Verkehrsanlagen den Zuschlag zu erteilen.

2.Dem Antragsgegner wird aufgegeben, den Ausschluss der Antragstellerin vom Vergabeverfahren …, VE1-Behelfsbauwerk, Tunnel, Trog, Verkehrsanlagen zurückzunehmen und im Übrigen unter Nichtanwendung ihrer formellen Eignungsanforderungen, die sich nur aus den Vergabeunterlagen ergaben, die Prüfung und Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

3.Hilfsweise: Der Antragsgegner wird verpflichtet, bei Aufrechterhaltung seiner sich nur aus den Vergabeunterlagen ergebenden formellen Eignungsanforderungen das Verfahren in den Stand vor Versendung der Bekanntmachung zurückzuversetzen und im Übrigen die Aufstellung der Eignungs- und Ausführungskriterien unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

4. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten aufseiten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

5. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und Auslagen der Antragstellerin.


Der Antragsgegner beantragt,

1.die Anträge zurückzuweisen,

2.im schriftlichen Verfahren zu entscheiden,

3.die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen.


Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig. Die Antragstellerin sei mit dem Vortrag präkludiert, die Vergabestelle habe mit ihren Eignungskriterien und Mindestanforderungen zu hohe Anforderungen an die Bieter gestellt. Gleiches gelte für das Argument, dass der Antragsgegner die Eignungsprüfung nicht anhand der in der Eigenerklärung zur Eignung genannten Mindestanforderungen hätte durchführen dürfen. Auch die angegriffene Selbstausführung hätte bereits bis zum Ende der Angebotsfrist gerügt werden müssen.

Bei der Antragstellerin könne davon ausgegangen werden, dass es sich um einen durchschnittlichen Bieter in der Baubranche handele, da er bereits seit Jahrzehnten am Markt tätig sei, über … Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftige, über diverse Konzerngesellschaften verfüge und seit genauso langer Zeit an öffentlichen Auftragsvergaben beteiligt sei. Hier habe sich dem Bieter ein Vergabefehler aufgedrängt und sei damit erkennbar gewesen. Die Antragstellerin, welche allein die … sei, habe gewusst, dass sie die geforderten Mindestkriterien nicht erfülle. Eine Chance auf den Zuschlag hätte sie nur gehabt, wenn es keine Mindestkriterien gäbe. Da sie dies aber nicht bis zum Ende der Angebotsfrist gerügt habe, sei sie mit dem Argument präkludiert. Im Übrigen seien die Mindestanforderungen bereits Gegenstand mehrerer Bewerberanfragen während der Angebotsphase gewesen.

Gleiches gelte für das Argument, der Ausschluss könne nicht auf die fehlende Eignung gestützt werden, da die in der Anlage 1 zur Eigenerklärung zur Eignung genannten Mindestanforderungen nicht aus der Bekanntmachung ersichtlich gewesen seien.

Auch der behauptete Vergaberechtsfehler, das Gebot der Selbstausführung verstoße gegen den Transparenzgrundsatz, da es sich nicht in der Bekanntmachung befinde, sowie gegen § 6d EU VOB/A sei ebenfalls präkludiert, denn diese behaupteten Vergaberechtsfehler waren bereits aus den Vergabeunterlagen ersichtlich und für die Antragstellerin auch erkennbar.

Der Amtsermittlungsgrundsatz greife nicht bei präkludierten Verstößen und sei im Ergebnis nicht mehr von der Vergabekammer zu prüfen.

Der Antrag sei zudem auch unbegründet. In der Bekanntmachung und der Anlage 1 zur Eigenerklärung zur Eignung seien die genannten Mindestanforderungen wirksam gefordert worden. Die Antragstellerin sei nicht in ihren Rechten verletzt, wenn sie mangels Eignung ausgeschlossen worden sei, da sie die geforderten Mindestanforderungen nicht erfülle. In der Bekanntmachung seien bereits Angaben dahin gehend gemacht worden, dass es in den Vergabeunterlagen zur finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit Mindestkriterien und Eignungskriterien gebe. Diese Anforderungen seien dort unter Anlage 1 der Eigenerklärung zur Eignung lediglich konkretisiert worden.

Für die Antragstellerin sei einzig und allein auf die Referenzen abzustellen, die unter der von ihr angegebenen PQ-Nummer hinterlegt gewesen seien. Eine Bietergemeinschaft sei ausweislich des Angebotes nicht gegründet worden. Auch ein Rückgriff auf die eingereichten zusätzlichen Referenzen der beiden benannten Unternehmen scheide grundsätzlich aus, denn eine Eignungsleihe liege ausweislich des Angebotes nicht vor. Das Angebot sei auch nicht auslegungsfähig, denn ein leeres Formblatt “Eignungsleihe” könne nur dahin gehend verstanden werden, dass eine solche gerade nicht vorgesehen sei. Daran ändere auch das Einreichen von Verpflichtungserklärungen vorgesehener Nachunternehmer nichts, wenn die Antragstellerin in dem Formblatt zur Eignungsleihe keinerlei Eintragungen vorgenommen habe. Die Antragstellerin wäre verpflichtet gewesen, ausdrücklich im Angebot geltend zu machen, dass sie sich zusätzlich zum beabsichtigten Nachunternehmereinsatz zum Nachweis der Eignung einer Eignungsleihe bedienen möchte. Ein Nachfordern des Formblattes Eignungsleihe komme nur in Betracht, wenn der öffentliche Auftraggeber den Bieter auffordere den Eignungsleiher auszutauschen, sofern der ursprünglich genannte nicht geeignet sei. Es würde eine unzulässige Änderung des Angebotes darstellen, wenn sich die Antragstellerin wegen festgestellter fehlender eigener Eignung diese nunmehr leihen möchte. Ausweislich der Angaben im PQ-Verzeichnis würden die dort genannten Zahlen zu den Jahresumsätzen nicht die Mindestanforderungen erfüllen.

Die Mindestanforderungen zur technischen Leistungsfähigkeit seien nicht unverhältnismäßig, vielmehr würden sie mit dem Ausschreibungsgegenstand in Verbindung und in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die beim PQ-Verein hinterlegten Referenzen würden den Rückbau/Abbruch von Abstellflächen aus Stahlbeton auf einem Flugplatz sowie dem Abbruch einer Geh- und Radwegbrücke aus Holz beinhalten und insofern die Mindestanforderungen nicht erfüllen. Zu den geforderten 2 Referenzen bzgl. des Tunnelbaus in offener Bauweise mit einer Mindestlänge von 600 m in innerstädtischer Lage seien keinerlei Referenzen hinterlegt. Selbst wenn die Referenzen der benannten Firmen im Rahmen der Eignungsleihe gewertet würden, würden so nur die finanziellen Mindestkriterien erfüllt, nicht aber die technischen.

Zudem seien die die eingereichten Nachweise und Referenzen bzgl. der finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit mit der ausgeschriebenen Leistung nicht vergleichbar. Allein maßgebend seien auch hierfür die im PQ-Verzeichnis hinterlegten Angaben und Referenzen. Der Jahresumsatz sei bei weitem mit dem Auftragswert von … Euro nicht vergleichbar, da er sich weit unter dem ausgeschriebenen Auftragswert bewege. Ebenso verhalte es sich mit der technischen Leistungsfähigkeit. Ausweislich der unter der einschlägigen PQ-Nummer hinterlegten Referenzen habe die Antragstellerin lediglich ähnliche Teilleistungen erbracht (Neubau von Schlitzwänden, verankerte Unterwasserbetonsäule), bei des es sich nicht um den Neubau eines Tunnels in offener Bauweise mit vergleichsweiser Länge und in innerstädtischer Lage handele. Auch hinsichtlich des ausgeschriebenen Rückbaus einer Spannbetonbrücke mit einer Länge von … m in innerstädtischer Lage befinden sich in den hinterlegten Referenzen keine vergleichbaren Leistungen. Ein Nachfordern geeigneter Referenzen sei nicht in Frage gekommen. Bediene sich ein Bieter zum Nachweis seiner Eignung einzig seiner PQ-Nummer und den dort hinterlegten Referenzen, müsse er sich hieran festhalten lassen.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin habe der Antragsgegner bestimmte Teilleistungen wirksam zur Selbstausführung bestimmt. Bei diesem Gebot handele es sich um Ausführungsbestimmungen i. S. d. § 128 Abs. 2 GWB, die nicht in der Bekanntmachung benannt werden müssten, sondern auch in den Vergabeunterlagen benannt werden dürften. Die Eigenerklärung zur Eignung und die Anlage 1 würden dabei zu den Vergabeunterlagen gehören.

Es sei abwegig sich als Bieter nicht angesprochen zu fühlen, wenn zunächst von Hauptbauleistungen, die zwingend durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft zu erbringen seien, die Rede sei. Auch bei Bietergemeinschaften handele es sich um einen Bieter, so dass selbstverständlich auch “Einzelbieter” angesprochen seien.

Der Antragsgegner habe zu Recht entschieden, welche kritischen Aufgaben vom Auftragnehmer selbst durchzuführen seien. Nicht die gesamte LE 1 und LE 3 habe dem Selbstausführungsgebot unterlegen, sondern eben nur die Hauptbauleistungen dieser Leistungseinheiten. Es handele sich somit nur um 2 von insgesamt 6 Leistungseinheiten, in welchen Teilleistungen dem Selbstausführungsgebot unterliegen würden. Was dabei mit Hauptbauleistungen gemeint sei, sei bereits durch die entsprechenden Antworten der Vergabestelle auf diverse Bieterfragen konkretisiert worden. Dabei seien mit Hauptbauleistung insbesondere Beton- und Stahlbetonarbeiten sowie Tiefgründungen und Baugrubensicherung gemeint worden.

Die Begründung für die Selbstausführung rühre aus der Komplexität des Gesamtsystems. Wenn die Antragstellerin meine, bei den genannten Leistungen handele es sich um Standardbauweisen, zeige dies, dass sie die tatsächlichen Dimensionen dieser Arbeiten und des Gesamtprojektes nicht hinreichend erkannt habe. Um Standardbauweisen würde es sich lediglich für solche Firmen handeln, die Erfahrung in der Ausführung von Projekten in vergleichbaren Dimensionen hätten. Die gegenseitige Beeinflussung der Behelfsbrücke und des Tunnelbauwerkes könne nur von erfahrenen Unternehmen erkannt werden, bei einer Teilung der Verantwortung berge dies die Gefahr, dass Zuständigkeiten und Haftungsthemen nicht eindeutig festgeschrieben werden könnten. Das Angebot der Antragstellerin sei auch daher auszuschließen, weil durch die Benennung von Nachunternehmern für die Hauptleistungen der LE 1 und LE 3 die Vergabeunterlagen unzulässig geändert worden seien.

Zudem sei zu prüfen, ob weitere Gründe einen Ausschluss rechtfertigen würden. Wesentliches und unverzichtbares Merkmal einer Vergabe im Wettbewerb sei die Gewährleistung eines Geheimwettbewerbs zwischen den an der Ausschreibung teilnehmenden Bietern. Hier sei ein Verstoß sehr wahrscheinlich, da das Submissionsergebnis vergaberechtswidrig an außerhalb des Vergabeverfahrens stehende Dritte weitergegeben worden sei. In einem Zeitungsartikel in der … vom ….2022 sei unter Bezugnahme auf Herrn … über massive Kostensteigerungen des ausgeschriebenen Projektes berichtet worden und dabei seien innerhalb des Artikels sowohl die Angebotssumme der Antragstellerin als auch Angebotssummen der weiteren Bieter genannt worden.

Mit Schreiben vom 19.07.2022 habe sich der Vorstand der “…”, Herr …, an den Minister, Herrn …, offenbar mit der Bitte um ein klärendes Gespräch mit der Vergabestelle gewandt. Das Vergabeverfahren sei aufzuheben und mit der Antragstellerin in das Verhandlungsverfahren einzutreten. Dabei seien offenbar konkrete Vorschläge zu anderen Bauweisen und sich daraus ergebenen günstigeren Preisen gemacht worden. Nach Mitteilung der Vergabestelle vom 16.08.2022, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, wandte sich Herr … erneut mit Schreiben vom 18.08.2022 an den Minister mit der Bitte, den Ausschluss aufzuheben – wenngleich dieses Ansinnen vom … zurückgewiesen und die Antragstellerin auf den Rechtsweg zu den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen verwiesen wurde. Auch wenn Herr … im Verhältnis zur Antragstellerin als Außenstehender gelten würde, könne dies als Versuch der unredlichen Einflussnahme auf einen öffentlichen Auftraggeber in einem Vergabeverfahren gewertet werden, was zwangsweise zu einem Ausschluss führen müsse.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat auf die aktuelle Rechtsprechung des OLG Celle (Beschluss vom 07.07.2022 – 13 Verg 4/22) und die ständige Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zu den Anforderungen an die Darlegung der Antragsbefugnis bei der Beanstandung von Verstößen gegen die Bekanntmachungspflicht hingewiesen.

Die Vergabekammer hat mit Verfügung vom 04.10.2022 gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 18.10.2022 verlängert.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2022 Bezug genommen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig. Er ist unzulässig, soweit die Antragstellerin erst mit ihrem Rügeschreiben vom 26.08.2022 beanstandet hat, die vom Auftraggeber aufgestellten Anforderungen an die wirtschaftliche, technische und berufliche Leistungsfähigkeit bzw. die berufliche Erfahrung seien besonders hoch und unangemessen. Diesbezüglich ist die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, da der vermeintliche Vergaberechtsverstoß für die Antragstellerin aus den Vergabeunterlagen erkennbar war (im Folgenden 1).

Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig ist, ist er unbegründet. Der Antragsgegner hat das Angebot der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht gemäß § 16 b Abs. 1 EU VOB/A i. V. m. § 6 EU Abs. 1 VOB/A mangels nachgewiesener Eignung von der weiteren Wertung ausgeschlossen. Zwar konnte der Antragsgegner den Angebotsausschluss nicht auf eine Nichterfüllung der in den Vergabeunterlagen für den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit festgelegten und geforderten Mindestumsätze im Hinblick auf den Gesamtumsatz in den letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahren und Angaben zum vergleichbaren Umsatz in den letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahren sowie der ebenfalls erst in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen hinsichtlich des Nachweises der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit stützen. Denn der Antragsgegner hat es versäumt, die Mindestanforderungen gemäß § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen (im Folgenden 2 a). Es ist jedoch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner auf die entsprechende Rüge der Antragstellerin vom 09.08.2022 erneut in die Eignungsprüfung eingetreten ist und geprüft hat, ob die Antragstellerin mit ihrem Angebot Angaben und Nachweise zu mit dem ausgeschriebenen Auftrag vergleichbaren Leistungen gemacht und vorgelegt hat (im Folgenden 2 b). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat die Antragstellerin es vorliegend versäumt, mit dem Angebot ihre Eignung im Wege der Berufung auf Referenzen von Nachunternehmern im Rahmen einer Eignungsleihe darzulegen (im Folgenden 2 c). Es ist schließlich auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner gemäß § 6d EU Abs. 4 VOB/A und § 47 Abs. 5 VgV für bestimmte Teilleistungen – Beton- und Stahlbetonarbeiten – die Selbstausführung gefordert hat. Der Antragsgegner hat diese Teilleistungen auch gemäß § 128 Abs. 2 GWB als besondere Ausführungsbedingungen in den Vergabeunterlagen wirksam zur Selbstausführung bestimmt. Diese Vorgabe beschränkt sich nicht auf Angebote von Bietergemeinschaften, sondern gilt ebenso für Einzelbieter und damit auch für die Antragstellerin (im Folgenden 2 d).

1. Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig.

Bei dem Antragsgegner handelt es sich um das … und damit um einen öffentlichen Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag i. S. des § 1 EU VOB/A, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der RL 2004/24/EU in der seit 01.01.2022 und damit zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens geltenden Fassung ein Schwellenwert von 5.382.000 Euro gilt. Die geschätzten Kosten für die streitgegenständliche Baumaßnahme überschreiten ausweislich Ziffer II.2.6 der EU-Auftragsbekanntmachung diesen Schwellenwert mit … Euro deutlich.

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie beanstandet, dass der Antragsgegner entschieden hat, das Angebot der Antragstellerin wegen vermeintlich nicht nachgewiesener Eignung auszuschließen. Der Antragsgegner habe in vergaberechtswidriger Weise Eignungnachweise von Nachunternehmern, auf die sich die Antragstellerin für ihr Angebot im Wege der Eignungsleihe gestützt habe, nicht berücksichtigt.

Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB, § 160, Rn. 23, Boesen, Vergaberecht, § 107 GWB, Rn. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 – 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB, § 160, Rn. 43; vgl. Beck VergabeR/ Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 34; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 160, Rn. 30 ff.).

Entgegen der Auffassung der Beigeladenen und des Antragsgegners ist die Antragsbefugnis vorliegend auch gegeben, soweit die Antragstellerin beanstandet hat, dass sämtliche Eignungsanforderungen, die als nicht erfüllt angesehen würden, sich nicht aus der Bekanntmachung, sondern nur aus den Vergabeunterlagen ergeben und somit nicht wirksam gefordert worden seien.

