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Vertragsman ® Bau: Die Hervorzuhebende Entscheidung

Vertragsman ® Bau: Die Hervorzuhebende Entscheidung

BGH: Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam

vorgestellt von Thomas Ax

Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, hält § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.

Tatbestand

Die Beklagte war Hauptauftragnehmerin hinsichtlich eines Teils des Ausbaus der Stadtbahnlinie der S. GmbH. Mit den entlang der Stadtbahntrasse durchzuführenden Straßen- und Tiefbauarbeiten beauftragte die Beklagte im Jahr 2004 die Klägerin als Nachunternehmerin. Die Parteien unterzeichneten hierzu im Oktober 2004 ein Verhandlungsprotokoll, durch das unter anderem auch die VOB/B in der jeweils geltenden Fassung in den Vertrag einbezogen wurde. Die Auftragssumme belief sich auf 3.031.527,96 € netto.

In dem Leistungsverzeichnis, das von der S. GmbH stammte und von der Beklagten an die Klägerin weitergereicht wurde, heißt es in Bezug auf den Straßenbord unter anderem “Rückenstütze aus Beton B 25 nach Zeichnung herstellen” und “Unterbeton B 25 liefern und nach Zeichnung herstellen”. Zwischen den Parteien ist streitig, ob sich die geschuldete Betonfestigkeitsklasse B 25 (entspricht der neuen Bezeichnung C 20/25) auf den Beton im angelieferten (Auffassung der Klägerin) oder im verbauten Zustand (Auffassung der Beklagten) bezieht.

Während der Bauausführung rügte die Beklagte am 3. August 2006 die Qualität des verbauten Betons an einem bestimmten Straßenabschnitt und verlangte von der Klägerin unter Fristsetzung bis zum 11. August 2006 Mangelbeseitigung. Mit weiteren Schreiben vom 4., 8., 10. und 11. August 2006 wiederholte und konkretisierte die Beklagte die Mängelrügen, setzte der Klägerin Fristen zur Mangelbeseitigung bis zum 16. beziehungsweise 18. August 2006 (jeweils 10 Uhr) und drohte für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs die außerordentliche Kündigung des ganzen oder eines Teils des Auftrags sowie die Mangelbeseitigung auf Kosten der Klägerin an. Am 14. August 2006 übersandte die Klägerin der Beklagten ein Gutachten, aus dem hervorging, dass mit dem gelieferten Beton der Festigkeitsklasse C 20/25 eine Endfestigkeit von B 15 beziehungsweise C 12/15 erreicht werden könne. Die Beklagte übersandte ihrerseits der Klägerin am 17. August 2006 ein Gutachten, wonach der Beton in sieben Fällen nur die Festigkeitsklasse C 12/15 und in vier Fällen die Festigkeitsklasse C 8/10 erreichte, somit die Endfestigkeit der Klasse C 20/25 nicht entspreche.

Die Klägerin kam dem Verlangen nach Beseitigung der behaupteten Mängel, welche mit einem Aufwand von ca. 6.000 € bei laufendem Baubetrieb in zwei bis drei Arbeitstagen hätte erledigt werden können, nicht nach. Die Beklagte kündigte nach Fristablauf am 18. August 2006 den Bauvertrag hinsichtlich aller zu diesem Zeitpunkt noch nicht erbrachten Arbeiten.

Die Klägerin begehrt in dem Rechtsstreit Restwerklohn in Höhe von 2.465.744,23 €. Die Beklagte verlangt widerklagend die Zahlung von 4.152.902,75 € als Kosten der Ersatzvornahme, ferner die teilweise Rückzahlung von Abschlagszahlungen (387.332,31 €), Schadensersatz (90.729,80 €), Ersatz von Avalgebühren (40.500 €) und – bezogen auf weitere von ihr behauptete Mängel – Ausgleich von Mängelbeseitigungskosten (209.382,83 €) sowie die Feststellung, dass die von ihr behaupteten Mängel vorliegen. Weiter haben die Parteien wechselseitig beantragt, durch Zwischenfeststellungsurteil festzustellen, dass die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) (Antrag der Klägerin) beziehungsweise eine “berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund (Entziehung des Auftrags gemäß § 8 Nr. 3 VOB/B a.F.)” (Antrag der Beklagten) gewesen sei.

Das Landgericht hat durch Teilurteil festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) gewesen sei. Die Widerklage der Beklagten hinsichtlich der kündigungsbedingten Ersatzvornahmekosten sowie ihre Zwischenfeststellungswiderklage hat es abgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Teilurteil des Landgerichts abgeändert. Es hat die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin abgewiesen und auf die Zwischenfeststellungswiderklage der Beklagten festgestellt, dass es sich bei der Kündigung um eine “Kündigung gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B handelt”. Des Weiteren hat es festgestellt, dass die Widerklage bezogen auf die Ersatzvornahmekosten in Höhe von 4.152.902,75 € dem Grunde nach begründet ist. Im Übrigen hat es das Teilurteil des Landgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Teilurteils.

Gründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis zwischen den Parteien ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung anzuwenden, die für ab dem 1. Januar 2002 und bis zum 31. Dezember 2017 geschlossene Verträge gilt, Art. 229 § 5 Satz 1, § 39 EGBGB.

I.

Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Klägerin als vertragliches Leistungssoll Beton der Festigkeitsklasse B 25 (C 20/25) im eingebauten Zustand geschuldet, aber nicht erreicht habe, weshalb die Beklagte den Bauvertrag nach Ablauf der unter Kündigungsandrohung gesetzten und angemessenen Frist zur Mangelbeseitigung mit Schreiben vom 18. August 2006 gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) wirksam habe kündigen können.

Eine von der Klägerin angeführte Unwirksamkeit von § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) wegen Verstoßes gegen AGB-Recht stehe der Kündigung nicht entgegen. Im Grundsatz gelte, dass dann, wenn die VOB/B als Ganzes vereinbart worden sei, eine isolierte Inhaltskontrolle einzelner VOB/B-Bestimmungen auf der Grundlage der §§ 305 ff. BGB nicht in Betracht komme. Diesen Grundsatz habe der Bundesgerichtshof dahingehend eingeschränkt, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führe, dass diese nicht als Ganzes vereinbart sei und eine Inhaltskontrolle möglich werde. Werde die VOB/B gegenüber einem Unternehmer verwendet, stelle sich seit dem Inkrafttreten des Forderungssicherungsgesetzes zum 1. Januar 2009 im Hinblick auf § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB die Frage, wann von einer substanziellen Änderung der VOB/B auszugehen sei, nicht mehr. Der streitgegenständliche Bauvertrag datiere allerdings aus der Zeit vor dem 1. Januar 2009.

Es sei nicht zu erkennen, dass die VOB/B in Bezug auf den streitgegenständlichen Vertrag substanziell abgeändert worden sei. Die Klägerin verweise zwar auf die Regelung der Verjährungsfrist der Gewährleistungsansprüche in Nr. 19 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen. Eine solche Änderung der Frist unterstellt, stünde dies der Annahme nicht entgegen, dass die VOB/B als Ganzes vereinbart worden sei. Nehme man das an, dann gelte auch vor dem 1. Januar 2009 der allgemeine Grundsatz, dass eine Inhaltskontrolle einzelner Klauseln nicht stattfinde, ohne dass es auf die Frage ankommen würde, ob die Beklagte überhaupt Verwenderin der VOB/B (2002) gewesen sei. Soweit in der Literatur der Standpunkt vertreten werde, dass gerade die § 4 Abs. 7, § 8 Abs. 3 VOB/B einer AGB-Inhaltskontrolle nicht standhielten, sei eine schlüssige Begründung für diese Annahme nicht erkennbar. Lasse sich nicht erkennen, dass durch den streitgegenständlichen Vertrag die VOB/B auch nur in Einzelpunkten substanziell habe geändert werden sollen, bestünden gegen die Wirksamkeit von § 8 Nr. 3, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) keine Bedenken.

II.

Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine wirksame Kündigung des Vertrags durch die Beklagte nach § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) nicht angenommen werden. Deshalb können weder die Entscheidung über die wechselseitigen Zwischenfeststellungsklagen noch das Grundurteil betreffend die Ersatzvornahmekosten Bestand haben.

1. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Beklagte Verwenderin der VOB/B ist. Die Verwendereigenschaft der Beklagten ist daher revisionsrechtlich zu unterstellen.

2. Danach hat das Berufungsgericht die Eröffnung der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB rechtsfehlerhaft abgelehnt.

a) Das Berufungsgericht hat zu Unrecht für die Eröffnung der Inhaltskontrolle eine substanzielle Änderung der VOB/B durch zwischen den Parteien vereinbarte vertragliche Regelungen verlangt.

aa) Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1982 (VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135) unterlagen die Klauseln der VOB/B, die als vorformulierte Vertragsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 1 Satz 1 BGB sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2008 – VII ZR 55/07 Rn. 10 m.w.N., BGHZ 178, 1), keiner Inhaltskontrolle, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hatte. Begründet wurde das damit, dass die VOB/B im Gegensatz zu anderen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht nur die Interessen einer Vertragspartei verfolge, sondern im Ganzen einen einigermaßen ausgewogenen Ausgleich der beteiligten Interessen enthalte (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1982 – VII ZR 92/82, BGHZ 86, 135, juris Rn. 27 ff.). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 22. Januar 2004 dahingehend modifiziert, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist, unabhängig davon, welches Gewicht der Eingriff hat. Damit ist die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen. Ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen “ausgeglichen” werden, ist unerheblich (BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – VII ZR 419/02, BGHZ 157, 346, juris Rn. 11).

bb) Danach ist – anders als vom Berufungsgericht angenommen – für die Eröffnung der Inhaltskontrolle eine substanzielle Abänderung der VOB/B nicht erforderlich. Dies gilt auf Grund der vorgenannten Rechtsprechung ungeachtet des Umstands, dass der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag aus der Zeit vor dem 1. Januar 2009 und damit vor Einführung von § 310 1 Satz 3 BGB datiert.

b) Die Inhaltskontrolle nach § 307 1 Satz 1 BGB ist eröffnet, weil nach dem zugunsten der Revision zu unterstellenden Sachverhalt die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart war. Das Berufungsgericht hat – wie die Revision zu Recht rügt – entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin unberücksichtigt gelassen, obwohl er für die Beurteilung, ob die VOB/B (2002) als Ganzes zwischen den Parteien vereinbart worden ist, erheblich war. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2019 vorgetragen, dass in den ursprünglich zwischen der S. GmbH und der Beklagten vereinbarten Besonderen Vertragsbedingungen, die auch in das Vertragsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten einbezogen worden seien, mehrere im einzelnen benannte Regelungen von denen der VOB/B (2002) abweichen. So weicht, was die Klägerin zutreffend aufgezeigt hat, Ziffer II. 2. Abs. 3, wonach die Einheitspreise fest und unveränderbar sind, von § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) ab. Die Regelung in Ziffer II. 11. Abs. 1, der zufolge der Auftraggeber Abschlagszahlungen bis zu 90 % der nachgewiesenen Leistungen zu leisten hat, modifiziert § 16 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002), da hiernach Abschlagszahlungen in Höhe von 100 % des Wertes der jeweils nachgewiesenen vertragsgemäßen Leistungen einschließlich des ausgewiesenen, darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrages zu gewähren sind.

