Die Befürchtung des Nachbarn, dass vom Vorhabengrundstück Niederschlagswasser auf sein Grundstück fließen wird und das vorhandene Abwassernetz sowie die Drainage auf dem Vorhabengrundstück nicht ausreichend seien, begründet grundsätzlich keinen Verstoß gegen Rücksichtnahmegebot.
VG Köln, Beschluss vom 16.04.2025 – 23 L 605/25:
Die erteilten Baugenehmigungen verstoßen nicht gegen Rechtsvorschriften, die auch dem Schutz der Rechte des Antragstellers zu dienen bestimmt sind. Ein Nachbar kann nur dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn diese gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verstößt und eine Befreiung von diesen Vorschriften nicht vorliegt oder unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist insoweit grundsätzlich der Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 2023 – 10 A 2094/20 –
Der Antragsteller trägt vor, dass die Baugenehmigungen keine hinreichenden Maßnahmen zur Vermeidung von Überflutungen und Hochwasser hinsichtlich der Regenwasserentwässerung enthalten würden und er befürchtet eine allgemeine Verschlechterung der Entwässerungssituation, da das vorhandene Abwassernetz und die Drainage nicht ausreichend seien und der Boden des Vorhabengrundstückes nur geringe Versickerungsfähigkeit besitze. Diese Erkenntnisse entnimmt der Antragsteller unter anderem aus der Tatsache, dass es in den Jahren 1985, 1994, 1995, 2017, 2020 und 2021 zu Überflutungen im Bereich der Straße “P.-straße” gekommen sei sowie aus diversen Presseartikeln, der Einsicht in Verwaltungsakten und Erkenntnissen aus Ratssitzungen.
Ein Verstoß der Baugenehmigungen gegen dem Schutz des Antragstellers dienende Vorschriften scheitert jedoch bereits daran, dass die konkrete Ausgestaltung der Entwässerung weder Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigungen noch zwingend Bestandteil der Baugenehmigungen ist.
Inhalt und Umfang der Baugenehmigung werden durch die Bauvorlagen konkretisiert.
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 2025 – 3 S 1632/23 –
Weder die textlichen Bestimmungen in der Baugenehmigung vom 23. Januar 2025 noch die mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen enthalten Regelungen für die Entwässerung. Im grün gestempelten Bauantrag vom 10. Dezember 2024 ist vielmehr angegeben, dass die Entwässerungsplanung nachgereicht wird. Das vom Antragsteller übersandte Leistungsverzeichnis vom 14. August 2024, das die Anlegung einer Versickerungsmulde enthält, ist hingegen nicht Bestandteil der Baugenehmigungen.
Auch die Teilbaugenehmigung vom 16. Dezember 2024 enthält keine konkreten Angaben zur Ausgestaltung der Entwässerung. Zwar sind Gegenstand der Teilbaugenehmigung “Erdarbeiten, Fundamentierungsarbeiten und Entwässerungsarbeiten”. Hiermit ist jedoch nicht die konkrete Ausgestaltung der Regenwasserentwässerung gemeint, sondern die Teilbaugenehmigung wurde für die Gründung erteilt.
Die im vorliegenden Baugenehmigungsverfahren nach § 65 Nr. 2 BauO NRW auch zu prüfenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen nach §§ 3 und 13 BauO NRW sind vorliegend nicht verletzt. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz1 BauO NRW sind Anlagen so zu errichten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. § 13 Satz 1 BauO NRW präzisiert diese Pflichten und bestimmt, dass bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein müssen, dass durch Wasser, Schnee, Eis, Feuchtigkeit, pflanzliche und tierische Schädlinge sowie andere chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. Nicht jede durch ein Vorhaben verursachte Veränderung der Ableitung des Niederschlagswassers begründet dabei zugleich eine unzumutbare Beeinträchtigung im Sinne dieser Vorschrift; gewisse Veränderungen der Wasserverhältnisse muss der Nachbar grundsätzlich hinnehmen. Eine die Erheblichkeitsschwelle überschreitende Verschlechterung der Situation liegt nur dann vor, wenn das Niederschlagswasser konkret auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und dort zu Überschwemmungen führt.
Vgl. VG Cottbus, Urteil vom 12. September 2019 – 3 K 1477/14 –
Eine unmittelbare Ableitung des Niederschlagswassers auf das Grundstück des Antragstellers ist jedoch weder geplant noch konkret vorgetragen. Die vom Antragsteller befürchtete allgemeine Verschlechterung der Entwässerungssituation fällt nicht in den Anwendungsbereich der §§ 3 und 13 BauO NRW. Denn die Funktionsfähigkeit der “öffentlichen Einrichtung Abwasserbeseitigung” und auch der Hochwasserschutz sind nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens für ein einzelnes Bauvorhaben,
vgl. Urteil der Kammer vom 17. Juli 2024 – 23 K 4896/22 -.