Die Beigeladene und der Antragsgegner vertreten die Auffassung, dass sich die Antragstellerin auf eine vermeintlich mangelhafte Bekanntmachung der Eignungskriterien und -nachweise inklusive der in den Vergabeunterlagen diesbezüglich festgelegten Mindeststandards nicht berufen könne, weil sie nicht dargelegt habe, dass sie bei ordnungsgemäßer Bekanntmachung ein anderes, wertungsfähiges Angebot abgegeben hätte. Schließlich habe die Antragstellerin ihr Angebot in Kenntnis der in den Vergabeunterlagen festgelegten Eignungsanforderungen abgegeben. Sie berufen sich für diese Auffassung insbesondere auf eine Entscheidung des OLG Celle vom 07.07.2022 – 13 Verg 4/22 (zitiert nach ibr-online). Der Vergabesenat hat im dortigen Fall entschieden, dass für die Antragsbefugnis ein schlüssiger Vortrag erforderlich ist, aus dem sich ergibt, dass gerade durch den gerügten Verstoß gegen Vergaberecht die Aussichten des Antragstellers auf eine Berücksichtigung seiner Bewerbung oder seines Angebotes im Hinblick auf die Zuschlagserteilung beeinträchtigt worden sein könnten (Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB, § 160, Rn. 32, 33). Der Schaden muss daher grundsätzlich auf die Zuschlagschance bezogen sein. Die Antragsbefugnis kann also grundsätzlich nicht aus jenseits der Zuschlagschance liegenden Beeinträchtigungen rechtlicher oder wirtschaftlicher Art hergeleitet werden (aaO). Dabei sind die in § 160 Abs. 2 GWB genannten Voraussetzungen in einer Weise auszulegen, die dem betroffenen Unternehmen einen effektiven Rechtsschutz gewährleisten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.07.2004- 2 BvR 2248/03 zu § 107 Abs. 2 GWB a.F.). Daher sind insoweit keine hohen Anforderungen zu stellen.

Ein Verstoß gegen die Bekanntmachungspflicht kann demnach nur dann erfolgreich geltend gemacht werden, wenn der Bieter darlegen kann, dass das Angebot im Fall eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag hätte haben können als im beanstandeten Verfahren. So ist beispielsweise im Falle einer nicht bekannt gemachten Umrechnungsformel zu fragen, ob der Bieter bei deren Kenntnis ein chancenreicheres Angebot abgegeben hätte (Wagner in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 127 GWB (Stand: 27.05.2021), Rn. 88). Weil es sich um subjektive Umstände aus der Sphäre des Antragstellers handelt, muss er zumindest plausibel und schlüssig darstellen, dass die fehlende Bekanntgabe der Umrechnungsformel zu einer Fehlvorstellung geführt hat, die sein Angebot beeinflusst hat, und er bei Kenntnis der Formel Änderungen seines Angebotes vorgenommen hätte, die seine Zuschlagschancen erhöht hätten.

Dieser Entscheidung des OLG Celle lag jedoch ein mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Die dortige Antragstellerin hatte die fehlende Bekanntgabe der vom Antragsgegner festgelegten Preisbewertungsformel beanstandet. Im Ergebnis hat der Vergabesenat im dortigen Fall ausgeschlossen, dass die Antragstellerin bei der Erstellung ihres Angebots darauf vertraut hat, dass die Preisbewertung “ähnlich” der Abstufungen der Konzeptbewertung erfolgen würde, und ihr Angebot danach ausgerichtet hat.

Diese Rechtsprechung ist aber nach Auffassung der Vergabekammer nicht auf Fälle übertragbar, in denen sich ein Bieter auf die mangelhafte Bekanntmachung von Eignungskriterien beruft (a. A. VK Bund, Beschluss vom 31.08.2022 – VK 2-72/22, zitiert nach ibr-online). Denn im Gegensatz zur Transparenz von Preisbewertungsformeln ist für Eignungskriterien ausdrücklich gesetzlich geregelt, dass sie in der Auftragsbekanntmachung zwingend aufgeführt werden müssen (§ 122 Abs. 4 Satz 2 GWB).

Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, bleibt daher eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 – X ZB 14/06). Die Antragstellerin hat eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt.

Die Antragstellerin hat überwiegend ihrer Pflicht genügt, den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergaberechtsvorschriften gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB vor Einreichen des Nachprüfungsantrags gegenüber dem Auftraggeber zu rügen.

Sie ist jedoch mit ihrem Vortrag gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, soweit sie erst mit Anwaltsschriftsatz vom 26.08.2022 die hohen Anforderungen an die wirtschaftliche, technische und berufliche Leistungsfähigkeit bzw. die berufliche Erfahrung als unangemessen beanstandet hat. Für eine derartige Einschätzung und Beanstandung bedurfte es keiner anwaltlichen Beratung der Antragstellerin als in öffentlichen Aufträgen erfahrenes Bieterunternehmen. Die Antragstellerin war sich bei Legung ihres Angebotes über den Inhalt und die Höhe der in den Vergabeunterlagen aufgeführten Eignungsanforderungen bewusst. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Antragstellerin nach ihrem eigenen Vortrag im Nachprüfungsverfahren davon ausgegangen ist, dass sie die Anforderungen nur durch Unterstützung durch Kapazitäten anderer Unternehmen im Wege der Eignungsleihe erfüllen konnte, was sie ihrer Auffassung nach mit ihrem Angebot auch wirksam getan habe.

Einen mit dem Umfang oder der Höhe der Eignungsanforderungen verbundenen, vermeintlichen Vergaberechtsverstoß konnte die Antragstellerin daher aus den Vergabeunterlagen erkennen und musste diesen spätestens bis zum Ablauf der Frist für die Angebotsabgabe gegenüber dem Antragsgegner rügen.

Soweit sie sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen den Angebotsausschluss und insbesondere die Nichtberücksichtigung der Referenzen der von ihr vermeintlich im Angebot als Eignungsleiher aufgeführten Nachunternehmer wendet, hat sie diese Verstöße rechtzeitig nach positiver Kenntniserlangung gerügt. Bei der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen.

Der Antragsgegner informierte die Antragstellerin mit Informationsschreiben vom 08.08.2022 darüber, dass deren Angebot ausgeschlossen worden sei, da es nicht alle in den Vergabeunterlagen gestellten Bedingungen erfülle und begründete Zweifel an deren Eignung hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen sowie der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit gebe. Die Leistungsfähigkeit sei nicht im geforderten Umfang nachgewiesen worden. Ihre Eignung sei im Hinblick auf die gestellten Anforderungen nicht erfüllt. Zudem sei das Selbstausführungsgebot nicht berücksichtigt worden.

Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Anwaltsschreiben vom 09.08.2022 den Angebotsausschluss als unzulässig. Sämtliche Eignungsanforderungen, die als nicht erfüllt angesehen würden, hätten sich nicht aus der Bekanntmachung, sondern nur aus den Vergabeunterlagen ergeben und seien somit nicht wirksam gefordert worden.

Diese Rüge in Bezug auf das Unterbleiben einer Bekanntmachung von Eignungsvorgaben im Auftragsbekanntmachungsformular erfolgte rechtzeitig. Die Antragstellerin ist diesbezüglich nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB präkludiert.

Zwar betrifft sie ein Defizit in der Auftragsbekanntmachung selbst. Die Rügeobliegenheit nach dieser Vorschrift wird jedoch nur dann ausgelöst, wenn der geltend gemachte Vergabefehler aus verständiger Bietersicht erkennbar war. Von einer derartigen Erkennbarkeit ist indes nicht auszugehen. Für die Erkennbarkeit kommt es darauf an, dass ein Vergaberechtsverstoß in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung üblicher Sorgfalt hätte erkannt werden können (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018, Verg 24/18). Zwar ist bei einem sorgfältig agierenden und durchschnittlich fachkundigen Bieter, der sich mit einem Angebot an einem Vergabeverfahren beteiligen will, davon auszugehen, dass er die wesentlichen vergaberechtlichen Grundsätze kennt. Dazu gehört grundsätzlich auch das Wissen darüber, dass ein öffentlicher Auftrag nicht voraussetzungslos vergeben werden, sondern nur an ein Unternehmen erteilt werden darf, das überhaupt in der Lage scheint, den Auftrag in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht erfüllen zu können, und der Auftraggeber dementsprechend verpflichtet ist, eine Überprüfung der Eignung anhand von ihm vorab gegenüber allen Bietern bekannt zu machenden Eignungskriterien durchzuführen. Zwar kann sich die Verpflichtung eines Auftraggebers, die Eignungsanforderungen in der Auftragsbekanntmachung zu veröffentlichen, dem Bieter unmittelbar durch die Lektüre der gesetzlichen Bestimmung des § 122 Abs. 4 S. 2 GWB erschließen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 07.11.2007 – 1 Verg 6/07). Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass vorliegend in der Auftragsbekanntmachung Ausführungen zu den Eignungskriterien und nachweisen nicht etwa völlig fehlten. Für die Frage, ob die Ausführungen im Sinne der dazu ergangenen Rechtsprechung ausreichend sind, ist die Erkennbarkeit eines damit zusammenhängenden Vergaberechtsverstoßes im vorliegenden Fall zu verneinen. Dazu bedurfte die Antragstellerin anwaltlicher Beratung.

Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin behielt sich weitere Rügen nach Prüfung sämtlicher Vergabeunterlagen ausdrücklich vor, da sie in der Kürze der Zeit ihrer Mandatierung den gesamten Vergabeprozess noch nicht habe nachvollziehen können.

Mit Schreiben vom 16.08.2022 erwiderte der Antragsgegner, dass er der Rüge nicht abhelfe, und begründete ausführlich den Angebotsausschluss. Dabei legte er erstmals dar, dass die Antragstellerin auch unter Außerachtlassung der Mindestanforderung ihre Eignung nicht nachgewiesen habe, weil sie nicht, wie in der Bekanntmachung ausdrücklich gefordert, Angaben zu vergleichbaren Leistungen gemacht habe. Die Antragstellerin habe zudem das Selbstausführungsgebot hinsichtlich von Leistung der LE1 (Stahlverbundbrücke inklusive Gründung”) und LE3 (“Tunnelverbau und Tunnel”) in ihrem Angebot nicht beachtet. Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 26.08.2022 erneut ihre Nichtberücksichtigung und hat ergänzend beanstandet, dass die vorgelegten Referenzen der benannten Nachunternehmer bei der Überprüfung der Eignung nicht berücksichtigt würden. Offensichtlich sei eine Eignungsleihe der von ihr benannten Nachunternehmer angestrebt. Aufgrund der intransparenten Gestaltung der Vergabeunterlagen wären nicht ausgefüllte Formulare nachzufordern gewesen. Zudem hätte der Antragsgegner der Antragstellerin ihrer Auffassung nach die Gelegenheit geben müssen, fehlende Unterlagen nachzureichen. Grundsätzlich sei auch die Vorgabe des Selbstausführungsgebotes unzulässig. Dies könne nur für “bestimmte kritische Aufgaben” und nicht für wesentliche Teile der Leistung vorgeschrieben werden.

Diese Rügen erfolgten jeweils innerhalb von zehn Kalendertagen nach Erhalt der Schreiben des Antragsgegners und damit rechtzeitig.

Bezüglich dieser geltend gemacht Vergaberechtsverletzungen ist der Nachprüfungsantrag somit zulässig.

2. Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig ist, ist er unbegründet.

Der Antragsgegner hat das Angebot der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht gemäß § 16b EU Abs. 1 VOB/A i. V. m. § 6 EU Abs. 1 VOB/A mangels nachgewiesener Eignung von der weiteren Wertung ausgeschlossen:

a. Zwar konnte der Antragsgegner den Angebotsausschluss nicht auf eine Nichterfüllung der in den Vergabeunterlagen für den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit festgelegten und geforderten Mindestumsätze im Hinblick auf den Gesamtumsatz in den letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahren und Angaben zum vergleichbaren Umsatz in den letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahren sowie der ebenfalls erst in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen hinsichtlich des Nachweises der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit stützen. Denn der Antragsgegner hat es versäumt, die Mindestanforderungen gemäß § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen. Der fehlende Nachweis der nur in den Vergabeunterlagen konkret festgelegten Mindestumsätze vermag daher einen Ausschluss mangels nachgewiesener Eignung gemäß § 16 b EU VOB/A i. V. m. § 6 EU VOB/A nicht zu begründen.

Gemäß § 6 EU Abs. 1 VOB/A werden öffentliche Aufträge an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach § 6 e EU VOB/A ausgeschlossen worden sind.

Gemäß § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB sind die Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen. Diese Regelung ist Ausfluss des vergaberechtlichen Transparenzgebotes gemäß § 97 Abs. 1 GWB (Hausmann/von Hoff in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 122 GWB, Rn. 47). Die früher häufig angewandte Praxis, die Eignungskriterien erst in Vergabeunterlagen mitzuteilen, ist damit nicht mehr zulässig. Mit dieser Regelung geht einher, dass die Eignungskriterien in der Bekanntmachung eindeutig und abschließend beschrieben sein müssen. Für die Bekanntgabe der Eignungskriterien genügt daher ein bloßer Verweis auf § 122 Abs. 2 Satz 2 GWB ebenso wenig, wie für die Bekanntgabe der Eignungsnachweise ein bloßer Verweis auf die Nachweisvorschriften der Vergabeordnungen genügt (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2015 – 11 Verg 11/14). Gleiches gilt für einen Verweis auf ergänzende Unterlagen oder Formblätter, die erst auf Anfrage zugesendet werden (OLG Celle, Beschluss vom 24.04.2014 – 13 Verg 2/14 = IBR 2014, 435; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.01.2014 – Verg 26/13 = NZBau 2014, Seite 371). Der (potentielle) Bieter und Bewerber soll sich bereits aufgrund der Bekanntmachung überlegen können, ob er die festgelegten Eignungskriterien erfüllen kann. Muss der potentielle Bewerber/Bieter erst die gesamten Vergabeunterlagen sichten, um sich die Eignungsanforderungen und die zu erbringenden Nachweise zu erschließen, wird dies weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der vorgenannten Vorschrift gerecht. Insbesondere ausländischen Bietern, deren Mitarbeiter unter Umständen nur eingeschränkt der deutschen Sprache mächtig sind, ist es nicht zumutbar, umfangreiche Unterlagen durcharbeiten zu müssen, um zu erfahren, ob die Ausschreibung für Sie infrage kommt.

Den Anforderungen genügt nur ein unmittelbarer Link auf das Formblatt Eigenerklärung zur Eignung, aus denen sich die Eignungsanforderungen ergeben, so dass am Auftrag interessierte Unternehmen durch bloßes Anklicken zu dem Formblatt gelangen können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.11.2011 – Verg 60/11; Kadenbach in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl., § 122 GWB, Rn. 66, m. w. N.; Opitz in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 122 GWB, Nr. 98, m. w. N.). Die bloße Verweisung in der Auftragsbekanntmachung auf die Vergabeunterlagen oder auf “Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen” erfüllt diesen Zweck nicht und ist unzulässig. Ebenso wenig genügt ein Link auf die Vergabeunterlagen als Ganzes.

Vorliegend hatte der Antragsgegner für den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit in der Bekanntmachung unter Ziffer III.1.2) festgelegt:

“- Nachweis der Eignung durch Angaben, die mit dem Angebot einzureichen sind:

Angabe des Umsatzes des Unternehmens jeweils bezogen auf die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre, soweit er Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind unter Einschluss des Anteils bei gemeinsam mit anderen Unternehmen ausgeführten Aufträgen o […] o Näheres ist den Vergabeunterlagen zu entnehmen.

– Möglicherweise geforderte Mindeststandards:

Mindestjahresumsatz des Unternehmens jeweils bezogen auf die letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahre gemäß der Vergabeunterlagen.”
(…)

Die konkret geforderten Mindestumsätze hat der Antragsgegner erst in den Vergabeunterlagen im Formblatt Eigenerklärung zur Eignung benannt. Dort wird unter Ziffer 3. Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der geforderte Mindestjahresumsatz des Unternehmens mit … Euro beziffert. Der geforderte Mindestjahresumsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrages beträgt demnach … Euro.

Eine unmittelbare Verlinkung auf die Vergabeunterlagen geschweige denn auf das Formblatt Eigenerklärung zur Eignung enthielt die Bekanntmachung nicht.

Der Antragsgegner hat diesen Mangel im Rahmen des Nachprüfungsverfahren damit begründet, dass eine Verlinkung, wie sie etwa im von der Antragstellerin beigefügten Beispiel der … vorgenommen wurde, ihm aus technischen Gründen mit der Plattform in der Version, wie sie ihm zur Verfügung steht, nicht möglich ist. Technische Probleme mit der für das Vergabeverfahren genutzten Plattform liegen jedoch allein in der Sphäre des öffentlichen Auftraggebers als Verwender und befreien ihn daher in keiner Weise von der Pflicht zur Bekanntmachung der Eignungskriterien und -nachweise. Zu Recht hat die Antragstellerin zudem darauf hingewiesen, dass auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes der Antragsgegner die zur Verfügung stehenden Zeilen im Bekanntmachungsformular nicht ausgenutzt hat. Es hätten somit durchaus mehr Angaben aufgeführt werden können.

Die mangelnde Bekanntmachung der Mindestumsätze hat vorliegend zur Folge, dass der Antragsgegner diese nicht im Rahmen der Eignungsprüfung berücksichtigen durfte. Er war vielmehr gehalten, die Eignungsprüfung allein anhand der bekannt gemachten Eignungskriterien und -nachweise durchzuführen.

b. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner auf die entsprechende Rüge der Antragstellerin vom 09.08.2022 erneut in die Eignungsprüfung eingetreten ist und zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Antragstellerin mit ihrem Angebot keine Angaben und Nachweise zu mit dem ausgeschriebenen Auftrag vergleichbaren Leistungen gemacht und vorgelegt hat. Der Antragsgegner hatte für den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit in der Bekanntmachung unter Ziffer III.1.2) festgelegt:

“Angabe des Umsatzes des Unternehmens jeweils bezogen auf die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre, soweit er Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind unter Einschluss des Anteils bei gemeinsam mit anderen Unternehmen ausgeführten Aufträgen”

Für den Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit hat der Antragsgegner unter Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung gefordert:

“Angabe über die Ausführung von Leistungen, die im Wesentlichen in den letzten 10 Jahren erbracht worden und mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind”

Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Prüfung der Eignung eines Bieters grundsätzlich ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der der Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen weitgehend entzogen ist. Das gilt namentlich für die Überprüfung von Referenzen und die Beurteilung von deren Vergleichbarkeit (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.06.2010 – Verg 14/10; OLG München, Beschluss vom 12.11.2012 – Verg 23/12; Müller-Wrede/Schwabe, VOL, 4. Aufl., § 15 EG, Rn. 62).