Unter Berücksichtigung dieses Vortrags ist die VOB/B nicht mehr als Ganzes zwischen den Parteien vereinbart, ohne dass es auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage ankommt, welche Bedeutung der Regelung der Verjährungsfrist in Ziffer Nr. 19 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen zukommt.

III.

Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO) dar.

1. Ist die Beklagte Verwenderin der VOB/B und ist diese nicht als Ganzes vereinbart, kann die Beklagte die von ihr am 18. Juni 2006 ausgesprochene Kündigung nicht auf § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) stützen. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) hält ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002), die inhaltlich den derzeit geltenden § 4 Abs. 7 Satz 3, § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2016) entspricht, benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.

a) Nach § 8 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) kann der Auftraggeber den Vertrag kündigen, wenn im Falle des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) die dem Auftragnehmer gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist (Entziehung des Auftrags). Die Klausel in § 4 Nr. 7 VOB/B (2002), auf die sich dieses Kündigungsrecht bezieht, sieht in Satz 1 vor, dass der Auftragnehmer Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen hat. Kommt der Auftragnehmer der Pflicht zur Beseitigung des Mangels nicht nach, kann ihm gemäß Satz 3 der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe (§ 8 Nr. 3). § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) enthält mithin nicht selbst einen Kündigungsgrund, sondern greift rückbeziehend das in § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) tatbestandlich geregelte Kündigungsrecht unter den dort niedergelegten Voraussetzungen auf. Die derart wechselbezüglich miteinander verknüpften Regelungen stellen allgemeiner Auffassung zufolge einen Anwendungsfall des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund dar (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Lederer, 8. Aufl. 2023, VOB/B § 8 Rn. 93).

b) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob § 4 7 Satz 3 VOB/B (2002) wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist (für die Unwirksamkeit Ingenstau/Korbion/Sienz, VOB Teile A und B, 22. Aufl., Anh. 3 Rn. 72; Kniffka/Jurgeleit/Schmitz, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand: 15. November 2021, § 648a Rn. 89 ff.; Bolz/Jurgeleit/Karczewski, ibr-online Kommentar VOB/B, Stand: 24. August 2022, § 4 Rn. 368, 372; Bedenken an der Wirksamkeit äußernd Gartz in Nicklisch/Weick/Jansen/Seibel, VOB/B, 5. Aufl., § 4 Rn. 209 f.; Messerschmidt/Voit/Voit, Privates Baurecht, 4. Aufl., § 4 VOB/B Rn. 38; Glöckner/v. Berg/Vogelheim, Bau- und Architektenrecht, 2. Aufl., Teil III, § 4 Rn. 28; Leinemann/Kues/Geheeb, BGB-Bauvertragsrecht, 1. Aufl., § 648a Rn. 92; Graf von Westphalen/Thüsing/Pamp/Schmidt, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 48. EL. März 2022, “Bauvertrag”, Rn. 22; Schenke, BauR 2008, 1972, 1977; für die Wirksamkeit OLG Koblenz, Urteil vom 28. Juli 2020 – 4 U 1282/17, juris Rn. 87 ff.; LG Bremen, Zwischenurteil vom 20. Juni 2019 – 2 O 2021/10, juris Rn. 122 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Juni 2007 – 3 U 31/07, juris Rn. 15 ff.; Schrader, jurisPR-PrivBauR 5/2020 Anm. 3).

c) Der Senat entscheidet die Frage dahingehend, dass § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen einer Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die Klauseln benachteiligen den Auftragnehmer unangemessen und sind deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

aa) Nach § 307 1 Satz 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2017 – VII ZR 170/16 Rn. 17, BauR 2017, 1202). Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders wird nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vermutet, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und damit für die Bestimmung der für die Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung heranzuziehenden wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der Vertragsschluss (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2014 – VIII ZR 344/13 Rn. 31 m.w.N., BGHZ 201, 363). Entscheidend sind die durch die Klausel konkret verdrängten gesetzlichen Vorschriften, die im Streitfall auf das vertraglich begründete Rechtsverhältnis anwendbar wären (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1987 – VII ZR 185/86, BGHZ 102, 41, juris Rn. 20). Die “gesetzlichen Regelungen” im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfassen dabei nicht nur Gesetze im materiellen Sinn, sondern auch ungeschriebenes Recht, wozu auch das Richterrecht sowie die von der Rechtsprechung und Rechtslehre durch Auslegung, Analogie oder Rechtsfortbildung aus den allgemeinen Grundgedanken eines Rechtsgebiets oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung aus der Natur eines Schuldverhältnisses erarbeiteten und anerkannten Rechtssätze gehören (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2002 – XI ZR 245/01, BGHZ 150, 269, juris Rn. 23). Die Vermutung ist widerlegt, wenn die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild auf Grundlage einer umfassenden Interessensabwägung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt ist (BGH, Urteil vom 27. April 2021 – XI ZR 26/20 Rn. 24 m.w.N., BGHZ 229, 344).

bb) Die Regelung in § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) unterliegt uneingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung. Zwar sind Allgemeine Geschäftsbedingungen keine Rechtsnormen, so dass ihre Auslegung grundsätzlich Sache des Tatrichters ist. Sie sind aber wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und infolgedessen vom Revisionsgericht frei auszulegen, da bei ihnen ungeachtet der Frage, ob sie über den räumlichen Bezirk eines Berufungsgerichts hinaus Verwendung finden, ein Bedürfnis nach einheitlicher Handhabung besteht (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 41, BGHZ 210, 206; Urteil vom 9. April 2014 – VIII ZR 404/12 Rn. 25, BGHZ 200, 362; Urteil vom 13. November 2012 – XI ZR 500/11 Rn. 15, BGHZ 195, 298).

cc) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind gemäß ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Dabei ist in erster Linie der Wortlaut der auszulegenden Klausel maßgeblich. Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch für die VOB/B (BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – VII ZR 5/15 26 m.w.N., BGHZ 206, 203).

Ist der Wortlaut nicht eindeutig, kommt es entscheidend darauf an, wie die Klausel aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 22, RdE 2022, 23). Dabei sind auch der Sinn und Zweck einer Klausel sowie systematische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Eine Formularklausel ist vor dem Hintergrund des gesamten Formularvertrags zu interpretieren (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19 Rn. 23, RdE 2022, 23; Urteil vom 10. Juni 2020 – VIII ZR 289/19 Rn. 30, MDR 2020, 1047, jeweils m.w.N.). Sind nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsregeln mehrere Auslegungen rechtlich vertretbar, gehen Zweifel bei der Auslegung gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Außer Betracht bleiben Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2022 – VII ZR 176/20 Rn. 30, NJW 2022, 2467; Urteil vom 20. Juli 2017 – VII ZR 259/16 Rn. 19, BauR 2017, 1995; Urteil vom 5. November 2015 – VII ZR 59/14 Rn. 21 m.w.N., NJW 2016, 242). Nach diesen Grundsätzen ist auch im Individualprozess gemäß § 305c Abs. 2 BGB die kundenfeindlichste Auslegung zugrunde zu legen, wenn diese im Rahmen einer vorzunehmenden Inhaltskontrolle zur Unwirksamkeit der Klausel führt und dadurch den Vertragspartner des Verwenders begünstigt (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – VII ZR 171/15 Rn. 42, BGHZ 210, 206, jeweils m.w.N.).

dd) Nach diesen Grundsätzen ist für § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) von einem Klauselverständnis auszugehen, wonach bei ganz geringfügigen und unbedeutenden Vertragswidrigkeiten oder Mängeln die Kündigung aus wichtigem Grund eröffnet ist.

(1) Nach dem Wortlaut von § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) kann der Auftraggeber dem Auftragnehmer den Auftrag entziehen, wenn eine mangelhafte oder vertragswidrige Leistung in der Ausführungsphase aufgetreten ist, die der Auftragnehmer trotz Fristsetzung und Kündigungsandrohung nicht beseitigt hat. Weitere Voraussetzungen im Hinblick darauf, dass die Kündigung nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) eine solche aus wichtigem Grund ist, enthalten weder § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) noch § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002).

Die Sanktion der Kündigung aus wichtigem Grund kann danach einschränkungslos in jedem denkbaren Fall festgestellter Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit ausgesprochen werden. Diese Möglichkeit besteht losgelöst davon, welches Gewicht der Vertragswidrigkeit oder dem Mangel im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zukommt. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) differenziert nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels, so dass selbst unwesentliche Mängel, die den Auftraggeber nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigen würden, zur Kündigung aus wichtigem Grund führen können.

Die Fristsetzung und die Auftragsentziehungsandrohung sind lediglich als einzuhaltende Förmlichkeiten formuliert, so dass der Auftraggeber den Vertrag auch dann aus wichtigem Grund kündigen kann, wenn der Fristsetzung kein anerkennenswertes eigenes Interesse an der fristgerechten Beseitigung der vertragswidrigen oder mangelhaften Leistung zugrunde liegt oder die Auftragsentziehung angedroht wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse an der vorzeitigen Vertragsbeendigung besteht.

(2) Aus der systematischen Stellung und dem Regelungszusammenhang der Klauseln ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass ganz geringfügige und unbedeutende Vertragswidrigkeiten oder Mängel kein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund begründen könnten. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) knüpft an das dem Auftraggeber in § 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/B (2002) ausbedungene Recht an, bereits während der Ausführung die Beseitigung als vertragswidrig oder mangelhaft erkannter Leistungen fordern zu können. § 4 Nr. 7 Satz 1 VOB/B (2002) differenziert seinerseits ebenfalls nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels.

(3) Bei anderem Klauselverständnis (vgl. zur Mehrdeutigkeit der Regelung von Kiedrowski, Festschrift für Leupertz (2021), S. 333, 350 f.), wonach ein Auftraggeber dem Auftragnehmer den Auftrag nur bei Vertragswidrigkeiten oder Mängeln entziehen darf, welche so gewichtig sind, dass dem Auftraggeber die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, wäre aufgrund der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB der Angemessenheitsprüfung nach § 307 Abs. 1, 2 BGB gleichwohl die Auslegung zugrunde zu legen, wonach die Kündigung als Reaktion auch auf eine nur geringfügige, unbedeutende oder unwesentliche Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit in der Ausführungsphase möglich ist.

ee) Ausgehend von dem hiernach maßgeblichen Klauselverständnis widerspricht § 4 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) dem gesetzlichen Leitbild im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

(1) Die Kündigungsregelung nach § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) ist anhand der richterrechtlich entwickelten Grund-sätze zu messen, nach denen der Auftraggeber einen Werkvertrag aus wichtigem Grund kündigen kann.

Das Recht eines Auftraggebers, einen Werkvertrag aus wichtigem Grund zu kündigen, ist für ab dem 1. Januar 2002, aber vor Einführung von § 648a BGB geschlossene Verträge – wie dem streitgegenständlichen – richterrechtlich anerkannt und folgt aus dem Rechtsgedanken des § 314 BGB (BGH, Urteil vom 7. April 2016 – VII ZR 56/15 Rn. 40 m.w.N., BGHZ 210, 1).