Die bauplanungsrechtlich erforderliche Erschließung, zu der auch die Entwässerung gehört, muss auch nicht schon bei Baubeginn gegeben sein. Zwar ist nach § 30 Abs. 1 BauGB ein Vorhaben nur dann zulässig, wenn auch die Erschließung gesichert ist. Hierzu gehört auch eine ordnungsgemäße Niederschlagswasserbeseitigung. Es wird jedoch nicht verlangt, dass die Erschließung bereits zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung vorliegt, sondern dass nach objektiven Kriterien erwartet werden kann, dass zum Zeitpunkt der Benutzbarkeit der baulichen Anlage die notwendige Erschließung tatsächlich vorhanden und nutzbar ist.
Vgl. Charlier in: Rixner/Biedermann/Charlier, Systematischer Praxiskommentar BauGB/BauNVO, 4. Aufl., 2022, § 30 BauGB Rn. 36.
Die vom Antragsteller vorgetragene Befürchtung, dass die Antragsgegnerin nicht in der Lage sei, eine technisch einwandfreie Entwässerungslösung zu finden, teilt das Gericht nicht. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die vom Generalunternehmer vorzunehmende Prüfung der Möglichkeiten zur Entwässerung nicht ordnungsgemäß vorgenommen wird. Der Umstand, dass die Planung den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst wurde bzw. neue Lösungen erarbeitet werden, zeigt vielmehr, dass die Entwässerungsproblematik ernst genommen wird und eine detaillierte Prüfung stattfindet. Dementsprechend befindet sich im Verwaltungsvorgang eine Mitteilung des Ingenieurbüros Q. vom 17. März 2025, nach der das Ingenieurbüro in Abstimmung mit der Unteren Wasserbehörde eine Versickerung des anfallenden Niederschlagswassers vor Ort plant unter Benennung der konkreten Ausgestaltung. Weiter ist ausgeführt, dass die Bemessung der Versickerungsanlage aufgrund der Nähe zur Ronne für ein 100-jährliches Regenereignis erfolgt.
Vorliegend ist es auch unerheblich, ob – wie der Antragsteller meint – für das Bauvorhaben zusätzlich eine wasserrechtliche Genehmigung notwendig oder gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 LWG NRW eine solche entbehrlich ist. Denn selbst bei Fehlen einer solchen wasserrechtlichen Genehmigung wäre die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigungen nicht berührt.
Im Übrigen verstoßen die streitgegenständlichen Baugenehmigungen auch nicht zu Lasten des Antragstellers gegen das grundsätzlich zu berücksichtigende Gebot der Rücksichtnahme.
Ob ein Vorhaben das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Eine erfolgreiche Berufung auf das Drittschutz vermittelnde Rücksichtnahmegebot setzt voraus, dass das Bauvorhaben bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Gewicht der mit ihm verfolgten Interessen auf der einen Seite und der Empfindlichkeit und Schutzwürdigkeit der Belange des Nachbarn auf der anderen Seite für diesen die Schwelle der Zumutbarkeit ersichtlich überschreitet. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Umgekehrt braucht derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es danach wesentlich auf eine Abwägung an zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dementsprechend ist das Rücksichtnahmegebot verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird.
Vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 23. 08. 1996 – 4 C 13.94 – und vom 25. 02. 1977 – IV C 22.75 -; OVG NRW, Urteile vom 30. 05. 2017 – 2 A 130/16 -, und vom 15. 05. 2013 – 2 A 3010/11 -.
Soweit der Kläger befürchtet, dass auf sein Grundstück Niederschlagswasser fließen wird und das vorhandene Abwassernetz sowie die Drainage auf dem Vorhabengrundstück nicht ausreichend seien, so kann dieser Vortrag einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht begründen.
Die Anforderungen an eine gesicherte Erschließung und damit auch die Entwässerung bestehen grundsätzlich nur im öffentlichen Interesse und dienen nicht auch dem Nachbarschutz. Etwas anderes kann – unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots – ausnahmsweise dann gelten, wenn durch die unzureichende Erschließung unmittelbar Nachbargrundstücke betroffen sind, etwa wenn das Niederschlagswasser gezielt auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und diese damit zur Abwehr von Schäden am eigenen Grundstück missbraucht würden oder Schäden in außergewöhnlichem Ausmaß zu befürchten wären, denen auch mit Selbsthilfemaßnahmen nicht begegnet werden könnte.
Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 29. November 2006 – 1 CS 06.2717 -; VG Arnsberg, Urteil vom 23. April 2010 – 12 K 2660/07 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2024 – 28 K 7716/21 –
Eine gezielte Ableitung des Regenwassers auf das Grundstück des Antragstellers ist jedoch – wie schon ausgeführt – nicht beabsichtigt.
Der Antragsteller kann sich auch nicht auf die Regelungen des § 78 Abs. 4 WHG, wonach die Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten untersagt ist, berufen. Denn das Grundstück der Antragsgegnerin liegt unstreitig weder in einem festgesetzten noch in einem vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet.
Da die erteilten Baugenehmigungen nicht gegen Rechtsvorschriften verstoßen, die auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind, bleibt auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Erfolg.