0Der Auftraggeber ist aber an die von ihm selbst aufgestellten und bekannt gegebenen Anforderungen gebunden (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.04.2014 – 11 Verg 1/14).

Die Überprüfung der Vergleichbarkeit durch die Nachprüfungsinstanzen ist darauf beschränkt, ob der der Eignungsprüfung zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und bei der Eignungsprüfung berücksichtigt worden ist, allgemeine Bewertungsmaßstäbe eingehalten worden sind und sachwidrige Erwägungen dabei keine Rolle gespielt haben. Referenzen müssen aber nicht mit dem Ausschreibungsgegenstand identisch sein. Vielmehr wäre es im Hinblick auf den Wettbewerbsgrundsatz nicht mehr hinnehmbar, wenn der Auftraggeber die Angabe identischer Leistungen verlangen würde. Vergleichbarkeit erfordert nicht die Angabe einer identischen Leistung. Es genügt vielmehr, wenn die Referenzleistungen dem zu vergebenden Auftrag nahekommen (vgl. OLG Frankfurt a. Main, Beschluss vom 24.10.2006 – 11 Verg 8/06 = NZBau 2007, S. 468 ff., 469). Dafür müssen die Referenzen aber einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens in Bezug auf den zu vergebenden Auftrag eröffnen (vgl. Müller-Wrede, VOL/A, 4. Auflage, § 7 EG, Rn. 58, m. w. N.). Es reicht – grundsätzlich – aus, wenn sie ihm nahekommen oder ähneln und einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung ermöglichen (vgl. VK Bund, Beschluss vom 30.05.2017 – VK 2-46/17, zitiert nach ibr-online). Der Auftraggeber ist aber an die von ihm selbst aufgestellten und bekannt gegebenen Anforderungen gebunden und darf hiervon nicht nachträglich zugunsten einzelner Bieter abweichen, indem er bei der Eignungsprüfung oder der Wertung von Teilnahmeanträgen an die Eignung höhere oder geringere als die allgemein bekannt gemachten Anforderungen stellt. Fordert er ausdrücklich Referenzen über Aufträge “vergleichbarer Art und Größe”, so darf er wegen des Gebots der Gleichbehandlung und der Transparenz nur solche Referenzen berücksichtigen, die vergleichbare Leistungen nachweisen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.04.2014 – 11 Verg 1/14; OLG Koblenz, Beschluss vom 13.06.2012 – 1 Verg 2/12; KG, Beschluss vom 21.02.2009 – 2 Verg 11/09 – jeweils zitiert nach ibr-online). Die ausgeschriebene Leistung muss den Referenzaufträgen soweit ähneln, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet (OLG München, Beschluss vom 12.11.2012 – Verg 23/12).

Werden in der Bekanntmachung Referenzen über “vergleichbare” Aufträge gefordert, darf der Auftraggeber bei der Bewertung der Referenzen aber keinen zu engen Maßstab anlegen (vgl. OLG Gelle, Beschluss vom 03.07.2018 – 13 Verg 8/17 – zitiert nach ibr-online).

Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs ist die Prüfung und Bewertung der von der Antragstellerin beigebrachten Referenzen nicht zu beanstanden. Da die Antragstellerin mit ihrem Angebotsschreiben vom 01.06.2022 darauf hingewiesen hat, dass sie präqualifiziert ist und im Präqualifikationsverzeichnis des Vereins für Präqualifikation von Bauunternehmen eingetragen ist, unter Angabe der entsprechenden PQ-Nummern, hat der Antragsgegner die Eignungsprüfung zu Recht anhand der von der Antragstellerin dort hinterlegten Angaben und Referenzen durchgeführt. Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 08.06.2022 – Verg 19/22 (zitiert nach ibr-online) zu Recht darauf hingewiesen, dass die Eintragung in das Präqualifikationsverzeichnis dem Bieter lediglich die Führung der Eignungsnachweise erleichtert. Sie enthebt ihn aber nicht davon, seine technische und berufliche Leistungsfähigkeit durch die in der Bekanntmachung nach Art und Umfang mit den ausgeschriebenen Leistungen vergleichbaren Referenzen nachzuweisen. Hat ein Bieter – wie im vorliegenden Fall – mit seinem Angebot auf seine Qualifikation hingewiesen, so hat der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Eignungsprüfung nicht nur die Möglichkeit, die im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Nachweise auf Vergleichbarkeit mit den von ihm geforderten Eignungsnachweisen prüfen zu können, sondern er ist hierzu auch verpflichtet. Dabei gelten zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes die inhaltlichen Anforderungen an die Eignungsnachweise für alle Bieter, gleichgültig, ob diese präqualifiziert sind oder nicht. Reichen wiederum die im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Referenzen im konkreten Fall nicht aus, so darf der öffentliche Auftraggeber weitere als die über das Präqualifikationsverzeichnis vorgelegte, aber inhaltlich unzureichende Referenzen nicht nachfordern.

Zur Überprüfung der von der Antragstellerin im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Angaben und Eignungsnachweise durch den Antragsgegner im Einzelnen:

– Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit:

Die geschätzte Auftragssumme der verfahrensgegenständlichen Ausschreibung beträgt ausweislich der Bekanntmachung … Euro. Die im PQ-Verzeichnis hinterlegten Jahresumsätze der Antragstellerin betrugen in 2018 … Euro, in 2019 … Euro und in 2020 … Euro. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die ausgeschriebene Baumaßnahme über mehrere Jahre erstreckt, sind die von der Antragstellerin im Qualifikationsverzeichnis hinterlegten Jahresumsätze nicht mit der geschätzten Auftragssumme vergleichbar. Damit konnte die Antragstellerin auch bei der gebotenen Außerachtlassung der geforderten Mindestumsätze die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für die Ausführung der ausgeschriebenen Leistungen nicht nachweisen.

– Technische Leistungsfähigkeit:

Der Antragsgegner hat im Hinblick auf den Maßstab für die Vergleichbarkeit der hinterlegten Referenzleistungen mit der ausgeschriebenen Leistung zu Recht darauf hingewiesen, dass sich bereits aus den Ausführungen unter II.2.4 ergibt, dass der Neu- und Rückbau einer Behelfsbrücke in Stahl-/Stahlverbundbauweise in einer Länge von … m (… m inklusive Fangedämme) zu erfolgen hat. Weiterhin ist der Rückbau des Bestandsbauwerks (Stahlbetonbauweise mit quer- und längsvorgespanntem Holzkastenquerschnitt) durchzuführen sowie der Neubau des Tunnels mit einer Länge von … m. Hinzu kommen der Umbau des Bestandstrogs, die Herstellung von Verkehrsanlagen (bauzeitlich und im Endzustand), Erdbauarbeiten (Dammverbreiterung) sowie der Hinweis, dass Arbeiten innerhalb eines Landschafts- und Hochwasserschutzgebietes stattfinden. Für die beim PQ-Verein hinterlegten Referenzen konnte der Antragsgegner danach die Vergleichbarkeit mit der ausgeschriebenen Maßnahme nicht positiv feststellen. Die Antragstellerin hatte im PQ-Verzeichnis insgesamt sieben Referenzen hinterlegt.

Der Auftraggeber hat festgestellt, dass von diesen Referenzen alle für Einzelleistungen im Leistungsbereich “311_01 Betonarbeiten” gültig sind. Davon seien 4 Referenzen (laufende Nrn. 2, 3, 4 und 7) für komplett Leistungen im Leistungsbereich “613_01 umfassende Bauleistung für Brücken, Tunnel, Schächte und Unterführungen” hinterlegt. Der Antragsgegner ist aus nachfolgenden Gründen zu dem Schluss gelangt, dass diese Referenzen mit den wesentlichen Leistungen des ausgeschriebenen Auftrags nicht vergleichbar sind:

– Ausgeschriebene Leistung Ausführungsplanung:

Die hinterlegten Referenzen enthalten nach den Feststellungen des Antragsgegners die technische Bearbeitung für den Ersatzneubau einer Geh- und Radwegbrücke mit einem Überbau aus Aluminium oder mit einem Überbau aus faserverstärktem Kunststoff (GFK) sowie für den Neubau zweier einfeldriger Brücken aus Spannbeton. Der Antragsgegner hat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass diese Projekte weder vom Umfang noch von der technischen Komplexität mit dem Ausschreibungsgegenstand vergleichbar sind. Die technische Bearbeitung wurde daher nicht als vergleichbare Leistung für die Ausführungsplanung der geforderten Bereiche (Neu- und Rückbau einer mehrfeldrigen Stahlverbundbrücke, Abbruch einer Spannbetonbrücke (Hoch straße), Neubau eines Tunnels inklusive Verbau, Umbau eines Bestandstrogs) bewertet.

– Neubau einer Stahlverbundbrücke inklusive Fangedämme:

Bei den von der Antragstellerin hinterlegten Referenzen handelte sich nach Feststellung des Antragsgegners um den Neubau der Geh- und Radwegbrücke aus Aluminium bzw. faserverstärktem Kunststoff sowie um den Neubau einer Spannbeton Brücke mit maximal 3 Brückenfeldern. Beide aufgeführten Projekte enthalten keine Stahlverbundbauwerke und wurden daher vom Antragsgegner als eine nicht vergleichbare Leistung in Bezug zum Ausschreibungsgegenstand bewertet.

– Abbruch einer Brücke aus Spannbeton (Hochstraße):

Die Referenzen der Antragstellerin beinhalten zum einen den Abbruch von Abstellflächen aus Stahlbeton an einem Flugplatz und zum anderen den Abbruch einer Geh- und Radwegbrücke aus Holz. Beide genannten Abbruchmaßnahmen sind mit dem ausgeschriebenen Abbruch der bestehenden Hoch straße über 16 Felder aus Spannbeton mit externer Vorspannung als Verstärkungsmaßnahme im innerstädtischen Raum weder bezüglich der Komplexität noch technisch vergleichbar.

– Tunnelbau in offener Bauweise mit Tunnelverbau (Schlitzwand, verankerte Unterwasserbetonsohle, Bohrpfahlwand, DS-Sohle):

Die von der Antragstellerin hinterlegte Referenz zum Neubau “…” umfasst unter anderem den Neubau von Schlitzwänden sowie die Herstellung einer verankerten Unterwasserbetonsohle und erfüllt nach den Feststellungen des Antragsgegners die Anforderungen daher in Teilbereichen. Es liegen jedoch keine Referenzen über den Neubau eines Tunnels insbesondere in der ausgeschriebenen Länge oder unter vergleichbaren Randbedingungen sowie über die Herstellung von Betonfall wenden oder einer DS-Sohle vor.

– Umbau des Bestandstroges der … (insbesondere Herstellung Bohrpfähle, DS-Sohle und DS-Wand):

Diesbezüglich umfasst die von der Antragstellerin hinterlegte Referenz zum Neubau “…” zwar den Neubau von Schlitzwänden sowie die Herstellung einer verankerten Unterwasserbetonsohle. Die Antragstellerin hatte jedoch im PQ-Verzeichnis keine Referenzen über den Umbau eines Bestandstroges oder den Neubau einer DSSohle, DS-Wand und Bohrpfahlwand hinterlegt, die mit den ausgeschriebenen Leistungen vergleichbar wären.

– Umbau der Verkehrsanlage (insbesondere …):

Diesbezüglich hat die Antragstellerin keine Referenzen im PQ-Verzeichnis über den Umbau einer Bestands straße bzw. von Verkehrsanlagen (z. B. Umbau einer Ortsdurchfahrt o. ä.) vorgelegt.

Der Antragsgegner hat somit nachvollziehbar dargelegt, dass die von der Antragstellerin im PQ-Verzeichnis hinterlegten Referenzen keine Leistungen betreffen, die vom Umfang und von den Anforderungen mit den verfahrensgegenständlichen, ausgeschriebenen Leistungen vergleichbar wären.

c. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat sie es vorliegend versäumt, mit dem Angebot ihre Eignung im Wege der Berufung auf Referenzen von Nachunternehmern im Rahmen einer Eignungsleihe darzulegen.

Gemäß § 6d EU Abs. 1 VOB/A kann sich ein Bewerber oder Bieter zum Nachweis seiner Eignung auf andere Unternehmen stützen – ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesem Unternehmen bestehenden Verbindungen (Eignungsleihe). In diesem Fall weist er dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nach, dass ihm die erforderlichen Kapazitäten zur Verfügung stehen werden, indem er die diesbezüglichen verpflichtenden Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.

Der Antragsgegner hatte in den Vergabeunterlagen festgelegt, welche Angaben die Bieter für den Fall einer Eignungsleihe sowie für den normalen Nachunternehmereinsatz mit dem Angebot und ggf. auf gesondertes Anfordern machen mussten, und die entsprechen Formblätter beigefügt.

In der Aufforderung zur Angebotsabgabe hat er festgelegt:

“C) Anlagen, die, soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen sind:



– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung

– HVA B-StB Unterauftrag-/Nachunternehmerleistungen

– HVA B-StB Erklärung Bieter-/Arbeitsgemeinschaft

– HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit

– HVA B-StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Eignungsleihe …

D) Anlagen, die ausgefüllt auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegen sind:

– HVA B-StB Verpflichtungserklärung

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung für alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung

– Anlage 2 zur Eigenerklärung Eignung_Formblatt Referenzen”


Unter Ziffer 3 der Aufforderung zur Angebotsabgabe hat der Antragsgegner zudem zu den Unterlagen, die mit dem Angebot einzureichen sind (3.1) auf den Vordruck HVA B-StB Vorzulegende Unterlagen (Abschnitt 1: “Mit dem Angebot vorzulegen”), und den Unterlagen, die auf gesondertes Verlangen vorzulegen sind (3.4), auf den Vordruck HVA B-StB Vorzulegende Unterlagen (Abschnitt 3: “Auf gesondertes Verlangen vorzulegen”) verwiesen.

Dort heißt es unter Abschnitt 1:

“Unterlagen, die mit dem Angebot abzugeben sind

Mit der Aufforderung bzw. EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe übersandte Vordrucke / Formblätter …

– HVA B-StB Unterauftrag-/ Nachunternehmerleistungen […]

– HVA B-StB Erklärung Bieter-/ Arbeitsgemeinschaft […] Unternehmensbezogene Unterlagen

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung

– HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit

– HVA B-StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit”


Unter Abschnitt 3 Unterlagen, die auf Verlangen der Vergabestelle vorzulegen sind, heißt es:

“Mit der Aufforderung bzw. EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe übersandte Vordrucke / Formblätter

– HVA B-StB Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen (nur bei EU-Verfahren)

– HVA B-StB Eigenerklärung zur Eignung für alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (falls keine PQ-Nummer vorhanden bzw. die PQ-Qualifizierung nicht einschlägig ist), alternativ Einheitliche Europäische Eigenerklärung Unternehmensbezogene Unterlagen für Bieter und alle Unterauftrag-/Nachunternehmer (Bestätigungen der Eigenerklärungen)

– Referenznachweise mit den im Formblatt Eigenerklärung zur Eignung genannten Angaben (Angabe zu Referenzen zur technischen Eignung gemäß Anlage 2 zur Eigenerklärung_Formular Referenzen)”


Die Antragstellerin hat vorliegend ausweislich ihres mit der Vergabeakte vorliegenden Angebotes im Formblatt Angebotsschreiben unter “Anlagen, die der Angebotswertung dienen, ohne Vertragsbestandteil zu werden” die Hinweise auf die Formblätter “HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit” und “HVA StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit” nicht angekreuzt.

Sie hat in der Folge gleichwohl diese Vordrucke – mit ihrem Firmenstempel versehen – ihrem Angebot beigefügt, aber nicht ausgefüllt.

Diese Versäumnisse der Antragstellerin sind unstreitig.

Die Antragstellerin vertritt aber gleichwohl die Auffassung, dass der Antragsgegner erkennen musste, dass das Angebot der Antragstellerin unter Einschluss einer Eignungsleihe unterbreitet wurde. Sie verweist darauf, dass sie nicht einfach nur hinsichtlich der Eignungsnachweise auf ihre Präqualifikation verwiesen habe, sondern vor allen Dingen bereits mit Angebotsabgabe die Anlage 2 zur Eigenerklärung Technische Leistungsfähigkeit – Formblatt Referenzen, eine Excel-Tabelle, vollständig ausgefüllt habe – jeweils aufgeschlüsselt für jede Referenzkategorie und den jeweils benannten Referenzinhaber. Dabei habe es sich für die einzelnen Maßnahmen nicht allein um die Antragstellerin selbst, sondern ausdrücklich auch um dritte Unternehmen gehandelt, die eben als Referenzgeber benannt worden seien. Dies sieht sie als die eigentliche “Fleißarbeit” bei der Erstellung des Angebotes an und als deutlichen Hinweis darauf, dass vorliegend eine Eignungsleihe gewollt war. Der Verweis auf die Präqualifikation, den die Antragstellerin handschriftlich auf Seite 1 unter I. vorgenommen hat, habe lediglich dazu gedient, dass dort weitere Angaben, die der Antragsgegner hinsichtlich der Eignung gefordert hatte, hinterlegt sind.

Dies hätte nach Auffassung der Antragstellerin vom Auftraggeber berücksichtigt werden müssen oder zumindest zum Gegenstand einer Aufklärung seitens des Auftraggebers gemacht werden müssen, wenn es für ihn nicht eindeutig gewesen sei.