(2) Voraussetzung einer Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber derart erschüttert hat, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2019 – VII ZR 1/19 Rn. 23, 31, BGHZ 223, 260; Urteil vom 8. März 2012 – VII ZR 118/10 Rn. 22, BauR 2012, 949 = NZBau 2012, 357).

Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase kann im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen. Solche können sich im Einzelfall aus Umständen ergeben, die einen Bezug zu der potenziell mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung aufweisen, sofern diese in der Gesamtabwägung so schwer wiegen, dass sie zu einer tiefgehenden Störung der für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauensbeziehung geführt haben. Ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers, die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abwarten zu müssen, kann etwa aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels folgen.

(3) Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) weicht nach dem maßgeblichen Klauselverständnis von diesen wesentlichen Grundgedanken ab. Hiernach kann der Auftraggeber die Kündigung losgelöst von diesen Kriterien und – bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs – selbst bei Geringfügigkeit der Vertragswidrigkeiten oder Mängel während der Ausführungsphase aussprechen.

(4) Diese Abweichung von dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn die Vermutung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist nicht widerlegt. Weder wird die unangemessene Benachteiligung durch andere der Klägerin von der Beklagten gewährte Vorteile kompensiert noch rechtfertigen besondere Umstände bezogen auf die Durchführung und Abwicklung von Bauleistungen diese.

ff) § 8 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) behält im Übrigen – soweit die Bestimmung nicht auf § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) rückbezogen ist – seine Wirksamkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können inhaltlich voneinander trennbare, einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch dann Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung sein, wenn sie in einem äußeren sprachlichen Zusammenhang mit anderen – unwirksamen – Regelungen stehen. Nur wenn der als wirksam anzusehende Teil im Gesamtgefüge des Vertrags nicht mehr sinnvoll, insbesondere der als unwirksam beanstandete Klauselteil von so einschneidender Bedeutung ist, dass von einer gänzlich neuen, von der bisherigen völlig abweichenden Vertragsgestaltung gesprochen werden muss, ergreift die Unwirksamkeit der Teilklausel die Gesamtklausel. Die inhaltliche Trennbarkeit einer Klausel und damit ihre Zerlegung in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil ist immer dann gegeben, wenn der unwirksame Teil der Klausel gestrichen werden kann, ohne dass der Sinn des anderen Teils darunter leidet (sog. blue-pencil-test); ob beide Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen, ist dabei unerheblich (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. April 2022 – VIII ZR 295/20 Rn. 45 m.w.N., NJW 2022, 1944).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs erstreckt sich die Unwirksamkeit der ersten in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) geregelten Variante nicht auf die übrigen Kündigungstatbestände. Der Passus in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002), der die Bezugnahme auf den Kündigungsgrund des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) enthält, kann gestrichen werden, ohne dass die Klausel des § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) insgesamt ihren Sinn einbüßt.

2. Der Senat kann nicht entscheiden, ob die Beklagte außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) nach dem gemäß § 306 Abs. 1 BGB zu prüfenden dispositiven Recht ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund hatte. Dazu, ob die Beklagte den Vertrag nach den richterrechtlich entwickelten Grundsätzen zur Kündigung aus wichtigem Grund kündigen konnte, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.

IV.

Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B sind nach Auffassung des BGH die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich

Für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B sind nach Auffassung des BGH die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich

von Thomas Ax

Wie die Vergütungsanpassung bei Mengenmehrungen vorzunehmen ist, wenn eine Einigung über den neuen Einheitspreis nicht zustande kommt, ist in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nicht geregelt. Die Bestimmung gibt nur vor, dass bei der von den Parteien zu treffenden Vereinbarung über den neuen Preis Mehr- oder Minderkosten zu berücksichtigen sind. Die VOB/B legt die Verantwortung für die neue Preisbestimmung, durch die etwaigen Störungen des Äquivalenzverhältnisses entgegengewirkt werden soll, damit in die Hände der Vertragsparteien, die unter Berücksichtigung der geänderten Umstände einen neuen Preis aushandeln sollen. Abgesehen von der in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B vorgesehenen Einigung auf einen neuen Einheitspreis können die Vertragsparteien sowohl bei Vertragsschluss für den ungewissen Fall, dass Mengenmehrungen im Sinne dieser Bestimmung eintreten, als auch nachträglich, sobald aufgrund konkret eingetretener Mehrmengen ein neuer Einheitspreis verlangt wird, sich über einzelne Teilelemente der Preisbildung verständigen. Sie können etwa einen bestimmten Maßstab beziehungsweise einzelne Kriterien oder Faktoren festlegen, nach denen im konkreten Fall der neue Einheitspreis nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B bestimmt werden soll.

Haben sich die Parteien nicht insgesamt oder im Hinblick auf einzelne Elemente der Preisbildung geeinigt, enthält der Vertrag eine Lücke, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu schließen ist. Dabei entspricht es der Redlichkeit und dem bestmöglichen Ausgleich der wechselseitigen Interessen, dass durch die unvorhergesehene Veränderung der auszuführenden Leistungen im von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B bestimmten Umfang keine der Vertragsparteien eine Besser- oder Schlechterstellung erfahren soll. Die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien nach Treu und Glauben ergibt, dass – wenn nichts anderes vereinbart ist – für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich sind.

BGH, Urteil vom 8. August 2019 – VII ZR 34/18

Abtragungen und ihre Folgen

Abtragungen und ihre Folgen

von Thomas Ax

Nach § 909 BGB darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, dass für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist.

Den Nachbarn, auf dessen Grundstück die Abtragung vorgenommen wurde, die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Ihr Grundstück seine Festigkeit erhält.

Die Vorschrift enthält keine Anspruchsgrundlage , sondern formuliert lediglich ein Verbot; Anspruchsgrundlage zur Durchsetzung des Verbots sind § 1004 I BGB ( BGHZ 85, 375, 384 ) bzw § 862 I BGB ( BGHZ 147, 45, 51 ).

§ 909 BGB beschränkt die aus § 903 BGB folgende positive Befugnis des Eigentümers, mit seinem Grundstück nach Belieben zu verfahren, indem ihm an sich zustehende Eingriffe im Interesse der Festigkeit des Bodens benachbarter Grundstücke untersagt werden ( BGHZ 103, 39, 42 ). Durch § 909 BGB wird die natürliche bodenphysikalische Stütze gesichert, die sich benachbarte Grundstücke gegenseitig gewähren; die Vorschrift dient dem Schutz von Grundstückseigentümern vor unzulässigen Vertiefungen, welche Dritte auf einem Nachbargrundstück vornehmen ( BGHZ 91, 282, 284 f ). Die Vorschrift schützt nicht nur den Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks, sondern alle dinglich Berechtigten, denen der Eigentumsanspruch aus § 1004 I BGB in entsprechender Anwendung zusteht. Dazu gehören der Nießbraucher ( § 1065 BGB ), der Dienstbarkeitsberechtigte ( §§ 1027 , 1090 II BGB ) und der Erbbauberechtigte ( § 11 I ErbbauRG ).

Hat der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks die Vertiefung auf einem Nachbargrundstück vorgenommen, welches ihm ebenfalls gehört, ist das keine unzulässige Vertiefung. Der Schutz der Vorschrift kommt auch nicht demjenigen zugute, der nach der Vertiefung das beeinträchtigte Grundstück von dem Eigentümer erwirbt, der die Vertiefung vorgenommen hat ( BGHZ 91, 282, 285 ). Ebenfalls in den Schutzbereich des § 909 BGB ist der anwartschaftsberechtigte Käufer des beeinträchtigten Grundstücks einbezogen ( BGHZ 114, 161 ). Das folgt aus dem Umstand, dass das Anwartschaftsrecht dem Vollrecht ähnelt. Es ist ein dem Eigentum wesensähnliches Recht, eine selbstständig verkehrsfähige Vorstufe des Grundeigentums, deren Entwicklung zum Vollrecht nur noch von der Eintragung in das Grundbuch abhängt, welche der Veräußerer grds nicht mehr verhindern kann, und das durch Auflassung nach § 925 BGB übertragen wird ( BGHZ 114, 161, 164 ).

Neben dem Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks und den daran dinglich Berechtigten sowie dem Anwartschaftsberechtigten genießen auch die obligatorisch Berechtigten den Schutz des § 909 BGB, wenn ihnen ein dem Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch aus § 1004 I BGB gleichartiger Anspruch zusteht. Das ist bei Mietern und Pächtern der Fall, weil sie gegen Störungen ihres Besitzes mit dem Abwehranspruch aus § 862 I vorgehen können ( BGHZ 147, 45, 51 ).

Der auf § 909 BGB gestützte Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch nach § 1004 I richtet sich in erster Linie gegen denjenigen, der im Zeitpunkt der Störung, also dann, wenn das benachbarte Grundstück die erforderliche Stütze verliert, Eigentümer (RGZ 103, 174, 176) oder Besitzer (RGZ 167, 14, 28) des Grundstücks ist, welches vertieft wurde. Der frühere Eigentümer oder Besitzer, der die Vertiefung vorgenommen hat, kann nicht in Anspruch genommen werden, weil er zur Unterlassung oder Beseitigung der aufgrund der Vertiefung eingetretenen Störung des Nachbargrundstücks nicht mehr in der Lage ist.

Daneben richtet sich das Verbot des § 909 BGB an jeden, der das Grundstück vertieft oder an der Vertiefung mitwirkt; das sind zB der Architekt , der bauleitende Ingenieur , der Bauunternehmer und der Statiker , dessen Berechnungen die Grundlage für den Bodenaushub und die dabei zu beachtenden Sicherungsmaßnahmen bilden (BGH NJW 96, 3205, 3206).

Unter Vertiefung iSd Vorschrift ist jede Einwirkung auf ein Grundstück zu verstehen, die zur Folge hat, dass der Boden des Nachbargrundstücks in der Senkrechten den Halt verliert oder dass dort die Festigkeit der unteren Bodenschichten in ihrem waagerechten Verlauf beeinträchtigt wird ( BGHZ 101, 106, 109 ). Diese Definition ist nicht ganz vollständig; es fehlt der Hinweis darauf, dass die Einwirkung auf das Grundstück auf eine menschliche Handlung zurückzuführen sein muss. Vertiefungen infolge von Naturereignissen wie zB das Abschwemmen von Boden durch starken Regen werden von § 909 BGB nicht erfasst.

Welches Ausmaß die Vertiefung hat, spielt keine Rolle; auch ein Bohrloch ist eine Vertiefung (Palandt/Bassenge Rz 3). Die Vertiefung einer bereits bestehenden Vertiefung gehört ebenfalls hierher (BGH WM 79, 1216). Unerheblich ist, zu welchem Zweck die Vertiefung erfolgt und wie lange sie besteht ( BGHZ 57, 370, 374 ). Auch die nur vorübergehende Vertiefung wie das Ausheben eines Grabens, in welchem Rohrleitungen verlegt werden und der danach wieder zugeschüttet wird, fällt unter § 909 BGB (BGH NJW 78, 1051, 1052).