Der Antragsgegner hat demgegenüber erklärt, dass das Angebot der Antragstellerin für ihn eindeutig, daher auch nicht auslegungsfähig gewesen sei, denn ein leeres Formblatt “Eignungsleihe” und ein damit korrespondierendes Nichtankreuzen der entsprechenden Verweise im Formblatt Angebotsschreiben könne nur dahin gehend verstanden werden, dass eine solche gerade nicht vorgesehen sei. Daran ändere auch das Einreichen von Verpflichtungserklärungen vorgesehener Nachunternehmer nichts, wenn die Antragstellerin in dem Formblatt zur Eignungsleihe keinerlei Eintragungen vorgenommen habe. Die Antragstellerin sei verpflichtet gewesen, ausdrücklich im Angebot geltend zu machen, dass sie sich zusätzlich zum beabsichtigten Nachunternehmereinsatz zum Nachweis der Eignung einer Eignungsleihe bedienen möchte.

Die Antragstellerin hält dem entgegen, dass diese Tabelle, Anlage 2, nur Sinn mache, wenn man Referenzen angibt, die entweder den Bieter selbst oder die Eignungsleiher betreffen, andernfalls hätte man dies nicht für dritte Unternehmen auflisten müssen, da es keinen Anlass gebe, für normale Nachunternehmer Referenzen beizufügen.

Im Streit steht der Erklärungsgehalt der Anlage 1 zur Eigenerklärung Eignung, Anforderungen zur technischen Leistungsfähigkeit. Dort heißt es auf Seite 6:

“Die Referenzen können von folgenden Beteiligten beigebracht werden: dem Bieter, einem Mitglied der Bietergemeinschaft. Für Leistungen, die nicht durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft erbracht werden müssen, dürfen Referenzen von folgenden Beteiligten beigebracht werden: einem benannten Nachunternehmer, der eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat, einem verbundenen Unternehmen, das eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat.”

Die Antragstellerin liest diese Voraussetzungen so, dass die benannten Nachunternehmer, die eine Verpflichtungserklärung abgegeben haben, und ein verbundenes Unternehmen, das eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat, nur dann Sinn machen, wenn sie im Wege der Eignungsleihe vom Bieter hinzugezogen werden. Die Anlage differenziere nicht zwischen normalen Nachunternehmern und solchen, die im Wege der Eignungsleihe zu berücksichtigen sind. Im Zusammenhang damit, dass dann auf die Excel-Tabelle (Anlage 2) verwiesen werde, konnte das aus Sicht des Bieters nur so zu deuten sein, dass hier (nur) dann dritte Unternehmen aufzuführen seien und als entsprechende Referenzgeber zu benennen waren, wenn diese im Wege der Eignungsleihe zu berücksichtigen waren.

Der Antragsgegner vertritt demgegenüber die Auffassung, dass dann, wenn die entsprechenden Formblätter HVA B-StB Eignungsleihe Wirtschaftliche und Finanzielle Leistungsfähigkeit sowie Technische und Berufliche Leistungsfähigkeit nicht ausgefüllt waren, sich daraus eben nicht ergab, dass hier der Nachunternehmer zugleich als Eignungsleiher berücksichtigt werden sollte. Von daher geht der Antragsgegner davon aus, dass er keinen Anlass hatte zu bezweifeln, dass vorliegend das Angebot der Antragstellerin als Einzelbieter abgegeben wurde und dass Referenzen Dritter bei der Eignungsprüfung nicht zu berücksichtigen waren.

Für die Auffassung des Antragsgegners, dass er aufgrund der von der Antragstellerin bereits mit Angebotsabgabe beigefügten, ausgefüllten Referenzliste (Anlage 2 zur Eigenerklärung) und der ebenfalls beigefügten Verpflichtungserklärungen für die X GmbH und die Y AG nicht davon ausgehen musste, dass die Antragstellerin sich zum Nachweis ihrer Eignung auf eine Eignungsleihe stützt, spricht jedoch nach Auffassung der Vergabekammer, dass die Anlage 2 wie auch die Vordrucke zur Verpflichtungserklärung nach den Festlegungen in der Vergabeakte ausdrücklich nicht nur für Eignungsleiher, sondern auch für “normale” Nachunternehmer vorzulegen waren, aber eben nicht mit Angebotsabgabe, sondern erst auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle. Dieses vom Antragsgegner festgelegte Procedere trägt auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Rechnung, der in einer Entscheidung vom 10.06.2008 – X ZR 78/07 (= VergabeR 5/2008, S. 782 ff.) – ausgeführt hat, dass es zwar ausdrücklich zumutbar ist, dass die Bieter bereits in ihrem Angebot Auskunft darüber geben müssen, ob für bestimmte Leistungsteile die Einschaltung eines Nachunternehmers vorgesehen ist. Demgegenüber hat der BGH aber die Zumutbarkeit bereits einer verbindlichen Benennung der Nachunternehmer diesem Stadium des Verfahrens infrage gestellt. Um dazu wahrheitsgemäße Erklärungen abgeben zu können, so der BGH, müssten sich die Bieter die Ausführung der fraglichen Leistungen von jeweils ins Auge gefassten Nachunternehmen bindend zusagen lassen. Angesichts des Umstandes, dass der Zuschlag nur auf ein Angebot ergehen könne, stehe die mit dieser Handhabung verbundene Belastung in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen für die Auftraggeber, da diese dadurch lediglich den zusätzlichen organisatorischen und zeitlichen Aufwand ersparten, die vorgesehenen Nachunternehmer zu gegebener Zeit nach Angebotsöffnung von einem engeren Kreis an Bietern zu erfragen (Frister in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 7. Aufl. 2020, VOB/A § 16 A, Rn. 13). Der Auftraggeber ist nur dann regelmäßig nicht gehindert, die Vorlage der Verfügbarkeitsnachweise schon mit dem Angebot zu verlangen, wenn er dafür ein berechtigtes und anerkennenswertes Interesse hat, wie zum Beispiel bei der Notwendigkeit einer speziellen Qualifikation (OLG Celle, Beschluss vom 02.10.2008 – 13 Verg 4/08 = Vergaberecht 2009, S. 77 = NZBau 2009, S. 58).

Die Eignungsleihe nach § 6d EU VOB/A 2019 ist vom “normalen” Nachunternehmereinsatz nach § 36 VgV zu unterscheiden. Im Rahmen der Eignungsleihe bedient sich ein Bieter der Kapazitäten dritter Unternehmen, um seine für die Ausschreibung geforderte Eignung nachzuweisen. Unterauftragsvergabe bedeutet, dass ein Unternehmen ein drittes Unternehmen mit der Ausführung des gesamten Auftrags oder von Teilen davon betraut.

Der Bieter hat im Angebot ausdrücklich oder zumindest konkludent, aber vom Empfängerhorizont her unmissverständlich geltend zu machen, dass er sich zum Nachweis der Eignung einer Eignungsleihe bedienen will (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 24.11.2021 – 1/SVK/032-21, zitiert nach ibr-online).

Die Aufklärungsmöglichkeit des § 15 EU Abs. 1 VOB/A erfordert aber, dass (überhaupt) ein klärungsbedürftiger Sachverhalt mit dem Angebot vorgelegt wird, da die Aufklärung anderenfalls zu einer unzulässigen Angebotsänderung führen würde. § 15 EU Abs. 1 VOB/A muss daher als eng auszulegende Ausnahmevorschrift angesehen werden, deren inhaltliche Reichweite folglich nur in einer klarstellenden Auslegung bzw. ergänzenden Information zum bereits vorgelegten Angebot gesehen werden darf (VK Sachsen, a. a. O.).

Vorliegend hat die Antragstellerin ausweislich ihres mit der Vergabeakte vorliegenden Angebotes nicht nur versäumt, im Formblatt Angebotsschreiben unter “Anlagen, die der Angebotswertung dienen, ohne Vertragsbestandteil zu werden” die Hinweise auf die Formblätter “HVA B-StB Eignungsleihe technische und berufliche Leistungsfähigkeit” und “HVA StB Eignungsleihe wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit” anzukreuzen. Sie hat zudem – damit korrespondierend – diese Vordrucke zwar mit ihrem Firmenstempel versehen, aber ihrem Angebot nur unausgefüllt beigefügt. Ein Widerspruch zwischen den diesbezüglichen Erklärungen der Antragstellerin im Angebotsanschreiben und in den Vordrucken, der Anlass zu Zweifeln hätte geben können, liegt somit aus dem Empfängerhorizont des Antragsgegners nicht vor.

Der Antragsgegner hatte daher keinen Anlass, in eine Angebotsaufklärung gemäß § 15 EU Abs. 1 VOB/A einzutreten.

d. Es ist schließlich auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner gemäß § 6d EU Abs. 4 VOB/A und § 47 Abs. 5 VgV für bestimmte Teilleistungen – Beton- und Stahlbetonarbeiten – die Selbstausführung gefordert hat. Der Antragsgegner hat diese Teilleistungen auch gemäß § 128 Abs. 2 GWB als besondere Ausführungsbedingungen in den Vergabeunterlagen wirksam zur Selbstausführung bestimmt. Diese Vorgabe beschränkt sich nicht auf Angebote von Bietergemeinschaften, sondern gilt ebenso für Einzelbieter und damit auch für die Antragstellerin.

Der Antragsgegner hat die Selbstausführung für die Hauptleistungen aus zwei von sechs Leistungseinheiten gefordert. In der Anlage 1 zur Eigenerklärung zur Eignung auf Seite 5 hat er das Selbstausführungsgebot wie folgt festgelegt:

“Die Hauptleistungen aus den Losen 1 – Behelfsbauwerk (Stahlverbundbrücke inkl. Gründung) und 3 – Tunnel (Baugrubenverbau und Tunnelbau) sind zwingend durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft zu erbringen. Für alle weiteren Leistungen ist die Eignungsleihe gemäß Vorgaben aus der HVA-B zulässig (s.u.).”

Die Antragstellerin hat die Vorgabe des Selbstausführungsgebots als unzulässig beanstandet. Ein solches könne nur ausnahmsweise für “bestimmte kritische Aufgaben” bei einem durch den konkreten Einzelfall veranlassten berechtigten Interesse vorgeschrieben werden. Dies könne allerdings nicht pauschal für wesentliche Teile der Leistung, wie hier für die Hauptleistungen von Los 1 und Los 3, vorgeschrieben werden. Eine Beschränkung des Einsatzes von Nachunternehmen müsse tatsächlich erforderlich sein, um das damit verfolgte Ziel einer ordnungsgemäßen Ausführung des Auftrags zu erreichen. Dabei könne die Gesamtvergabe mehrerer Lose kein Argument sein, einzelne Lose nun als “bestimmte kritische Aufgaben” eines Gesamtauftrages anzusehen. Es sei nicht ersichtlich, warum diese Leistungen, die Standardbauverfahren verlangen, die aus vielen einzelnen Teilleistungen bestehen würden, alle als kritisch anzusehen seien.

Die Vergabekammer teilt die Auffassung der Antragstellerin, dass es den Bietern grundsätzlich frei steht zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie Unterauftragnehmer im Auftragsfall einsetzen wollen. Das Vergaberecht kennt – im Grundsatz – kein Selbstausführungsgebot oder Fremdausführungsverbot des Bieters (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.12.2008 – Verg 51/08; Liebschwager in: Beck’scher Vergaberechts Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., § 36 VgV, Rn. 9). Solange der Bieter nachweisen kann, dass der Unterauftragnehmer die Leistungen im Zuschlagsfall übernimmt, darf er sich auf die Kapazitäten des Unterauftragnehmers stützen. Die Möglichkeit der Unterauftragnehmer soll für einen umfassenden Wettbewerb sorgen und auch kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu öffentlichen Aufträgen eröffnen (EuGH, Urteil vom 07.04.2016 – Rs. C-324/14 = NZBau 2016, Seite 373 ff., 374). Demgemäß darf der öffentliche Auftraggeber im Grundsatz auch keine Bedingungen vorgeben, die den Einsatz von Unterauftragnehmern einschränken (EuGH, ebenda).

Diese vorgenannten Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung des EuGH allerdings nicht uneingeschränkt. Liegen im Einzelfall außergewöhnliche Umstände vor, so dass die Zusammenfassung von Kapazitäten nicht den Anforderungen des Auftrags genügt und sich damit nicht für eine Übertragung auf einen Unterauftragnehmer eignet, kann eine Unterauftragsvergabe unzulässig sein (EuGH, Urteil vom 07.04.2016 – Rs. C-324/14 = NZBau 2016, Seite 373 ff., 375).

Im Zuge der Vergaberechtsreformen im April 2016 hat der Bundesgesetzgeber daher mit der Regelung des § 47 Abs. 5 VgV und in der Folge auch der Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) in § 6d EU Abs. 4 VOB/A für bestimmte Ausnahmefälle ein Selbstausführungsgebot eingeführt. Bei diesem Gebot handelt es sich um Ausführungsbestimmungen i. S. d. § 128 Abs. 2 GWB, die nicht in der Bekanntmachung benannt werden müssen, sondern auch in den Vergabeunterlagen benannt werden dürfen. Danach kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben, dass bestimmte kritische Aufgaben bei Dienstleistungs- oder Bauaufträgen direkt vom Bieter selbst oder im Fall einer Bietergemeinschaft von einem Teilnehmer der Bietergemeinschaft ausgeführt werden müssen. Diese für den Fall des Unterauftragnehmereinsatzes zum Zwecke der Eignungsleihe formulierte Ausnahme geht allerdings schon vom Wortlaut her davon aus, dass “nur bestimmte kritische Aufgaben”, nicht aber ein kompletter Auftrag dem Selbstausführungsgebot unterworfen werden dürfen. Unklar bleibt darüber hinaus auch unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe der RL 2014/24/EU bzw. der Gesetzesbegründung zu § 47 VgV, was eine “kritische Aufgabe” ist. Mit Blick auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis muss der Begriff der “kritischen Aufgabe” zwar grundsätzlich eng ausgelegt werden. Bei der Qualifizierung einer Aufgabe als “kritisch” steht dem Auftraggeber aber in Beachtung vor allem der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Wettbewerbs ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu, der einer Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich ist (Schranner in: Ingenstau/Korbion, VOB, 21. Aufl., § 6e EU VOB/A, Rn. 11).

Vom öffentlichen Auftraggeber ist zudem zu verlangen, dass er die Gründe, warum eine bestimmte Aufgabe über das übliche Maß bei entsprechenden Aufgaben hinaus besonders kritisch ist, herausarbeitet und entsprechend in der Vergabeakte in einer den Anforderungen des § 8 VgV genügenden Weise dokumentiert (Hausmann/Kern in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 47 VgV, Rn. 5; Mager in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Aufl., § 47 VgV, Rn. 48).

Die in der Vergabeakte dokumentierten Gründe des Antragsgegners für das Selbstausführungsgebot genügen diesen hohen Anforderungen. Der Antragsgegner hat in einem Vermerk “VE1 – Anforderungen zur technischen Leistungsfähigkeit: Selbstausführungsgebot kritischer Leistungen (LE1/LE3)” vom 03.01.2022 auf 4 Seiten ausführlich dargelegt, warum er die LE1 (Stahlverbundbrücke inklusive Gründung) und LE3 (Baugrubenverbau und Tunnelbau) im Sinne des § 6d Abs. 4 EU VOB/A als kritische Aufgaben bewertet. Er hat verkehrliche und volkswirtschaftliche Gründe, technische Gründe und Gründe der Qualitätssicherung durch Vermeidung der Beteiligung eines fachfremden Generalunternehmers angeführt.

Als verkehrliche und volkswirtschaftliche Gründe hat der Antragsgegner insbesondere angeführt, dass das Bauwerk über die … eine Restnutzungsdauer bis Ende 2023 habe. Infolge von Verzögerungen im Planfeststellungsverfahren könne der ursprüngliche Fertigstellungs- und Inbetriebnahmetermin des Behelfsbauwerks (Ende 2023) nicht mehr gehalten werden. Derzeit werde von einer Überschreitung der Restnutzungsdauer bis April 2024 ausgegangen. Sollte das Hilfsbauwerk bis zu diesem Zeitpunkt nicht fertiggestellt werden, komme es zu einer immer weiteren und starken Steigerung des Risikos von erforderlich werdenden Kompensationsmaßnahmen in Form von (Teil-) Sperrungen des Bauwerks, woraus sich unmittelbar verkehrlich unhaltbare Zustände im städtischen Straßennetz ergeben bzw. verlängern würden. In einer Untersuchung seien für den Fall der Sperrung des … ein volkswirtschaftlicher Mehraufwand durch vermeidbare Reisezeiterhöhungen und zusätzlichen Betriebskosten der Fahrzeuge von … Euro/Jahr (Stand 2017) ermittelt worden. Eine Verzögerung der Inbetriebnahme des Behelfsbauwerks um einen Monat führe damit zu einem volkswirtschaftlichen Schaden von ca. … Euro/Monat.

Als technische Gründe hat der Antragsgegner in dem Vermerk unter anderem angeführt, dass aufgrund der innerstädtischen Lage und den somit sehr beengten Platzverhältnissen ein Teil des Behelfsbauwerkes direkt neben dem derzeitigen Bestandsbauwerk auf der Verbauwand der späteren Tunnelbaugrube gegründet wird. Behelfsbauwerk und Baugrubenverbau könnten aus statischer Sicht sowie im Hinblick auf die Herstellung und Gewährleistung einer dichten Baugrube nicht voneinander getrennt werden. Insgesamt würden sich starke räumliche, statische sowie zeitliche Wechselwirkungen insbesondere zwischen den beiden Leistungseinheiten LE1 (Behelfsbauwerk) und LE3 (Tunnel, Verbau) und den weiteren Leistungseinheiten innerhalb der VE1, aber auch zu den weiteren (Bau-) Vergabeeinheiten ergeben. Infolge statischer Abhängigkeiten sowie komplexen Zusammenhängen, Abhängigkeiten und Auswirkungen der LE3 auf die LE1 und weil der Tunnel Kern der Maßnahme sei, stellten auch die Leistungen der LE3 (Baugrubenverbau und Tunnelbau) kritische Leistungen dar. Infolgedessen habe der Antragsgegner die Leistungseinheiten 1 und 3 als kritische Leistungen der Vergabeeinheit 1 bewertet.

Die Vergabekammer vertritt die Auffassung, dass der vorliegende Auftragsgegenstand auch unter Berücksichtigung des strengen Ausnahmecharakters des § 6d EU Abs. 4 VOB/A ein Selbstausführungsgebot durchaus trägt. Die vertragsgegenständlichen Teilleistungen sind als besonders anspruchsvolle und durchaus kritische Aufgaben zu qualifizieren. Der Antragsgegner hat sich bei Festlegung im Rahmen des den öffentlichen Auftraggebern zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums gehalten. Er hat daher zu Recht entschieden, welche kritischen Aufgaben vom Auftragnehmer selbst durchzuführen sind.

Die Antragstellerin musste entgegen ihrer Auffassung auch davon ausgehen, dass sie als Einzelbieter das Selbstausführungsgebot einhalten muss, auch wenn in der Anlage 1 zur Eigenerklärung zur Eignung auf Seite 5 von Hauptbauleistungen, die “zwingend durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft zu erbringen sind”, die Rede ist. Auch bei Bietergemeinschaften handelt es sich um einen Bieter, so dass selbstverständlich auch “Einzelbieter” angesprochen sind. Dementsprechend richtet sich das Selbstausführungsgebot nach dem Wortlaut des § 6d EU Abs. 4 VOB/A ausdrücklich an den Bieter selbst und betrifft daher Einzelbieter und Bietergemeinschaften.

Der Nachprüfungsantrag war daher zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB in der seit dem 18.04.2016 geltenden Fassung (Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) vom 17.02.2016 (BGBl. I, S. 203), in Kraft getreten gemäß dessen Art. 3 am 18.04.2016).

Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 Euro, die Höchstgebühr 50.000 Euro und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 Euro.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 Euro zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. Euro (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 – 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Der Gegenstandswert wird auf … Euro (brutto) festgelegt. Dieser Betrag entspricht der vom Antragsgegner geprüften Angebotssumme der Antragstellerin und damit ihrem Interesse am Auftrag.

Bei einer Gesamtsumme von … Euro ergibt sich eine Gebühr in Höhe von … Euro. Es greift daher zugunsten der Verfahrensbeteiligten die oben geschilderte Kappung auf … Euro als Höchstgebühr. Das OLG Celle hat in einem anderen Fall bei ähnlicher Komplexität diese Gebührenhöhe als angemessen angesehen (OLG Celle, Kostenbeschluss vom 19.11.2018, 13 Verg 6/18; vorhergehend VK Niedersachsen, Beschluss vom 07.08.2018; VgK-19/2018). Aufwand und wirtschaftliche Bedeutung des Falles sind außergewöhnlich hoch. Der Antragsgegner vergibt einen sehr komplexen und sehr umfangreichen Bauauftrag. Die gekappte Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag in der Hauptsache keinen Erfolg hatte.

Aufwendungen des Antragsgegners:

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragstellerin dem Antragsgegner die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten.

Angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren in der Hauptsache unterlegen ist, hat sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung erforderlichen Kosten des Antragsgegners zu tragen. Der Antragsgegner war jedoch im Nachprüfungsverfahren nicht durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin, sondern durch eine eigene Justitiarin vertreten.

(…)

VertragsMan ® Bau: Entscheidungen im Volltext

VertragsMan ® Bau: Entscheidungen im Volltext

“Durchgereichter” Stundenaufwand kann nicht pauschal bestritten werden

vorgestellt von Thomas Ax

1. Zur schlüssigen Darlegung seines Vergütungsanspruchs muss der Unternehmer im Fall der Abrechnung nach Stundenlohn lediglich die Anzahl der geleisteten Stunden darlegen. Nachweise wie etwa Rapportzettel sind keine Voraussetzung der schlüssigen Darlegung, auch ist keine Differenzierung erforderlich, welche Arbeitsstunden für welche Tätigkeiten an welchen Tagen angefallen sind.

2. Der Besteller darf im Regelfall ohne nähere Darlegung bestreiten, dass die abgerechneten Stunden tatsächlich angefallen sind und muss nicht zu den aus seiner Sicht geleisteten Stunden vortragen. Etwas anderes gilt, wenn der Besteller Kenntnis darüber hat, welche Stunden angefallen sind.

3. Für den Einwand, dass in Relation zu dem vereinbarten Werkerfolg ein überhöhter zeitlicher Aufwand betrieben worden ist, ist der Besteller darlegungs- und beweispflichtig.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.09.2022 – 22 U 304/21

Gründe:

Auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 02.08.2022 wird Bezug genommen. Die Stellungnahmen der Beklagten und der Streithelferin führen nicht zu einer günstigeren Beurteilung der Erfolgsaussicht.

Der Senat hält an der Würdigung fest, dass die Beklagte, die sich des Klägers als Nachunternehmers bedient hat und selbst Stundenaufwand gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat, den abgerechneten Zeitaufwand nicht pauschal – gleichsam mit Nichtwissen – bestreiten kann. Mit dem weiteren Hinweis des Senats, dass die Beklagte fachkundig ist und daher angeben könnte und müsste, welcher Zeitaufwand für die durchgeführten Arbeiten als angemessen erscheint, befassen sich die Beklagte und die Streithelferin nicht. Der Senat hat auf das Urteil des OLG Celle verwiesen, um zu belegen, dass abhängig von den Umständen des Einzelfalls ein einfaches Bestreiten des Zeitaufwands nicht stets ausreichend ist. Dass das Urteil nicht “einschlägig” ist, ändert an dieser Bewertung nichts. Nicht richtig ist die Ansicht der Beklagten, es sei unstreitig, dass der Kläger auch Mängelbeseitigungsaufwand abrechne. Aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils, an den der Senat gebunden ist (§ 314 ZPO), ergibt sich das Gegenteil. Dort ist als streitiger Vortrag der Beklagten wiedergegeben, dass die Stundenzettel deshalb unrichtig seien, weil sie auch Stunden enthielten, die der Kläger zur Mängelbeseitigung aufgewendet habe.

Die als N2 bis N5 vorgelegten Schreiben sind an die Beklagte gerichtet und betreffen den Ausführungszeitraum. Welche Mängel derzeit noch vorliegen und daher ein Leistungsverweigerungsrecht rechtfertigen könnten, ergibt sich aus den Schreiben nicht. Die Schreiben erlauben auch keine Lokalisation der von der Beklagten behaupteten Mängel, weil es an einer Verknüpfung der Schreiben mit dem Vortrag der Beklagten fehlt. Zu den weiteren Hinweisen des Senats betreffend die Mängel nimmt die Streithelferin nicht Stellung.

Der Verweis der Streithelferin auf die Vereinbarung vom 25.11.2019 (Anlage N1) ist nicht geeignet, um ein Mißverhältnis zwischen dem abgerechneten Stundenaufwand und dem Werkerfolg darzutun. Aus dem Schreiben ergibt sich lediglich, dass sich die Beklagte und die Streithelferin auf eine Abrechnung der Fliesenarbeiten zum Einheitspreis von 25,00 EUR/qm “im Mittel” geeinigt haben. Warum daraus folgen sollte, dass der Stundenaufwand der Klägerin überhöht ist, erschließt sich nicht. So werden sich häufig unterschiedlich hohe Werklohnansprüche ergeben, je nachdem, ob der Unternehmer eine nach Einheitspreisen oder Stundenlohn berechnete Vergütung erhalten soll. Für die Darlegung eines überhöhten Stundenaufwand genügt es gerade nicht, dass lediglich vorgetragen wird, der Werklohn sei unangemessen hoch oder entspreche nicht der Üblichkeit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 S. 2, 713 ZPO.

Berufungsstreitwert: 19.133,14 EUR.

Tiefbaurecht: Aktuelle Rechtsprechung – kurz belichtet

Tiefbaurecht: Aktuelle Rechtsprechung - kurz belichtet

vorgestellt von Thomas Ax

Tiefbauer darf auf angegebene Leitungstiefe vertrauen

LG Rostock, Urteil vom 20.01.2023 – 2 O 260/22

1. Ein Tiefbauunternehmer hat sich vor der Durchführung von Erdarbeiten an öffentlichen Straßenflächen nach der Existenz und dem Verlauf unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen zu erkundigen. Er muss sich Gewissheit über die Verlegung von Versorgungsleitungen im Boden verschaffen.

2. Um den unverhältnismäßig hohen Gefahren, die durch eine Beschädigung von Strom-, Gas-, Wasser- oder Telefonleitungen hervorgerufen werden können, zu begegnen, ist mit äußerster Vorsicht vor allem bei der Verwendung von Baggern und anderem schweren Arbeitsgerät vorzugehen.

3. Dort, wo entsprechend zuverlässige Unterlagen vorhanden sind, muss sich der Tiefbauunternehmer über den Verlauf von Versorgungsleitungen erkundigen; im Rahmen der allgemeinen technischen Erfahrung hat er sich die Kenntnisse zu verschaffen, welche die sichere Bewältigung der auszuführenden Arbeiten voraussetzt.

4. Es besteht eine Erkundigungspflicht gegenüber den zuständigen Versorgungsunternehmen. Wenn dies nicht weiterhilft, hat sich der Tiefbauunternehmer die erforderliche Gewissheit durch andere geeignete Maßnahmen zu verschaffen, etwa durch Probebohrungen oder Ausschachtungen von Hand in dem Bereich, den er ausheben will.

5. Hat der Tiefbauunternehmer seine Erkundigungspflichten erfüllt, trifft ihn an der Beschädigung eines Glasfaserkabels kein Verschulden, wenn dessen Tiefenlage konkret mit ca. 0,7 m benannt wurde, es sich jedoch in einer Tiefe von ca. 3,30 m befindet.

Privatgutachterkosten sind auch im selbständigen Beweisverfahren erstattungsfähig

OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.02.2023 – 6 W 14/23

Ist eine Partei eines selbständigen Beweisverfahrens aus eigener Sachkunde nicht in der Lage, sich sachgerecht mit einem gerichtlich eingeholten oder von der Gegenseite vorgelegten Gutachten auseinanderzusetzen, insbesondere weil ihr aufgrund einer komplizierten und fremden Materie das erforderliche Spezialwissen fehlt, sind die Kosten für ein verfahrensbegleitendes Privatgutachten in aller Regel zur Ermöglichung eines substantiierten Sachvortrags notwendig (Anschluss an BGH, IBR 2013, 252).

Baustromklausel mit Abrechnungsoption ist wirksam

OLG Hamm, Urteil vom 22.09.2022 – 24 U 65/21

1. Eine sog. Baustromklausel, wonach der Auftraggeber von der Schlussrechnung des Auftragnehmers 0,3 % der Schlussrechnungssumme in Abzug bringen darf, benachteiligt den Auftragnehmer jedenfalls dann nicht unangemessen, wenn die Klausel die Option einer Abrechnung nach tatsächlichem Verbrauch enthält (Abgrenzung zu OLG Hamburg, IBR 2017, 183).

2. Die Leistung des Auftragnehmers ist auch dann mangelhaft, wenn sie die vereinbarte Funktion nur deshalb nicht erfüllt, weil die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellte Vorunternehmerleistung unzureichend sind.

3. Der Verantwortlichkeit für den Mangel kann der Auftragnehmer im Fall einer unzureichenden Vorunternehmerleistung nur durch eine ausreichende Prüfung des Vorgewerks und einen sich daran anschließenden Bedenkenhinweis gegenüber dem Auftraggeber entgehen.

4. Übernimmt der Auftragnehmer die Ausführung in Kenntnis, dass eine Planung nicht zur Verfügung steht, kann er sich – jedenfalls ohne entsprechenden Bedenkenhinweis – nicht auf ein Mitverschulden des Auftraggebers berufen.

5. Das Verschulden eines Vorunternehmers ist dem Auftraggeber nicht zuzurechnen, da der Vorunternehmer regelmäßig nicht – anders als der Architekt bei der Planung – Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers im Verhältnis zum (Nachfolge-)Auftragnehmer ist.

6. Es gehört auch zur Mangelbeseitigung, die Gewerke, die notwendigerweise bei der Nachbesserung zerstört werden, wieder herzustellen.

Vertragsman ® Bau: Die Hervorzuhebende Entscheidung

Vertragsman ® Bau: Die Hervorzuhebende Entscheidung

BGH: Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam

vorgestellt von Thomas Ax

Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, hält § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.

Tatbestand

Die Beklagte war Hauptauftragnehmerin hinsichtlich eines Teils des Ausbaus der Stadtbahnlinie der S. GmbH. Mit den entlang der Stadtbahntrasse durchzuführenden Straßen- und Tiefbauarbeiten beauftragte die Beklagte im Jahr 2004 die Klägerin als Nachunternehmerin. Die Parteien unterzeichneten hierzu im Oktober 2004 ein Verhandlungsprotokoll, durch das unter anderem auch die VOB/B in der jeweils geltenden Fassung in den Vertrag einbezogen wurde. Die Auftragssumme belief sich auf 3.031.527,96 € netto.

In dem Leistungsverzeichnis, das von der S. GmbH stammte und von der Beklagten an die Klägerin weitergereicht wurde, heißt es in Bezug auf den Straßenbord unter anderem “Rückenstütze aus Beton B 25 nach Zeichnung herstellen” und “Unterbeton B 25 liefern und nach Zeichnung herstellen”. Zwischen den Parteien ist streitig, ob sich die geschuldete Betonfestigkeitsklasse B 25 (entspricht der neuen Bezeichnung C 20/25) auf den Beton im angelieferten (Auffassung der Klägerin) oder im verbauten Zustand (Auffassung der Beklagten) bezieht.

Während der Bauausführung rügte die Beklagte am 3. August 2006 die Qualität des verbauten Betons an einem bestimmten Straßenabschnitt und verlangte von der Klägerin unter Fristsetzung bis zum 11. August 2006 Mangelbeseitigung. Mit weiteren Schreiben vom 4., 8., 10. und 11. August 2006 wiederholte und konkretisierte die Beklagte die Mängelrügen, setzte der Klägerin Fristen zur Mangelbeseitigung bis zum 16. beziehungsweise 18. August 2006 (jeweils 10 Uhr) und drohte für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs die außerordentliche Kündigung des ganzen oder eines Teils des Auftrags sowie die Mangelbeseitigung auf Kosten der Klägerin an. Am 14. August 2006 übersandte die Klägerin der Beklagten ein Gutachten, aus dem hervorging, dass mit dem gelieferten Beton der Festigkeitsklasse C 20/25 eine Endfestigkeit von B 15 beziehungsweise C 12/15 erreicht werden könne. Die Beklagte übersandte ihrerseits der Klägerin am 17. August 2006 ein Gutachten, wonach der Beton in sieben Fällen nur die Festigkeitsklasse C 12/15 und in vier Fällen die Festigkeitsklasse C 8/10 erreichte, somit die Endfestigkeit der Klasse C 20/25 nicht entspreche.

Die Klägerin kam dem Verlangen nach Beseitigung der behaupteten Mängel, welche mit einem Aufwand von ca. 6.000 € bei laufendem Baubetrieb in zwei bis drei Arbeitstagen hätte erledigt werden können, nicht nach. Die Beklagte kündigte nach Fristablauf am 18. August 2006 den Bauvertrag hinsichtlich aller zu diesem Zeitpunkt noch nicht erbrachten Arbeiten.

Die Klägerin begehrt in dem Rechtsstreit Restwerklohn in Höhe von 2.465.744,23 €. Die Beklagte verlangt widerklagend die Zahlung von 4.152.902,75 € als Kosten der Ersatzvornahme, ferner die teilweise Rückzahlung von Abschlagszahlungen (387.332,31 €), Schadensersatz (90.729,80 €), Ersatz von Avalgebühren (40.500 €) und – bezogen auf weitere von ihr behauptete Mängel – Ausgleich von Mängelbeseitigungskosten (209.382,83 €) sowie die Feststellung, dass die von ihr behaupteten Mängel vorliegen. Weiter haben die Parteien wechselseitig beantragt, durch Zwischenfeststellungsurteil festzustellen, dass die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) (Antrag der Klägerin) beziehungsweise eine “berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund (Entziehung des Auftrags gemäß § 8 Nr. 3 VOB/B a.F.)” (Antrag der Beklagten) gewesen sei.

Das Landgericht hat durch Teilurteil festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) gewesen sei. Die Widerklage der Beklagten hinsichtlich der kündigungsbedingten Ersatzvornahmekosten sowie ihre Zwischenfeststellungswiderklage hat es abgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Teilurteil des Landgerichts abgeändert. Es hat die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin abgewiesen und auf die Zwischenfeststellungswiderklage der Beklagten festgestellt, dass es sich bei der Kündigung um eine “Kündigung gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B handelt”. Des Weiteren hat es festgestellt, dass die Widerklage bezogen auf die Ersatzvornahmekosten in Höhe von 4.152.902,75 € dem Grunde nach begründet ist. Im Übrigen hat es das Teilurteil des Landgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Teilurteils.

Gründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis zwischen den Parteien ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung anzuwenden, die für ab dem 1. Januar 2002 und bis zum 31. Dezember 2017 geschlossene Verträge gilt, Art. 229 § 5 Satz 1, § 39 EGBGB.