Ein Bodenaushub ist für die Annahme einer Vertiefung iSd Vorschrift nicht erforderlich. Deshalb gehören zB die Absenkung der Grundstücksoberfläche infolge Lagerung von Bauschutt und Erdaushub (BGH NJW 71, 935 [BGH 05.03.1971 – V ZR 168/68] ) oder infolge der Bodenbelastung durch ein Gebäude ( BGHZ 101, 290, 292 ), das Abgraben eines Hangfußes (BGH MDR 72, 404) und der Abbruch eines Kellers (BGH NJW 80, 224 [BGH 19.09.1979 – V ZR 22/78] ) ebenfalls hierher, nicht aber die Entfernung oberirdischer Gebäudeteile (BGH NJW-RR 12, 1160, 1161 [BGH 29.06.2012 – V ZR 97/11] ).

Sinkt durch eine Vertiefung der zuvor bezeichneten Art der Grundwasserspiegel auf dem Nachbargrundstück, ist das ebenfalls ein Fall von § 909 BGB ( BGHZ 57, 370, 374 ). Dasselbe gilt für den Fall, dass der Grundwasserspiegel durch eine Vertiefung (Kanalisationsarbeiten) zwar nicht verändert wird, aber die von den Kanalisationsrohren ausgehende Drainagewirkung das Austrocknen des Nachbargrundstücks bewirkt (BGH NJW 81, 50, 51 [BGH 04.07.1980 – V ZR 240/77] ).

Nicht zu den Vertiefungen gehören Erhöhungen der Oberfläche eines Grundstücks, zB die Höherlegung einer Straße (BGH NJW 74, 53, 54 [BGH 11.10.1973 – III ZR 159/71] ).

Der Stützverlust kann sich darin zeigen, dass der Boden nach unten oder zur Seite hin absinkt; er kann auch darin liegen, dass sich der Boden von dem Grundstück her, auf dem die Vertiefung erfolgte, in Bewegung setzt und in sich den Halt verliert ( BGHZ 44, 130, 135 ). Der Boden hat bereits dann die erforderliche Stütze verloren, wenn die Gefahr einer Bodenbewegung besteht, welche durch die Lockerung der Bodenbestandteile hervorgerufen wird.

Ursache für den Stützverlust muss immer die Vertiefung sein.

Wird dem Boden die Stütze infolge von Erschütterungen entzogen, welche bei Vertiefungsarbeiten auftreten, ist das kein Fall des § 909 BGB ( BGHZ 101, 106, 109 ).

Die Vorschrift verbietet nur den Entzug der „erforderlichen“; Stütze. Welche das ist, lässt sich nicht generell beantworten. Es kommt jeweils auf die Umstände des Einzelfalls, in erster Linie natürlich auf die örtlichen Gegebenheiten an. Entscheidend ist, welche Befestigung das Nachbargrundstück nach seiner tatsächlichen Beschaffenheit benötigt; demnach ist eine Vertiefung auch dann unzulässig, wenn die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks darauf beruht, dass ein Gebäude auf einem schlechten Baugrund steht und deshalb weniger tragfähige Fundamente hat, oder dass das Gebäude besonders schadensanfällig ist ( BGHZ 101, 290, 293 ).

Das Nachbargrundstück, welches durch die Vertiefung die erforderliche Stütze verliert, muss nicht unbedingt an das Grundstück angrenzen, auf welchem die Vertiefung vorgenommen wurde. Der Schutzbereich des § 909 BGB erstreckt sich vielmehr auf alle Grundstücke, die von den Auswirkungen der Vertiefung betroffen sein können (BGH NJW-RR 96, 852 [BGH 26.01.1996 – V ZR 264/94] ).

Nur die Festigkeit des Bodens wird durch die Vorschrift geschützt, nicht aber die Bebauung auf dem Nachbargrundstück, die durch andere Ursachen als den Stützverlust des Bodens wie zB den Abbruch eines Nachbarhauses beschädigt wird ( BGHZ 12, 75 ; BGH NJW 79, 1166; aA Staud/Roth Rz 23).

Boden ist der Erdkörper mit seinen natürlichen Bestandteilen. Wesentliche Bestandteile des Grundstücks wie Gebäude oder Bäume gehören nicht dazu.

Die Vertiefung ist dann nicht unzulässig, wenn sie zwar zu dem Verlust der erforderlichen Stütze des Nachbargrundstücks führen kann, aber für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist. Die dafür notwendigen Maßnahmen muss der Vertiefende auf seinem eigenen Grundstück vornehmen; das Nachbargrundstück darf er grds nicht in Anspruch nehmen (BGH NJW 97, 2595).

Allerdings kann der Nachbar unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses (dazu § 903 BGB ) verpflichtet sein, für die Dauer der Herstellung der anderweitigen Befestigung die Benutzung seines Grundstücks zu dulden. Das kommt zB dann in Betracht, wenn die Befestigung auf andere Weise nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten hergestellt werden kann. In diesem Fall steht dem Nachbarn ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II 2 BGB analog zu (dazu § 906 BGB ). Soweit es lediglich um das Betreten des Nachbargrundstücks zum Zweck der Herstellung der anderweitigen Befestigung geht, ergibt sich für den Vertiefenden das entsprechende Recht auch aus landesrechtlich eingeräumten Hammerschlags- und Leiterrechten (s. die Übersicht bei Staud/Roth Rz 33).

Die anderweitige Befestigung muss den durch die Vertiefung hervorgerufenen Stützverlust vollständig ausschließen, also die erforderliche Stütze ersetzen. Welche Maßnahmen dafür notwendig sind, richtet sich nach physikalisch-technischen Anforderungen. Dabei ist sowohl die gegenwärtige als auch die zukünftige – ggf gesteigerte – Nutzung des Nachbargrundstücks zu berücksichtigen; lediglich eine ganz außergewöhnliche, den Rahmen bestimmungsmäßiger Inanspruchnahme offensichtlich überschreitende Ausnutzung des Grund und Bodens hat außer Betracht zu bleiben ( BGHZ 63, 176, 179 f ).

Die anderweitige Befestigung muss im Zeitpunkt der Vertiefung vorhanden sein, damit jeder Stützverlust – sei er auch nur vorübergehend – ausgeschlossen ist. Dafür hat der Vertiefende alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, auch wenn sie die Vertiefungsarbeiten mehr als üblich erschweren (vgl BGH NJW 69, 2140, 2142 [BGH 27.06.1969 – V ZR 41/66] ). Welcher Art diese Maßnahmen sind, bleibt der Auswahl des Vertiefenden überlassen. Er muss dafür sorgen, dass die anderweitige Befestigung den Stützverlust so lange ausschließt, wie die Vertiefung zu einem Verlust der Stütze führen kann; zB muss er eine Stützmauer ständig in einem ordnungsgemäßen Zustand halten, weil es anderenfalls an einer ausreichenden anderweitigen Befestigung fehlte und die Vertiefung unzulässig würde (BGH NJW 80, 224 [BGH 19.09.1979 – V ZR 22/78] ).

§ 909 BGB gibt dem Grundstücksnachbarn keinen Anspruch gegen den Vertiefenden auf Herstellung einer anderweitigen Befestigung; letzterer hat vielmehr nur das Recht dazu (RGZ 132, 58).

Rechtsfolgen der unzulässigen Vertiefung.

Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch.

Bei einer bevorstehenden ersten oder wiederholten unzulässigen Vertiefung hat der Berechtigte gegen alle Verpflichteten einen Anspruch auf Unterlassung der Vertiefung nach § 1004 I BGB . Die Unzulässigkeit der Vertiefungshandlung muss zumindest wahrscheinlich sein; aufgrund der örtlichen Bodengegebenheiten müssen Umstände vorliegen, welche die konkrete Annahme rechtfertigen, dass dem Boden des Nachbargrundstücks durch die Vertiefung die erforderliche Stütze entzogen wird.

Nach erfolgter Vertiefung hat der Berechtigte gegen den derzeitigen Eigentümer oder Besitzer des Grundstücks, auf dem die Vertiefung erfolgte, einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 I BGB. Dieser Anspruch ist auf die Beseitigung der Beeinträchtigung gerichtet. Damit ist die Wiederherstellung der Festigkeit des Bodens des Nachbargrundstücks gemeint. Die Auswahl unter mehreren dafür geeigneten Maßnahmen obliegt dem in Anspruch genommenen Eigentümer oder Besitzer.

Schadensersatzanspruch.

§ 909 BGB ist Schutzgesetz iSv § 823 II BGB (BGH NJW 96, 3205, 3206). Deshalb hat der Berechtigte gegen alle Verpflichteten einen verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch. Verschulden ist dann anzunehmen, wenn der Vertiefende vorhergesehen hat oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ( § 276 ) vorhersehen konnte, dass gerade dem Boden des geschädigten Nachbarn und nicht nur dem Nachbargelände überhaupt durch die Vertiefung die erforderliche Stütze entzogen würde und er gleichwohl nicht die gebotenen Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat, um diese Folge der Vertiefung zu vermeiden (BGH NJW 77, 763, 764 [BGH 05.11.1976 – V ZR 93/73] ). Ggf müssen auch ungewöhnliche Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden.

Dem Eigentümer bzw Besitzer , der die Vertiefungsarbeiten auf seinem Grundstück ausführen lässt, trifft eine eigenverantwortliche Pflicht zur Überprüfung, ob die beabsichtigten Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung der Standfestigkeit des Nachbargrundstücks führen können. Dieser Pflicht kommt er allerdings regelmäßig schon dadurch nach, dass er mit der Lösung der anfallenden bautechnischen Aufgaben und mit deren sachgemäßen Durchführung sorgfältig ausgewählte, fachkundige Architekten, Ingenieure und Bauunternehmer betraut ( BGHZ 147, 45, 48 ). Ist jedoch erkennbar eine erhöhte Gefahrenlage gegeben oder besteht Anlass zu Zweifeln, ob die beauftragten Personen die Gefahren und Sicherungserfordernisse ausreichend berücksichtigen werden, reicht die sorgfältige Auswahl der Fachleute zur Entlastung des Eigentümers bzw Besitzers des Grundstücks, auf dem die Arbeiten ausgeführt werden, nicht aus (BGH NJW-RR 97, 1374 [BGH 04.07.1997 – V ZR 48/96] ). Sind dem Eigentümer bzw Besitzer durch Hinweise des Nachbarn besondere Gefahren bekannt geworden, muss er die von ihm beauftragten Fachleute unverzüglich darüber informieren (RGZ 132, 51, 60).

An die Sorgfaltspflicht des Architekten , dem die Bauplanung und Bauleitung übertragen ist, sind hohe Anforderungen zu stellen. Er muss bei der Planung und Überwachung von Vertiefungsarbeiten diejenigen einen Stützverlust des Bodens benachbarter Grundstücke ausschließenden Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Architekten bei dem beabsichtigten Vorhaben vorausgesetzt und erwartet werden können (BGH NJW-RR 96, 852 [BGH 26.01.1996 – V ZR 264/94] ). Fehlen dem Architekten besondere Kenntnisse, die für eine Risikoabschätzung erforderlich sind, muss er einen Bodengutachter hinzuziehen, wenn er anders nicht zu der Überzeugung gelangen kann, dass die Vertiefung keine Gefahr für die Nachbargrundstücke bedeutet. Ihn trifft dann kein Schuldvorwurf, wenn er die in einem Gutachten zur Bodenbeschaffenheit und zur Durchführung der Vertiefung enthaltenen Anweisungen befolgt und diese sich später als unzutreffend erweisen (BGH NJW-RR 96, 852, 853 [BGH 26.01.1996 – V ZR 264/94] ).