I.

Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Klägerin als vertragliches Leistungssoll Beton der Festigkeitsklasse B 25 (C 20/25) im eingebauten Zustand geschuldet, aber nicht erreicht habe, weshalb die Beklagte den Bauvertrag nach Ablauf der unter Kündigungsandrohung gesetzten und angemessenen Frist zur Mangelbeseitigung mit Schreiben vom 18. August 2006 gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) wirksam habe kündigen können.

Eine von der Klägerin angeführte Unwirksamkeit von § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) wegen Verstoßes gegen AGB-Recht stehe der Kündigung nicht entgegen. Im Grundsatz gelte, dass dann, wenn die VOB/B als Ganzes vereinbart worden sei, eine isolierte Inhaltskontrolle einzelner VOB/B-Bestimmungen auf der Grundlage der §§ 305 ff. BGB nicht in Betracht komme. Diesen Grundsatz habe der Bundesgerichtshof dahingehend eingeschränkt, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führe, dass diese nicht als Ganzes vereinbart sei und eine Inhaltskontrolle möglich werde. Werde die VOB/B gegenüber einem Unternehmer verwendet, stelle sich seit dem Inkrafttreten des Forderungssicherungsgesetzes zum 1. Januar 2009 im Hinblick auf § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB die Frage, wann von einer substanziellen Änderung der VOB/B auszugehen sei, nicht mehr. Der streitgegenständliche Bauvertrag datiere allerdings aus der Zeit vor dem 1. Januar 2009.

Es sei nicht zu erkennen, dass die VOB/B in Bezug auf den streitgegenständlichen Vertrag substanziell abgeändert worden sei. Die Klägerin verweise zwar auf die Regelung der Verjährungsfrist der Gewährleistungsansprüche in Nr. 19 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen. Eine solche Änderung der Frist unterstellt, stünde dies der Annahme nicht entgegen, dass die VOB/B als Ganzes vereinbart worden sei. Nehme man das an, dann gelte auch vor dem 1. Januar 2009 der allgemeine Grundsatz, dass eine Inhaltskontrolle einzelner Klauseln nicht stattfinde, ohne dass es auf die Frage ankommen würde, ob die Beklagte überhaupt Verwenderin der VOB/B (2002) gewesen sei. Soweit in der Literatur der Standpunkt vertreten werde, dass gerade die § 4 Abs. 7, § 8 Abs. 3 VOB/B einer AGB-Inhaltskontrolle nicht standhielten, sei eine schlüssige Begründung für diese Annahme nicht erkennbar. Lasse sich nicht erkennen, dass durch den streitgegenständlichen Vertrag die VOB/B auch nur in Einzelpunkten substanziell habe geändert werden sollen, bestünden gegen die Wirksamkeit von § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) keine Bedenken.

II.

Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine wirksame Kündigung des Vertrags durch die Beklagte nach § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) nicht angenommen werden. Deshalb können weder die Entscheidung über die wechselseitigen Zwischenfeststellungsklagen noch das Grundurteil betreffend die Ersatzvornahmekosten Bestand haben.

1. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Beklagte Verwenderin der VOB/B ist. Die Verwendereigenschaft der Beklagten ist daher revisionsrechtlich zu unterstellen.

2. Danach hat das Berufungsgericht die Eröffnung der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB rechtsfehlerhaft abgelehnt.

a) Das Berufungsgericht hat zu Unrecht für die Eröffnung der Inhaltskontrolle eine substanzielle Änderung der VOB/B durch zwischen den Parteien vereinbarte vertragliche Regelungen verlangt.

aa) Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1982 (VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135) unterlagen die Klauseln der VOB/B, die als vorformulierte Vertragsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 1 Satz 1 BGB sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2008 – VII ZR 55/07 Rn. 10 m.w.N., BGHZ 178, 1), keiner Inhaltskontrolle, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hatte. Begründet wurde das damit, dass die VOB/B im Gegensatz zu anderen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht nur die Interessen einer Vertragspartei verfolge, sondern im Ganzen einen einigermaßen ausgewogenen Ausgleich der beteiligten Interessen enthalte (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1982 – VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135, juris Rn. 27 ff.). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 22. Januar 2004 dahingehend modifiziert, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist, unabhängig davon, welches Gewicht der Eingriff hat. Damit ist die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen. Ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen “ausgeglichen” werden, ist unerheblich (BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – VII ZR 419/02, BGHZ 157, 346, juris Rn. 11).

bb) Danach ist – anders als vom Berufungsgericht angenommen – für die Eröffnung der Inhaltskontrolle eine substanzielle Abänderung der VOB/B nicht erforderlich. Dies gilt auf Grund der vorgenannten Rechtsprechung ungeachtet des Umstands, dass der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag aus der Zeit vor dem 1. Januar 2009 und damit vor Einführung von § 310 1 Satz 3 BGB datiert.

b) Die Inhaltskontrolle nach § 307 1 Satz 1 BGB ist eröffnet, weil nach dem zugunsten der Revision zu unterstellenden Sachverhalt die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart war. Das Berufungsgericht hat – wie die Revision zu Recht rügt – entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin unberücksichtigt gelassen, obwohl er für die Beurteilung, ob die VOB/B (2002) als Ganzes zwischen den Parteien vereinbart worden ist, erheblich war. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2019 vorgetragen, dass in den ursprünglich zwischen der S. GmbH und der Beklagten vereinbarten Besonderen Vertragsbedingungen, die auch in das Vertragsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten einbezogen worden seien, mehrere im einzelnen benannte Regelungen von denen der VOB/B (2002) abweichen. So weicht, was die Klägerin zutreffend aufgezeigt hat, Ziffer II. 2. Abs. 3, wonach die Einheitspreise fest und unveränderbar sind, von § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) ab. Die Regelung in Ziffer II. 11. Abs. 1, der zufolge der Auftraggeber Abschlagszahlungen bis zu 90 % der nachgewiesenen Leistungen zu leisten hat, modifiziert § 16 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002), da hiernach Abschlagszahlungen in Höhe von 100 % des Wertes der jeweils nachgewiesenen vertragsgemäßen Leistungen einschließlich des ausgewiesenen, darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrages zu gewähren sind.

Unter Berücksichtigung dieses Vortrags ist die VOB/B nicht mehr als Ganzes zwischen den Parteien vereinbart, ohne dass es auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage ankommt, welche Bedeutung der Regelung der Verjährungsfrist in Ziffer Nr. 19 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen zukommt.

III.

Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO) dar.

1. Ist die Beklagte Verwenderin der VOB/B und ist diese nicht als Ganzes vereinbart, kann die Beklagte die von ihr am 18. Juni 2006 ausgesprochene Kündigung nicht auf § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) stützen. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) hält ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002), die inhaltlich den derzeit geltenden § 4 Abs. 7 Satz 3, § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2016) entspricht, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.

a) Nach § 8 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) kann der Auftraggeber den Vertrag kündigen, wenn im Falle des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) die dem Auftragnehmer gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist (Entziehung des Auftrags). Die Klausel in § 4 Nr. 7 VOB/B (2002), auf die sich dieses Kündigungsrecht bezieht, sieht in Satz 1 vor, dass der Auftragnehmer Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen hat. Kommt der Auftragnehmer der Pflicht zur Beseitigung des Mangels nicht nach, kann ihm gemäß Satz 3 der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe (§ 8 Nr. 3). § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) enthält mithin nicht selbst einen Kündigungsgrund, sondern greift rückbeziehend das in § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) tatbestandlich geregelte Kündigungsrecht unter den dort niedergelegten Voraussetzungen auf. Die derart wechselbezüglich miteinander verknüpften Regelungen stellen allgemeiner Auffassung zufolge einen Anwendungsfall des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund dar (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Lederer, 8. Aufl. 2023, VOB/B § 8 Rn. 93).

b) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob § 4 7 Satz 3 VOB/B (2002) wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist (für die Unwirksamkeit Ingenstau/Korbion/Sienz, VOB Teile A und B, 22. Aufl., Anh. 3 Rn. 72; Kniffka/Jurgeleit/Schmitz, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand: 15. November 2021, § 648a Rn. 89 ff.; Bolz/Jurgeleit/Karczewski, ibr-online Kommentar VOB/B, Stand: 24. August 2022, § 4 Rn. 368, 372; Bedenken an der Wirksamkeit äußernd Gartz in Nicklisch/Weick/Jansen/Seibel, VOB/B, 5. Aufl., § 4 Rn. 209 f.; Messerschmidt/Voit/Voit, Privates Baurecht, 4. Aufl., § 4 VOB/B Rn. 38; Glöckner/v. Berg/Vogelheim, Bau- und Architektenrecht, 2. Aufl., Teil III, § 4 Rn. 28; Leinemann/Kues/Geheeb, BGB-Bauvertragsrecht, 1. Aufl., § 648a Rn. 92; Graf von Westphalen/Thüsing/Pamp/Schmidt, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 48. EL. März 2022, “Bauvertrag”, Rn. 22; Schenke, BauR 2008, 1972, 1977; für die Wirksamkeit OLG Koblenz, Urteil vom 28. Juli 2020 – 4 U 1282/17, juris Rn. 87 ff.; LG Bremen, Zwischenurteil vom 20. Juni 2019 – 2 O 2021/10, juris Rn. 122 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Juni 2007 – 3 U 31/07, juris Rn. 15 ff.; Schrader, jurisPR-PrivBauR 5/2020 Anm. 3).

c) Der Senat entscheidet die Frage dahingehend, dass § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen einer Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die Klauseln benachteiligen den Auftragnehmer unangemessen und sind deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

aa) Nach § 307 1 Satz 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2017 – VII ZR 170/16 Rn. 17, BauR 2017, 1202). Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders wird nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vermutet, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und damit für die Bestimmung der für die Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung heranzuziehenden wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der Vertragsschluss (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2014 – VIII ZR 344/13 Rn. 31 m.w.N., BGHZ 201, 363). Entscheidend sind die durch die Klausel konkret verdrängten gesetzlichen Vorschriften, die im Streitfall auf das vertraglich begründete Rechtsverhältnis anwendbar wären (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1987 – VII ZR 185/86, BGHZ 102, 41, juris Rn. 20). Die “gesetzlichen Regelungen” im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfassen dabei nicht nur Gesetze im materiellen Sinn, sondern auch ungeschriebenes Recht, wozu auch das Richterrecht sowie die von der Rechtsprechung und Rechtslehre durch Auslegung, Analogie oder Rechtsfortbildung aus den allgemeinen Grundgedanken eines Rechtsgebiets oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung aus der Natur eines Schuldverhältnisses erarbeiteten und anerkannten Rechtssätze gehören (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2002 – XI ZR 245/01, BGHZ 150, 269, juris Rn. 23). Die Vermutung ist widerlegt, wenn die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild auf Grundlage einer umfassenden Interessensabwägung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt ist (BGH, Urteil vom 27. April 2021 – XI ZR 26/20 Rn. 24 m.w.N., BGHZ 229, 344).

bb) Die Regelung in § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) unterliegt uneingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung. Zwar sind Allgemeine Geschäftsbedingungen keine Rechtsnormen, so dass ihre Auslegung grundsätzlich Sache des Tatrichters ist. Sie sind aber wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und infolgedessen vom Revisionsgericht frei auszulegen, da bei ihnen ungeachtet der Frage, ob sie über den räumlichen Bezirk eines Berufungsgerichts hinaus Verwendung finden, ein Bedürfnis nach einheitlicher Handhabung besteht (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 41, BGHZ 210, 206; Urteil vom 9. April 2014 – VIII ZR 404/12 Rn. 25, BGHZ 200, 362; Urteil vom 13. November 2012 – XI ZR 500/11 Rn. 15, BGHZ 195, 298).

cc) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind gemäß ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Dabei ist in erster Linie der Wortlaut der auszulegenden Klausel maßgeblich. Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch für die VOB/B (BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – VII ZR 5/15 26 m.w.N., BGHZ 206, 203).

Ist der Wortlaut nicht eindeutig, kommt es entscheidend darauf an, wie die Klausel aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 22, RdE 2022, 23). Dabei sind auch der Sinn und Zweck einer Klausel sowie systematische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Eine Formularklausel ist vor dem Hintergrund des gesamten Formularvertrags zu interpretieren (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 23, RdE 2022, 23; Urteil vom 10. Juni 2020 – VIII ZR 289/19 Rn. 30, MDR 2020, 1047, jeweils m.w.N.). Sind nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsregeln mehrere Auslegungen rechtlich vertretbar, gehen Zweifel bei der Auslegung gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Außer Betracht bleiben Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2022 – VII ZR 176/20 Rn. 30, NJW 2022, 2467; Urteil vom 20. Juli 2017 – VII ZR 259/16 Rn. 19, BauR 2017, 1995; Urteil vom 5. November 2015 – VII ZR 59/14 Rn. 21 m.w.N., NJW 2016, 242). Nach diesen Grundsätzen ist auch im Individualprozess gemäß § 305c Abs. 2 BGB die kundenfeindlichste Auslegung zugrunde zu legen, wenn diese im Rahmen einer vorzunehmenden Inhaltskontrolle zur Unwirksamkeit der Klausel führt und dadurch den Vertragspartner des Verwenders begünstigt (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 42, BGHZ 210, 206, jeweils m.w.N.).

dd) Nach diesen Grundsätzen ist für § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) von einem Klauselverständnis auszugehen, wonach bei ganz geringfügigen und unbedeutenden Vertragswidrigkeiten oder Mängeln die Kündigung aus wichtigem Grund eröffnet ist.

(1) Nach dem Wortlaut von § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) kann der Auftraggeber dem Auftragnehmer den Auftrag entziehen, wenn eine mangelhafte oder vertragswidrige Leistung in der Ausführungsphase aufgetreten ist, die der Auftragnehmer trotz Fristsetzung und Kündigungsandrohung nicht beseitigt hat. Weitere Voraussetzungen im Hinblick darauf, dass die Kündigung nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) eine solche aus wichtigem Grund ist, enthalten weder § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) noch § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002).

Die Sanktion der Kündigung aus wichtigem Grund kann danach einschränkungslos in jedem denkbaren Fall festgestellter Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit ausgesprochen werden. Diese Möglichkeit besteht losgelöst davon, welches Gewicht der Vertragswidrigkeit oder dem Mangel im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zukommt. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) differenziert nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels, so dass selbst unwesentliche Mängel, die den Auftraggeber nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigen würden, zur Kündigung aus wichtigem Grund führen können.

Die Fristsetzung und die Auftragsentziehungsandrohung sind lediglich als einzuhaltende Förmlichkeiten formuliert, so dass der Auftraggeber den Vertrag auch dann aus wichtigem Grund kündigen kann, wenn der Fristsetzung kein anerkennenswertes eigenes Interesse an der fristgerechten Beseitigung der vertragswidrigen oder mangelhaften Leistung zugrunde liegt oder die Auftragsentziehung angedroht wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse an der vorzeitigen Vertragsbeendigung besteht.

(2) Aus der systematischen Stellung und dem Regelungszusammenhang der Klauseln ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass ganz geringfügige und unbedeutende Vertragswidrigkeiten oder Mängel kein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund begründen könnten. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) knüpft an das dem Auftraggeber in § 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/B (2002) ausbedungene Recht an, bereits während der Ausführung die Beseitigung als vertragswidrig oder mangelhaft erkannter Leistungen fordern zu können. § 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/B (2002) differenziert seinerseits ebenfalls nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels.

(3) Bei anderem Klauselverständnis (vgl. zur Mehrdeutigkeit der Regelung von Kiedrowski, Festschrift für Leupertz (2021), S. 333, 350 f.), wonach ein Auftraggeber dem Auftragnehmer den Auftrag nur bei Vertragswidrigkeiten oder Mängeln entziehen darf, welche so gewichtig sind, dass dem Auftraggeber die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, wäre aufgrund der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB der Angemessenheitsprüfung nach § 307 Abs. 1, 2 BGB gleichwohl die Auslegung zugrunde zu legen, wonach die Kündigung als Reaktion auch auf eine nur geringfügige, unbedeutende oder unwesentliche Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit in der Ausführungsphase möglich ist.

ee) Ausgehend von dem hiernach maßgeblichen Klauselverständnis widerspricht § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) dem gesetzlichen Leitbild im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

(1) Die Kündigungsregelung nach § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) ist anhand der richterrechtlich entwickelten Grund-sätze zu messen, nach denen der Auftraggeber einen Werkvertrag aus wichtigem Grund kündigen kann.

Das Recht eines Auftraggebers, einen Werkvertrag aus wichtigem Grund zu kündigen, ist für ab dem 1. Januar 2002, aber vor Einführung von § 648a BGB geschlossene Verträge – wie dem streitgegenständlichen – richterrechtlich anerkannt und folgt aus dem Rechtsgedanken des § 314 BGB (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – VII ZR 56/15 Rn. 40 m.w.N., BGHZ 210, 1).

(2) Voraussetzung einer Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber derart erschüttert hat, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2019 – VII ZR 1/19 Rn. 23, 31, BGHZ 223, 260; Urteil vom 8. März 2012 – VII ZR 118/10 Rn. 22, BauR 2012, 949 = NZBau 2012, 357).

Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase kann im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen. Solche können sich im Einzelfall aus Umständen ergeben, die einen Bezug zu der potenziell mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung aufweisen, sofern diese in der Gesamtabwägung so schwer wiegen, dass sie zu einer tiefgehenden Störung der für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauensbeziehung geführt haben. Ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers, die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abwarten zu müssen, kann etwa aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels folgen.

(3) Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) weicht nach dem maßgeblichen Klauselverständnis von diesen wesentlichen Grundgedanken ab. Hiernach kann der Auftraggeber die Kündigung losgelöst von diesen Kriterien und – bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs – selbst bei Geringfügigkeit der Vertragswidrigkeiten oder Mängel während der Ausführungsphase aussprechen.

(4) Diese Abweichung von dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn die Vermutung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist nicht widerlegt. Weder wird die unangemessene Benachteiligung durch andere der Klägerin von der Beklagten gewährte Vorteile kompensiert noch rechtfertigen besondere Umstände bezogen auf die Durchführung und Abwicklung von Bauleistungen diese.

ff) § 8 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) behält im Übrigen – soweit die Bestimmung nicht auf § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) rückbezogen ist – seine Wirksamkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können inhaltlich voneinander trennbare, einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch dann Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung sein, wenn sie in einem äußeren sprachlichen Zusammenhang mit anderen – unwirksamen – Regelungen stehen. Nur wenn der als wirksam anzusehende Teil im Gesamtgefüge des Vertrags nicht mehr sinnvoll, insbesondere der als unwirksam beanstandete Klauselteil von so einschneidender Bedeutung ist, dass von einer gänzlich neuen, von der bisherigen völlig abweichenden Vertragsgestaltung gesprochen werden muss, ergreift die Unwirksamkeit der Teilklausel die Gesamtklausel. Die inhaltliche Trennbarkeit einer Klausel und damit ihre Zerlegung in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil ist immer dann gegeben, wenn der unwirksame Teil der Klausel gestrichen werden kann, ohne dass der Sinn des anderen Teils darunter leidet (sog. blue-pencil-test); ob beide Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen, ist dabei unerheblich (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. April 2022 – VIII ZR 295/20 Rn. 45 m.w.N., NJW 2022, 1944).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs erstreckt sich die Unwirksamkeit der ersten in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) geregelten Variante nicht auf die übrigen Kündigungstatbestände. Der Passus in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002), der die Bezugnahme auf den Kündigungsgrund des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) enthält, kann gestrichen werden, ohne dass die Klausel des § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) insgesamt ihren Sinn einbüßt.

2. Der Senat kann nicht entscheiden, ob die Beklagte außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) nach dem gemäß § 306 Abs. 1 BGB zu prüfenden dispositiven Recht ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund hatte. Dazu, ob die Beklagte den Vertrag nach den richterrechtlich entwickelten Grundsätzen zur Kündigung aus wichtigem Grund kündigen konnte, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.

IV.

Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B sind nach Auffassung des BGH die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich

Für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B sind nach Auffassung des BGH die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich

von Thomas Ax

Wie die Vergütungsanpassung bei Mengenmehrungen vorzunehmen ist, wenn eine Einigung über den neuen Einheitspreis nicht zustande kommt, ist in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nicht geregelt. Die Bestimmung gibt nur vor, dass bei der von den Parteien zu treffenden Vereinbarung über den neuen Preis Mehr- oder Minderkosten zu berücksichtigen sind. Die VOB/B legt die Verantwortung für die neue Preisbestimmung, durch die etwaigen Störungen des Äquivalenzverhältnisses entgegengewirkt werden soll, damit in die Hände der Vertragsparteien, die unter Berücksichtigung der geänderten Umstände einen neuen Preis aushandeln sollen. Abgesehen von der in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B vorgesehenen Einigung auf einen neuen Einheitspreis können die Vertragsparteien sowohl bei Vertragsschluss für den ungewissen Fall, dass Mengenmehrungen im Sinne dieser Bestimmung eintreten, als auch nachträglich, sobald aufgrund konkret eingetretener Mehrmengen ein neuer Einheitspreis verlangt wird, sich über einzelne Teilelemente der Preisbildung verständigen. Sie können etwa einen bestimmten Maßstab beziehungsweise einzelne Kriterien oder Faktoren festlegen, nach denen im konkreten Fall der neue Einheitspreis nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B bestimmt werden soll.

Haben sich die Parteien nicht insgesamt oder im Hinblick auf einzelne Elemente der Preisbildung geeinigt, enthält der Vertrag eine Lücke, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu schließen ist. Dabei entspricht es der Redlichkeit und dem bestmöglichen Ausgleich der wechselseitigen Interessen, dass durch die unvorhergesehene Veränderung der auszuführenden Leistungen im von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B bestimmten Umfang keine der Vertragsparteien eine Besser- oder Schlechterstellung erfahren soll. Die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien nach Treu und Glauben ergibt, dass – wenn nichts anderes vereinbart ist – für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich sind.

BGH, Urteil vom 8. August 2019 – VII ZR 34/18

Abtragungen und ihre Folgen

Abtragungen und ihre Folgen

von Thomas Ax

Nach § 909 BGB darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, dass für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist.

Den Nachbarn, auf dessen Grundstück die Abtragung vorgenommen wurde, die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Ihr Grundstück seine Festigkeit erhält.

Die Vorschrift enthält keine Anspruchsgrundlage , sondern formuliert lediglich ein Verbot; Anspruchsgrundlage zur Durchsetzung des Verbots sind § 1004 I BGB ( BGHZ 85, 375, 384 ) bzw § 862 I BGB ( BGHZ 147, 45, 51 ).

§ 909 BGB beschränkt die aus § 903 BGB folgende positive Befugnis des Eigentümers, mit seinem Grundstück nach Belieben zu verfahren, indem ihm an sich zustehende Eingriffe im Interesse der Festigkeit des Bodens benachbarter Grundstücke untersagt werden ( BGHZ 103, 39, 42 ). Durch § 909 BGB wird die natürliche bodenphysikalische Stütze gesichert, die sich benachbarte Grundstücke gegenseitig gewähren; die Vorschrift dient dem Schutz von Grundstückseigentümern vor unzulässigen Vertiefungen, welche Dritte auf einem Nachbargrundstück vornehmen ( BGHZ 91, 282, 284 f ). Die Vorschrift schützt nicht nur den Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks, sondern alle dinglich Berechtigten, denen der Eigentumsanspruch aus § 1004 I BGB in entsprechender Anwendung zusteht. Dazu gehören der Nießbraucher ( § 1065 BGB ), der Dienstbarkeitsberechtigte ( §§ 1027 , 1090 II BGB ) und der Erbbauberechtigte ( § 11 I ErbbauRG ).

Hat der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks die Vertiefung auf einem Nachbargrundstück vorgenommen, welches ihm ebenfalls gehört, ist das keine unzulässige Vertiefung. Der Schutz der Vorschrift kommt auch nicht demjenigen zugute, der nach der Vertiefung das beeinträchtigte Grundstück von dem Eigentümer erwirbt, der die Vertiefung vorgenommen hat ( BGHZ 91, 282, 285 ). Ebenfalls in den Schutzbereich des § 909 BGB ist der anwartschaftsberechtigte Käufer des beeinträchtigten Grundstücks einbezogen ( BGHZ 114, 161 ). Das folgt aus dem Umstand, dass das Anwartschaftsrecht dem Vollrecht ähnelt. Es ist ein dem Eigentum wesensähnliches Recht, eine selbstständig verkehrsfähige Vorstufe des Grundeigentums, deren Entwicklung zum Vollrecht nur noch von der Eintragung in das Grundbuch abhängt, welche der Veräußerer grds nicht mehr verhindern kann, und das durch Auflassung nach § 925 BGB übertragen wird ( BGHZ 114, 161, 164 ).

Neben dem Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks und den daran dinglich Berechtigten sowie dem Anwartschaftsberechtigten genießen auch die obligatorisch Berechtigten den Schutz des § 909 BGB, wenn ihnen ein dem Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch aus § 1004 I BGB gleichartiger Anspruch zusteht. Das ist bei Mietern und Pächtern der Fall, weil sie gegen Störungen ihres Besitzes mit dem Abwehranspruch aus § 862 I vorgehen können ( BGHZ 147, 45, 51 ).

Der auf § 909 BGB gestützte Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch nach § 1004 I richtet sich in erster Linie gegen denjenigen, der im Zeitpunkt der Störung, also dann, wenn das benachbarte Grundstück die erforderliche Stütze verliert, Eigentümer (RGZ 103, 174, 176) oder Besitzer (RGZ 167, 14, 28) des Grundstücks ist, welches vertieft wurde. Der frühere Eigentümer oder Besitzer, der die Vertiefung vorgenommen hat, kann nicht in Anspruch genommen werden, weil er zur Unterlassung oder Beseitigung der aufgrund der Vertiefung eingetretenen Störung des Nachbargrundstücks nicht mehr in der Lage ist.

Daneben richtet sich das Verbot des § 909 BGB an jeden, der das Grundstück vertieft oder an der Vertiefung mitwirkt; das sind zB der Architekt , der bauleitende Ingenieur , der Bauunternehmer und der Statiker , dessen Berechnungen die Grundlage für den Bodenaushub und die dabei zu beachtenden Sicherungsmaßnahmen bilden (BGH NJW 96, 3205, 3206).

Unter Vertiefung iSd Vorschrift ist jede Einwirkung auf ein Grundstück zu verstehen, die zur Folge hat, dass der Boden des Nachbargrundstücks in der Senkrechten den Halt verliert oder dass dort die Festigkeit der unteren Bodenschichten in ihrem waagerechten Verlauf beeinträchtigt wird ( BGHZ 101, 106, 109 ). Diese Definition ist nicht ganz vollständig; es fehlt der Hinweis darauf, dass die Einwirkung auf das Grundstück auf eine menschliche Handlung zurückzuführen sein muss. Vertiefungen infolge von Naturereignissen wie zB das Abschwemmen von Boden durch starken Regen werden von § 909 BGB nicht erfasst.

Welches Ausmaß die Vertiefung hat, spielt keine Rolle; auch ein Bohrloch ist eine Vertiefung (Palandt/Bassenge Rz 3). Die Vertiefung einer bereits bestehenden Vertiefung gehört ebenfalls hierher (BGH WM 79, 1216). Unerheblich ist, zu welchem Zweck die Vertiefung erfolgt und wie lange sie besteht ( BGHZ 57, 370, 374 ). Auch die nur vorübergehende Vertiefung wie das Ausheben eines Grabens, in welchem Rohrleitungen verlegt werden und der danach wieder zugeschüttet wird, fällt unter § 909 BGB (BGH NJW 78, 1051, 1052).

Ein Bodenaushub ist für die Annahme einer Vertiefung iSd Vorschrift nicht erforderlich. Deshalb gehören zB die Absenkung der Grundstücksoberfläche infolge Lagerung von Bauschutt und Erdaushub (BGH NJW 71, 935 [BGH 05.03.1971 – V ZR 168/68] ) oder infolge der Bodenbelastung durch ein Gebäude ( BGHZ 101, 290, 292 ), das Abgraben eines Hangfußes (BGH MDR 72, 404) und der Abbruch eines Kellers (BGH NJW 80, 224 [BGH 19.09.1979 – V ZR 22/78] ) ebenfalls hierher, nicht aber die Entfernung oberirdischer Gebäudeteile (BGH NJW-RR 12, 1160, 1161 [BGH 29.06.2012 – V ZR 97/11] ).

Sinkt durch eine Vertiefung der zuvor bezeichneten Art der Grundwasserspiegel auf dem Nachbargrundstück, ist das ebenfalls ein Fall von § 909 BGB ( BGHZ 57, 370, 374 ). Dasselbe gilt für den Fall, dass der Grundwasserspiegel durch eine Vertiefung (Kanalisationsarbeiten) zwar nicht verändert wird, aber die von den Kanalisationsrohren ausgehende Drainagewirkung das Austrocknen des Nachbargrundstücks bewirkt (BGH NJW 81, 50, 51 [BGH 04.07.1980 – V ZR 240/77] ).

Nicht zu den Vertiefungen gehören Erhöhungen der Oberfläche eines Grundstücks, zB die Höherlegung einer Straße (BGH NJW 74, 53, 54 [BGH 11.10.1973 – III ZR 159/71] ).

Der Stützverlust kann sich darin zeigen, dass der Boden nach unten oder zur Seite hin absinkt; er kann auch darin liegen, dass sich der Boden von dem Grundstück her, auf dem die Vertiefung erfolgte, in Bewegung setzt und in sich den Halt verliert ( BGHZ 44, 130, 135 ). Der Boden hat bereits dann die erforderliche Stütze verloren, wenn die Gefahr einer Bodenbewegung besteht, welche durch die Lockerung der Bodenbestandteile hervorgerufen wird.

Ursache für den Stützverlust muss immer die Vertiefung sein.

Wird dem Boden die Stütze infolge von Erschütterungen entzogen, welche bei Vertiefungsarbeiten auftreten, ist das kein Fall des § 909 BGB ( BGHZ 101, 106, 109 ).

Die Vorschrift verbietet nur den Entzug der „erforderlichen“; Stütze. Welche das ist, lässt sich nicht generell beantworten. Es kommt jeweils auf die Umstände des Einzelfalls, in erster Linie natürlich auf die örtlichen Gegebenheiten an. Entscheidend ist, welche Befestigung das Nachbargrundstück nach seiner tatsächlichen Beschaffenheit benötigt; demnach ist eine Vertiefung auch dann unzulässig, wenn die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks darauf beruht, dass ein Gebäude auf einem schlechten Baugrund steht und deshalb weniger tragfähige Fundamente hat, oder dass das Gebäude besonders schadensanfällig ist ( BGHZ 101, 290, 293 ).

Das Nachbargrundstück, welches durch die Vertiefung die erforderliche Stütze verliert, muss nicht unbedingt an das Grundstück angrenzen, auf welchem die Vertiefung vorgenommen wurde. Der Schutzbereich des § 909 BGB erstreckt sich vielmehr auf alle Grundstücke, die von den Auswirkungen der Vertiefung betroffen sein können (BGH NJW-RR 96, 852 [BGH 26.01.1996 – V ZR 264/94] ).

Nur die Festigkeit des Bodens wird durch die Vorschrift geschützt, nicht aber die Bebauung auf dem Nachbargrundstück, die durch andere Ursachen als den Stützverlust des Bodens wie zB den Abbruch eines Nachbarhauses beschädigt wird ( BGHZ 12, 75 ; BGH NJW 79, 1166; aA Staud/Roth Rz 23).

Boden ist der Erdkörper mit seinen natürlichen Bestandteilen. Wesentliche Bestandteile des Grundstücks wie Gebäude oder Bäume gehören nicht dazu.

Die Vertiefung ist dann nicht unzulässig, wenn sie zwar zu dem Verlust der erforderlichen Stütze des Nachbargrundstücks führen kann, aber für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist. Die dafür notwendigen Maßnahmen muss der Vertiefende auf seinem eigenen Grundstück vornehmen; das Nachbargrundstück darf er grds nicht in Anspruch nehmen (BGH NJW 97, 2595).

Allerdings kann der Nachbar unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses (dazu § 903 BGB ) verpflichtet sein, für die Dauer der Herstellung der anderweitigen Befestigung die Benutzung seines Grundstücks zu dulden. Das kommt zB dann in Betracht, wenn die Befestigung auf andere Weise nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten hergestellt werden kann. In diesem Fall steht dem Nachbarn ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II 2 BGB analog zu (dazu § 906 BGB ). Soweit es lediglich um das Betreten des Nachbargrundstücks zum Zweck der Herstellung der anderweitigen Befestigung geht, ergibt sich für den Vertiefenden das entsprechende Recht auch aus landesrechtlich eingeräumten Hammerschlags- und Leiterrechten (s. die Übersicht bei Staud/Roth Rz 33).

Die anderweitige Befestigung muss den durch die Vertiefung hervorgerufenen Stützverlust vollständig ausschließen, also die erforderliche Stütze ersetzen. Welche Maßnahmen dafür notwendig sind, richtet sich nach physikalisch-technischen Anforderungen. Dabei ist sowohl die gegenwärtige als auch die zukünftige – ggf gesteigerte – Nutzung des Nachbargrundstücks zu berücksichtigen; lediglich eine ganz außergewöhnliche, den Rahmen bestimmungsmäßiger Inanspruchnahme offensichtlich überschreitende Ausnutzung des Grund und Bodens hat außer Betracht zu bleiben ( BGHZ 63, 176, 179 f ).

Die anderweitige Befestigung muss im Zeitpunkt der Vertiefung vorhanden sein, damit jeder Stützverlust – sei er auch nur vorübergehend – ausgeschlossen ist. Dafür hat der Vertiefende alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, auch wenn sie die Vertiefungsarbeiten mehr als üblich erschweren (vgl BGH NJW 69, 2140, 2142 [BGH 27.06.1969 – V ZR 41/66] ). Welcher Art diese Maßnahmen sind, bleibt der Auswahl des Vertiefenden überlassen. Er muss dafür sorgen, dass die anderweitige Befestigung den Stützverlust so lange ausschließt, wie die Vertiefung zu einem Verlust der Stütze führen kann; zB muss er eine Stützmauer ständig in einem ordnungsgemäßen Zustand halten, weil es anderenfalls an einer ausreichenden anderweitigen Befestigung fehlte und die Vertiefung unzulässig würde (BGH NJW 80, 224 [BGH 19.09.1979 – V ZR 22/78] ).

§ 909 BGB gibt dem Grundstücksnachbarn keinen Anspruch gegen den Vertiefenden auf Herstellung einer anderweitigen Befestigung; letzterer hat vielmehr nur das Recht dazu (RGZ 132, 58).

Rechtsfolgen der unzulässigen Vertiefung.

Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch.

Bei einer bevorstehenden ersten oder wiederholten unzulässigen Vertiefung hat der Berechtigte gegen alle Verpflichteten einen Anspruch auf Unterlassung der Vertiefung nach § 1004 I BGB . Die Unzulässigkeit der Vertiefungshandlung muss zumindest wahrscheinlich sein; aufgrund der örtlichen Bodengegebenheiten müssen Umstände vorliegen, welche die konkrete Annahme rechtfertigen, dass dem Boden des Nachbargrundstücks durch die Vertiefung die erforderliche Stütze entzogen wird.