Der mit der Durchführung der Vertiefung beauftragte Bauunternehmer handelt schuldhaft, wenn er voraussehen musste, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verlieren kann (BGH NJW 81, 50, 51 [BGH 04.07.1980 – V ZR 240/77] ). Auf die Statik (Köln BauR 87, 472 ) und auf Weisungen des Architekten (BGH NJW 61, 1523 [BGH 10.05.1961 – V ZR 236/60] ) darf er sich nicht verlassen. Ggf muss er auf der Einholung eines Bodengutachtens bestehen (BGH NJW 73, 2207, 2208 [BGH 05.10.1973 – V ZR 163/71] ).

Der Statiker schuldet nicht nur die rechnerische Richtigkeit seiner Berechnungen. Er muss sich hinsichtlich notwendiger Vertiefungen auch um den Baugrund kümmern und sich Klarheit über die Bodenverhältnisse verschaffen, damit er beurteilen kann, welche Gründungsmaßnahmen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten erforderlich sind (BGH WM 71, 682, 684).

Alle Verpflichteten haften bei Verschulden als Gesamtschuldner ( § 840 I BGB ). Die gesamtschuldnerische Haftung von Eigentümer bzw Besitzer und Architekt tritt auch ein, wenn die ersteren einen verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch schulden und den letzteren eine deliktsrechtliche Haftung trifft ( BGHZ 147, 45, 56 ). § 830 I 2 , wonach jeder für den Schaden verantwortlich ist, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten ihn durch seine Handlung verursacht hat, gilt ebenfalls bei der Haftung eines der Verpflichteten aus unerlaubter Handlung und eines anderen aus § 906 II 2 BGB analog ( BGHZ 101, 106, 111 ).

Zu ersetzen sind die Wiederaufbau- und Aufräumungskosten sowie der durch den Stützverlust hervorgerufene Minderwert des Nachbargrundstücks (vgl BGH NJW 97, 2595, 2596), ebenso die Kosten der Wiederherstellung der Standfestigkeit (BGH NJW-RR 08, 969 [BGH 15.02.2008 – V ZR 17/07] f). Ist das beschädigte Gebäude baufällig gewesen, ist nur der durch die Vertiefung zusätzlich entstandene Schaden zu ersetzen (BGH NJW 66, 42, 43 [BGH 19.10.1965 – V ZR 171/63] ). Ein Mitverschulden ( § 254 BGB) des geschädigten Grundstücksnachbarn kann den Schadensersatzanspruch mindern, wenn er seine Unterhaltungspflicht hinsichtlich beschädigter Gebäude verletzt hat ( BGHZ 73, 176, 182 ).

Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch.

Im Anwendungsbereich des § 909 BGB kommt ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II 2 BGB analog in Betracht, wenn die unzulässige Vertiefung aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen nicht rechtzeitig abgewehrt werden konnte; dieser Anspruch steht sowohl dem Eigentümer als auch dem Besitzer des geschädigten Grundstücks zu ( BGHZ 147, 45, 49 ). Der Anspruch richtet sich nur gegen den Eigentümer bzw Besitzer des vertieften Grundstücks, nicht auch gegen den Bauunternehmer, Architekten, Statiker oder Bauleitenden Ingenieur ( BGHZ 101, 290, 294 ).

Der Anspruch setzt voraus, dass der Geschädigte durch die fehlende Möglichkeit der Abwehr der unzulässigen Vertiefung solche Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Einwirkung übersteigen ( BGHZ 147, 45, 50 ).

Die Höhe des Ausgleichsanspruchs berechnet sich nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung. Das kann im Einzelfall die Höhe des vollen Schadensersatzes erreichen, wenn die unzulässige Vertiefung zu einer Substanzschädigung geführt hat (vgl BGHZ 142, 166 ). Ausgeglichen wird nur der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung, weil der Beeinträchtigte Einwirkungen bis zur Grenze der Unzumutbarkeit entschädigungslos hinnehmen muss ( BGHZ 62, 361, 371 ). Eine Minderung des Ausgleichsanspruchs kommt in Betracht, wenn das beeinträchtigte Grundstück vor der unzulässigen Vertiefung bereits schadensanfällig war und wenn der Grundstücksnachbar – schuldhaft oder schuldlos – die Vertiefungsschäden mit verursacht hat (BGH NJW-RR 88, 136 [BGH 18.09.1987 – V ZR 219/85] ).

Prozessuales.

Bei der Unterlassungsklage darf der Klageantrag nicht auf die Verurteilung zum Unterlassen der Vertiefung schlechthin gerichtet sein, denn der Verpflichtete ist zur Vertiefung berechtigt, wenn er für eine ausreichende anderweitige Befestigung sorgt. Deshalb muss die zu unterlassende Vertiefung zB in Anlehnung an den Gesetzestext umschrieben werden, damit klar wird, dass nur eine unzulässige Vertiefung verhindert werden soll (BGH NJW 09, 2528 [BGH 29.05.2009 – V ZR 15/08] ). Der Kläger muss darlegen und beweisen, dass die Gefahr einer unzulässigen Vertiefung droht.

Die Beseitigungsklage darf nur darauf gerichtet sein, dass die frühere, genau zu bezeichnende Festigkeit des Bodens wieder herzustellen ist; konkrete Maßnahmen dafür dürfen nicht verlangt werden (BGH NJW 09, 2528, 2529 [BGH 29.05.2009 – V ZR 15/08] ), weil ihre Auswahl dem Verpflichteten obliegt. Erst im Zwangsvollstreckungsverfahren kann der Berechtigte als Gläubiger bestimmen, welche konkreten Maßnahmen auf Kosten des Verpflichteten als Schuldner durchgeführt werden sollen ( § 887 ZPO ). Der Kläger muss die Vertiefung als solche, seine Berechtigung hinsichtlich des Nachbargrundstücks, den Stützverlust infolge der Vertiefung sowie darlegen und beweisen, dass der derzeitige Grundstücksnachbar oder dessen Rechtsvorgänger die Vertiefung veranlasst haben (Saarbr MDR 11, 1345). Dem Beklagten obliegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist.

Verlangt der Geschädigte Schadensersatz, muss er die Unzulässigkeit der Vertiefung und den eingetretenen Schaden sowie die Kausalität der Vertiefung für den Schaden darlegen und beweisen. Für den Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität kann das Gericht von der Möglichkeit der Schadensschätzung nach § 287 ZPO Gebrauch machen ( BGHZ 85, 375, 383 ). Bei typischen Geschehensabläufen kann auf die Grundsätze über den Anscheinsbeweis zurückgegriffen werden (BGH WM 83, 943, 944). Der Vertiefende muss darlegen und beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft.

Den Nachbarn, auf dessen Grundstück die Abtragung vorgenommen wurde, die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Ihr Grundstück seine Festigkeit erhält.
Die Ansprüche, die sich aus den §§ 907 bis 909, 915, dem § 917 Abs. 1, dem § 918 Abs. 2, den §§ 919, 920 und dem § 923 Abs. 2 ergeben, unterliegen nicht der Verjährung.

Der Ausschluss der Verjährbarkeit nachbarrechtlicher Ansprüche soll die gesetzliche Wertung zum Ausdruck bringen, dass solche Ansprüche fortwährend neu entstehen.

Risse im Einfamilienhaus durch Neubau nebenan

Risse im Einfamilienhaus durch Neubau nebenan

Der Wohnungsmarkt boomt, überall wird gebaut. Man spricht von „städtischer Verdichtung“, wenn auf freiwerdenden oder -gebliebenen Grundstücken Mehrfamilienhäuser neben bestehende Häuser gebaut werden. Viele Alteigentümer sehen das nicht gern. Manchmal zu Recht, wie jetzt der 12. Zivilsenat des Oberlandesgericht Oldenburg in einem aktuellen Fall feststellen musste.

Ein Paar aus Nordhorn, Eigentümer eines Hauses aus der Jahrhundertwende, hatte ein Tiefbauunternehmen aus Westfalen verklagt. Auf dem Nebengrundstück sollte ein Mehrfamilienhaus mit Tiefgarage errichtet werden. Zur Sicherung der hierzu ausgehobenen Baugrube brachte der beklagte Unternehmer in einem Abstand von zum Teil nur 60 cm zum Grundstück der Kläger mehrere acht Meter lange Eisenträger in den Boden ein. Dazwischen wurden Stahlbleche eingesetzt. Der Unternehmer hatte zunächst acht Meter tiefe Löcher in den Boden gebohrt und dann mit einem großen Rammgerät die Eisenträger eingebracht. Nach der Fertigstellung der Tiefbauarbeiten wurden die Stahlträger wieder gezogen.

Die Kläger stellten Risse an ihrem Anbau fest und verklagten den Unternehmer. Es sei ein Schaden von rund 20.000,- Euro entstanden. Der Unternehmer wies alle Schuld von sich. Der Altbau hätte schon vor seinen Arbeiten Risse gehabt. Das läge an dem maroden Zustand des Gebäudes, das ohnehin abrissreif wäre. Außerdem könne eine etwaige Vergrößerung der alten Risse auch andere Ursachen haben, etwa die Grundwasserabsenkung aufgrund des Neubaus, für die nicht er, sondern ein anderer Unternehmer verantwortlich sei.

Das Landgericht Osnabrück war der Argumentation des Beklagten gefolgt. Auf die Berufung der Kläger hin hat das Oberlandesgericht dieses Urteil geändert und den Klägern den begehrten Schadensersatz zugesprochen. Der Unternehmer hätte gegen seine Schutzpflichten aus dem Werkvertrag verstoßen. Zwar sei der Eigentümer des Nachbargrundstücks und nicht das Ehepaar Vertragspartner des Unternehmers. Dieser Werkvertrag entfalte aber eine Schutzwirkung zugunsten Dritter, hier des Ehepaars. Die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten gälten auch ihnen gegenüber.

Durch die Vibrationsarbeiten in unmittelbarer Nähe des Hauses der Kläger hätte der Unternehmer gegen die anerkannten Regeln der Technik verstoßen. Die Gefahr von Versackungen sei vorhersehbar gewesen und für die Art von Vibrationsarbeiten, wie sie der Beklagte durchgeführt habe, nahezu typisch. Der Gerichtssachverständige habe auch festgestellt, dass sich alte Risse in dem Gebäude nach den Arbeiten auf teilweise mehrere Zentimeter deutlich verbreitert und die gesamte Hauswand durchdrängt hätten. Ein Fenster sei praktisch aus der Laibung gerissen worden, das Gebäude biete keinen Witterungsschutz mehr nach außen. Eine mögliche Absenkung des Grundwasserspiegels sei allenfalls in geringem Umfang mitursächlich. Daher müsse der Unternehmer den Schaden der Kläger begleichen.

Das Paar erhält jetzt den geltend gemachten Schaden ersetzt.

Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 15.08.2017, Az. 12 U 61/16

Oberlandesgericht Oldenburg
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Die niedersächsischen Bauaufsichtsbehörden können die Beseitigung von Schottergärten anordnen

Die niedersächsischen Bauaufsichtsbehörden können die Beseitigung von Schottergärten anordnen

Der 1. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 17. Januar 2023 den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 12. Januar 2022 (Az.: 4 A 1791/21) abgelehnt, mit dem dieses die Klage gegen eine auf die Beseitigung von Kies aus zwei Beeten gerichtete bauaufsichtliche Verfügung der Stadt Diepholz abgewiesen hat (Az.: 1 LA 20/22). Damit hat sich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht erstmals mit der bauordnungsrechtlichen Unzulässigkeit von Schottergärten befasst.

Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks im Stadtgebiet Diepholz. Im Vorgarten haben sie zwei insgesamt etwa 50 m² große Beete angelegt. Diese sind mit Kies, in den einzelne Pflanzen eingesetzt sind, bedeckt.

Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob es sich bei den Beeten um Grünflächen im Sinne des § 9 Abs. 2 der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) handelt. Nach dieser Vorschrift müssen die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke Grünflächen sein, soweit sie nicht für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind. Die Grundstückseigentümer machen geltend, bei den Beeten handele es sich aufgrund der Anzahl und der Höhe der eingesetzten Pflanzen um Grünflächen. Jedenfalls sei ihr Garten unter Berücksichtigung der hinter dem Wohnhaus befindlichen Rasenflächen und Anpflanzungen insgesamt ein ökologisch wertvoller Lebensraum.

Dieser Argumentation ist der 1. Senat ebenso wie zuvor das Verwaltungsgericht Hannover nicht gefolgt. Die Bauaufsichtsbehörde könne einschreiten, wenn nicht überbaute Flächen von Baugrundstücken nicht den Anforderungen des § 9 Abs. 2 NBauO genügten. Dies sei hier der Fall. Bei den Beeten der klagenden Grundstückeigentümer handele es sich nicht um Grünflächen, die durch nicht übermäßig ins Gewicht fallenden Kies ergänzt würden, sondern um Kiesbeete, in die punktuell Koniferen und Sträucher sowie Bodendecker eingepflanzt seien. Grünflächen würden durch naturbelassene oder angelegte, mit Pflanzen bewachsene Flächen geprägt. Wesentliches Merkmal einer Grünfläche sei der „grüne Charakter“. Dies schließe Steinelemente nicht aus, wenn sie nach dem Gesamtbild nur untergeordnete Bedeutung hätten, was eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich mache. Dass die insgesamt nicht überbauten Flächen eines Baugrundstückes nur „überwiegend“ Grünflächen sein müssten, so dass die Grünflächen hinter dem Haus der Kläger die Kiesbeete im Vorgarten erlauben würden, sei § 9 Abs. 2 NBauO nicht zu entnehmen. Ein solches Verständnis widerspreche auch der Intention des Gesetzgebers, die „Versteinerung der Stadt“ auf das notwendige Ausmaß zu beschränken.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aufwendungen für die Beauftragung eines Privatgutachters zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich – dann erstattungsfähig

Vergaberecht: Vertragsklauseln müssen kaufmännisch vernünftige Kalkulation ermöglichen

von Thomas Ax

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Erstattung von Kosten für einen privat beauftragten Sachverständigen in Betracht, wenn diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung notwendig waren (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 – VI ZB 56/02; BGH, Beschluss vom 23. Mai 2006 – VI ZB 7/05). Die Beurteilung dieser Frage hat sich dabei daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich hätte ansehen dürfen (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 – VI ZB 56/02; Beschluss vom 26. Februar 2013 – VI ZB 59/12). Danach kommt eine Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Beteiligter infolge fehlender Sachkenntnisse nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage ist (vgl. BGH aaO.; OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2012 – II-4 WF 11/12BeckRS 2012, 12070). Diese Ausnahme ist insbesondere auf Zivilverfahren zugeschnitten, in denen es den Parteien nach dem sogenannten Beibringungsgrundsatz obliegt, substantiiert die gebotenen Tatsachen und Informationen vorzutragen, die als Grundlage für die Entscheidung des Gerichts erforderlich sind (vgl. hierzu Herget in: Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 91 ZPO, Rn. 13.73).

In Bezug auf prozessbegleitend eingeholte Privatgutachten ist die Erstattungsfähigkeit entsprechender Aufwendungen zwar insoweit eingeschränkt, dass es Sache des Gerichts ist, Beweiserhebungen durch Einholung von Sachverständigengutachten durchzuführen.

Die Rechtsprechung hat die Erstattungsfähigkeit prozessbegleitender Privatgutachten aber dann bejaht, wenn es darum geht, ein gerichtliches Gutachten zu überprüfen, zu widerlegen oder zumindest zu erschüttern (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.11.2001, AZ: 8 W 481/01, Tn. 6, sowie Beschluss vom 11.07.2007, AZ: 8 W 265/07 Rn. 11; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2001, AZ: 4 W 2053/01, Rn. 14; OLG Koblenz, Beschluss vom 21.08.2007, AZ: 14 W 608/07, Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2008, AZ: 2 W 148/08, Rn. 3) oder wenn eine Partei auf die Hinzuziehung eines Sachverständigen angewiesen ist, um ihrer Darlegungs- und Beweislast zu genügen, Beweisangriffe abzuwehren oder Beweisen des Gegners entgegentreten zu können (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.02.1997, AZ: 10 W 21/97 Rn. 4; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2001, AZ: 4 W 2053/01, Rn. 14; OLG Naumburg, Beschluss vom 30.08.2006, AZ: 10 W 52/06, Rn. 11; OLG Koblenz, Beschluss vom 21.08.2007, AZ: 14 W 608/07, Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2008, AZ: 2 W 148/08, Rn. 3) oder wenn die Einholung des Gutachtens der Wiederherstellung der Waffengleichheit dient (OLG Hamm, Beschluss vom 14. Mai 2013 – 25 W 94/13 mwN).

Das OLG Nürnberg (Beschluss vom 18. Juni 2001, aaO) hat die Erstattung prozessbegleitender Privatgutachterkosten in einem Bauprozess abgelehnt, ebenso das OLG Koblenz (Beschluss vom 21. August 2007, aaO), wenn keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass die Partei nicht selbst qualifizierten Vortrag halten kann, so dass ein Gerichtsgutachten zu den streitigen Fragen einzuholen ist. Ähnlich hat das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 30. August 2006, aaO.) darauf abgestellt, dass eine Partei grundsätzlich die für den Vermögensverfall maßgeblichen Tatsachen selbst vortragen könne und die Beweiserhebung im Übrigen Sache des Gerichts sei. Das OLG Celle, 2. Zivilsenat (Beschluss vom 25. Juli 2008, aaO) hat betont, dass zu dem Erfordernis eines Privatgutachtens substantiiert vorzutragen und dabei jede Partei gehalten sei, die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lasse. Es gelte das Gebot sparsamer Prozessführung.

Nach alledem müssen Gründe ersichtlich sein oder vorgetragen werden, wonach die zusätzlich zum Gerichtsgutachten begehrte Einholung eines Privatgutachtens erforderlich wäre.

Es müssen, OLG Nürnberg (Beschluss vom 18. Juni 2001, aaO), für die Erstattung prozessbegleitender Privatgutachterkosten in einem Bauprozess, ebenso OLG Koblenz (Beschluss vom 21. August 2007, aaO), Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass die Partei nicht selbst qualifizierten Vortrag halten kann, so dass ein Gerichtsgutachten zu den streitigen Fragen einzuholen ist. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 30. August 2006, aaO.) darf es nicht so sein, dass die Partei grundsätzlich die für den Vermögensverfall maßgeblichen Tatsachen selbst vortragen kann. Das OLG Celle, 2. Zivilsenat (Beschluss vom 25. Juli 2008, aaO) hat betont, dass zu dem Erfordernis eines Privatgutachtens substantiiert vorzutragen und dabei jede Partei gehalten sei, die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lasse. Es gelte das Gebot sparsamer Prozessführung.

VertragsMan ® Bau – Änderung des Bauablaufs – Pauschalvertrag (§ 2 Abs. 7 VOB/B) und Bauablaufstörung anforderungsgerecht gehandhabt

VertragsMan ® Bau - Änderung des Bauablaufs – Pauschalvertrag (§ 2 Abs. 7 VOB/B) und Bauablaufstörung anforderungsgerecht gehandhabt

Auch bei einem Pauschalvertrag können sich im Falle einer Verlängerung der vertraglich vereinbarten Bauzeit ergeben und ergeben sich regelmäßig durchsetzbare und durchzusetzende Ansprüche auf eine zusätzliche Vergütung. Zu beachten ist, dass wenn aus der Änderung des kritischen Weges eine Verlängerung der vertraglich vereinbarten Bauzeit resultiert, sich die zeitabhängigen Preisbestandteile der Urkalkulation ändern können und regelmäßig ändern.

 

Es ist zu beachten, dass beim VOB-konformen Pauschalvertrag ein definierter Leistungsumfang in einer Pauschalsumme abgerechnet wird. Der Auftragnehmer ist zur Erbringung der gesamten pauschalierten Leistung verpflichtet, unabhängig vom tatsächlich erforderlichen Leistungsumfang. Die Vergütung für zusätzliche oder geänderte Leistungen gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B (Änderung des Bauentwurfes) und Abs. 6 (Zusätzliche Leistungen) bleibt bei der Pauschalabrechnung aber unberührt. Bei Änderung des Bauentwurfes können als Grundlage für Preisänderungen aus Gesamtpreis und Mengen-
angabe in der Leistungsbeschreibung Einheitspreise errechnet werden. Werden die Grundlagen der Pauschalierung verlassen, sind Aufmaße und eine ausführliche Beschreibung der geänderten Bauleistungen vorzunehmen, so dass die Mehr- oder Minderkosten ermittelt werden können.

Vergütungsansprüche aus Bauablaufstörung sollten zweckmäßigerweise nach Abschluss der Bauleistung betrachtet werden. Die Fortschreibung der Bauablaufpläne ist Voraussetzung dafür. Schadenersatzansprüche setzen schuldhaftes Handeln des Auftraggebers voraus (vgl. § 6 Abs. 6
VOB/B). Fällt die Änderung des Bauablaufs nicht in den Verantwortungsbereich des Auftraggebers, besteht kein Vergütungsanspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B.
Bauablaufbedingte Vergütungsansprüche nach § 2 Abs. 5 VOB/B setzen Anordnungen des Auftraggebers mit Auswirkungen auf den Bauablauf voraus.

Vergütungsansprüche können sich aus einer Änderung des kritischen Weges im Bauablauf ergeben.

Ändert sich der kritische Weg nicht, sind bauablaufbedingte Forderungen zurückzuweisen. Die tatsächlichen Auswirkungen der vom Auftraggeber verursachten Störungssachverhalte sind im Hinblick auf die Änderungen des kritischen Weges zu bewerten. Dabei sind zeitliche Überschneidungen zu berücksichtigen.

Aus dieser Bewertung ergibt sich die Änderung des kritischen Weges. Die Prüfung der Vergütungsansprüche erfolgt anhand der Nachtragskalkulation. Hierbei sind nur die von der Änderung des kritischen Weges betroffenen zeitabhängigen Preisbestandteile zu berücksichtigen.