Nach erfolgter Vertiefung hat der Berechtigte gegen den derzeitigen Eigentümer oder Besitzer des Grundstücks, auf dem die Vertiefung erfolgte, einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 I BGB. Dieser Anspruch ist auf die Beseitigung der Beeinträchtigung gerichtet. Damit ist die Wiederherstellung der Festigkeit des Bodens des Nachbargrundstücks gemeint. Die Auswahl unter mehreren dafür geeigneten Maßnahmen obliegt dem in Anspruch genommenen Eigentümer oder Besitzer.

Schadensersatzanspruch.

§ 909 BGB ist Schutzgesetz iSv § 823 II BGB (BGH NJW 96, 3205, 3206). Deshalb hat der Berechtigte gegen alle Verpflichteten einen verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch. Verschulden ist dann anzunehmen, wenn der Vertiefende vorhergesehen hat oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ( § 276 ) vorhersehen konnte, dass gerade dem Boden des geschädigten Nachbarn und nicht nur dem Nachbargelände überhaupt durch die Vertiefung die erforderliche Stütze entzogen würde und er gleichwohl nicht die gebotenen Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat, um diese Folge der Vertiefung zu vermeiden (BGH NJW 77, 763, 764 [BGH 05.11.1976 – V ZR 93/73] ). Ggf müssen auch ungewöhnliche Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden.

Dem Eigentümer bzw Besitzer , der die Vertiefungsarbeiten auf seinem Grundstück ausführen lässt, trifft eine eigenverantwortliche Pflicht zur Überprüfung, ob die beabsichtigten Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung der Standfestigkeit des Nachbargrundstücks führen können. Dieser Pflicht kommt er allerdings regelmäßig schon dadurch nach, dass er mit der Lösung der anfallenden bautechnischen Aufgaben und mit deren sachgemäßen Durchführung sorgfältig ausgewählte, fachkundige Architekten, Ingenieure und Bauunternehmer betraut ( BGHZ 147, 45, 48 ). Ist jedoch erkennbar eine erhöhte Gefahrenlage gegeben oder besteht Anlass zu Zweifeln, ob die beauftragten Personen die Gefahren und Sicherungserfordernisse ausreichend berücksichtigen werden, reicht die sorgfältige Auswahl der Fachleute zur Entlastung des Eigentümers bzw Besitzers des Grundstücks, auf dem die Arbeiten ausgeführt werden, nicht aus (BGH NJW-RR 97, 1374 [BGH 04.07.1997 – V ZR 48/96] ). Sind dem Eigentümer bzw Besitzer durch Hinweise des Nachbarn besondere Gefahren bekannt geworden, muss er die von ihm beauftragten Fachleute unverzüglich darüber informieren (RGZ 132, 51, 60).

An die Sorgfaltspflicht des Architekten , dem die Bauplanung und Bauleitung übertragen ist, sind hohe Anforderungen zu stellen. Er muss bei der Planung und Überwachung von Vertiefungsarbeiten diejenigen einen Stützverlust des Bodens benachbarter Grundstücke ausschließenden Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Architekten bei dem beabsichtigten Vorhaben vorausgesetzt und erwartet werden können (BGH NJW-RR 96, 852 [BGH 26.01.1996 – V ZR 264/94] ). Fehlen dem Architekten besondere Kenntnisse, die für eine Risikoabschätzung erforderlich sind, muss er einen Bodengutachter hinzuziehen, wenn er anders nicht zu der Überzeugung gelangen kann, dass die Vertiefung keine Gefahr für die Nachbargrundstücke bedeutet. Ihn trifft dann kein Schuldvorwurf, wenn er die in einem Gutachten zur Bodenbeschaffenheit und zur Durchführung der Vertiefung enthaltenen Anweisungen befolgt und diese sich später als unzutreffend erweisen (BGH NJW-RR 96, 852, 853 [BGH 26.01.1996 – V ZR 264/94] ).

Der mit der Durchführung der Vertiefung beauftragte Bauunternehmer handelt schuldhaft, wenn er voraussehen musste, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verlieren kann (BGH NJW 81, 50, 51 [BGH 04.07.1980 – V ZR 240/77] ). Auf die Statik (Köln BauR 87, 472 ) und auf Weisungen des Architekten (BGH NJW 61, 1523 [BGH 10.05.1961 – V ZR 236/60] ) darf er sich nicht verlassen. Ggf muss er auf der Einholung eines Bodengutachtens bestehen (BGH NJW 73, 2207, 2208 [BGH 05.10.1973 – V ZR 163/71] ).

Der Statiker schuldet nicht nur die rechnerische Richtigkeit seiner Berechnungen. Er muss sich hinsichtlich notwendiger Vertiefungen auch um den Baugrund kümmern und sich Klarheit über die Bodenverhältnisse verschaffen, damit er beurteilen kann, welche Gründungsmaßnahmen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten erforderlich sind (BGH WM 71, 682, 684).

Alle Verpflichteten haften bei Verschulden als Gesamtschuldner ( § 840 I BGB ). Die gesamtschuldnerische Haftung von Eigentümer bzw Besitzer und Architekt tritt auch ein, wenn die ersteren einen verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch schulden und den letzteren eine deliktsrechtliche Haftung trifft ( BGHZ 147, 45, 56 ). § 830 I 2 , wonach jeder für den Schaden verantwortlich ist, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten ihn durch seine Handlung verursacht hat, gilt ebenfalls bei der Haftung eines der Verpflichteten aus unerlaubter Handlung und eines anderen aus § 906 II 2 BGB analog ( BGHZ 101, 106, 111 ).

Zu ersetzen sind die Wiederaufbau- und Aufräumungskosten sowie der durch den Stützverlust hervorgerufene Minderwert des Nachbargrundstücks (vgl BGH NJW 97, 2595, 2596), ebenso die Kosten der Wiederherstellung der Standfestigkeit (BGH NJW-RR 08, 969 [BGH 15.02.2008 – V ZR 17/07] f). Ist das beschädigte Gebäude baufällig gewesen, ist nur der durch die Vertiefung zusätzlich entstandene Schaden zu ersetzen (BGH NJW 66, 42, 43 [BGH 19.10.1965 – V ZR 171/63] ). Ein Mitverschulden ( § 254 BGB) des geschädigten Grundstücksnachbarn kann den Schadensersatzanspruch mindern, wenn er seine Unterhaltungspflicht hinsichtlich beschädigter Gebäude verletzt hat ( BGHZ 73, 176, 182 ).

Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch.

Im Anwendungsbereich des § 909 BGB kommt ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II 2 BGB analog in Betracht, wenn die unzulässige Vertiefung aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen nicht rechtzeitig abgewehrt werden konnte; dieser Anspruch steht sowohl dem Eigentümer als auch dem Besitzer des geschädigten Grundstücks zu ( BGHZ 147, 45, 49 ). Der Anspruch richtet sich nur gegen den Eigentümer bzw Besitzer des vertieften Grundstücks, nicht auch gegen den Bauunternehmer, Architekten, Statiker oder Bauleitenden Ingenieur ( BGHZ 101, 290, 294 ).

Der Anspruch setzt voraus, dass der Geschädigte durch die fehlende Möglichkeit der Abwehr der unzulässigen Vertiefung solche Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Einwirkung übersteigen ( BGHZ 147, 45, 50 ).

Die Höhe des Ausgleichsanspruchs berechnet sich nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung. Das kann im Einzelfall die Höhe des vollen Schadensersatzes erreichen, wenn die unzulässige Vertiefung zu einer Substanzschädigung geführt hat (vgl BGHZ 142, 166 ). Ausgeglichen wird nur der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung, weil der Beeinträchtigte Einwirkungen bis zur Grenze der Unzumutbarkeit entschädigungslos hinnehmen muss ( BGHZ 62, 361, 371 ). Eine Minderung des Ausgleichsanspruchs kommt in Betracht, wenn das beeinträchtigte Grundstück vor der unzulässigen Vertiefung bereits schadensanfällig war und wenn der Grundstücksnachbar – schuldhaft oder schuldlos – die Vertiefungsschäden mit verursacht hat (BGH NJW-RR 88, 136 [BGH 18.09.1987 – V ZR 219/85] ).

Prozessuales.

Bei der Unterlassungsklage darf der Klageantrag nicht auf die Verurteilung zum Unterlassen der Vertiefung schlechthin gerichtet sein, denn der Verpflichtete ist zur Vertiefung berechtigt, wenn er für eine ausreichende anderweitige Befestigung sorgt. Deshalb muss die zu unterlassende Vertiefung zB in Anlehnung an den Gesetzestext umschrieben werden, damit klar wird, dass nur eine unzulässige Vertiefung verhindert werden soll (BGH NJW 09, 2528 [BGH 29.05.2009 – V ZR 15/08] ). Der Kläger muss darlegen und beweisen, dass die Gefahr einer unzulässigen Vertiefung droht.

Die Beseitigungsklage darf nur darauf gerichtet sein, dass die frühere, genau zu bezeichnende Festigkeit des Bodens wieder herzustellen ist; konkrete Maßnahmen dafür dürfen nicht verlangt werden (BGH NJW 09, 2528, 2529 [BGH 29.05.2009 – V ZR 15/08] ), weil ihre Auswahl dem Verpflichteten obliegt. Erst im Zwangsvollstreckungsverfahren kann der Berechtigte als Gläubiger bestimmen, welche konkreten Maßnahmen auf Kosten des Verpflichteten als Schuldner durchgeführt werden sollen ( § 887 ZPO ). Der Kläger muss die Vertiefung als solche, seine Berechtigung hinsichtlich des Nachbargrundstücks, den Stützverlust infolge der Vertiefung sowie darlegen und beweisen, dass der derzeitige Grundstücksnachbar oder dessen Rechtsvorgänger die Vertiefung veranlasst haben (Saarbr MDR 11, 1345). Dem Beklagten obliegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist.

Verlangt der Geschädigte Schadensersatz, muss er die Unzulässigkeit der Vertiefung und den eingetretenen Schaden sowie die Kausalität der Vertiefung für den Schaden darlegen und beweisen. Für den Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität kann das Gericht von der Möglichkeit der Schadensschätzung nach § 287 ZPO Gebrauch machen ( BGHZ 85, 375, 383 ). Bei typischen Geschehensabläufen kann auf die Grundsätze über den Anscheinsbeweis zurückgegriffen werden (BGH WM 83, 943, 944). Der Vertiefende muss darlegen und beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft.

Den Nachbarn, auf dessen Grundstück die Abtragung vorgenommen wurde, die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Ihr Grundstück seine Festigkeit erhält.
Die Ansprüche, die sich aus den §§ 907 bis 909, 915, dem § 917 Abs. 1, dem § 918 Abs. 2, den §§ 919, 920 und dem § 923 Abs. 2 ergeben, unterliegen nicht der Verjährung.

Der Ausschluss der Verjährbarkeit nachbarrechtlicher Ansprüche soll die gesetzliche Wertung zum Ausdruck bringen, dass solche Ansprüche fortwährend neu entstehen.

Risse im Einfamilienhaus durch Neubau nebenan

Risse im Einfamilienhaus durch Neubau nebenan

Der Wohnungsmarkt boomt, überall wird gebaut. Man spricht von „städtischer Verdichtung“, wenn auf freiwerdenden oder -gebliebenen Grundstücken Mehrfamilienhäuser neben bestehende Häuser gebaut werden. Viele Alteigentümer sehen das nicht gern. Manchmal zu Recht, wie jetzt der 12. Zivilsenat des Oberlandesgericht Oldenburg in einem aktuellen Fall feststellen musste.

Ein Paar aus Nordhorn, Eigentümer eines Hauses aus der Jahrhundertwende, hatte ein Tiefbauunternehmen aus Westfalen verklagt. Auf dem Nebengrundstück sollte ein Mehrfamilienhaus mit Tiefgarage errichtet werden. Zur Sicherung der hierzu ausgehobenen Baugrube brachte der beklagte Unternehmer in einem Abstand von zum Teil nur 60 cm zum Grundstück der Kläger mehrere acht Meter lange Eisenträger in den Boden ein. Dazwischen wurden Stahlbleche eingesetzt. Der Unternehmer hatte zunächst acht Meter tiefe Löcher in den Boden gebohrt und dann mit einem großen Rammgerät die Eisenträger eingebracht. Nach der Fertigstellung der Tiefbauarbeiten wurden die Stahlträger wieder gezogen.

Die Kläger stellten Risse an ihrem Anbau fest und verklagten den Unternehmer. Es sei ein Schaden von rund 20.000,- Euro entstanden. Der Unternehmer wies alle Schuld von sich. Der Altbau hätte schon vor seinen Arbeiten Risse gehabt. Das läge an dem maroden Zustand des Gebäudes, das ohnehin abrissreif wäre. Außerdem könne eine etwaige Vergrößerung der alten Risse auch andere Ursachen haben, etwa die Grundwasserabsenkung aufgrund des Neubaus, für die nicht er, sondern ein anderer Unternehmer verantwortlich sei.

Das Landgericht Osnabrück war der Argumentation des Beklagten gefolgt. Auf die Berufung der Kläger hin hat das Oberlandesgericht dieses Urteil geändert und den Klägern den begehrten Schadensersatz zugesprochen. Der Unternehmer hätte gegen seine Schutzpflichten aus dem Werkvertrag verstoßen. Zwar sei der Eigentümer des Nachbargrundstücks und nicht das Ehepaar Vertragspartner des Unternehmers. Dieser Werkvertrag entfalte aber eine Schutzwirkung zugunsten Dritter, hier des Ehepaars. Die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten gälten auch ihnen gegenüber.

Durch die Vibrationsarbeiten in unmittelbarer Nähe des Hauses der Kläger hätte der Unternehmer gegen die anerkannten Regeln der Technik verstoßen. Die Gefahr von Versackungen sei vorhersehbar gewesen und für die Art von Vibrationsarbeiten, wie sie der Beklagte durchgeführt habe, nahezu typisch. Der Gerichtssachverständige habe auch festgestellt, dass sich alte Risse in dem Gebäude nach den Arbeiten auf teilweise mehrere Zentimeter deutlich verbreitert und die gesamte Hauswand durchdrängt hätten. Ein Fenster sei praktisch aus der Laibung gerissen worden, das Gebäude biete keinen Witterungsschutz mehr nach außen. Eine mögliche Absenkung des Grundwasserspiegels sei allenfalls in geringem Umfang mitursächlich. Daher müsse der Unternehmer den Schaden der Kläger begleichen.

Das Paar erhält jetzt den geltend gemachten Schaden ersetzt.

Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 15.08.2017, Az. 12 U 61/16

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Die niedersächsischen Bauaufsichtsbehörden können die Beseitigung von Schottergärten anordnen

Die niedersächsischen Bauaufsichtsbehörden können die Beseitigung von Schottergärten anordnen

Der 1. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 17. Januar 2023 den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 12. Januar 2022 (Az.: 4 A 1791/21) abgelehnt, mit dem dieses die Klage gegen eine auf die Beseitigung von Kies aus zwei Beeten gerichtete bauaufsichtliche Verfügung der Stadt Diepholz abgewiesen hat (Az.: 1 LA 20/22). Damit hat sich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht erstmals mit der bauordnungsrechtlichen Unzulässigkeit von Schottergärten befasst.

Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks im Stadtgebiet Diepholz. Im Vorgarten haben sie zwei insgesamt etwa 50 m² große Beete angelegt. Diese sind mit Kies, in den einzelne Pflanzen eingesetzt sind, bedeckt.

Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob es sich bei den Beeten um Grünflächen im Sinne des § 9 Abs. 2 der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) handelt. Nach dieser Vorschrift müssen die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke Grünflächen sein, soweit sie nicht für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind. Die Grundstückseigentümer machen geltend, bei den Beeten handele es sich aufgrund der Anzahl und der Höhe der eingesetzten Pflanzen um Grünflächen. Jedenfalls sei ihr Garten unter Berücksichtigung der hinter dem Wohnhaus befindlichen Rasenflächen und Anpflanzungen insgesamt ein ökologisch wertvoller Lebensraum.

Dieser Argumentation ist der 1. Senat ebenso wie zuvor das Verwaltungsgericht Hannover nicht gefolgt. Die Bauaufsichtsbehörde könne einschreiten, wenn nicht überbaute Flächen von Baugrundstücken nicht den Anforderungen des § 9 Abs. 2 NBauO genügten. Dies sei hier der Fall. Bei den Beeten der klagenden Grundstückeigentümer handele es sich nicht um Grünflächen, die durch nicht übermäßig ins Gewicht fallenden Kies ergänzt würden, sondern um Kiesbeete, in die punktuell Koniferen und Sträucher sowie Bodendecker eingepflanzt seien. Grünflächen würden durch naturbelassene oder angelegte, mit Pflanzen bewachsene Flächen geprägt. Wesentliches Merkmal einer Grünfläche sei der „grüne Charakter“. Dies schließe Steinelemente nicht aus, wenn sie nach dem Gesamtbild nur untergeordnete Bedeutung hätten, was eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich mache. Dass die insgesamt nicht überbauten Flächen eines Baugrundstückes nur „überwiegend“ Grünflächen sein müssten, so dass die Grünflächen hinter dem Haus der Kläger die Kiesbeete im Vorgarten erlauben würden, sei § 9 Abs. 2 NBauO nicht zu entnehmen. Ein solches Verständnis widerspreche auch der Intention des Gesetzgebers, die „Versteinerung der Stadt“ auf das notwendige Ausmaß zu beschränken.

Der Beschluss ist unanfechtbar.