Resultiert aus der Änderung des kritischen Weges eine Verlängerung der vertraglich vereinbarten Bauzeit, können sich die zeitabhängigen Preisbestandteile der Urkalkulation ändern. Diese Änderungen (z. B. Tariflohnanstieg, regionale Materialpreisänderungen) sind durch den Auftragnehmer detailliert nachzuweisen

Schließlich gilt:

Eine Vergütungsanpassung von Pauschalsummen kann nach § 2 Abs. 7 VOB/B in Betracht, wenn es sich um nicht zumutbare qualitative oder quantitative Änderungen des gesamten Leistungsvolumens handeln. Entscheidend sind hier aufgrund der bisherigen Rechtsprechung immer die Umstände des Einzelfalls.

Die jeweils betroffene Vertragspartei kann dann zusätzlich zur vereinbarten Pauschalsumme einen Ausgleich unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten verlangen, bis die Zumutbarkeit für ein Festhalten an der Pauschalsumme wieder erreicht ist (siehe § 2 Abs. 7 Nr. 1 Satz 2 VOB/B).

VertragsMan ® Bau – Änderung des Bauablaufs – Bauablaufstörung (§ 2 Abs. 5 VOB/B) und Zusätzliche Leistungen (§ 2 Abs. 6 VOB/B) anforderungsgerecht gehandhabt

VertragsMan ® Bau - Änderung des Bauablaufs – Bauablaufstörung (§ 2 Abs. 5 VOB/B) und Zusätzliche Leistungen (§ 2 Abs. 6 VOB/B) anforderungsgerecht gehandhabt

Änderung des Bauablaufs – Bauablaufstörung (§ 2 Abs. 5 VOB/B)

(1) Vergütungsansprüche aus Bauablaufstörung sollten zweckmäßigerweise nach Abschluss der Bauleistung betrachtet werden. Die Fortschreibung der Bauablaufpläne (vgl. Abschnitt 3.5) ist Voraussetzung dafür.

(2) Schadenersatzansprüche setzen schuldhaftes Handeln des Auftraggebers voraus (vgl. § 6 Abs. 6 VOB/B).

(3) Fällt die Änderung des Bauablaufs nicht in den Verantwortungsbereich des Auftraggebers, besteht kein Vergütungsanspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B.

(4) Bauablaufbedingte Vergütungsansprüche nach § 2 Abs. 5 VOB/B setzen Anordnungen des Auftraggebers mit Auswirkungen auf den Bauablauf voraus. Um diese Vergütungsansprüche prüfen zu können, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
– Vorlage eines aussagekräftigen und aktuellen Bauablaufplans mit Soll-Ist-Vergleich.
– Konkrete und auf den Einzelfall der Störung bezogene Darstellung der Forderungen. Abstrakte baubetriebliche Berechnungen sind nicht zu akzeptieren.
– Vorlage einer nachvollziehbaren Nachtragskalkulation.
Nicht prüffähige Forderungen sind zurückzuweisen.

(5) Vergütungsansprüche können sich nur aus einer Änderung des kritischen Weges im Bauablauf ergeben. Ändert sich der kritische Weg nicht, sind bauablaufbedingte Forderungen zurückzuweisen. Die tatsächlichen Auswirkungen der vom Auftraggeber verursachten Störungssachverhalte sind im Hinblick auf die Änderungen des kritischen Weges zu bewerten. Dabei sind zeitliche Überschneidungen zu berücksichtigen. Aus dieser Bewertung ergibt sich die Änderung des kritischen Weges.

(6) Die Prüfung der Vergütungsansprüche erfolgt anhand der Nachtragskalkulation. Hierbei sind nur die von der Änderung des kritischen Weges betroffenen zeitabhängigen Preisbestandteile zu berücksichtigen. Die zeitabhängigen Preisbestandteile müssen mit der Urkalkulation übereinstimmen. Unzutreffende Preisbestandteile der Nachtragskalkulation sind zu korrigieren.

(7) Resultiert aus der Änderung des kritischen Weges eine Verlängerung der vertraglich vereinbarten Bauzeit, können sich die zeitabhängigen Preisbestandteile der Urkalkulation ändern. Diese Änderungen (z. B. Tariflohnanstieg, regionale Materialpreisänderungen) sind durch den Auftragnehmer detailliert nachzuweisen. Zusätzliche Leistungen (§ 2 Abs. 6 VOB/B)

(8) Ist eine im Vertrag nicht vorgesehene Leistung (Zusätzliche Leistung) auszuführen, dann ist zu prüfen, ob
– diese Leistung zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich ist und
– der Betrieb des Auftragnehmers oder eines von ihm eingesetzten Unterauftrag-/Nachunternehmers auf eine derartige Leistung eingerichtet ist sowie
– diese Leistung insgesamt nur mit Nachteilen für den Auftraggeber (Behinderung der Ausführung, Erhöhung der Kosten) von einem anderen Unternehmer ausgeführt werden kann.

(9) Treffen alle drei Voraussetzungen zu, dann ist gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 VOB/B die Ausführung der zusätzlichen Leistung vom Auftragnehmer zu verlangen und dieser zur Abgabe eines Nachtragsangebotes aufzufordern. Dazu ist von ihm gemäß § 2 Abs. 6 VOB/B eine detaillierte, auf der Grundlage der Preisermittlung für die vertragliche Leistung aufbauende Berechnung seiner Preise für die zusätzliche Leistung zu fordern, bei deren Prüfung folgendermaßen zu verfahren ist:
– Bei den positionsbezogenen Preiselementen sind die jeweiligen Ansätze anzuerkennen, wenn sie angemessen sind und den Ansätzen bei vergleichbaren vertraglichen Leistungen entsprechen. Mehr- oder Minderkosten infolge vereinbarter Lohn- und Stoffpreisgleitklauseln sind gesondert zu berücksichtigen.
– Für die auftrags- und firmenbezogenen Preiselemente ist eine Änderung der ursprünglichen Ansätze abzulehnen.

(10) Über die Preise für zusätzliche Leistungen und gegebenenfalls die sonstigen vertraglichen Auswirkungen ist eine Nachtragsvereinbarung zum Bauvertrag abzuschließen.

VertragsMan ® Bau: Richtige Handhabung von Mengenänderungen

VertragsMan ® Bau: Richtige Handhabung von Mengenänderungen

§ 2 Abs. 3 VOB/B betrifft lediglich vom Bauvertrag abweichende Mengen ohne inhaltliche Änderung der Leistung. Mengenänderungen infolge geänderter bzw. zusätzlicher Leistungen sind nach § 2 Abs. 5 bzw. § 2 Abs. 6 VOB/B zu behandeln.

(1) Bei Überschreitung des Mengenansatzes (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B) gilt Folgendes: Sobald der Umfang der Mengenüberschreitung überschaubar ist, muss geprüft und dokumentiert werden, ob eine Herabsetzung der Preise zu verlangen ist.

Eine Herabsetzung ist immer dann zu verlangen, wenn erkannt wird, dass der Auftragnehmer
– durch die Überschreitung erhebliche positions- oder auftragsbezogene Kosten einsparen würde,
– positionsbezogene Kosten von vornherein erheblich zu hoch angesetzt hat und dem Auftraggeber ein Festhalten an den ursprünglichen Ansätzen nicht zumutbar ist, oder
– durch marktbedingte Senkung von Stoffpreisen erhebliche positionsbezogene Kosten einsparen würde, es sei denn, für diese Stoffe ist eine Stoffpreisgleitklausel vereinbart.

(2) Verlangt dagegen der Auftragnehmer bei Überschreitung des Mengenansatzes von mehr als 10 % eine Erhöhung der Preise, so ist durch den Auftragnehmer über die Mehrkosten ein Nachweis vorzulegen. Bei der Prüfung ist folgendermaßen zu verfahren:
– Positionsbezogene Mehrkosten sind anzuerkennen. Die durch eine vereinbarte Lohn- oder Stoffpreisgleitklausel abgedeckten Mehrkosten sind unberücksichtigt zu lassen.

(3) Über die zu vereinbarenden neuen Preise für die 110 % des Mengenansatzes überschreitenden Mengen ist eine Nachtragsvereinbarung zum Bauvertrag abzuschließen. Unterschreitung des Mengenansatzes (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B)

(4) Verlangt der Auftragnehmer bei der Unterschreitung des Mengenansatzes von Positionen um mehr als 10 % eine Erhöhung der Einheitspreise dieser Positionen, wird immer ein Ausgleich gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B (Gemeinkostenausgleichsberechnung) erforderlich.
Gemeinkostenausgleichsberechnung (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B)

(5) Ergibt die Abrechnung eines Bauvertrages Mengenmehrungen nach § 2 Abs. 3 Nr. 2, sind durch den Auftraggeber keine Gemeinkostenausgleichsberechnungen durchzuführen sondern ist nach Nr. (13) zu verfahren.
Sobald sich Mengenminderungen nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 ergeben, kann der Auftragnehmer einen Gemeinkostenausgleich verlangen. Dazu sind vom AN Nachweise vorzulegen. Diese sind wie folgt zu prüfen:

(a) Bei den Positionen mit Unterschreitungen des Mengenansatzes sind nur die Positionen
– deren Menge sich um mehr als 10 % des Mengenansatzes verringert hat und
– bei diesen jeweils die Differenzmenge von 100 % des Mengenansatzes bis zu der tatsächlichen Menge
zu betrachten.
Für diese Differenzmengen sind je Position die mengenunabhängigen (fixen) auftrags- und firmenbezogenen Kosten und letztlich deren Summe als Betrag für die VOB-Ausgleichsberechnung zu ermitteln.

(b) Für die VOB-Ausgleichsrechnung (siehe auch § 2 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 Halbsatz 2 VOB/B) sind alle Positionen
– deren Menge sich auf über 110 % des Mengenansatzes erhöht hat und
– bei diesen jeweils die Differenzmenge von 110 % des Mengenansatzes bis zur tatsächlichen Menge
zu betrachten.

Für diese Differenzmengen sind ebenfalls je Position die mengenunabhängigen (fixen) auftrags- und firmenbezogenen Kosten und letztlich deren Summe als Betrag für die Gemeinkostenausgleichberechnung zu ermitteln.
Positionen,
– deren Menge sich um mehr als 10 % des Mengenansatzes erhöht hat und
– für die ein neuer Preis nach den Nrn. (14) und (15) unter Ausgleich der auftragsbezogenen Kosten vereinbart wurde,
sind in der Ausgleichsberechnung nur hinsichtlich der firmenbezogenen Kosten einzubeziehen.
Ein Ausgleich in anderer Weise (z. B. durch zusätzliche Leistungen) ist gegebenenfalls zu berücksichtigen.

(c) Die nach den Nrn. (a) und (b) ermittelten Beträge sind zu saldieren.

(d) Das Ergebnis der Gemeinkostenausgleichberechnung ist in einer Nachtragsvereinbarung festzuhalten.

VertragsMan ® Bau: Arbeitshilfe Nachträge als unwesentliche Vertragsänderung?

VertragsMan ® Bau: Arbeitshilfe Nachträge als unwesentliche Vertragsänderung?

Die Zulässigkeit von Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit ist in § 22 VOB/A bzw. EU VOB/A geregelt. Bauaufträge, welche national ausgeschrieben wurden: Die Beauftragung nicht vereinbarter Leistungen, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden, bedarf, unabhängig von dem Umfang dieser Leistungen, keines neuen Vergabeverfahrens. Nicht vereinbarte Leistungen, welche nicht zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich sind, erfordern grundsätzlich ein neues Vergabeverfahren. Ausnahmen hiervon sind bei Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 3a Abs. 4 VOB/A (Freihändige Vergabe) zulässig. Bauaufträge, welche europaweit ausgeschrieben wurden: Die Beauftragung nicht vereinbarter Leistungen bedarf eines neuen Vergabeverfahrens, wenn damit wesentliche Änderungen des Bauvertrages verbunden sind. Wann ist von Wesentlichkeit auszugehen? Welche Art von Nachtragsvereinbarung ist unter Berücksichtigung welcher Maßgaben wann wie zustande zu bringen? Wir geben nachfolgend Antworten auf die wichtigsten Fragen:  

(1) Die Wesentlichkeit ist insbesondere dann zu bejahen, wenn zumindest einer der in § 22 EU Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 VOB/A aufgeführten Tatbestandsmerkmale erfüllt ist.

Ausnahmen von diesem Grundsatz sind allerdings u.a. in folgenden Fällen zulässig:

1. Die ursprünglichen Vergabeunterlagen enthalten eine diesbezügliche Anpassungsklausel oder -option,

2. Es werden zusätzliche Bauleistungen erforderlich und ein Wechsel des Auftragnehmers kann aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht erfolgen und ist mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten verbunden.

3. Die Änderung erfolgt aufgrund von nicht vorhersehbaren Umständen und führt zu keiner Veränderung des Gesamtcharakters des Auftrags.

4. Die Änderung führt zu keiner Veränderung des Gesamtcharakters des Auftrags und die Änderungen betragen in der Gesamtsumme nicht mehr als 15 % des ursprünglichen Auftragswertes und übersteigen den Schwellenwert nach § 106 GWB nicht.

In den in Nr. 2 und 3 geregelten Fällen darf die Änderung in jedem Einzelfall nicht mehr als 50 % des ursprünglichen Auftragsvolumens betragen. Außerdem sind in diesen Fällen die Änderungen mit dem Vordruck Bekanntmachung einer Änderung im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt zu machen.

(2) Erforderliche Änderungen oder Ergänzungen des Bauvertrages (Nachträge) sind schriftlich mittels Nachtragsvereinbarung zu regeln, die sich insbesondere auf folgende Sachverhalte erstrecken kann:

– Überschreitung des Mengenansatzes einer Position um mehr als 10 % (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 und 4 VOB/B),
– Unterschreitung des Mengenansatzes einer Position um mehr als 10 % (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 und 4 VOB/B),
– Übernahme von beauftragten Leistungen durch den Auftraggeber (§ 2 Abs. 4 VOB/B),
– Änderung der Leistung (§ 2 Abs. 5 VOB/B),
– Zusätzliche Leistung (§ 2 Abs. 6 VOB/B),
– Vergütungsanpassung bei vereinbarten Pauschalsummen (§ 2 Abs. 7 VOB/B),
– Leistungen des Auftragnehmers ohne Auftrag (§ 2 Abs. 8 VOB/B),
– vom Auftraggeber verlangte Zeichnungen, Berechnungen oder andere Unterlagen (§ 2 Abs. 9 VOB/B),
– Stundenlohnarbeiten (§ 2 Abs. 10 VOB/B),
– Wegfall von Teilleistungen (§ 8 Abs. 1 VOB/B),
– Behinderung durch Auftraggeber (§ 6 Abs. 6 VOB/B).

Die Leistungsbeschreibung im Nachtrag hat eindeutig und erschöpfend im Sinne von § 7 VOB/A zu erfolgen. Dabei sind – soweit möglich – Texte des Standardleistungskataloges (STLK) zu verwenden. Insbesondere sollen hierbei auch die preisbestimmenden Faktoren, wie z. B. Transportweiten, Abmessungen, Material im Positionstext ausgewiesen sein.

(3) Nachträge sind zeitnah und möglichst vor Ausführung der Leistungen, abschließend zu bearbeiten.

Verzögert sich – aus welchen Gründen auch immer – eine zeitnahe Nachtragsvereinbarung, ist wegen der erhöhten Kooperationspflicht beider Parteien beim VOB/B-Vertrag das unbestrittene Guthaben analog § 16 Abs. 3 Nr. 1 Satz 3 VOB/B unverzüglich zu zahlen.

Kommt eine Vereinbarung nicht vor, während oder nach der Ausführung geänderter oder zusätzlicher Leistung(en) zustande, so ist vom Auftraggeber die Höhe der Vergütung auf den vertraglichen Grundlagen bzw. gemäß § 632 Abs. 2 BGB einseitig festzulegen und der weiteren Vertragsabwicklung zu Grunde zu legen.

(4) Vor Abschluss einer Nachtragsvereinbarung ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen hierfür nach dem Bauvertrag vorliegen. Verlangt der Auftragnehmer einen Nachtrag unter Bezug auf Unklarheiten in den Vergabeunterlagen, obwohl er seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen ist, führt dies nicht zu einer Risikoverlagerung auf den Auftragnehmer. Das OLG München hat mit Beschluss vom 04.04.2013 entschieden, dass der Bieter bei Fehlern im Leistungsverzeichnis keine Hinweispflicht hat. Das OLG Dresden (Urt. vom 25.11.2011) hat ebenfalls eine Hinweispflicht vor Vertragsschluss abgelehnt.

Im Vermerk Nachtragsbearbeitung sind sämtliche mit dem betreffenden Sachverhalt zusammenhängende Regelungen festzuhalten.

Hierzu gehört insbesondere die OZ-weise Prüfung der Nachtragspositionen hinsichtlich nachfolgender Punkte:
– ist die Nachtragsposition Bestandteil der vertraglichen Leistung (§ 2 Abs. 1 VOB/B),
– ist die Nachtragsposition vollständig und prüffähig,
– welche Anspruchsgrundlage gemäß § 2 VOB/B ist einschlägig,
– Prüfung der Elemente der Preisermittlung der Nachtrags-OZ unter Berücksichtigung der Leistungs- und Mengenansätze.
Vorgenannte Sachverhaltsfeststellungen sind schriftlich zu dokumentieren. Die jeweilige Unterlage ist als Anlage dem Vermerk Nachtragsbearbeitung beizufügen.

(5) Weiterhin ist zu beachten, dass eine Änderung des Bauvertrages zum Nachteil des Auftraggebers nach den haushaltsrechtlichen Bestimmungen (z. B. § 58 Bundeshaushaltsordnung – BHO) nur in besonders begründeten Ausnahmefällen zulässig ist. Vertragsänderungen, die eine höhere Vergütung oder eine Veränderung von Vertragsbedingungen zugunsten des Auftragnehmers zum Inhalt haben, sind dann nicht als nachteilig für den Auftraggeber anzusehen, wenn der Auftragnehmer einen vertraglichen oder gesetzlichen Anspruch darauf hat.

(6) Zusammenhängende Leistungen und sämtliche damit im Zusammenhang stehende Sachverhalte sind in einer Nachtragsvereinbarung zu regeln und nicht zu splitten. Neben dem Anlass für den Nachtrag sind insbesondere die betroffenen Positionen und/oder preislichen Vereinbarungen sowie gegebenenfalls die Auswirkungen auf sonstige Vertragsbedingungen (Termine, Gleitklauseln, Vertragsstrafen usw.) festzuhalten.

(7) Werden durch Nachträge vertragliche Preise geändert oder neue Preise vereinbart, ist von der Preisermittlung des Auftragnehmers (Urkalkulation) für die vertragliche Leistung auszugehen. Ist diese Preisermittlung nicht sachgerecht oder für den Auftraggeber nicht nachvollziehbar, so sind die Ansätze auf der Grundlage der Vertragspreise besonders sorgfältig zu prüfen. Der Auftraggeber darf zur Vereinbarung neuer Preise oder zur Prüfung sonstiger vertraglicher Ansprüche die Preisermittlung (Urkalkulation) öffnen und einsehen. Die Preisermittlung wird danach wieder verschlossen. Sie wird nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung zurückgegeben.

(8) Die einzelnen Elemente einer Preisermittlung sind unterschiedlich zu behandeln, wobei zu unterscheiden ist zwischen

– positionsbezogenen (Einzelkosten der Teilleistung),
– auftragsbezogenen (Baustellengemeinkosten) und
– firmenbezogenen (Allgemeine Geschäftskosten)

Preiselementen.

Positionsbezogene Preiselemente sind die unmittelbar leistungsabhängigen Kosten, wie z. B.
– Lohnkosten einschließlich lohngebundener Kosten,
– Stoffkosten frei Baustelle,
– Betriebskosten der Geräte, d. h. Kosten für Betriebsstoffe, Bedienung, laufende Reparaturen, ggf. Geräteabschreibung und -verzinsung, jeweils ohne Gemeinkostenzuschlag.

Auftragsbezogene Preiselemente
sind die nicht oder nur mittelbar leistungsabhängigen Kosten, wie z. B.:
– Gemeinkosten der Baustelle, d. h. Kosten für Baustelleneinrichtung und -räumung sowie für Verkehrssicherung und -regelung (soweit nicht in eigenen Positionen erfasst), für Vorhaltung der Baustelleneinrichtung, für allgemeines Baustellenpersonal, für allgemeine Baustellengeräte,
– etwaige Sonderkosten, z. B. besondere Versicherungen, Entwurfskosten, Lizenzgebühren.

Firmenbezogene Preiselemente
sind z. B.:
– Allgemeine Geschäftskosten,
– Wagnis und Gewinn.

(9) Änderungen der Ausführungsfristen sind in der Nachtragsvereinbarung zu regeln.

(10) Vorhandene Vertragsstrafenregelungen sind in der Nachtragsvereinbarung erneut mit aufzunehmen. Hierzu sollte folgender Textbaustein in das zu Vertragsstrafen zugehörige Freitextfeld aufgenommen werden: „Die ursprüngliche Vertragsstrafenregelung gilt (unter Berücksichtigung der neuen Ausführungsfristen) weiter“.

(11) In der Nachtragsvereinbarung sind Gemeinkostenregelungen zu treffen oder zumindest vorzubehalten. Lässt sich zum Zeitpunkt des Abschlusses der Nachtragsvereinbarung die neue Höhe der Baustelleneinrichtungs- und Baustellengemeinkosten und der Allgemeinen Geschäftskosten (zusammenfassend Gemeinkosten, Ansprüche aus Behinderung, Ansprüche aus Bauzeitverlängerung o. ä.) noch nicht abschließend regeln, ist dies in der Nachtragsvereinbarung unter Punkt „Sonstiges“ durch Ankreuzen des maßgebenden Feldes bzw. durch Freitexteintragung festzuhalten.
Der die Nachträge betreffende Schriftwechsel mit dem Auftragnehmer, der Vermerk Nachtragsbearbeitung einschl. der zugehörigen Anlagen sowie die Begründungen und Ermittlungen für alle Vereinbarungen im Nachtrag, insbesondere die Preisermittlungen, sind den „Unterlagen für die Rechnungslegung“ beizufügen.